Felix Baumann ist Komponist und Professor für Komposition und leitet den Studiengang Master Composition and Theory an der Zürcher Hochschule der Künste. Felix Baumann ist Kuratoriumsmitglied von Z+ und programmiert zusammen mit fünf anderen Departementsvertreter/innen die disziplinen-übergreifende Plattform Z+ der Zürcher Hochschule der Künste. Vera Ryser hat sich mit ihm über die Entstehung und den Einfluss des Jahresthemas 2012/13 von Z+ «Darstellungsformate im Wandel – Zur Aufführung von Musik» unterhalten.
Ryser: Wieso haben Darstellungsformate in der Musik zum heutigen Zeitpunkt eine besondere Brisanz?
Baumann: Die Musik kann auf eine unglaublich reiche und vielgestaltige Tradition zurückblicken. Allerdings haben sich zusammen mit dem Werden der entsprechenden Klangkörper gewisse Darstellungsformen als besonders praktisch und ideal herausgebildet. So bestimmen heute beim Orchester oder der Oper diese praktischen Abläufe das Konzertritual. Davon abgeleitet ereignen sich heute unzählige Performances nach diesem Muster, ohne das damit verbundene Ritual wirklich zu hinterfragen oder auf die Situation anzupassen. Entsprechend kann es zu einer Entleerung des Rituals kommen. Zuhören und Performen beginnen beide nicht mit dem ersten Klang, sie setzen früher an und enden, wenn der letzte Klang längst verklungen ist.1 2 Es gilt als Qualitätskriterium, wenn die gehörte Musik nach- und weiterklingt. Setzt aber Applaus ein, einfach weil Applaus einen Vortrag beschliesst, kann dies auch zerstören, was damit gefeiert werden möchte. So verunmöglicht das Ritual unter Umständen dessen Inhalt.
Ryser: Das klassische Konzert ist scheinbar in der Krise. Wo siehst du Möglichkeiten, das Konzert als ästhetisches und soziales Ereignis zu erneuern? Wie könnte die Kunstform Konzert als Präsentationsformat weiterentwickelt werden?
Baumann: Das Konzertritual hat sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt und zeigt sich im aktuellen Gewand als besonders geeignet, um beispielsweise grossbesetzte Musik live zu «hören». In den kleinformatigeren Besetzungen finden wir sehr viel mehr Möglichkeit und Bereitschaft, mit den Gegebenheiten zu experimentieren.
Ich bin mir nicht sicher, inwieweit das klassische Konzert in der Krise ist. Richtig ist, dass Abonnentinnen und Abonnenten reihenweise davonlaufen und Orchester fusioniert werden. Solche Veränderungen sind jedoch normal und sind wohl eher gesellschaftlichen Prozessen geschuldet, als einer Krise des Konzertformats. Denn gleichzeitig erfreut sich das klassische Konzert einer Hochblüte, sehr viele Konzerte sind ausverkauft oder äusserst gut besetzt. Es ist eher eine Umorientierung im Gange, da mit dem Konzert heute gerne Aspekte von Luxus, Event, häusliche Überschaubarkeit, gesellschaftliche Erfahrungen etc. verbunden werden. In der Krise ist also nicht allein das Format, sondern auch die Gesellschaft.
Ryser: Wo siehst du Tendenzen, die du für die Diskussion der Darstellungsformate in der Musik interessant findest?
Baumann: Sobald sich die Künste oder Wissenschaften auf Augenhöhe nähern, besteht die Chance, dass sich spannende Konstellationen ergeben.3 Genau so verhält es sich mit anderen existentiellen Lebensbereichen: so sind die Geräusche des Alltags längst in die Musik hineingekommen und haben den Musikbegriff und mit ihm die Darstellungsweisen erweitert. Auch ein Festival wie jenes in Rümlingen im Baselland, das Hörspaziergänge oder unglaublich gut besuchte Nachmitternachtskonzerte anbietet, beschreitet Mal für Mal neue Wege der Kontaktnahme zwischen Künstlern/innen und Rezipienten/innen. Wichtig finde ich vor allem diese Frage nach der Kontaktaufnahme.4 5
Ryser: Gibt es künstlerische Arbeiten, die dich im Nachdenken über neue Formate in der Musik prägen?
Baumann: Vor allem das Verhältnis von Musik und Raum hat mich seit je beschäftigt, zu erwähnen wären da beispielsweise die Venezianische Mehrchörigkeit (z.B. räumliche Aufführungen von Monteverdis Marienvesper), Beat Furrers Fama, Luigi Nonos Hay que caminar, Isabel Mundrys Ein Atemzug – die Odyssee oder die fernen Trompeten und Posthörner in Mahlerschen Sinfonien. Aber auch das Verhältnis von Musik und Existenz (Cage, Lachenmann) prägt eine Vielzahl neuer Formate.6
Ryser: Ist die Grösse einer Komposition ein ausschlaggebendes Merkmal für die Formatdiskussion?
Baumann: Je kleiner die Besetzung, umso mobiler und einfacher können die notwenigen Dinge gelöst werden. Je grösser die Besetzung und mit ihr verbunden der Saal, umso anspruchsvoller und aufwändiger werden diese Fragen, ganz klar.
Ryser: Gibt es zum jetzigen Zeitpunkt (nach einem Semester) bereits erste Impulse, die du aus der Diskussion des Jahresthemas für deine Arbeit als Professor für Komposition und/oder als Komponist nutzen könntest?
Baumann: Das Symposium «Künstlerische Darstellungsformate im Wandel»7 von Z+ im letzten September hat als Fazit ergeben, dass Darstellungsformate immer dann, wenn sie sich nicht mehr ändern, zu einer Hypothek werden können. Das bedeutet fürs Komponieren eines neuen Werkes, dass seine Aufführung von Anfang an mitbedacht werden muss. In den bildenden Künsten gehört es seit Jahrzehnten zum Prozess neuer Arbeiten, die Darstellungsweise als Teil des Ganzen mitzudenken und zu konzipieren. Das Theater lebt von der Inszenierung. Gleichzeitig gibt es eine Fülle an Beispielen innerhalb der Musik und zwischen den Künsten, in welchen die Formatfrage eindrücklich gelöst wurde. Sicher aber reicht es auf die Dauer nicht, nur neue Töne in alte Formen zu giessen. Das ist auch für junge Kompositionsstudierende eine wichtige Nachricht.8
- Abb. 1: Zuhörer. Z+ Forum: Zur Aufführung von Musik. 14. Nov. 2012. Foto: Simon Habegger für Z+. ↩
- http://www.zhdk.ch/fileadmin/data_subsites/data_zplus/AgenturZ/Flyers/Flyer_Forum_Zur_Auffuehrung_von_Musik.pdf ↩
- Abb. 2: Raum Foyer 1. Stock, Shilquai 131. Z+ Forum: Zur Aufführung von Musik. Foto: Simon Habegger für Z+. ↩
- Abb. 3: Bühne B, Gessneralle 13, Zürich. Z+ Forum: Zur Aufführung von Musik. Foto: Simon Habegger für Z+. ↩
- Abb. 4: Kleiner Saal, Florhofgasse, Zürich. Z+ Forum: Zur Aufführung von Musik. Foto: Simon Habegger für Z+. ↩
- Abb. 5: Dittinghaus, Hafnerstrasse 41, Zürich. Z+ Forum: Zur Aufführung von Musik. Foto: Simon Habegger für Z+. ↩
- http://www.zhdk.ch/fileadmin/data_subsites/data_zplus/AgenturZ/Flyers/ZHdK_Tagung_Kuenstlerische_Darstellungsformate_im_Wandel.pdf. ↩
- Abb. 6: Stall 6, Gessernallee 8, Zürich. Z+ Forum: Zur Aufführung von Musik. Foto: Simon Habegger für Z+. ↩