Kolhaas/Tschumi – Tagesanzeiger

 Zwei Ikonen beim Kamingespräch

Von Peter Herzog. Aktualisiert am 20.05.2011

Die beiden Architekturstars Rem Koolhaas und Bernard Tschumi begegneten sich an der ETH Zürich zum gedanklichen Marathon.

Traf an der ETH auf Bernard Tschumi: Rem Koolhaas.

Traf an der ETH auf Bernard Tschumi: Rem Koolhaas.
Bild: Keystone

 

Der Andrang war enorm am Mittwochabend, das Auditorium an der ETH sowie mehrere Übertragungssäle zum Bersten voll. Nicht alle Tage plaudern zwei so profilierte Leitfiguren der Architektur aus dem Nähkästchen. Der Niederländer Rem Koolhaas hat mit seinem Büro OMA und seinen Publikationen zur Architekturtheorie Geschichte geschrieben. Auch Bernhard Tschumi, der in Lausanne geboren ist und an der ETH studiert hat, krempelte die Architekturwelt um mit seinen Bauten und seinen Theorien zur Beziehung zwischen Architektur und deren Benutzung. Die beiden diskutierten engagiert und zeigten eindrücklich, warum sie nicht nur renommierte Architekten, sondern auch brillante Denker und Theoretiker sind. Und kaum war ein Aspekt angeschnitten, peitschte Moderator Stefan Trüby die beiden zum nächsten.

Koolhaas’ und Tschumis Biografien weisen erstaunliche Parallelen auf. Im Mai 1968 waren beide in Paris, Koolhaas als Journalist und Tschumi als Praktikant in einem Architekturbüro. Rückblickend sagte Koolhaas: «Wir vergessen bei den 60er-Jahren, wie überraschend offen das System war.» Ein kurzer Brief habe ihm genügt, um eine Woche später als Journalist für eine Zeitung zu schreiben. «Die Schönheit der Periode ist nicht so sehr die Rebellion, sondern wie zugänglich alles war.» Tschumi war im Mai 68 auf der Strasse und wurde gar einmal verhaftet. Der Umbruch habe es seiner Generation erlaubt, alles infrage zu stellen – mit weitreichenden Folgen auch für die Architektur.

«Einsame Atome im Raum»

In den 70er-Jahren zogen die beiden 1944 geborenen Architekten nach Manhattan, wo sie am Institute for Architecture and Urban Studies unter Peter Eisenman wirkten. Eisenman hätte nur mit ihm spielen wollen, erklärte Koolhaas, seriös über Architekturtheorie hätten sie kaum gesprochen. Damals entdeckten beide New York als Grundlage für ihre Auseinandersetzung mit der Stadt. Koolhaas veröffentlichte 1978 «Delirious New York», drei Jahre später erschien Tschumis «Manhattan Transcript». Beide Bücher reflektieren nicht den harten Stein der Architektur, sondern die Aktionen und Handlungen zwischen den gebauten Mauern. «Es gibt keinen Raum, ohne dass darin etwas passiert», sagt Tschumi.

Die Diskussion drehte sich denn auch weniger um konkrete Projekte, sondern um die Konzepte und Ideen ihrer Entwürfe und darum, was die Architektur beeinflusst – Themen, die im globalen Architekturwetteifer in den Hintergrund geraten. Heute seien Ikonen gefragt, alle eiferten dem Bilbao-Effekt nach, bedauerte Tschumi. «Es herrscht der generelle Konsens, dass Städte Ansammlungen von individuellen Objekten sind.» Der Dekonstruktivismus sei die letzte Architekturbewegung gewesen, sagte Koolhaas. «Heute sind alles einsame Atome im Raum, das ist tragisch.»Nach zweieinhalb Stunden theoretischer Diskurse und biografischer Vergleiche war das Gespräch vorbei. Den Zuhörern rauchten die Köpfe, für die beiden Architekten aber schien der Abend ein kurzer gedanklicher Spaziergang gewesen zu sein. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 20.05.2011, 13:51 Uhr

Rem Koolhaas & Bernard Tschumi

Rem Koolhaas & Bernard Tschumi
Ein Gespräch moderiert von Stephan Trüby

Mit Einführungen von Marc Angelil und Philip Ursprung

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Mittwoch, 18.5.2011, 19 Uhr

ETH Campus Hönggerberg, Auditorien HIL E1, E3 und E4
8049 Zürich
Eintritt frei

Rem Koolhaas und Bernard Tschumi gehören nicht nur zu den einflussreichsten Architekten sondern auch zu den einflussreichsten Architekturtheoretikern der Gegenwart. Ihre Biographien weisen frappante Ähnlichkeiten auf: Beide wurden 1944 geboren, beide verfügen über ein breites Interesse am Film (Koolhaas arbeitete, bevor er zum Architekt wurde, sogar als Drehbuchautor); beide waren im Mai 1968 in Paris, beide zogen Anfang der 1970er Jahre nach Manhattan und entdeckten dort zur selben Zeit New York City als Thema einer intellektuellen Auseinandersetzung über die Stadt der Gegenwart; und beide stehen mit ihrer Arbeit für etwas, das man die „performative Wende“ in der Architektur nennen könnte: Sie reflektieren nicht nur den „Stein“ der Architektur, sondern auch das „Fleisch“ in der Architektur: Funktionen, Programme, Handlungen, Aktionen innerhalb des gebauten Raums. Noch nie debattierten sie öffentlich über gemeinsame Interessen und unterschiedliche Auffassungen. Moderiert von Stephan Trüby (Zürcher Hochschule der Künste) und eingeleitet von Marc Angélil und Philip Ursprung (beide ETH Zürich).

Eine Kooperation des Departement Architektur der ETH Zürich mit dem Postgraduierten-Programm MAS Spatial Design und dem SNF-Projekt Re/Okkupation (beide Zürcher Hochschule der Künste).

Rem Koolhaas & Bernhard Tschumi. A Conversation moderated by Stephan Trüby with an introduction by Marc Angélil and Philip Ursprung

Rem Koolhaas & Bernhard Tschumi
A Conversation moderated by Stephan Trüby
with an introduction by Marc Angélil and Philip Ursprung

Datum:
Mittwoch, 18. Mai 2011
Zeit: 19:00
Ort: ETH Campus Hönggerberg Auditorium HIL E1, E3 und E4

Rem Koolhaas und Bernard Tschumi gehören nicht nur zu den einflussreichsten Architekten sondern auch zu den einflussreichsten Architekturtheoretikern der Gegenwart. Ihre Biographien weisen frappante Ähnlichkeiten auf: Beide wurden 1944 geboren, beide verfügen über ein breites Interesse am Film (Koolhaas arbeitete, bevor er zum Architekt wurde, sogar als Drehbuchautor); beide waren im Mai 1968 in Paris, beide zogen Anfang der 1970er Jahre nach Manhattan und entdeckten dort zur selben Zeit New York City als Thema einer intellektuellen Auseinandersetzung über die Stadt der Gegenwart; und beide stehen mit ihrer Arbeit für etwas, das man die „performative Wende“ in der Architektur nennen könnte: Sie reflektieren nicht nur den „Stein“ der Architektur, sondern auch das „Fleisch“ in der Architektur: Funktionen, Programme, Handlungen, Aktionen innerhalb des gebauten Raums. Noch nie debattierten sie öffentlich über die gemeinsame Interessen und unterschiedliche Auffassungen. Moderiert von Stephan Trüby (Zürcher Hochschule der Künste) und eingeleitet von Marc Angélil und Philip Ursprung (beide ETH Zürich), werden sie dies am 18. Mai 2011 in Zürich tun.

Eintritt frei.

http://www.arch.ethz.ch/darch/pdf/aktuell/DARCH_KoolhaasTschumi_12042011.pdf

Eine Kooperation des Departement Architektur der ETH Zürich
mit dem Postgraduierten-Programm MAS Spatial Design
und dem SNF-Projekt Re/Okkupation (beide Zürcher Hochschule der Künste).

 

Re/Okkupation – Kick Off!

Das Forschungsprojektes „Re/Okkupation“, das in Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Zürich und der ETH (Professur für Architektur und Städtebau) am Institut für Theorie (ith) der ZHdK stattfindet und vom Schweizer Nationalfonds (SNF) gefördert wird, untersucht exemplarisch am Beispiel von theatralen Interventionen im Stadtraum Zürich, wie performative Techniken zur Erzeugung und Gestaltung von Öffentlichkeit im urbanen Raum genutzt werden können. Dabei bedient es sich interdisziplinär den Instrumentarien und Methoden der Design-, Architektur-, Urbanistik- und Theaterwissenschaft sowie der Philosophie.

Forschungsgegenstand ist „Ciudades Paralelas – Parallele Städte“, ein mehrtägiges Festival in verschiedenen Funktionsräumen der Stadt Zürich: Bahnhof, Hotel, Bibliothek, Shopping-Center, Wohnhaus, Fabrik, Dachlandschaft und Gericht werden von Künstlern aus Deutschland, Argentinien und der Schweiz durch Interventionen anders belebt und dem Besucher anders zugänglich gemacht. Die Interventionen bespielen also nicht traditionelle Typologien öffentlicher Räume (wie Strassen, Plätze, Parks etc.), sondern erschliessen andere/neue städtische Räume, in denen Öffentlichkeit praktiziert werden kann. Kuratiert wird das Mini-Festival von dem Rimini Protokoller Stefan Kaegi und der argentinischen Regisseurin Lola Arias. Praxispartner und Produzent ist das Schauspielhaus Zürich.

Das Forschungsprojekt beschäftigt sich grundsätzlich mit der Frage, inwiefern künstlerische Strategien für wissenschaftliches Forschen fruchtbar gemacht werden können, indem es mit den Methoden der Wissenschaft die Nachhaltigkeit der theatralen Interventionen von Ciudades Paralelas im Stadtraum Zürich untersucht. Die vier Forschungsbereiche – Theaterwissenschaft, Urbanistik, Szenografie und Philosophie – arbeiten weitgehend unabhängig mit jeweils eigenen Fragestellungen und den Methoden der eigenen Disziplin. Wesentlich sind die drei gemeinsamen Treffen – wir nennen sie Laboratorien – in denen sowohl über den Stand der Arbeit berichtet, nach Gemeinsamkeiten und Differenzen gesucht, wie auch eruiert wird, ob und inwiefern sich die Forschungsbereiche aufeinander abstützen können. Als zusätzlicher Input und externe „Kontrolle“ werden zu diesen Laboratorien jeweils 4 – 6 Künstler oder Wissenschaftler diverser Disziplinen als Experten eingeladen.

In den einzelnen Forschungsteilen werden Fragen aufgeworfen, die das theatrale Ereignis und sein Umfeld von verschiedenen Seiten beleuchten. Immer geht es sowohl um eine Beschreibung der künstlerischen Intervention im urbanen Raum, der konkreten Gestaltung einer Öffentlichkeit, als auch um die Nützlichkeit theateraler Techniken zu dieser Gestaltung.

Durch die enge Verzahnung mit dem Festival Ciudades Paralelas versucht das Forschungsprojekt eine Brücke zu schlagen zwischen der künstlerischen Arbeit, die sich mit dem urbanen Raum beschäftigt, und den Disziplinen, die sich in einem eher wissenschaftlichen-theoretischen Umfeld damit auseinandersetzen.

Theaterwissenschaft – Imanuel Schipper (Projektleiter, ith, ZHdK)

Hier geht es um die Frage, was für Vorstellungsarten, Dramaturgien, Inszenierungen und Materialitäten für die theatralen Stadtrauminterventionen benutzt werden, und welche Rolle der Zuschauer dabei spielt: Wie stark wird er inkludiert und dadurch emanzipiert (im Verhältnis zur „klassischen“ Publikumssituation)? Daran anschliessend soll erörtert werden, was solche neuen Theaterformen für die Institution „Stadttheater“, für dessen Image in der Stadt und für dessen Publikum bedeutet – wenn Theater die bekannten Bretter (die die Welt bedeuten) verlässt und „normale“ urbane Funktionsräume zu Bühnen macht.

Philosophie – Clemens Bellut (Design2context, ZHdK)

Der geisteswissenschaftlich ausgerichtete Beitrag zu der Forschung untersucht einige Aspekte der philosophischen Diskussion über die politische Öffentlichkeit und schliesst Positionen von Arendt über Habermas, Lefebvre bis Agamben und Rancière ein. Insbesondere wird eine Konstruktion des Begriffes der „Öffentlichkeit“ als These aufgestellt und an Hand der künstlerischen Interventionen auf dessen Brauchbarkeit kritisch überprüft.

Urbanistik – Tim Rieniets (Urban Research Studio, Professur für Architektur und Städtebau, ETHZ); Gabriela Muri Koller (Dozentur Soziologie, ETHZ; Institut für Populäre Kulturen, UZH)

Das Forschungsprojekt Re/Okkupation (Teilprojekt Urbanistik) nimmt Ciudades Paralelas zum Anlass, einen noch weitgehend unerforschten Fragenkomplex zum Thema ‚öffentlicher Raum’ zu behandeln: Ist es möglich, durch Einsatz performativer Techniken aus dem Theater, Qualitäten von Öffentlichkeit in städtischen Räumen zu stimulieren? Welche performativen Techniken sind besonders gut geeignet, um Öffentlichkeit zu erzeugen? Welche städtischen Räume sind besonders geeignet, um durch performative Techniken qualifiziert zu werden?
Für das Forschungsprojekt Re/Okkupation (Teilprojekt Urbanistik) ist Öffentlichkeit kein politisch, juristisch oder medial vordefinierter Raum, sondern ein gesellschaftlicher Akt der gegenseitigen Wahrnehmung und Interaktion unterschiedlicher Gruppen und Individuen. Öffentlichkeit ist in diesem Sinne konstitutiv für den öffentlichen Raum und für jene Form des menschlichen Zusammenlebens, die wir Stadt nennen. Öffentlichkeit ist demnach nicht an bestimmte Raumtypen gebunden (z.B. Straßen, Plätze, öffentliche Anlagen), sondern kann sich überall dort ereignen, wo gegenseitige Begegnung und Austausch möglich ist: In Shoppingcenter, Bahnhöfe, Bibliotheken, Hotels, Fabriken etc.
Um die Wirksamkeit performativer Interventionen für die Entstehung von Öffentlichkeit verstehen und beurteilen zu können, werden ausgewählte Projekte von Ciudades Paralelas mittels empirischer Forschungsmethoden untersucht. Das Forschungsprojekt Re/Okkupation (Teilprojekt Urbanistik) bewegt sich dabei in einem interdisziplinären Spannungsfeld zwischen städtebaulicher und kulturwissenschaftlicher Stadtforschung. Um die Wechselwirkungen zwischen Menschen, Räumen und theatralen Interventionen erfassen zu können, kommt eine methodenplurale Kombination stadtethnografischer, kartografischer, film- und textbasierter Verfahren zum Einsatz.
Das Forschungsprojekt Re/Okkupation (Teilprojekt Urbanistik) wird von einem interdisziplinären Team von Studierenden durchgeführt und ist eine Kooperation der Professur für Architektur und Städtebau (ETH Zürich), der Dozentur Soziologie (ETH Zürich) und dem Institut für Populäre Kulturen (Universität Zürich) durchgeführt.

Szenografie – Stephan Trüby (MAS Scenography, ZHdK)

In diesem Teil liegt der Fokus auf Materialität und Funktion der bespielten Räume. Untersucht wird deren Umnutzung durch die theatralen Interventionen. Neben einer historischen Verortung der Umnutzung von öffentlichen Räumen wird auch nach dem Hinterlassen von Spuren aus der Umnutzung an der Architektur und bei den „Benutzern“ der Räume geforscht.