Alibi-Agentur: Geben, was man nicht hat

Seit 2003 arbeitet die geheimagentur als freies Label, offenes Kollektiv und als Versuch einer praktischen «art of being many» im Grenzbereich von Performance, Politik und Forschung.1
Die Wunder-Annahmestelle, das Casino of Tricks, die Schwarzbank – auf der Grenze zwischen Theater und gesellschaftlichem Kontext produziert die geheimagentur Situationen und Einrichtungen jenseits gängiger Darstellungsformate. Auf den ersten Blick erscheinen diese Einrichtungen wie Fiktionen, doch es geht ihnen gerade darum, in der öffentlichen Interaktion die Realitätsprüfung zu bestehen.
Die Alibi-Agentur, die 2007 in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Thalia-Theater ins Leben gerufen wurde, ist weder die neueste, noch die bekannteste dieser Einrichtungen. Sie hat jedoch in der Figur des Alibis prinzipielle Fragen von Format und Darstellung aufgeworfen, die für die Arbeit der geheimagentur weiterhin von zentraler Bedeutung sind. Sie werden im folgenden Text reflektiert, der aus Skripts der Alibi-Performances zusammengestellt ist.

Die Alibi-Agentur
Ist ein Kollektiv, das entlastende Nachweise produziert.
Bietet Trainingseinheiten im Alibi-Geben.
Erforscht das Alibi als soziale Strategie und kulturelle Figuration.
Würdigt das Alibi als Gegenteil von Denunziation.

Wofür braucht man eigentlich ein Alibi?
Ein Alibi braucht man immer dann, wenn man einen Nachweis erbringen muss und damit Schwierigkeiten hat:

Ich muss nachweisen, dass ich zugangsberechtigt bin.
Ich muss belegen, dass ich qualifiziert bin.
Ich muss dokumentieren, was ich erarbeitet habe.
Ich muss beweisen, dass ich einreisen darf.
Ich muss nachweisen, was ich verdiene.
Ich muss Atteste vorlegen, wenn ich krank bin.
Ich muss belegen, was ich ausgegeben habe.
Ich muss belegen, dass ich existiere.

Doch:
Manchmal ist der Zugang nur für VIPs.
Manchmal können wir etwas, können es aber nicht zeigen.
Manchmal ist zum Dokumentieren keine Zeit.
Manchmal sind die Gesetze ungerecht.
Manchmal verdienen wir nichts.
Manchmal sind wir einfach zu müde.
Manchmal haben wir die Quittung verloren.
Manchmal wissen wir selbst nicht, wer wir sind.

«Was ist ein Alibi?»
Auf der Demo gegen das Zurückweichen des DGB vor einer Nazikundgebung am traditionellen Ort der 1. Mai-Kundgebung rufen Hafenarbeiter und junge Autonome «Keinen Fussbreit den Faschisten!» Ein Bereitschaftspolizist im Kampfanzug steht am Rande des Geschehens und antwortet auf unsere Frage, was denn eigentlich ein Alibi sei: «Mit guter Absicht decken.»

Alle Leute, die wir fragen, denken an das falsche Alibi, an die Erfindung einer Geschichte, an den gefälschten Nachweis. Das mag damit zusammenhängen, dass wir als Alibi-Agentur im Hamburger Thalia-Theater auftreten. Wozu sollte eine Alibi-Agentur gut sein, wenn nicht für die Anfertigung falscher Alibis. Wozu sollte schliesslich das Theater gut sein, wenn nicht für den Schein.

Drei Punks geben zu Protokoll, dass sie, ihrer offenkundigen Verschworenheit wegen, vom Amtsrichter bereits selbst als «Alibi-Agentur» bezeichnet worden seien. Ihre Definition dessen, was ein Alibi ist, ist die einfachste und schlagendste: «Ein Alibi, das ist: Wir waren die ganze Zeit zusammen.»

Ein Alibi kann man sich nicht selbst geben. Deshalb ruft das Alibi nach Komplizenschaften. Auf den Websites kommerzieller Alibi-Agenturen ist von der Freiheit des Individuums die Rede und davon, wie sie durch Überwachung und soziale Kontrolle eingeschränkt werden. Sie dienen dem Einzelgänger im Kampf gegen die Welt als gekaufte Komplizenschaft. Sie sprechen jemanden an, der sich als souveräner Fälscher begreift, jemanden, der es geniesst, über den Regeln zu stehen.

Die Alibi-Agentur der geheimagentur hat einen anderen Ausgangspunkt, nämlich die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des tatsächlichen Alibis. Fragen wir also noch einmal: «Was ist ein Alibi?»
Ein Alibi ist eine Zeugenschaft. Es ist eine Beziehung zwischen Menschen, in der einer bezeugt und zunächst einmal wahrnimmt, dass der andere da ist und da war. Im Alibi geht es darum, dass Du nicht allein bist und warst, dass Du Du bist und warst und dass Du etwas getan hast, das einen Unterschied macht.

Die Problematik, von der aus die Alibi-Agentur ihre Aktivität entfaltet, ist nicht ursprünglich die, dass Du irgendwo warst und etwas getan hast, was Du nicht tun solltest, so dass dann eine Fälschung notwendig ist, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Es ist vielmehr die Problematik des tatsächlichen, des ungefälschten Alibis.
Es ist also die Problematik der Wahrnehmung des anderen, der Zeugenschaft für den anderen. Es geht um die Frage, was ein Dasein, eine Identität, ein Tun, das einen Unterschied macht, ein Zusammensein mit anderen konstituiert. Es geht um eine Situation unter Belastung, um den Widerstreit unterschiedlicher Logiken, die in der Beantwortung dieser Frage Raum greifen. Es geht letztlich um nichts Geringeres als darum, was im Hinblick auf die Fragen, wer wir sind, wo wir sind, mit wem wir sind und was wir tun, Wahrheit und Evidenz und Nachweisbarkeit und Sichtbarkeit konstituiert.

Ein Motto der Alibi-Agentur lautet «Alibi – geben was man nicht hat». «Geben was man nicht hat», dieser Satz ist ein Zitat von Jacques Lacan. Jacques Lacan spielte auch in dem Vortrag eine Rolle, den Thomas Macho am zweiten Abend der Alibi-Agentur hier gehalten hat, in dem es um Doppelgänger in den Filmen Hitchcocks ging. Thomas Macho sprach von den Monstren und den Doppelgängern als Station einer gefährdeten Konstitution des Ichs. Gelingt die Ich-Konstruktion, dann deshalb, weil das Individuum erkennt, dass all die Hauptpersonen eines Lebens, die Dinge tun und erleben, die sie vielleicht nicht einmal erleben wollten und sicher nicht geplant hatten, dennoch alle zusammen «ich» sind. Gelingt diese «Spiegelstadium» genannte Identifikation nicht, ist die Folge eine Persönlichkeitsspaltung, in der man zu seinem eigenen Doppelgänger wird oder schlimmer noch, zu dem der eigenen Mutter. In einer seltsamen Inversion des gefälschten Alibis ist man dann tatsächlich an mehreren Orten und in mehreren Zeiten zugleich. Hier geht die Figur des Alibis in die des Gespenstes über.

«Normal» ist dagegen weder das perfekte Gelingen noch das vollkommene Scheitern dieses Vorgangs der Identifikation, sondern eine ständige, mal mehr mal weniger anstrengende Weiterbeschäftigung mit dieser Aufgabe, die zu bewältigen ist, damit man zuallererst als Individuum gelten kann. Mit einer Aufgabe also, die als Vorleistung des Einzelnen immer schon vorausgesetzt wird, bevor die gesellschaftlichen Ordnungen der Sichtbarkeit und der Nachweisbarkeit greifen.

Wir sind, insofern wir die Aufgabe der Identifikation nicht ganz abschliessen können, zwangsläufig nicht ganz dingfest zu machen in Zeit und Raum, Funktion und Täterschaft. Dieser seltsame Zustand ist der Hintergrund, vor dem wir einander Alibis geben. Alibi – geben, was man nicht hat. Und es ist kein Zufall, dass Lacan mit dieser Formulierung nicht so sehr das Alibi zu charakterisieren versuchte, als vielmehr die Liebe – «Er war die ganze Nacht bei mir». Gemeinsam ist beiden Vorgängen nämlich, dass sie an einer Logik der Verschwendung teilhaben, in der sich etwas vermehrt, indem es vergeben wird. Alibis pflegen einander gegenseitig zu stützen. Wackelig wird das, wenn zwei wechselseitige Alibis von derselben Seite her unter Druck geraten; dann wird vom Richter eine Alibi-Agentur vermutet. Dennoch gibt es keinen Alibigeber, der in seinem Alibigeben nicht wiederum von anderen Alibigeberinnen und Alibigebern abhängig wäre, die seine Verortung in der sozialen Raumzeit und der Logik der Tat stützen würden. Es gibt kein erstes, unerschütterliches Alibi. Wohl aber gibt es Unterschiede hinsichtlich der Situierung in der gesellschaftlichen Raumzeit. Sie kann stabil oder labil sein, denn die Relativität des Alibis, das ursprüngliche aufeinander Verwiesensein von Alibis, entspricht immer auch ihrem Status als soziales Kapital.

Obwohl hier von Lacan hergeleitet, handelt es sich bei dem Zustand, zugleich eine ganze Reihe und letztlich doch kein einzelnes belastbares Alibi zu haben, nicht lediglich um eine jener existentiellen Konstellationen, die sich auf der psychodramatischen Bühne des Einzelnen abspielen. Dass «ich» ein anderer ist, ist vielmehr ein Grundzustand des Sozialen, der ständig einen ganz praktischen Widerstreit hervorbringt. Diesen Widerstreit wollen wir im Folgenden schildern:

Jeder gesellschaftliche Zusammenhang basiert auf einer Ordnung der Evidenz, die regelt, wer Teil dieses Zusammenhangs ist und wer nicht, wer wodurch einen Anspruch auf Teilhabe an diesem Zusammenhang erwirkt und damit Anspruch auf bestimmte Leistungen des gesellschaftlichen Allgemeinen geltend machen kann, und wessen Verhalten diesem Allgemeinen schadet und daher sanktioniert wird. Es handelt sich dabei um eine unvermeidliche und unhintergehbare Voraussetzung der Zivilisation. Und sagen wir es deutlich: Es gilt sie zu verteidigen, gegen jede Form adoleszenten Wahnsinns, der im Kampf mit dieser Ordnung für sich einen rechtsfreien Raum in Anspruch nehmen will – mit welchen Argumenten auch immer.

Zugleich steht diese Ordnung der Evidenz aber auch zur Verhandlung und ist zivil nur solange dies der Fall ist. Und auch die Regeln dieser Verhandlung selbst weiterhin zur Verhandlung. Doch welche Ordnung der Evidenz ordnet diese Verhandlungen von Verhandlungen? Anders formuliert: Bestimmte Auseinandersetzungen darüber, wie es um die Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenhang bestellt ist, liegen offen zutage, sind Teil eines politischen Geschäfts, das auf öffentlichen Foren geschieht. Andere Auseinandersetzungen sind unsichtbar. Und zwar nicht weil sie im Geheimen stattfinden, sondern weil es ihnen nicht gelingt, Sichtbarkeit für sich zu reklamieren. Sie können vor den öffentlichen Gerichtshöfen nicht ausgetragen werden, weil es in ihnen allererst darum geht, was als Nachweis vor diesen Gerichten überhaupt Geltung beanspruchen kann, zum Beispiel insofern dabei die Vorleistung der Identifikation nicht erbracht werden kann.

Dies ist das Feld, in dem sich die Tätigkeit der Alibi-Agentur zu entfalten versucht. Wenn wir also sagen, dass die Alibi-Agentur der Produktion entlastender Nachweise diene, ist damit nicht gemeint, dass wir falsche Nachweise produzieren, wo sie eben gebraucht werden. Die Produktion von Nachweisen zielt vielmehr darauf, die Frage der Nachweisbarkeit selbst zu stellen und zwar in der Form der Intervention.

Wir wollen versuchen, dies an einem randständigen Beispiel, nämlich dem der geheimagentur selbst, zu veranschaulichen. geheimagentur ist der Name des Kollektivs, das in bestimmten Ordnungen der Sichtbarkeit das Projekt der Alibi-Agentur vertritt und verantwortet. Etwa gegenüber dem Auftraggeber, dem Thalia-Theater, oder gegenüber einer Öffentlichkeit, die aus Presse und semiprofessionellen Netzwerken der Projektemacherei besteht. Viele der Alibis, die die Alibi-Agentur produziert, haben damit zu tun, Personen aus dem Publikum eine verantwortliche Teilhabe an diesem Projekt selbst zu bescheinigen. Auf den ersten Blick könnte man diese Nachweise für falsch halten. Denn die gesellschaftliche Ordnung fragt an dieser Stelle, wessen Name unter einem Vertrag steht und wer das Geld kassiert, wenn es darum geht, Verantwortung festzumachen.

Es gibt jedoch einen Widerstreit zwischen dieser gesellschaftlichen Ordnung und der Realität eines Projektes wie der Alibi-Agentur. Dieser Widerstreit betrifft das, was man heute die Partizipation des Publikums nennt. Das mag man albern finden, tatsächlich sind wir jedoch nur wegen dieses Schlagworts und seiner gegenwärtigen Bedeutung im Kulturbetrieb heute Abend hier. Dies eben macht den Widerstreit aus: Die Teilhabe des Publikums ist hier nicht nur in dem Sinne konstitutiv, in dem sie auch nebenan im grossen Haus entscheidend ist, weil ohne Publikum keine Vorstellung stattfinden würde. Wir sind vielmehr hier, weil mit der geheimagentur das Versprechen verbunden ist, das Publikum in anderer Weise teilhaben zu lassen, als dies üblich ist und als dies durch den Vertrag, der beim Kauf einer Eintrittskarte zustande kommt, geregelt wird. Man könnte hier in einem anderen Sinne von Alibi reden – die Alibi-Agentur als Alibi-Projekt am Rande. Doch das hiesse über Interessen von Auftraggeberinnen und Auftraggebern zu spekulieren, die uns nicht interessieren müssen. Zu interessieren hat uns, dass unser gemeinsames Tun im Rahmen eines Abends ein Spiel mit bestimmten Regeln ist und sein soll, und zwar mit den Regeln, die sich normalerweise mit dem Kauf einer Eintrittskarte verbinden. Dumm ist, wer in Fortsetzung alter Mitmachtheater-Traditionen glaubt, das Publikum im Zuge einer Einladung zum Mittun zu ermächtigen. Denn offensichtlich ist ja das Gegenteil der Fall: In dem Moment, in dem Sie sich hier engagieren, geben Sie Ihre Macht als Publikum auf, arbeiten mit und für die geheimagentur und zahlen dafür unter Umständen auch noch, während die geheimagentur den durch Ihr Engagement entstehenden kulturellen Mehrwert akkumuliert und gewinnbringend in neue Engagements umsetzt. Unser Ausgangspunkt war es daher ja auch, Eintrittskarten als Alibis zu nutzen und zu vergeben.
Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas ist die Eintrittskarte ein Nachweis, der die Art Ihrer Teilhabe an einem Projekt wie der Alibi-Agentur gerade nicht nachweist, sondern eher verdeckt. Einen angemesseneren Nachweis sieht die derzeitige kulturelle Ordnung von Evidenzen aber nicht vor. Die nächstbeste Möglichkeit, die wir haben, liegt also darin, Ihnen auf Wunsch eine Teilhabe zu bescheinigen, die in die andere Richtung über das Ziel hinausschiesst. Deshalb haben wir Ihnen angeboten, sich als verantwortlich für eine bestimmte Funktion – beispielsweise «Regie» oder «Bühnenbild» in den Abendzettel eintragen zu lassen oder auch Ihnen ein Praktikum für einen selbstgewählten Zeitraum zu bescheinigen. Diese Nachweise dokumentieren Ihre Art der Teilhabe an der Alibi-Agentur ebenso falsch und ebenso richtig wie der Nachweis der Eintrittskarte, nur in anderer Richtung.

In der Performance des Publikumsalibis hat diese Gemengelage eine interessante Form angenommen: Auf die Frage, wer von Ihnen eigentlich nicht da sei, meldeten sich eine Reihe von Zuschauerinnen und Zuschauern. Sie kamen auf die Bühne und konnten dort mittels eines live angerufenen Komplizen beweisen, dass sie sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht im Theater, sondern anderswo aufhielten.
Während das Alibi bestätigte, dass sie am fraglichen Abend nicht teilhatten, standen Sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit auf der Bühne und erhielten dann, weil Sie nicht da waren und damit zugleich zu Mitwirkenden wurden, Ihr Eintrittsgeld von uns zurück.

Es handelt sich bei diesem Versuchsaufbau um die Neuauflage eines anderen Setups, des Spiels nämlich, mit dem die Alibi-Agentur ihren Anfang genommen hat. Schauplatz dafür war ein Theater in Zürich, in dem die geheimagentur im Rahmen der «Nacht der Komplizen» mit der Performance Alibi – wir sind nicht da aufgetreten ist.2 Die Regeln des Spiels waren einfach:

Fünf Tage lang zogen wir durch Zürich auf der Suche nach Alibis für den Abend des Auftritts. Beim Auftritt selbst teilten wir dem Publikum mit, wir seien nicht da und traten mithilfe einer Zuschauerin den telefonischen Beweis an. Die Zuschauerin kam auf die Bühne und wählte fünf von uns vorgegebene Telefonnummern. Sie erreichte jeweils Personen, die unseren anderweitigen Aufenthalt zum aktuellen Zeitpunkt bestätigten. In der Zusammenschau entstand ein imaginärer Abend in Zürich in einer Reihe von Stationen.

Eines dieser Alibis stach heraus: Während unseres Aufenthalts fanden in Zürich die traditionellen Proteste zum 1. Mai statt. Die Presse und die gesamte bürgerliche Öffentlichkeit war sich in ihrer Einschätzung einig: Den jugendlichen Chaoten gegenüber, die hier völlig grundlos die öffentliche Ordnung störten und gewalttätig wurden, war kein Pardon zu geben, hier war hart und mit aller Staatsgewalt durchzugreifen. Von einem kleinen Aktionsbündnis erfuhren wir allerdings eine ganz andere Wahrheit: Da hatte eine Gruppe sehr junger politischer Aktivistinnen und Aktivisten in ihrem Kampf gegen die allenthalben voranschreitende Privatisierung und Verknappung der Bildungschancen Farbbeutel auf das entsprechende Ministerium geworfen. Grundlos erschien dies nun gerade nicht und auch nicht allzu gewalttätig. Die Ordnungsmacht sah das anders. Die Jugendlichen wurden festgenommen und trotz fehlender Vorstrafen auf unbestimmte Zeit, man richtete sich auf Wochen ein, in Einzelhaft gesteckt. Im Versuch ihre Kinder und Freunde freizubekommen, stiessen verzweifelte Eltern und Mitschüler auf eine Wand öffentlichen Ressentiments, die einer Vorverurteilung gleichkam.
Von der Bühne aus rief besagte Zuschauerin beim Aktionsbündnis an und erfuhr, wir könnten zum aktuellen Zeitpunkt nicht auf der Bühne des Schiffbau-Theaters sein, weil wir durch unsere Teilnahme an der Farbbeutelaktion in Untersuchungshaft geraten seien. Ein falsches Alibi, das zugleich das richtigste war, mit dem die Alibi-Agentur es bislang zu tun hatte. Denn ein Alibi – zumal ein falsches – ist ein Akt der Solidarität, der in beide Richtungen weist.