Art Education Research °7
Kunstvermittlung zeigen–
Über die Repräsentation von pädagogischer Museumsarbeit
Herausgeber_innen: Stephan Fürstenberg, Nanna Lüth und
microsillons (Olivier Desvoignes/Marianne Guarino-Huet)
[Montage: Nanna Lüth 2013, auf der Basis von Fotografien des Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee, Kinderzentrum creaviva, beide 2011.]
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EDITORIAL
Im Berufsalltag von Kunstvermittler_innen[1] findet eine Auseinandersetzung mit der Repräsentation ihrer Arbeit – also der Vermittlung von Vermittlung – oftmals allein auf pragmatischer Ebene statt, bspw. wenn die Routinen des Museumsbetriebs[2] Ankündigungen von Veranstaltungen oder die Adressierung von Besucher_innen erfordern. Für eine reflektierte Dokumentation und Präsentation von Vermittlungsarbeit fehlen nach wie vor meist die Ressourcen, aber auch das Bewusstsein für deren Notwendigkeit. Eine weitere Herausforderung für die Arbeit an Darstellungsweisen manifestiert sich dort, wo bspw. mit Vermittlungsformaten und -inhalten experimentiert wird, jedoch die entstehenden Repräsentationen das Aussergewöhnliche dieser Aktionen nicht zu sehen geben. Stattdessen werden häufig bereits bekannte Motive und Lesarten wiederholt (vgl. Gavranić 2012: 181).
Mit dem Projekt Kunstvermittlung zeigen (2011-2013) konnte sich gezielt den Fragen nach der Repräsentation von Vermittlungsarbeit angenommen werden; einem Gegenstand, der im Bereich der wissenschaftlichen Forschung bis heute grösstenteils unbearbeitet ist. Da sich dieses Thema an der Schnittstelle zwischen der Reflektion und Theoretisierung von Kunstvermittlung sowie dem Forschungsfeld zur visuellen Kultur befindet, wurde dieses Vorhaben als Kooperation zwischen dem Institute for Art Education (IAE) und dem Institute for Cultural Studies in the Arts (ICS) an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) realisiert. Die Finanzierung dieser Zusammenarbeit ermöglichten Mittel des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Das Projektteam – bestehend aus Stephan Fürstenberg, Nanna Lüth und dem Kollektiv microsillons (Olivier Desvoignes/Marianne Guarino-Huet) – setzte sich aus Personen mit unterschiedlichen sprachlichen, nationalen und professionellen Hintergründen zusammen, die – als Wissenschaftler_innen, Künstler_innen und Kunstvermittler_innen – aus verschiedenen Perspektiven auf Kunstvermittlung und die Praktiken der Repräsentation blickten. Im Rahmen des Projekts wurden Repräsentationsmaterialien von 32 Museen und Ausstellungsinstitutionen aus der Schweiz und Liechtenstein mit dem Fokus auf Gegenwartskunst zusammengetragen. Der Materialkorpus der Studie umfasst 712 Dokumente mit über 2.000 Bildern aus den letzten sieben Jahren und schliesst unter anderem Flyer, Broschüren und Webseiten, aber auch Bücher von Vermittlungsdepartementen ein.
REPRÄSENTATIONSANALYTISCHER ANSATZ
Das zugrunde liegende konstruktivistische Konzept von Repräsentation stützt sich auf die Idee, dass Repräsentieren kein unmittelbares, mimetisches oder neutrales Wiedergeben von Jemandem oder Etwas ist. Vielmehr stellt Repräsentieren eine gestaltende, machtvolle und durch spezifische Bedingungen gerahmte Praxis dar, in der etwas Abwesendes dar- und hergestellt, vergegenwärtigt, stellvertreten sowie ausgestellt wird (vgl. Schade/Wenk 2011: 104f.). Der britische Soziologe und Kulturtheoretiker Stuart Hall beschreibt Repräsentation als «active work of selecting and presenting, of structuring and shaping: not merely the transmitting of an already-existing meaning, but the more active labour of making things mean.» (Hall 1982: 64)
Repräsentationen produzieren Bedeutung und Wissen, indem sie etwas auf bestimmte Art und Weise zu sehen geben. Sie strukturieren Wahrnehmungsweisen und haben damit einen wesentlichen Anteil an der Herstellung von Wirklichkeit, anstatt diese nur abzubilden. Der Historiker Michel Foucault merkt an, dass Repräsentation dabei nicht mit Transparenz zu verwechseln sei, sondern ein Zusammenspiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit bilde. Entscheidend ist somit nicht nur die Frage, was repräsentiert wird, sondern auch: «wie und warum jemand in welcher Form ‘dargestellt, abgebildet, vorgeführt, vergegenwärtigt’ wird, welchem Zweck sie [die Repräsentation, d.A.] dient und was dabei ausgeschlossen bleibt, d.h. durch Sichtbarkeit unsichtbar gemacht wird. Es geht um die Macht des Zu-Sehen-Gebens [sic].» (Sturm 2001: o.S.)
Leitgedanke unserer Analyse von Repräsentationsmaterialien ist die Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, wie sie sich in Darstellungsmustern und institutionellen Routinen des Zu-sehen-Gebens manifestieren. Durch die stetige Wiederholung von bestimmten Repräsentationsweisen entfalten sich wirkmächtige Effekte, da spezifische (Vorstellungs-)Bilder, Bedeutungen und Subjektpositionen im Zusammenhang mit Kunstvermittlung sowohl entworfen und verfestigt als auch verschoben werden können.
POSITIONIERUNG ALS FORSCHENDE
Als Forschende mit eigener Erfahrung im Bereich zeitgenössischer Kunstvermittlung ist uns bewusst, dass die Ressourcen im gesamten Feld äusserst begrenzt sind. Insbesondere Repräsentations- und die damit verbundenen Reflexionstätigkeiten, die nicht als Kernaufgabe von Vermittler_innen gesehen werden, leiden unter dieser Verknappung. Dennoch gilt es aus unserer Sicht, Repräsentationen von Kunstvermittlung in ihren Aussagen und gesellschaftlichen Bezügen ernst zu nehmen und die bisher geleistete Arbeit an den Darstellungen einer Reflexion zu unterziehen.
Denn mit dem Anspruch an Kunstvermittlung als eine (selbst-)kritische Praxis sowie ein transformatives Bildungsgeschehen ist es nicht hinnehmbar, dass mit den – oft unbewussten und automatisch wiederholten – Darstellungsweisen klassistische, ethnisierte oder andere diskriminierende Traditionen in Bild oder Text unbedacht weitergeführt werden. Vermittlungsarbeit sollte bei der Auseinandersetzung mit Kunst und der Institution Museum auch Praktiken der Dokumentation und Präsentation von Kunstvermittlung in den Blick nehmen und diese nach Effekten wie Ein- und Ausschlüssen, Normalisierung und Besonderung sowie Auf- und Entwertungen befragen (vgl. Mörsch 2013, Kap. 9).
Kunstvermittlung zeigen möchte in diesem Zusammenhang einen Beitrag zur Entwicklung von herausfordernden, lustvollen und differenzierten Darstellungsweisen leisten, in denen Einladungen und Dokumentationen zu Gestaltungsinstrumenten einer demokratischen, egalitären und auf Diversität ausgerichteten Institution Museum sowie Gesellschaft werden können.
Ein Vorteil von Forschung im akademischen Feld ist, dass sich die gestellten Fragen und ihre Bearbeitungsweisen ein Stück weit den Be- und Verwertungslogiken des Kunstsystems und der einzelnen Institutionen, in denen die Repräsentationsarbeit stattfindet, entziehen können. Unsere Untersuchung ist dabei eine Form von situierter Wissensproduktion (vgl. Haraway 1995), die aus einer spezifischen sozialen, kulturellen und historischen Position heraus formuliert wird. Wir gehen nicht davon aus, dass wir unumstössliche Wahrheiten über die Darstellungen von Kunstvermittlung produzieren – auch nicht nach intensiven Recherchen und Überprüfung unserer Texte –, dennoch besitzen die von uns aufgeworfenen und bearbeiteten Fragen ihre Gültigkeit und Wichtigkeit.
Zugleich sehen wir es als Problem an, dass Forschung und Reflektion über Kunstvermittlung im Moment fast ausschliesslich in der Wissenschaft und an den Hochschulen – mit eigenen Regeln, spezifischer Sprache und Geschichte sowie ökonomischen und institutionellen Zwängen – verortet ist, was zu einer einseitigen Verteilung von reflexiver Wissensproduktion führt.
Zwischen Forschenden und Beforschten bestand dementsprechend auch im Projekt Kunstvermittlung zeigen ein ungleiches Verhältnis. Um dieser Ungleichheit wenigstens punktuell etwas entgegenzusetzen, luden wir die Vermittler_innen, die ihr Material für die Untersuchung zu Verfügung gestellt hatten, ein, die erarbeiteten Forschungsergebnisse vor der Veröffentlichung mit uns zu diskutieren. Deutlich wurde bei diesem Treffen, dass unter allen Teilnehmenden ein grosses Interesse an einem gegenseitigen Austausch über Wissen, Erfahrungen und Ansätze hinsichtlich der Darstellung von Kunstvermittlung besteht. Im Hinblick auf eine für 2014 geplante Publikation des IAE und ICS zum Thema Kunstvermittlung und Repräsentation möchten wir die begonnene Diskussion mit Kunstvermittler_innen unterschiedlicher Institutionen gerne fortführen, um in diesem Rahmen Materialien an der Schnittstelle von wissenschaftlicher Forschung und musealer Vermittlungsarbeit zu entwickeln und verfügbar zu machen.
KNOTENPUNKTE DER FORSCHUNGSARBEIT
Im Rahmen von Kunstvermittlung zeigen konnten nach der Sammlung, Digitalisierung und Sichtung des Untersuchungsmaterials die drei Kategorien Raum, Kunstwerk und die Figur Kunstvermittler_in ausgemacht werden, welche die Repräsentationen strukturieren und so eine Aufteilung der Analyse möglich machten. Die daraus hervorgegangenen Teilbereiche zeichnen sich durch Überschneidungen und querliegende Verknüpfungen aus, welche wichtige Charakteristika und Dimensionen des Repräsentationsmaterials beschreiben und im Folgenden kurz von uns skizziert werden:
Eng miteinander verzahnt sind die Repräsentationsweisen des Publikums und die zu sehen gegebenen Praktiken und Methoden von Vermittlungsarbeit. Im Gegensatz zur üblichen Ausstellungsfotografie, in der Räume oftmals ohne Personen gezeigt werden, spielt die Sichtbarkeit von Besucher_innen im vorliegenden Material eine zentrale Rolle und besitzt somit insbesondere im Hinblick auf die Analyse von Raum, Kunstwerk und der Figur Vermittler_in einen hohen Stellenwert. Anhand der unterschiedlichen Arten und Weisen des Zu-sehen-Gebens von Personen können Überlegungen zu impliziten Pädagogiken, zu Rollen und Machtverhältnissen in der Vermittlung von Kunst, aber auch zu Parallelen und Unterschieden zwischen der Darstellung von Bildungsarbeit im Museum und in der Schule angestellt werden. Des Weiteren bilden institutionelle Normen und Konventionen eine transversale Achse. Bei der Analyse von Kunstvermittlungsrepräsentationen kann ein Bezug zu musealen Regeln hergestellt und der Spur nachgegangen werden, welche Repräsentationsweisen von Kunstvermittlung ein normiertes Verhalten reproduzieren und an welchen Stellen diesbezüglich Abweichungen und Unterbrechungen dar- und hergestellt werden.
Das Medium Fotografie bildet einen weiteren gemeinsamen Reflexionspunkt. Der Einsatz von Fotografien im dokumentarischen Stil ist omnipräsent und verstärkt den Anspruch der Darstellungen auf Authentizität und Wahrheit. Das Zusammenspiel formaler Charakteristika wie Format, Ausschnitt und Perspektive in Kombination mit bestimmten Motiven lässt die Sicht (sowohl der Fotograf_innen als auch der am Auswahlprozess Beteiligten) auf Kunstvermittlung und ihre institutionelle Rahmung erkennen.
Das machtvolle Zusammenspiel von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, welches konstitutiv für Repräsentationen ist und die Produktion von Bedeutungen mitgestaltet, bildet eine weitere querliegende Achse. Auffällig bei den folgenden Analysen ist die Unsichtbarkeit bspw. von Räumen ausserhalb des Museums, von konfliktreichen Momenten in Bezug auf Kunst sowie der häufig nicht gezeigten Kunstvermittler_innen.
Durch Anschluss dieses repräsentationskritischen Ansatzes an die Denk- und Arbeitsweisen feministischer Kunst- und Kulturwissenschaften sowie von Queer- und Postcolonial Studies stellen die Aspekte Feminisierung und Infantilisierung, welche Kunstvermittlung als pädagogisches – bis heute in vielerlei Hinsicht abgewertetes – Arbeitsfeld betreffen, eine wichtige Verknüpfung zwischen den einzelnen Teilbereichen dar. Whiteness/Weisssein ist schliesslich ein weiterer Knotenpunkt, welcher sowohl als «Normalität» in den Personendarstellungen als auch in der institutionskritischen Diskussion um den Ausstellungsraum als white cube mit seinen spezifischen Traditionen und Wertschöpfungen auftaucht.
Nicht alle hier skizzierten Punkte konnten eingehend in den folgenden drei Artikeln dieser eJournal-Ausgabe untersucht werden, doch spinnen diese Punkte ein Netz aus Verzweigungen und Verweisen zwischen den einzelnen Beiträgen.
In seinem Artikel «Geordnete Körper, verkörperte Ordnungen» fokussiert Stephan Fürstenberg typische Repräsentationsweisen von Vermittler_ innen sowie Publikum und arbeitet die Produktion von Unterschieden zwischen diesen beiden Figuren heraus.
Nanna Lüth geht in ihrem Text «Zwischen Unterweisung und Selbstbildung. Didaktische Musteranalyse von Kunst aus» der Frage nach, welche Arten des Umgangs mit Kunst fotografisch repräsentiert werden, welche Rollen die Kunstwerke dabei spielen und welche pädagogischen Methoden und Zielsetzungen sich daraus ableiten lassen.
In seinem Artikel „Habitée, familière, dérangée. Une «autre» institution d’art contemporain dans les représentations de la médiation?“ beschreibt das Kollektiv microsillons die Koexistenz zweier Repräsentationsregime, die für die Dokumentationen zeitgenössischer Kunstinstitutionen in der Schweiz zentral sind. Tatsächlich zeigen die von microsillons ausgewählten spezifischen Vermittlungsdarstellungen eine Institution, die sich von ihren traditionellen Bildern unterscheidet. Der Text schlägt Interpretationen dieser differenzierenden Praxis in Bezug auf die Repräsentation des Museums und seiner Funktionen vor.
Mit diesen ersten Einblicken in das Projekt Kunstvermittlung zeigen hoffen wir, das Nachdenken und den Austausch über Darstellungsweisen von Kunstvermittlung zu stärken und Anstösse für Veränderungen zu geben. In diesem Sinne wünschen wir allen Leser_innen eine anregende Lektüre.
[1] Wir nutzen einen Unterstrich vor der weiblichen Wortendung, um mit dieser Leerstelle alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten sprachlich fassen zu können. Die Idee und das politische Interesse dahinter sind, Alternativen zum binären Frau|Mann-Schema zu schaffen und die selbstverständliche Repräsentation und Reproduktion von Zweigeschlechtlichkeit auf sprachlicher Ebene zu unterbrechen.
[2] Mit der hier als Sammelbegriff verwendeten Bezeichnung «Museum» werden neben Museen auch Kunsthäuser, Kunstvereine, Sammlungen sowie Stiftungen gefasst – also die Institutionen, die Kunst ausstellen.
Literatur
Gavranić, Cynthia (2012): «In Dialoge führen». In: Bernadett Settele/Carmen Mörsch (Hg.): Kunstvermittlung in Transformation. Ergebnisse und Perspektiven eines Forschungsprojektes, Zürich: Scheidegger & Spiess, S. 171-184.
Hall, Stuart (1982): «The rediscovery of ideology: Return of the repressed in media studies». In: Michael Gurevitch/Tony Bennett/James Curran/Janet Woolacott (Hg.): Culture, Society and the Media, London: Methuen, S. 56-90.
Haraway, Donna (1995): «Situiertes Wissen – Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive». In: dies.: Die Neuerfindung der Natur, Frankfurt/M.: Campus-Verlag, S. 73-97.
Mörsch, Carmen (2013): Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung, hrsg. vom Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), im Auftrag von Pro Helvetia, online unter: http://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/; (letzter Zugriff: 05.07.2013).
Schade, Sigrid/Wenk, Silke (2011): Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld, Bielefeld: transcript.
Sturm, Eva (2001): «In Zusammenarbeit mit gangart. Zur Frage der Repräsentation in Partizipations-Projekten», online unter:http://eipcp.net/transversal/0102/sturm/de; (letzter Zugriff: 05.07.2013).
Redaktion: Stephan Fürstenberg und Nanna Lütt
Übersetzung ins Englische: Lisa Glauer
Lektorat: Evelyne Astner
Layout der Texte: Anne Gruber