Das Projekt Ready to Print war eine Kooperation des Web-Journals OnCurating.org1 mit dem Postgraduate Programme in Curating2. Als ein neuartiges Format, einem Crossover von zeitgenössischer Kunst, Medien und Design, wurde es von Z+ unterstützt. Wir haben dreizehn Künstler und Künstlerinnen mit verschiedenem Hintergrund und formalen Interessen angefragt, PDF Editionen zu produzieren. Diese Künstler/innen haben je eine Arbeit geschaffen, die aus 16 x DIN A4 Seiten Papier besteht, und zumeist zu einem einzigen zweidimensionalem Werk im Format A0 zusammengesetzt wurde. Diese zeitgenössischen Editionen sind im Internet auf dem Web-Journal unter on-curating.org (Issue 10) als PDF kostenlos herunterladbar. Die Editionen sind allen Personen auf der Welt zugänglich, die über einen Computer, einen Drucker und Klebeband verfügen.3
Die Künstler/innen wurden innerhalb einer grösseren Gruppe junger Kurator/innen ausgewählt.4 Dabei interessierten uns unterschiedliche Aspekte. Die Arbeit folgender Künstler/innen begeisterte uns schon einige Zeit; Beni Bischof5, Birgit Brenner6, Dani Gal7, Guerilla Girls8, Clare Kenny9, Daniel Knorr10, Lucie Kolb11, Monochrom12, Felipe Mujica13, Fabio Marco Pirovino14, Ana Roldán15, Shirana Shahbazi16, Riikka Tauriainen17. Einige arbeiteten auf besondere Weise mit Papier, sei es, dass sie den haptischen Charakter, den skulpturalen oder den «demonstrativen» politischen Charakter von Papier ausloteten.
Viele der eingeladenen Künstler/innen leben in westeuropäischen Grossstädten, haben aber sehr unterschiedliche kulturelle Hintergründe. Auch wir selbst als multikulturelle Organisator/innen-Gruppe, fühlten uns in einer Art «Transfer Zone». Transfer bezieht sich hierbei auf nomadische Lebenszustände in den postfordistischen Gesellschaften (also in erster Linie Migrant/innen, Expats, Pendler/innen, Künstler/innen und Wissenschaftler/innen). Eine Grosszahl unterschiedlicher Subjekte in ihr führt eine Art vorläufiges Leben. Die neoliberale Vermittlung desselben als «erträglich» oder besser noch als «wünschenswert», rekurriert gerade auf tradierte stabile Gesellschaftsmodelle, sie impliziert einen Verlust. Gibt es eine mögliche Radikalität des Vorläufigen oder verhindert diese Solidarisierung prekär Arbeitender und führt diese Arbeitsverhältnisse einer einfacheren Verwertbarkeit zu? Im Kunst- und Forschungsbetrieb gibt es wiederum häufig Situationen, in denen die Akteure und Akteurinnen mit Deleuze und Guattari ihre eigene Mobilität zu legitimieren trachten.
Einige Fragen, die wir uns stellten, lassen sich mit Sicherheit nicht durch ein künstlerisches Projekt beantworten, sondern nur durch politische, konfliktuelle Prozesse. Dennoch bildeten sie den Hintergrund für das Projekt. Wir fragten uns, wie sich der Zustand des Vorläufigen in den alltagskulturellen Bildmedien und Architekturen abbildet. Welche Rolle spielen urbane Architekturen, wo funktionieren diese als enthistorisierende Herrschaftsstrukturen, wo stellen sie global wieder erkennbare Behälter für vagabundierende Subjekte bereit, wie lassen sie andere, subversive Möglichkeiten zu? Wie erzeugen Subjekte in diesen von Geldströmen dominierten Umgebungen Nischen und Identifikationen? Wie organisieren sie eine Umkehrung von machtförmigen Strukturen an den Knotenpunkten, den Architekturen, den Bildmedien, den Verabredungen und Diskursen? Welche vorübergehenden Allianzen und Gemeinschaften werden gebildet? In allen unterschiedlichen Situationen und Kontexten sollten prinzipiell Interventionen mit dem Projekt möglich sein.
Die Editionen können in vollkommen unterschiedliche Umgebungen auftauchen – in Galerien, in Wohnungen, in öffentlichen Räumen – oder von Hand zu Hand weitergegeben werden. Wenn eine Edition einmal ausgewählt und heruntergeladen ist, kann sie überall hingelangen: durch die Luft gewirbelt werden in Chicago, versteckt im Inneren einer Schublade in Londons Finanzviertel, auf einem Baumstrunk oder einer Strassentafel, in private Galerien, auf Windschutzscheiben, als Transparent getragen auf einer Demonstration oder subversiv weitergegeben von einer Person zur nächsten. Vervollständigt wird das Projekt durch «dokumentarische Photographien», die Nutzer/innen an uns senden und die wir wiederum zugänglich machen. Das «Kunstwerk» wird so permanent von seinem Publikum mitgestaltet.
Wir wollten das Publikum von vornherein in die begehrte (imaginäre) Position des Kurators/der Kuratorin bringen. Über die Zusammenstellung und Präsentation entschied der unbekannte Gast / User, der die Editionen herunterlud. Allerdings wollten wir gerne daran teilhaben und haben darum gebeten, die Interventionen oder Präsentationen zu fotografieren und zurückzuschicken. Überraschend, aber vielleicht auch bezeichnend für ein neoliberales Machtgefüge in westeuropäischen Staaten, war für uns, dass die angefragten Künstler/innen fast keine Slogans oder andere Meinungsäusserungen als Editionen vorschlugen. Vielleicht waren die Editionen auch daher wesentlich häufiger in Privaträumen installiert, als im öffentlichen Raum. In den zurückgesandten Fotos verwandelte sich damit das Private gleichzeitig in etwas Ausgestelltes; auch dies eine Situation, die wir nicht vollkommen vorhergesehen hatten.
Als historische Anknüpfung des Projektes Ready to Print sehen wir Multiples und Editionen von Künstlern und Künstlerinnen der 60er Jahre, die auf einer symbolischen Ebene Versandhäuser und mail order warehouses gegründet haben und Kunst und Auflagenobjekte in Schaufenstern präsentierten, wie dies die Fluxuskünstler/innen zeigten. Interessanterweise existierte aber das mail order warehouse von Fluxus nur als Foto, gewissermassen als Fake. Kunst sollte aus der auratischen Überhöhung gelöst werden und jedem zugänglich sein. Edition MAT und auch die Edition Block produzierte und vertrieb Editionen zum Teil bis heute. Wir wurden angeregt durch Projekte wie die Parkett-Editionen18, und hard hat multiples19 von John Armleder. Auch wir selbst haben bei dem Projekt Ready Trade Trailer 18 kleine Editionen mit Künstler/innen hergestellt und diese von der beweglichen Plattform aus, dem Trailer, an unterschiedlichen Orten verkauft20. Als neueste Entwicklung sehen wir Editionen, die über das Internet verbreitet werden, wie die von Künstler/innen produzierten gratis herunterladbaren Bildschirmschoner, www.schimmer.ch21 initiiert von Mirjam Steinhauser seit 2005 und die für uns besonders anregende Website www.apzle.com22, seit 2007 kuratiert von Mirjam Varadinis und Annie Wu, die Editionen zeitlich limitiert als A3 Formate zur Verfügung stellt.
Ready to Print wollten wir speziell an das Web-Journal www.on-curating.org23 anbinden, das sich mit Fragen der kuratorischen Praxis und Theorie beschäftigt, um den diskursiven Raum nun mit visuellen Mitteln auszudehnen.
Bei all diesen Projekten und Vorläufern spielt die Situierung des Publikums zur künstlerischen/ kuratorischen Arbeit eine entscheidende Rolle. Die User/innen–Benutzer/innen/–Kurator/innen interagierten auch mit den «Kunstwerken». Diese wurden anders genutzt, als es die jeweilige Anleitung vorschlug. Die Din A 4 Blätter wurden vollkommen anders angeordnet oder in die Luft geworfen, dies erzeugte wiederum ganz andere Bedeutungen. Auf einer symbolischen Ebene wird das Publikum ermächtigt, es hat die Möglichkeit zurück zu sprechen. Dies bleibt insofern symbolisch, dass das Publikum dennoch einen ersten Zugang zur zeitgenössischen Kunst haben muss. Dies produziert natürlich zahlreiche Ausschlüsse. Ausserdem musste die Möglichkeit zur Selbstermächtigung in gewisser Weise inszeniert oder bereitgestellt werden. So wurde das Projekt vorgestellt im White Space Zürich24 25, in der Kunststiftung Baden-Württemberg Stuttgart26, in der thematischen Buchhandlung Pro Qm Berlin27, im International Centre of Graphic Arts (MGLC), Ljubljana, Slowenien, an der Züricher Hochschule der Künste und im Center for Contemporary Art Tel Aviv28. An den zurückgesendeten «Installationsfotos» konnten wir zum Teil anhand der Email Adressen rückschliessen, von wo die Arbeiten versandt wurden. Wenn wir dies wissen, ist es als Bildunterschrift vermerkt. Die erste Phase des Projekts war meist angekündigt mit Print it 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42
Die von Lucy Lippard proklamierte «Dematerialisierung des Kunstobjekts» hat eine neue Ebene erreicht. Das Kunstobjekt ist von sich entfremdet, in einer Reihe unendlich gleichartiger und gleichwertiger Objekte transferiert, es unterwandert die Logik des Originären und somit auch die Aura, dieses «einzigartigen Phänomens der Distanz, ganz gleich wie nah es auch sein mag» (Walter Benjamin). Dieser revolutionäre Zugang zu digitalen Editionen eröffnet neue Relationen und Effekte, die nicht nur den ästhetischen Genuss neu formulieren, sondern sie betreffen auch unser Verständnis von Kunst / visuellen Botschaften und positionieren diese sowohl als einen Teil des Alltags als auch als einen politischen Akt, als Ereignis, das Narration unterbricht und neue Narrationen als poetische Handlungen formuliert.43 44 45 46 47 48 49
- www.on-curating.org Webjournal. ↩
- www.curating.org Postgraduate Programme in Curating. ↩
- Abb.1: Computer screen mit Anleitung einer Edition. ↩
- Dorothee Richter, Andrea Roca in Zusammenarbeit mit Milena Brendle, Chantal Bron, Melanie Büchel, Jeannine Herrmann, Amber Hickey, Sonja Hug, Garance Massart-Blum, Candida Pestana, Corinne Rinaldis, Dimitrina Sevova, Lindsey Sharman, Catrina Sonderegger. ↩
- Abb. 2: Edition von Beni Bischof. ↩
- Abb. 3: Edition von Birgit Brenner. ↩
- Abb. 4: Edition von Dani Gal. ↩
- Abb. 5: Edition von Guerilla Girls. ↩
- Abb. 6: Edition von Clare Kenny. ↩
- Abb. 7: Edition von Daniel Knorr. ↩
- Abb.8: Edition von Lucie Kolb. ↩
- Abb. 9: Edition von Monochrom. ↩
- Abb. 10: Edition von Felipe Mujica. ↩
- Abb. 11: Edition von Fabio Marco Pirovino. ↩
- Abb. 12: Edition von Ana Roldán. ↩
- Abb.13: Edition von Shirana Shahbazi. ↩
- Abb.14: Edition von Riikka Tauriainen. ↩
- http://www.parkettart.com. ↩
- http://www.hard-hat.ch. ↩
- siehe Website www.curating.org unter Shared projects, Ready Trade Trailer, gezeigt in Worpswede, Bremen, Kassel, Zürich. ↩
- www.schimmer.ch (nicht mehr abrufbar) ↩
- www.apzle.com (nicht mehr abrufbar) ↩
- www.on-curating.org, Issue 10. ↩
- Abb. 15: White Space, Zürich. ↩
- Abb. 16: White Space, Zürich. ↩
- Abb. 17: Kunststiftung Baden Württemberg, Stuttgart. ↩
- Abb. 18: Thematische Buchhandlung Pro QM, Berlin. ↩
- Abb. 19: Centre for Contemporary Art, Tel Aviv. ↩
- Abb. 20: Print it! ↩
- Abb. 21: Print it! ↩
- Abb. 22: Print it! ↩
- Abb. 23: Print it! ↩
- Abb. 24: Share it! Spiel mit Edition von Daniel Knorr in Zürich. ↩
- Abb. 25: Share it! Neu interpretiert: Edition von Birgit Brenner. ↩
- Abb. 26: Share it! Neu interpretiert: Edition von Beni Bischof. ↩
- Abb. 27: Share it! Neu interpretiert: Edition von Shirana Shahbazi. ↩
- Abb. 28: Share it! Edition der Guerilla Girls in Berlin. ↩
- Abb. 29: Share it! Edition von Fabio Marco Pirovino. ↩
- Abb. 30: Share It! Edition von Dani Gal in Tel Aviv. ↩
- Abb. 31: Share it! Edition von Lucie Kolb. ↩
- Abb. 32: Share it! Edition von Riikka Tauriainen. ↩
- Abb. 33: Share it! Edition von Riikka Tauriainen neuinterpretiert in Finland. ↩
- Teile dieses Textes stammen aus dem Konzept von Ready to Print und wurden in der gesamten kuratorischen Gruppe formuliert, siehe Anm.4. ↩
- Abb. 34: Lecture mit Guerilla Girls in Zürich. ↩
- Abb. 35: Share it! Edition der Guerilla Girls am Kunsthaus Bregenz. ↩
- Abb. 36: Share it! Edition von Felipe Mujica. ↩
- Abb. 37: Share it! Edition von Clare Kenny aus Zürich. ↩
- Abb. 38: Share it! Edition von Monochrom aus Tel Aviv. ↩
- Abb. 39: Share it! Edition von Daniel Knorr. ↩