Seit den 60er Jahren sind in alle Genres zunehmend Darstellungsmittel und Darstellungsformate anderer Genres «eingebrochen». Alle bildnerischen Mittel scheinen sich im Übergang, in einem Schwebezustand, zu befinden, sozusagen «in Transition». Jedoch geschieht dies im Einzelnen unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen. In den 60er Jahren war mit den Überschreitungen der Künste hin zu Äusserungen aus der Alltagswelt der Wunsch nach einer allgemeinen Verfügbarkeit künstlerischer Mittel verbunden, der Wunsch nach einer radikalen Demokratisierung. Später wurde mit Prozessen der Annäherung wissenschaftlicher und künstlerischer Methoden wellenförmig die Hoffnung verknüpft, neue kreative Cluster zu entwickeln. Die Ziele liessen sich dabei oft nur als Subtexte entziffern: Sollten künstlerische Arbeitsweisen in einer stromlinienförmigen kapitalorientierten Welt legitimiert werden, oder sollte künstlerisches Potential für neue verwertbare Innovationen gewonnen werden? Ging es darum, die Besucher/innen auf neue Weise anzusprechen und einzubeziehen? Heute nun werden in Theateraufführungen oder in der Oper Videos eingespielt, Stadtspaziergänge werden von der Bildenden Kunst oder dem Theater als neue Formate propagiert, Wohnungen werden als kuratorische Arbeit versteigert, Bildende Kunst bespielt Beilagen zu Zeitungen, Schriftsteller/innen begleiten Wandlungsprozesse in Hochschulen, und der urbane Raum wird sowohl mit radikalen Interventionen als auch mit touristischen Events bespielt. Können wir dies alles noch auseinanderhalten?
Obwohl die radikalen Durchmischungen immer wieder durch eine wellenförmig einsetzende Sehnsucht nach tradierten Genres konterkariert werden, hat sich die Vervielfältigung der Mittel und Formate uneinholbar durchgesetzt. Allerdings bleiben die multimedialen Formate durch die herkömmlichen Genres gerahmt, so dass ihre jeweilige Bedeutung sorgfältiger Analyse bedarf. Im Weiteren ist nach der Bedeutung der Digitalisierung zu fragen, denn auf der materiellen Ebene werden beinahe alle kulturellen Äusserungen digital prozessiert. Alle Artefakte, Filme, Bücher, Bilder, Skizzen, Musik, Bühnenbilder, Ausstellungsdesigns existieren im Format 1 und 0, um dann wieder in unterschiedliche Formate ausgegeben zu werden. Auch politische und soziale Fragen sind ungeklärt: Welche gesellschaftliche Struktur evoziert die transdisziplinäre Verfügbarkeit? Welche Geldströme liegen dieser Bewegung zugrunde? Wie sind Affekt, Effekt und Event im Einzelfall miteinander verbunden und mit gesellschaftlicher Realität verschränkt?
Die Publikation wurde durch das Jahresthema «Darstellungsformate im Wandel» der Plattform Z+ der Züricher Hochschule der Künste initiiert, die disziplin-übergreifenden Themen praktisch, theoretisch, künstlerisch und gestalterisch zur Diskussion stellt. Die Publikation beinhaltet einzelne Beiträge der Tagung «Künstlerische Darstellungsformate im Wandel» (28.-29. September 2012, ZHdK) sowie neue Beiträge, die für die Webpublikation erstellt wurden. Die Mischung aus Künstlerbeiträgen, Interviews und theoretischen Beiträgen soll eine Palette unterschiedlicher Sichtweisen erzeugen, die gegenseitig produktiv aufeinander wirken.
Ruth Schweikert (2012/13 «Observer-in-Residence» an der ZHDK/Z+) polemisiert in ihrem Text «‹Die Kunst› hat ihren Sonderstatus als Religionsersatz (wohl endgültig) verloren.» versiert über die Eventisierung und Zersplitterung aller kulturellen Praxis. Alle Darstellungsformate gehen ineinander über, aber zu welchem Preis? Das Publikum partizipiert, aber ist es daher wirklich mehr beteiligt an einer Sinnstiftung? Oder amüsiert es sich nur zu Tode? «Selbst der Film, ob fiktional oder dokumentarisch die Kunstform mit dem höchsten «Illusionsquotienten», dem gewissermassen ein Live-Charakter eigen ist, ist auf diesen Zug aufgesprungen, davon zeugt die explodierende Anzahl grosser und kleiner Filmfestivals, deren grösster Trumpf weder die Filme selbst noch die Erstmaligkeit ihrer öffentlichen Aufführung ist, sondern die leibliche Anwesenheit von (Star)Regisseur/innen und (Star)Schauspieler/innen.» Die erlebte Unmittelbarkeit ist dabei illusionär, sie wird über den Affekt einer Überwältigungssituation erzwungen. Jenseits eines allgemeinen Kulturpessimismus` argumentiert die Schriftstellerin und Beobachterin der Hochschule gegen eine Kulturindustrie, der es vor allem um eine leichte Verwertbarkeit geht.
Unter dem Titel «Allgemeine Performanz» diskutiert Sven Lütticken den schillernden Begriff von den Anfängen in der Kunst der 60er Jahre (Beziehungsperformance von Yoko Ono und John Lennon) bis hin zur heutigen Verwendung als grundlegender Bestandteil von New Labor. «In heutigen Ökonomien bezieht sich der Begriff nicht allein auf die Produktivität der Arbeitskraft des Einzelnen, sondern auch auf die eigentliche, theaterähnliche Selbstdarstellung innerhalb einer Ökonomie, in der Arbeit stärker von immateriellen Faktoren abhängig geworden ist». Diese neuen Formen zeitunabhängiger Arbeit, die in enger Verbindung zur Kulturalisierung des Ökonomischen stehen, verändern nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die Lebenswelt. Wenn aus der Arbeit allgemeine Performanz wird, löst sich zudem die Zeit als Massstab auf. «Flexible Arbeitszeiten» bedeuten, dass jede Zeit potentiell Arbeitszeit sein kann, infolgedessen mutiert jede Begegnung potentiell zu einer Form von Networking und damit zur Selbst-Performanz. Der Slogan der Situationistischen Internationalen «ne travaille jamais» könnte so zu «travaille toujours» umformuliert werden. Schliesslich diskutiert Lütticken das vor kurzem erstarkte Interesse an Zeitbanken im Kunstbetrieb. «Die Zeitbank ist nicht das Ende des Geldes, sie ist vielmehr dessen primitivistisch verstandene Wiedergeburt. Doch zeigt sich an der e-flux-Time/Bank – einer Zeitbank für Kulturschaffende – ein ganz wesentlicher Wandel: die unterschiedlichen Aussendungen, soweit sie mehr sind als nur die Werbebotschaften der selbstständigen Beschäftigungslosen, sind so unterschiedlich und individuell, dass Vergleiche extrem schwerfallen.» Zeit-Camps und Zeitbanken, so Lütticken, versuchen der «Eventisierung», die zu den Grundbedingungen des vorherrschenden ökonomischen Regimes gehört, etwas entgegenzusetzen, ohne dass sie damit den ökonomischen Bedingungen als solchen entkommen könnten.
Die Theatergruppe Schauplatz International zeigte an der Tagung eine Aufführung einschliesslich Diashow und nachfolgender Diskussion in vollkommener Dunkelheit. Aus dieser konsequenten Verweigerungshaltung ergaben sich Situationen von ausserordentlicher Intensität, voll subtilem Witz und überraschender Wendungen. Der Publikationsbeitrag changiert nun zwischen unterschiedlichen Schreibstilen und Diskussionsebenen, was sich als adäquate Form für die Darstellung der unkonventionellen Theaterprojekte der Gruppe erweist.
Marie-Luise Angerer problematisiert neuere und historische Ansätze zur Affekttheorie. Sie konstatiert, dass die Differenz von medial und nichtmedial neu überdacht werden muss, da Bewegung, Affekt, Körper und (medialer) Raum aneinander anschliessen, aber auch in Ersetzungsverhältnisse geraten. Dabei argumentiert sie, dass sich zwischen Phänomenen ästhetischer Simulation und solchen der Virtualität hybride Zwischenräume herausbilden, in denen das Verhältnis von An- und Abwesenheit, Macht und Fantasie, dem musikalischen Handwerk und der geistigen Medialität der Künste und ihrer spezifischen Ästhetiken grundlegend neu ausgelotet werden würde. Die Besucher/innen geraten dabei mitunter in einen immersiven Sog, der mit ihrem Wunsch nach Überwältigung spielt, wie Angerer dies an Olafur Elliassons Arbeit The Weather Project in der Tate Modern diskutiert. Hier seien die Besucher/innen zwar mit einbezogen, allerdings unter der Prämisse, das Denken auszuschalten.
In seinem Beitrag «Eine Kultur der Spaltung. Künstlerische Forschung als Problem» kritisiert Helmut Draxler die allgegenwärtige Rede von Kunst gleich Forschung oder künstlerischer Forschung als angeblich neue Wissens- und Darstellungsformate. Der Gegensatz zwischen «Kunst» und «Forschung» wird zwar zu recht als ideologisierte Konstruktion problematisiert, doch möchte Draxler diese vielschichtiger diskutiert wissen, als es unter dem Schlagwort der künstlerischen Forschung oft geschieht. Zu bedenken sei insbesondere, dass das moderne Verständnis von Kunst seine historischen Wurzeln in einer Art von aufgeteilter Wissensproduktion hat, zumindest seit der grundlegenden Periode der europäischen Renaissance. Hier ist nach Draxler zu fragen, warum die Verbindung von unterschiedlichen Wissensproduktionen am Anfang der Moderne verloren ging, und warum das enorme soziale Prestige sowie die daran geknüpften institutionellen Privilegien der Kunst darauf basieren, dass sie nicht als Wissen, Forschung oder Wissenschaft begriffen wurden. Vor diesem Hintergrund erachtet Draxler die Hoffnung, dass sich die Spaltung durch inter- bzw. transdisziplinäre Emphase intentional überwinden lasse, als trügerisch. Er fordert dagegen, dass künstlerische Forschung ihren Begriff der Forschung philosophisch und wissenschaftstheoretisch ernst nehmen muss und ihn nicht zu einer schwammigen Metapher des Navigierens in unterschiedlichen Wissensfeldern degradieren darf.
Als Künstlerin, die gleichzeitig auch als Theoretikerin arbeitet, reagiert Lucie Kolb auf Draxlers These und situiert die eigene Praxis als eine Art Hybrid. In gewisser Weise sei dabei der Bezug auf wissenschaftliches Arbeiten eine Form, auf künstlerische Weise neue Bedeutungen anzulegen. Sie sieht dies als eine mythologische Handlung nach Roland Barthes Definition des Mythos, der intentional Begriffe durch eine spezifische Kombination von Zeichen formuliert. Wissenschaftliche Verfahren, implementiert in die Kunstsphäre, sind eben nicht gleichbedeutend mit demselben Verfahren innerhalb der Rahmung einer anderen Disziplin (um hier den Begriff Foucaults zu gebrauchen).
Vera Ryser interviewte den Regisseur Milo Rau. In seinen oft kontrovers diskutierten Arbeiten hat Rau das Reenactment als politisches Theaterformat etabliert. Am HAU Berlin inszenierte er den Strafprozess gegen das rumänische Diktatorenehepaar Nicolae und Elena Ceausescu aus dem Jahr 1989, Wieder-Aufführung 2009, sowie das Stück Hate Radio Wieder-Aufführung 2011, das eine Programmstunde des ruandischen Rundfunksenders RTLM von 1994 wiedergibt, welcher ein wichtiges Propagandainstrument im ruandischen Genozid war. Solche kühne künstlerische Rekonstruktion realer historischer Ereignisse erzeugt eine ganz eigene Spannung, indem die Ereignisse aus ihrem historischen Kontext gelöst und in eine zeitgenössische Situation übertragen werden. «Reenactment», formuliert Rau, kann «etwas Distanziertes auf eine sehr komplexe Weise erfahrbar machen, die sich aber ganz naiv gibt.» Die Analyse würde hier nicht als Fertigprodukt mitgeliefert, sondern wirksam an die Publikumsgehirne delegiert.
Als assoziative Antwort auf das Thema sendete die Künstlergruppe RELAX (chiarenza & hauser & co) Bilder von Strukturen und Oberflächen – sind es Gebirgszüge, Stahloberflächen oder zerknittertes Papier? Die Aufnahmen stammen von gebrauchten Papieren, die zuvor etwas Essbares umwickelt haben. Die Fotografie macht Dinge sichtbar, die für das blosse Auge weit weniger detailliert zu sehen sind, wie schon Walter Benjamin bemerkt hat. Umgewandelt in digitale Datenmengen wird das Produkt noch weiter entkontextualisiert und damit aber auch verfügbar für neuen Gebrauch. Wird das Insert als Bild an der Wand hängen, den Lesefluss kontemplativ unterbrechen oder als Schutzhülle für das Buch dienen?
Felix Baumann ist Komponist und er hatte die Beschäftigung mit Darstellungsformaten angeregt, denn obwohl die neue Musik radikale Überschreitungen einführte und damit einen initiierenden Einfluss auf die bildende Kunst, Action Music, Happening und Performance hatte, entstehen zeitgenössische Aufführungen oftmals in traditionellen Settings. Baumann konstatiert im Gespräch mit Vera Ryser, dass eine Umorientierung im Gange ist, da mit Konzerten heute gerne Aspekte von Luxus, Event, häusliche Überschaubarkeit und gesellschaftliche Erfahrungen verbunden werden. In der Krise ist also nicht allein das Format, sondern auch die eventorientierte Gesellschaft.
Die geheimagentur bleibt notwendigerweise anonym. Sie versteht sich als ein freies Label, ein offenes Kollektiv und als Versuch, eine praktische «art of being many» im Grenzbereich von Performance, Politik und Forschung zu implementieren. «Geben was man nicht hat»: Dieses Zitat von Jacques Lacan dient als Titel und als inhaltliche Bezugnahme, denn die Subjektkonstitution beruht nach Lacan auf einer grundlegenden Verkennungsstruktur. Diese Verkennung wird nun in allen Identifikationsprozessen mit aufgerufen, «und es ist kein Zufall, dass Lacan mit dieser Formulierung nicht so sehr das Alibi zu charakterisieren versuchte, als vielmehr die Liebe – «Er war die ganze Nacht bei mir». Gemeinsam ist beiden Vorgängen nämlich, dass sie an einer Logik der Verschwendung teilhaben, in der sich etwas vermehrt, indem es vergeben wird.» Wie Alibis zur Verfügung zu stellen sind und welche anderen Projekte die Geheimgesellschaft entwickelt hat, kann weiter per link verfolgt werden.
Gertrud Lehnert diskutiert neue Darstellungsformate im Mode-Design. Sie geht davon aus, «dass die direkte Verbindung, ja Amalgamierung des menschlichen Körpers mit Kleidern und Schmuck etwas Neues hervorbringt, nämlich eigenständige Mode-Körper. Sie sind nicht mehr nur «Natur», sie verändern auch den Leib, wenn man als Leib das innere Gefühl der körper-geistigen Existenz meint.» Die affektiv gefärbte Begegnung von Mode-Körper und räumlicher Umgebung wird allerdings von Labeln und Designer/innen zu dem Zweck genutzt und produziert, um Gewinne zu erzielen. Deshalb stellen Konsumentinnen und Konsumenten ihre Individualität nicht durch Selbermachen her, sondern durch Suchen, Sammeln, Auswählen, Kombinieren. Dabei bedeutet selbst die Emanzipation vom Markendiktat und die Demokratisierung durch Modeblogs keine Emanzipation vom Konsum(zwang) und von modischen Vorgaben. Eher erzeugen sie die Illusion, dass es eine freie Wahl und freie Möglichkeiten des Handelns gäbe und der User mehr wäre als der Gestalter seiner/ ihrer selbst.
Performative Strategien und neue Darstellungsformate werden zu einem wichtigen Medium im Konglomerat der Inszenierungen von Stadt, stellt Angelika Fitz in ihrem Beitrag «Die ausgestellte Strasse» fest. Die Überschreitungen zwischen Kunst und Stadtplanung gehen mit Veränderungen in beiden Disziplinen einher. Auf der einen Seite halten weiche Methoden Einzug in die harte Praxis des Städtebaus, andererseits sind Künstler/innen und Architektinnen und Architekten, die performativ im Stadtraum agieren, verstärkt mit Fragen zur Produktion von Öffentlichkeit(en), mit Verwertungslogiken und dem Spagat zwischen Flüchtigkeit und Nachhaltigkeit konfrontiert. Diese Überschneidungen und Verschränkungen stellt Fitz historisch an künstlerischen und urbanistischen Projekten vor. Sie definiert dabei den Begriff der Öffentlichkeit in Anschluss an Laclau und Mouffe. «Die Philosophen Ernesto Laclau und Chantal Mouffe oder Claude Lefort gehen noch weiter, indem sie erklären, dass der öffentliche Raum gar kein Raum, sondern ein Prinzip ist. Öffentlichkeit ist weder auf der ontologischen Ebene des Raumes, noch auf der ontischen von konkreten Räumen anzusiedeln. Öffentlichkeit gehört zur Ordnung der Zeitlichkeit und muss immer wieder aufs Neue hergestellt und hinterfragt werden.»
Als künstlerischen Beitrag nahm San Keller einige Ausschnitte der Tagung auf Video auf und transportierte diese per Ghetto Blaster in die Zürcher Innenstadt. So erzeugte er einen Clash zweier Kulturen, die sich weniger berühren als ironisch kommentieren: Diskussionskultur und Alltagskultur.
Digitale Medien/ Kunst/ Design/ Vermittlung sind in das Projekt Ready to Print involviert. Andrea Roca und Dorothee Richter kuratierten zusammen mit jungen Kuratorinnen und Kuratoren 13 grosse Editionen, die über das Webjournal OnCurating.org, Issue 10, frei zugänglich sind. Überall auf der Welt können sie heruntergeladen, zusammengesetzt und kuratiert werden. Die beteiligten User/innen – Zuschauer/innen – Kuratorinnen und Kuratoren haben zahlreiche Ausstellungssituationen zurückgeschickt, von denen hier einige wiedergegeben werden. Wie bei vielen der vorgestellten Projekte stellt sich dabei wieder die Frage, wie die Zuschauer positioniert werden. Bleibt ihre Beteiligung ein uneinlösbares Versprechen, das nur in einem restriktiven Rahmen eingelöst wird? Oder führt das Projekt weiter und vermittelt eine Ahnung von Mitsprache und Mitgestaltungsmöglichkeiten?
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