Hilde an der Sihl ist ein studentisches Festival in Zürich, das Performance und Theater aus vier Kunsthochschulen in Deutschland und der Schweiz zeigt. Die maximal einstündigen Arbeiten aus Hildesheim und Giessen sowie aus Bern und Zürich traten in der ersten Oktoberwoche in einen regen Austausch, begleitet von einer Methode des künstlerischen Feedbacks.
Man kann einen Artikel schmissiger beginnen, eine textliche Tischbombe sieht anders aus. Doch der Anfang ist gewollt und führt mitten ins Thema. Als Observer-in-Residence, der sich auf das Festival vorbereiten wollte, habe ich zu lange gebraucht, um die Basics zu begreifen. Aha, die dichte Woche zwischen der luxuriösen hauseigenen Bühne A und dem kargen Offspace Perla-Mode, der als Festivalzentrum dient, will kein Schaufenster der Schulen sein. Denn Auswahl und Organisation, von der Ausschreibung bis zu den privaten Schlafplätzen: Alles eine Initiative von Studierenden. Das wäre eine wichtige Information gewesen. Weder auf der Website noch im ansonsten übersichtlichen Programmheft wurde das klar.
Stallgeruch und Selbstparfum
Klingt wie ein Nebenschauplatz, eine Mäkelei an der Kommunikation. Gähn. Tatsächlich sind alle schon etwas müde, als wir uns am Sonntag nach der Festivalwoche zum Werkstattgespräch treffen. Doch ich habe den Eindruck, dass die Beteiligten froh sind um solche Hinweise. Auch weil die Urheberschaft des Festivals einen beträchtlichen Unterschied macht, zumindest im Selbstverständnis der Studierenden. Wir sitzen in der Perla-Mode, der Brunch ist vorbei, die meisten Gäste aus Niedersachsen (Hildesheim) und Hessen (Giessen) reisen zwar schon wieder zurück, aber einige sind noch in der Runde dabei von vielleicht 20 Studierenden. Nicht umsonst traf man sich für viele Aufführungen und Diskussionen ausserhalb der Schule, im Kunstraum Perla-Mode. Denn «repräsentativ» soll das Festivalprogramm auf keinen Fall sein, das ist vielen wichtig. Man will nicht bloss einem Förmchen entsprechen, das die jeweilige Schule herstellt. Man merkt auch als Besucher rasch, dass es hier um mehr geht als Punkte fürs Studium abzuholen. Alle machen alles selbst, die Stimmung ist emsig, aber locker. Es riecht nach Essen, Bier und wenig Schlaf.
Klar verstehe ich die latente Kränkung, wenn ich dennoch behaupte, einzelnen Ästhetiken einer Schule zuordnen zu können. Das Wort dafür ist «Stallgeruch». Damit will ich als Observer nicht die Studierenden auf ihren Platz verweisen und ihnen künstlerische Autonomie absprechen. Es geht mir um Achtsamkeit, etwa für die Form, die man wählt.
Stil als spielerische Maske
Entscheidet man sich bewusst für eine Textcollage, für eigene Texte, für eine Rahmenhandlung, für den Gang ins Publikum, für das Spiel mit der Grenze zwischen Bühne und Saal. Oder sind das alles Dinge, die man «automatisch» tut? Es geht um den Unterschied von reflektierten Mitteln, Mode oder auch Posen, die man versuchsweise einnimmt, als würde man eine Maske anziehen. Letzteres fände ich am sinnvollsten, zumal an einer Hochschule, die ich als Experimentierraum sehe. Die Wahl der Bildungsinstitution sollte das künstlerische Branding nicht zu sehr vorbestimmen. Mir scheint, dass sich diese Unterschiede zwischen den Schulen etwas aufgeweicht haben. Zumindest seit der Bologna-Reform Ende der Neunzigerjahre, als ich mich zum ersten Mal eingehend mit Kunsthochschulen befasst hatte.
Und doch, ein paar Dinge kommen mir bekannt vor: Die Giessener reden sehr reflektiert über ihre Arbeiten, vor allem über die Wahl der Mittel; die Hildesheimer suchen direkter nach der Dekonstruktion; die Berner stehen mit einem Bein im Stadttheater und mit dem andern in der Freien Szene; die Zürcher irgendwie auch, aber das Standbein steht noch in den festen Häusern. Und doch: Je nach Vertiefung des Studienganges – Dramaturgie, Theaterpädagogik, Schauspiel oder Regie – gibt es insbesondere an den Schweizer Schulen grosse Unterschiede.
Niemand kennt diese Gräben besser als die Studierenden selbst. Aus ihrer Erfahrung: Hilde an der Sihl findet bereits zum dritten Mal statt, nicht immer war die Stimmung so gelöst wie dieses Jahr. Es soll auch schon Streit gegeben haben entlang kunstideologischer Fronten, in der Art von: Wir in Giessen sind konzeptionell klüger als ihr Rampensäue von den Schweizer Schauspielschulen. So stelle ich mir die Gespräche nach den Vorstellungen jedenfalls vor. Genaueres weiss ich nicht. Denn dieses Jahr war es ganz anders.
Feedback mit Methode
Das Leitungsteam hat beschlossen, die Nachgespräche der Arbeiten alle nach derselben Methode zu führen. Entwickelt wurde diese Art des Feedbacks von Georg Weinand, der in Holland gelehrt hat und nun in Bern die Dampfzentrale leitet. Weinand hat zu Beginn des Festivals seine Methode in einem Workshop erklärt. Was ich in der Gesprächspraxis gesehen habe: Der Versuch, aus unterschiedlicher Warte ein konstruktives Gespräch zu führen. Immer wieder ist die gelungen. Doch es haben sich auch Schwierigkeiten gezeigt. Die Methode soll Künstler_innen während des Entstehungsprozesses ein Feedback geben. Am Festival haben wir aber mehr oder weniger fertige Produkte gesehen. Möchte man da nicht auch mal direkt und ganz konkret erfahren, was beim Publikum wie angekommen ist?
An den Nachgesprächen, die den Aufführungen direkt folgten, wirkte manches wie ein Aufschub, eine Gesprächsvermeidung. Auf einmal drehte sich die Diskussion zehn Minuten um Youtube, weil eine Produktion mit Clips gearbeitet hat. Ein andermal wiederholen sich die Voten im Ungefähren. Das lag allerdings, so vermutete ich an meinem Werkstattgespräch als Observer, weniger an der Methode als am ungeklärten Status der Moderation. Sollte diese sanft eingreifen, ein verheddertes Votum auch mal kurz zusammenfassen und klarer in die Diskussion zurückgeben? Oder an die Aufgabenstellung erinnern? Manche Runden sind relativ offen und mit «what worked» (was für mich funktioniert) oder «gossip round» (Klatschrunde) betitelt. Ein Tool hingegen verlangt, die eigene Position genau zu benennen und dann einen Mangel positiv zu beschreiben. Das Tool heisst «Perspectives» und geht zum Beispiel so: «Als Zuschauer brauche ich…», oder «als Mitspielerin brauche ich…». Es geht um Ideen, wie die Inszenierung verbessert werden könnte. Allerdings habe ich diese Sätze nicht ein einziges Mal so in diesen Runden gehört.
Jede formalisierte Methode kann wieder in den Hintergrund treten, wenn man sie sich einmal angeeignet hat. Dann werden die Gespräche wieder freier. Beeindruckend war aber schon jetzt, wie ernsthaft die Studierenden versucht haben, die in der Vergangenheit irrgeleiteten Diskussionen zurück in konzentrierte Bahnen zu lenken. Blosse Befindlichkeiten («ich fand es irgendwie so und so…») hat man an den Nachgesprächen am Festival kaum gehört. Das ist ein massiver Fortschritt im Vergleich zu vielen Diskussionen, wie ich sie im Theaterbetrieb kenne. Ob mit oder ohne Methode jedoch: Die Moderation muss mehr tun als die Zeit zu stoppen.
Gespräch der Generationen
Am Schluss des Werkstattgesprächs wage ich eine These, mehr eine Frage eigentlich, welche die Studierenden als Generation betrifft. Ich frage biografisch von weit weg, in der Regel zwanzig Jahre liegen zwischen uns. Mir fällt auf, dass fast alle Arbeiten den Kontakt zum Publikum suchen. Manchmal muss man mitmachen, mal gehen die Spieler_innen in die Sitzreihen, mal thematisiert die Bühne stark die Spielfläche, fast immer richtet sich die Bühnenrede direkt in den Zuschauerraum. Ist das eine Art Default, eine Grundeinstellung, oder entscheiden sich die Arbeiten bewusst dafür? Und ist diese Form der Publikumsansprache nicht längst problematisiert? Sind wir nicht umzingelt von Werbung, die uns direkt als Konsument_innen anspricht? Müssen wir nicht auch bei der Arbeit unablässig irgendwo mitmachen, teilhaben, partizipieren? Kreativ sein? Kann es sein, dass diese künstlerischen Strategien sich verschoben haben, von einer grenzüberschreitenden, befreienden Methode hin zu einem Mainstream, der uns vom Nachdenken abhält, weil er uns zum Handeln drängt?
Jetzt regt sich Widerstand in der freundlichen Runde. Man will sich nicht als Generation in ein Bild zwängen lassen. Und nein, die Ansprache des Publikums wollen manche nicht jedes Mal neu verhandeln. Die Distanz zwischen uns wird deutlich. Die Fragen waren ernst, und doch war die Provokation mitgemeint. Um zu sehen, was passiert, wenn keine Methode zur Hand ist, um Differenz in Harmonie zu überführen.
Videokommentare zum Werkstattgespräch des Observers:
Magda Drozd (Festivalteam, Zürich)
Lea Schregenberger (Festivalteam, Zürich)
Steffen Link (Schauspielstudent, Bern)
http://vimeo.com/77990526
Sonja Risse (Studentin, Giessen)
Tobi Müller (Observer-in-Residence)
1 response so far ↓
tobimueller // Okt 14th 2013 at 15:41
Grosser Dank an Angela Wittwer für die Fotos und die Videos!
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