Taschenglobus

Taschenglobus mit Lederkapsel, London 1680–1700 Globus, Berlin, (?), um 1706/07 / Kapsel, Joseph Moxon (1627–1700); Kupferstich auf Papier, koloriert, auf Holzkugel; Leder, Messing; KGM Berlin, Inv. Nr. K4706 / Aus der Kgl. Kunstkammer Berlin. Im Inventar von 1825

Christian Imhof

Glauben oder Wissen?

Im 16. Jahrhundert begannen viele Forscher*innen, die bestehenden Weltbilder zu hinterfragen und entwarfen, gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse, neue Ordnungssysteme. Die aus der Antike stammenden Weltbilder, wie das geozentrische, bei dem die Erde das Zentrum des bekannten Universums repräsentiert, infrage zu stellen, kam damals einer Revolution gleich. Zwischen dem babylonischen und dem antiken Weltbild, also von der Erde als Scheibe zur Erde als Kugel lagen nur ein paar Jahrhunderte,und nun bahnte sich bereits wieder ein neues Weltbild an. Dabei ging es um die Aktualisierung der Gestalt der Welt, die Kräfte und Ideen, die darin wirkten, woraus und wie sie entstand und letztlich auch um ihre Zukunft.

Um das Jahr 1510 entwarf Nikolaus Kopernikus (1473–1543) ein neues, heliozentrisches Weltbild (altgriechisch Helios, Sonne) mit der Sonne als Zentrum des Universums. Aus Angst vor den Konsequenzen zögerte er die Veröffentlichung seiner Erkenntnisse jedoch bis kurz vor seinem Tod hinaus. Die römische Inquisition ächtete sein Hauptwerk Sechs Bücher über die Umläufe der Himmelskörper (De revolutionibus orbium coelestium libri VI) und setzte es ab 1616 über 200 Jahre lang auf den Index der verbotenen Bücher. Rückblickend nennt man diese Revolution des Denkens, diesen Streit um die Ansicht und den Wandel des Weltbilds, die kopernikanische Revolution oder auch die kopernikanische Wende. 

Die Begeisterung für rationales Denken und die Akzeptanz für neu erlangtes Wissen bildeten den Beginn des Zeitalters der Aufklärung. Der Drang nach neuen Erkenntnissen führte auch zu vermehrten Aktivitäten in Bezug auf die Entdeckung neuer Welten. Durch den wissenschaftlichen Erkenntniszuwachs dieser Epoche mit ihren Expeditionen und Weltumsegelungen fand eine ständige Erneuerung der Weltbilder statt. Immer wichtiger wurde dabei die Erfassung und die Darstellung des Bekannten. In den nachfolgenden Jahren wurden Globen als Modelle, wissenschaftliche Instrumente und Lehrmittel immer wichtiger und beliebter. Wenn es früher ein kleiner Taschenglobus war, der die Welt in greifbare Nähe rückte, sind es heute die neuen Medien und digitale Modelle wie Google Earth, die teils verstörend genaue Bilder der Welt vermitteln.

Weltentdecker oder Weltzerstörer?

Auf dem Taschenglobus sind zwei Reiserouten von englischen Entdeckern abgebildet: Diejenige von Sir Francis Drake (1540–1596) und jene von Thomas Cavendish (1560–1592). Beide Linien umlaufen den Erdball in gekurvten Linien. Die Informationen für diese Illustration entnahm Joseph Moxon, der Hersteller dieses Taschenglobus, aus bestehenden Karten. Er überprüfte vorhandenes Wissen und aktualisierte dieses mit den damals neuesten Erkenntnissen von heimkehrenden Reisenden. Die Entdeckung unbekannter Welten beflügelte viele Nationen, Expeditionen zu entsenden, um die Vorherrschaft bei der Eroberung neuer Territorien zu sichern. Dabei war das Kartografieren ein wichtiger Bestandteil dieser Forschungsreisen: Geografisches Wissen zu erlangen und festzuhalten, bedeutete damals wie heute Macht. 

Im Kielwasser der ersten europäischen Entdecker, Kartografen und Eroberer, die im 15. Jahrhundert vor allem die atlantische Küste Afrikas erforschten, segelten vorwiegend spanische und portugiesische Händler, die dort regelmäßig Sklavinnen und Sklaven erwarben, um sie in den neuen Kolonien auf der anderen Seite des Atlantiks gewinnbringend zu verkaufen. Sklaverei war zu diesem Zeitpunkt zwar kein neues Phänomen in Afrika, aber die Art und Weise, wie fortan Menschen zur Ware erklärt und gehandelt wurden, war so beispiellos, dass diese auf die Gesellschaften rund um den Globus tiefe Spuren hinterlassen hat. Auch heute noch sind diese Vorgänge nicht ausreichend untersucht und Teil einer kollektiven Forderung nach mehr Auseinandersetzung und Aufarbeitung. 

Auch Sir Francis Drake war damals am Sklavenhandel beteiligt. Er segelte, von der englischen Krone beauftragt, als Freibeuter und später als Pirat unter eigenem Kommando. Dabei kam es zu vielen Seegefechten mit spanischen und portugiesischen Schiffen. Gekämpft wurde um Monopole, Handelsinteressen und die Verbreitung der richtigen religiösen Auslegung. Berühmt wurde Drake aber erst durch seine über drei Jahre dauernde Expedition um die Welt von 1577 bis 1580. Ihm gelang als erster englischer Kapitän die Durchquerung des Atlantischen, des Pazifischen und des Indischen Ozeans. Nebst dem enormen Profit, die diese Umrundung generierte, war auch das damit zusammenhängende Wissen über andere Kulturen, Seerouten und geografische Erkenntnisse von unschätzbarem Wert für den wachsenden Welthandel, in dem England spätestens seit Ende des 18. Jahrhunderts eine dominante Rolle spielte.

Wie groß ist Afrika in Wirklichkeit?

Der Taschenglobus ist ein Artefakt, das viele Geschichten erzählt, und natürliche und künstliche Grenzen visualisiert. Die Darstellungen repräsentieren das damalige Wissen über die bekannte Welt. Globen galten als Symbole der Bildung und der Welterkenntnis, versinnbildlichten territoriale und internationale Macht. Im religiösen Bereich stand der Globus für das Irdische und das Vergängliche. Im Gegensatz dazu standen Himmelsgloben für das Universale und das Immerwährende. In einer Doppelfunktion bildet die schützende Kapsel, die den Taschenglobus umhüllt, auf der Innenseite sogar den Himmel ab. 

Nebst den Visualisierungen von Landmassen und Entdeckungsfahrten zeigt die kleine Kugel mit ihrem dargestellten Wissen über die Welt aber auch eine klare Abgrenzung zwischen Epochen und Kulturen, zum Beispiel die Entdeckung und somit wirtschaftliche Anbindung Afrikas an Europa durch die portugiesischen Seefahrer im 15. Jahrhundert. Mit den Expeditionen der Europäer sammelte sich zunehmend Wissen in Form von Karten und Aufzeichnungen über diesen Kontinent an. Dieses kartografische Wissen längen-, flächen- und winkeltreu abzubilden – also in zwei Dimensionen, wie auf einer Karte oder in drei Dimensionen, wie auf einer gekrümmten Oberfläche – ist ein komplexes Unterfangen und oft mit Verfälschung verbunden.

Die tatsächliche Größe Afrikas wird durch die Projektionstechniken meist verzerrt. Ein Beispiel, um die reale Größe dieses Kontinents zu visualisieren, ist der direkte Vergleich mit Ländern, wenn sie im gleichen Winkel über den Umriss Afrikas gelegt werden. Die Karte als Darstellungsform hängt immer vom Blickwinkel ab und kann auch bewusster Manipulation unterworfen sein mit dem Ziel, bestimmte Aspekte hervorzuheben oder zu unterdrücken, Zensur auszuüben oder Machtansprüche geltend zu machen. Umstrittene Staatsgrenzen werden bei Google Maps beispielsweise je nach Standort des Computernutzers unterschiedlich dargestellt.

Ein Mythos am Firmament?

Das Firmament wird auch als Himmelsgewölbe oder Himmelszelt bezeichnet und verweist auf die Vorstellung aus früheren Weltbildern, in denen Himmelskörper wie die Sonne, der Mond und die Sterne am Gewölbe befestigt waren. Die Sternbilder, die wir heutzutage kennen und in der Kapsel des Taschenglobus abgebildet sehen, repräsentieren diese Sphäre. Die Unterscheidung zwischen fest positionierten und beweglichen Himmelskörpern, also Fix- und Wandelsternen, führte zu der Ansicht, dass höhere Wesen über mehrere bewegliche Schalen das Firmament beeinflussen. Johannes Kepler (1571–1630) entdeckte die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich Planeten um die Sonne bewegen und verwarf damit das Weltbild von den physisch befestigten Körpern am Himmel. 

Sternbilder waren in vielen Kulturen ein wichtiges Mittel zur Orientierung und insbesondere für die Seefahrt von Bedeutung. Heute dienen sie klar definiert der Kartierung des Himmels wie der örtlichen Zuordnung von Objekten. Die Festlegung der Sternbilder geht zurück auf die babylonischen und altägyptischen Hochkulturen und wurde im antiken Griechenland erweitert. Ein Sternbild mit Bezug zur griechischen Mythologie ist das des Perseus mit dem abgeschlagenen Haupt der Medusa in der Hand. Neben ihm befindet sich ein Stern namens Algol, Teufelsauge. Er funkelt rötlich und verändert regelmäßig seine Helligkeit. In der griechischen Mythologie repräsentiert Algol den bösen Blick des Medusenhaupts (→Kruzifix).