Modelle und Modellierungsprozesse stehen hoch im Kurs: Intra- wie interdisziplinär werden deren Rollen und Wirkungsweisen diskutiert, Definitionsversuche unter Anwendung oder Ablehnung des Repräsentationsparadigmas unternommen und wird für eine Historisierung von Modellierungskulturen geworben. Ein anregendes Beispiel in diesem Diskurszusammenhang bietet auch die Lehrmittelsammlung des Kunstgewerbelehrers Moritz Meurer (1839–1916). In den 1890er-Jahren entwickelte er im Sinne der international angestrebten Erneuerung der angewandten Künste ein Lehrsystem, das im Rahmen eines vergleichenden Pflanzenstudiums gleich mehrere Arten von Modellen zu vereinen scheint: zunächst das Lehrkonzept selbst als pädagogisches Alternativmodell, das die zuvor übliche Stillehre und die mit ihr verbundene Kopierpraxis überwinden helfen sollte; weiterhin das ‚Modell Pflanze’ als abstraktes Vorbild der Genese und Gestaltung von Form, die den Ansprüchen von Funktionalität und Ästhetik gleichermaßen nachkam; damit verbunden ein Spektrum an ‚Modellpflanzen’, die für die projektierte Schulung von Auge, entwerfender Hand und Erfindungsgabe prädestiniert waren, weil an ihnen Formgesetze, Bauprinzipien oder die Entsprechung von Material und Form studiert werden konnten. Und schließlich diverse zwei- und dreidimensionale physische Pflanzenmodelle – von Zeichnungen, Druckgraphiken und Fotos über Präparate bis zu Abgüssen und modellierten Plastiken – die als Lehrmittel und damit zur Umsetzung des Lehrkonzeptes und zur Vermittlung der Modellhaftigkeit natürlicher Formen zum Einsatz kamen. Der Vortrag stellt diese verschiedenartigen Modelle vor und untersucht sie auf die im aktuellen Diskurs attestierte charakteristische und dabei gestalterisch bedeutsame Eigensinnigkeit von Modellen. Das soll allgemein erlauben, die je spezifische, tatsächliche Modellhaftigkeit auszuloten und darüberhinaus konkret epistemische und gestalterische Funktionen und Potentialen der Lehrmedien zu benennen.
Zur Person
Angela Bösl M.A. (Magister Artium), Studium der Kunstgeschichte, Neueren und Mittelalterlichen Geschichte in München, Paris und Berlin. Von 2007 bis 2011 Ausstellungsassistenzen in Paris, Tübingen und London, 2011-2013 wissenschaftliches Volontariat bei den Städtischen Museen Wetzlar. Seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung. Ein Interdisziplinäres Labor“ (HU Berlin). Seit August 2016 Doktorandin der Kolleg-Forschergruppe „BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik“ an der Freien Universität Berlin.