Theorie-Arbeit und Transdisziplinarität

Das ith orientiert sich in seiner Arbeit, beispielsweise in der Entwicklung einer Theorie der Ästhetik, im Horizont verschiedener künstlerischer Praxen. Um diese zu beobachten, zu analysieren, zu verstehen und sie dabei auf die Ästhetik zu beziehen und zu befragen, begreifen wir die jeweilige Situation (das jeweilige Setting) als Dispositiv (Bippus et al. 2012a, vgl. hier die weiterführende Literatur). Abgekürzt formuliert bezeichnen wir mit diesem Begriff ein Zusammen von Elementen, Akteuren, Kräften, Wirkungen (Institutionen, Architekturen, Menschen, Dinge, Apparate, Instrumente), in denen aufgrund von auslösenden Dynamiken (Krisen, Veranlassungen, Expositionen, Ereignissen) etwas in Gang gesetzt wird, etwas geschieht. Dieses Geschehen kann zur Veränderung des Dispositivs und damit zu einem neuen Dispositiv führen. So können wir auf diese Weise ein Gemälde, ein Konzert, die ZHdK, ein Filmfestival, ein Computerlabor…) untersuchen. Es geht dabei um Relationen, Verhältnisse – von Kräften und auch von Macht. Es geht um Autoritäten, Zuweisungen, Ermächtigungen. Das Problem ist, dass wir diese «Dispositiv-Analyse» nicht von aussen leisten können, da wir immer auch Teil des Settings sind und uns in diesem Mit-Teil-Sein bedenken müssen. Die Arbeit an der Theorie der Ästhetik macht deutlich, dass wir mit dem Begriff des Dispositivs Konstellationen künstlerischer Praxis auch immer als Konstellationen von Subjektivierungen verstehen: Eine Ästhetik der Künste steht denn auch in Bezug zu einer Ästhetik der Lebensweisen, d.h. auch zu dem Politischen.
Diese kurzen Ausführungen sollen deutlich machen, dass unsere Arbeit nicht auf dem Begriff der «Disziplin» aufbaut. Es geht in der Theoriepraxis nicht darum, Kunst und Wissenschaft zu vermitteln, und es geht auch nicht darum, in der Analyse eines Dispositivs das Instrumentarium und Wissen verschiedener Disziplinen (Soziologie, Kulturanalyse, Musiktheorie etc.) zu «verbinden» oder entgrenzend ineinander zu führen. Und vor allem: Eine Theorie der Ästhetik ist selbst keine Disziplin, sondern ein Ensemble diskursiver Praxen. Sie definiert und begrenzt keine bestimmte Wissensform. Eine ästhetisch diskursive Praxis ermöglicht eine Denkerfahrung, ein Denken also, das die Welt nach Gesichtspunkten des Ästhetischen vernimmt und analysiert (Bippus et al. 2012b). Folglich entwickeln und reflektieren wir unsere Forschungspraxis, d.h. Analyse, Diskurs und Exposition (und damit Empirie und Theorie), in verschiedenen Konstellationen von Medien, Orten/Bühnen, Öffentlichkeiten, Teilnahmen, Adressierungen, die wir wiederum als Dispositive verstehen. Die drittmittelgeförderte Projektform ist nur eine Möglichkeit unter anderen. Dabei geht es nicht darum, eine Frage- oder Problemstellung «von verschiedenen Seiten» oder «aus der Perspektive verschiedener Disziplinen» zu beleuchten. Eine Problemstellung der Forschung ist eine Exposition von Kraftlinien, Relationen, Prozessen und Effektproduktion und sie macht damit gleichzeitig ein solches Gefüge (das wir auch Gegenwart nennen können) erst überhaupt bemerkbar und sichtbar (hörbar etc.): in seiner Genealogie wie auch seiner Weiter- und Überführung in etwas Anderes. Und, wie gesagt: da die Forschungspraxis Teil dieser jeweiligen Gefüge ist, organsiert sie sich nicht in der Formatierung von Disziplinen.
Unser Beitrag zur Frage der Transdisziplinarität kann deshalb darin bestehen, dass wir den Begriff, seine Geschichte, seine institutionalisierte Ausprägung, seine «Anwendung» in den Wissenskulturen, den Geltungsanspruch und die Sinnstiftung, die sich mit ihm verbinden und behauptet werden, sowie seine Konjunkturen als Kraftlinien in spezifischen Dispositiven (der ZHdK-Forschung etwa) bestimmen und untersuchen – beispielsweise als eine Weise der Ideologieproduktion. Wichtig ist uns der Kontext, den die aktuellen Entwicklungen der Hochschulen und Universitäten unter dem Stern von Bologna, die Pragmatisierung von «Ausbildung» hinsichtlich wirtschaftlicher Kalküle sowie der Triumph von Kreativwirtschaft und privatwirtschaftlicher Managementtechnik liefern. Und wichtig ist uns damit die Frage, wie wir in diese Verwaltungsmaschinerie, die Funktionäre und Professionen etabliert sowie Zuständigkeiten und Kompetenzen zuteilt und damit auch das Spiel der Ent- und Ermächtigung spielt, eine Kritik einziehen können: im Spiel mit den Figuren einer nomadischen Praxis, von Verfahren des Durchzugs, Strategien von Querverläufen, chiastischen Durchkreuzungen, eines nicht festzustellendes Geschehens, einer Prozessdynamik von Kontingenzen und Emergenzen. Wenn die Trandisziplinarität eine Antwort ist auf die historische Ausdifferenzierung der Wissensproduktion in Disziplinen innerhalb dieser Logik, dann versucht die Praxis, die wir verfolgen, deren Transzendierung.

Jörg Huber, Leitung ith

 

Literatur:

Bippus, Elke; Huber, Jörg; Nigro; Robert (Hg.): Ästhetik x Dispositiv. Zürich, Wien, New York 2012a.

Bippus, Elke; Huber, Jörg; Nigro, Roberto: Ästhetik? In: Zett, Vol. 2, 2012b, S. 26.


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