Für die nächsten zwei Wochen (also vom 5. bis zum 18. Oktober) werde ich via Twitter aus Lehrveranstaltungen der ZHdK berichten. Was Twitter ist und wozu es gut sein könnte, habe ich 2012 für einen Vortrag mit dem Titel „Die Zwitschermaschine“ etwas ausführlicher aufgeschrieben.

Zu Beginn der ersten Veranstaltung:

Ich weiss nicht, warum das an der ZHdK so ist. Schliesslich hat Kunst doch oft mit Publikum zu tun, und in letzter Zeit auch immer öfter mit dem Einwerben von Crowdfunding-Geldern. Da läge es doch nahe, mit der Öffentlichkeit zu sprechen und nicht nur mit geschlossenen Facebook- oder Whatsapp-Gruppen. Ich möchte, was Twitter angeht, nicht denselben Fehler machen wie Jack Griffin, CEO der Tribune-Publishing-Gruppe, der Ende September in einem Interview ankündigte, die Jugend werde schon bald wieder mit dem Zeitunglesen anfangen. Vielleicht ist Twitter für mich viel überzeugender als für 20-Jährige. Aber bei Instagram und YouTube kommen mir die ZHdK-Studierenden kaum weniger zurückhaltend vor.

Der oben erwähnte Zwitschermaschinentext enthält einen Abschnitt über das Veranstaltungstwittern:

    • Durch 4., 5. und 6. [die vorher dargelegten Twittereigenschaften Mobilität, Schnelligkeit und Öffentlichkeit] etablierte sich ein Einsatzzweck, für den Twitter heute eine Art Monopol hat: das Veranstaltungstwittern.
    • Vor Twitter war diese Nische durch Liveblogging besetzt. Aber Liveblogging hat höhere Teilnahmehürden und erreicht weniger Leser.
    • Veranstaltungstwittern hat zwei Funktionen. Zum einen öffnet es die Veranstaltung nach aussen. Abwesende können das Geschehen verfolgen.
    • Die Anwesenden sind dann etwas abwesender, weil sie nebenbei twittern, aber dafür sind die Abwesenden etwas anwesender.
    • Zweitens haben auch die Abwesenden die Möglichkeit, sich aktiv zu beteiligen …

Auch seitens der Dozierenden und der Verwaltung wird, finde ich, zu sorgsam getrennt zwischen 1. Informationen für die Öffentlichkeit, 2. Innenleben der ZHdK  und 3. Veranstaltungen, die zwar im Haus für eine Öffentlichkeit aus physisch Anwesenden zugänglich sind, aber keine Anbindung an eine abwesende Öffentlichkeit vorsehen und oft auch nicht für eine zeitversetzte Beschäftigung archiviert werden. Auf mich wirkt das so, als traue man den eigenen Veranstaltungen nicht zu, die Öffentlichkeit zu überzeugen, und der Öffentlichkeit nicht, diese Veranstaltungen auch dann richtig einzuschätzen, wenn sie provisorisch, inoffiziell, flüchtig, unfertig oder hochspezialisiert sind. Das ist schade, weil im Haus so viel Interessantes passiert.

Vielleicht fällt mir eines Tages eine Erklärung für diese Abneigung gegen öffentlich sichtbare Betätigung in sozialen Netzwerken ein, oder ich begegne jemandem, der sie kennt. Bis dahin ist es ja schon mal erfreulich, dass das Z+ mich hin und wieder als Twitterhilfe einlädt.

Zwar habe ich mir schon vor Monaten vorgenommen, nicht mehr aus Veranstaltungen zu twittern, auf denen ich die Einzige bin, die das tut. Wer meine Tweets liest, bekommt ein unausgewogenes Bild der Veranstaltung, nämlich meines, abzüglich dessen, was ich alles verpasst habe. Wenn mehrere Anwesende gleichzeitig berichten würden, könnten sich deren Vorlieben, Abneigungen und Unaufmerksamkeiten besser ausgleichen. Twitter-Erfahrene wissen das einzuschätzen, aber Veranstaltenden ist Twitter oft fremd, sie finden ihre Veranstaltung in der Öffentlichkeit verkürzt und einseitig dargestellt und haben das Gefühl, sich gegen diese Darstellung nicht wehren zu können. Letzeres ist mir immer ein bisschen rätselhaft – das Internet ist ja keine Zeitung. Wer findet, dass dort Unzutreffendes geschrieben wird, kann die Sache selbst richtigstellen oder noch besser: aktiv dazu beitragen, dass mehr als nur eine Person die Veranstaltung sichtbar macht.

Diesmal aber habe ich einen ausdrücklichen Twitterauftrag, und ich bin nur in Veranstaltungen zu Besuch, deren Verantwortliche sich diesen Besuch gewünscht haben. Da ich fürs Twittern bezahlt werde und Werbung für diesen Informationskanal machen möchte, werde ich mich auf haltlose Schmeicheleien und unkritische Begeisterung beschränken. Wie ich inzwischen weiss, entspricht das deutsche Konzept der unkritischen Begeisterung etwa dem Schweizer Konzept der mittelscharfen Kritik, die ausgewogene Berichterstattung bleibt also gewährleistet.