Blow Chair

Blow Chair, Paolo Lomazzi, Donato D‘Urbino, Jonathan De Pas, 1967; Ausführung: Zanotta SpA, ab 1970 / 1988; PVC-Folie, elektronisch geschweißt; KGM Berlin, Inv. Nr. 1988, 89

Brooke Jackson

Sammlung: Exponat oder Abfall

„Den Übergang vom Müll zum Dauerhaften bewirken menschliche Feststellungen, nicht Qualitäten der Sache selbst.“ Michael Thompson, 2003

Der Blow Chair wurde 1967 von den Designern Jonathan De Pas, Donato D’Urbino und Paolo Lomazzi als erster in Serie produzierter, aufblasbarer Sessel entworfen und gilt heute als Designikone. Aufblasbare Möbel drücken mit ihrer Leichtigkeit und Flexibilität den Zeitgeist und Lebensstil der 1960er Jahre aus und wenden sich mit ihrer Temporalität gegen die Ideologie der Langlebigkeit und Dauerhaftigkeit. Der aus PVC-Folie bestehende Sessel erhält erst durch das Aufblasen seine Form. Durch einen Schaden an seiner Kunststoffhülle kann dieses Exemplar nicht mehr aufgeblasen werden. Es hat damit seine Funktion als Sessel verloren. Fraglich ist, ob der Sessel in der jetzigen Form ebenfalls gesammelt und im Museum ausgestellt oder eher als Abfall bewertet worden wäre. 

Wer bestimmt, was gesammelt und im Museum gezeigt wird? Menschen sammeln seit jeher, sei es zur Sicherung des Überlebens oder als Ausdruck der Macht. Spätestens ab dem 16. Jahrhundert schrieb man mit der Einrichtung der ersten Wunderkammern Sammlungen einen Bildungswert zu. Nach den Museumsgründungen im 18. Jahrhundert wurden diese Sammlungen dann systematisch dokumentiert, archiviert und sukzessive für Besucher*innen geöffnet. In den Kunstgewerbemuseen, die in Folge der Weltausstellungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden, wurden Objekte gesammelt, die als Vorbilder für Gewerbe, Industrie und Ausbildung dienten (→Vorbilder). Der ICOM (International Council of Museums), der sich zurzeit in einer Kontroverse um eine aktualisierte Museumsdefinition befindet, definiert Museen bisher als öffentliche Institutionen, die das materielle und immaterielle Erbe der Menschheit sammeln, konservieren, erforschen, kommunizieren und ausstellen. Wer aber definiert, was als ‚Erbe der Menschheit‘ gilt und somit gesammelt wird? Was wird das Erbe dieser Generation sein? Was wird im Museum von morgen zu sehen sein? Was könnte zum Beispiel der Blow Chair von 2020 werden?

Restaurierung von Kunststoff

Obwohl Kunststoff zur Herstellung von Designprodukten bereits in den 1930er Jahren verwendet wurde, erlebte er erst in den Nachkriegsjahren, als die technischen Voraussetzungen das Material erschwinglich machten, seinen Aufschwung. Der Blow Chair besteht aus durchsichtiger PVC-Folie. Weich-PVC-Folien gehören wegen ihrer chemischen Instabilität und der geringen Stärke des Materials zu den empfindlichsten Formen von Kunststoff. Zanotta, die Produktionsfirma des Blow Chairs, entschied sich 1988 aufgrund des zunehmenden Interesses für eine Re-Edition des ikonischen Sessels. Diese ist häufig in Sammlungen von Museen zu finden, da kaum noch Originale der ersten Edition erhalten sind, denn viele davon sind beschädigt und können nicht mehr ausgestellt werden.

Kunststoffrestaurator*innen versuchen, dem entgegenzuwirken. Da immer mehr Objekte aus Kunststoff in Museen ausgestellt werden, gewinnt ihre Arbeit zunehmend an Bedeutung. Die unterschiedlichen Kunststoffe reagieren jeweils anders auf verschiedenste Faktoren, was die Restaurierung der Objekte erschwert. Neue Methoden zur Restaurierung werden aber fortlaufend entwickelt. Dabei wenden sich Kunststoffrestaurator*innen häufig an Disziplinen wie die Medizin oder die Chemie. Bis heute gibt es noch keine überzeugende Methode der Restaurierung von Verschmutzungen, Löchern und Abnutzungen des Blow Chairs. Bei Schnitten und Löchern wird häufig mit industriellen Klebern gearbeitet. Dieser Vorgang ist jedoch nicht umkehrbar und daher aus konservatorischer Sicht nicht vertretbar. Eine zentrale Schwierigkeit in der Restaurierung von PVC-Folie ist der geringe Erfahrungswert mit dem gealterten Material.

Upcycling

„Upcycling is a way of adding value to ‘waste’. ” Mark Richardson, 2011

Kunststoff oder Plastik ist nicht nur im Design wiederzufinden, sondern auch im Alltag. Die Plastiktüte gilt als Symbol der Wegwerfgesellschaft. Alleine in Deutschland verwendet jede/r Einwohner*in pro Jahr 71 Wegwerftüten (→Pastille). Die EU hat 2019 eine Richtlinie verabschiedet, die eine Reduktion von Einwegkunststoffartikeln bis 2026 als Ziel setzt. Dabei sollen ab 2021 Kunststoffprodukte wie Trinkhalme, Kunststoffbesteck und Wattestäbchen vom Markt genommen und durch nachhaltige Alternativen ersetzt werden. Somit soll ein Beitrag zur Verbesserung der Situation in Bezug auf die Verschmutzung der Meere geleistet werden.

Plastik wird in unserer Gesellschaft als Abfall bewertet, jedoch hat es Potenzial, als Rohstoff zur Wiederverwendung eingesetzt zu werden. So können aus Plastiksäcken zum Beispiel Seile, Schuhe, WC-Deckel, Fischernetze und Konstruktionsmaterial hergestellt werden. Das Material, welches als Müll in vielen Regionen der Welt ein gesundheitliches Risiko darstellt und in Form von Mikroplastik auch weltweit präsent ist, verwandelt sich so in ein nützliches Rohmaterial. Der Prozess des Recyclings definiert sich darüber, dass Rohmaterial zurückgewonnen und zu neuen Produkten verarbeitet wird. Beim Upcycling hingegen wird das bereits vorhandene Objekt als solches wiederverwendet, um ein anderes Produkt zu gestalten.

Designer*innen aus verschiedensten Bereichen wie dem Industrial Design oder Modedesign wenden sich der Methode des Upcyclings zu, um die Auswirkungen ihrer Produkte auf die Umwelt zu reduzieren oder eine positive Wirkung zu erzielen. Als Beispiel ist die Firma Freitag zu nennen. Das 2011 in der Schweiz gegründete Unternehmen produziert Taschen aus wiederwendeten LKW-Planen und Sicherheitsgurten. Das Konzept der Produktion ist darauf ausgelegt, Abfall so wiederzuverwenden, dass er erneut in den Konsumkreislauf aufgenommen wird. Ein anderes Beispiel ist der chinesische Künstler Zhijun Wang. Mit seiner Arbeit Maskology – Everyone Can Make a Mask stellt er auf seiner Homepage eine Anleitung und ein Schnittmuster zur Herstellung von Mund- und Nasenschutzmasken bereit, die aus allen Materialien hergestellt werden können. So kann zum Beispiel eine alte Ikea-Tasche zum Mundschutz umfunktioniert werden.