Das Dittinghaus an der Hafnerstrasse, diese leicht abgerockte Immobilie im Hochpreisgebiet Kreis5, ist Schauplatz einer Ausstellung. Auf drei Stockwerken wuselt es, blinkt und klingt. Und es riecht auch, weil eine Küche aus Abfall funkelndes Essen formt und serviert. Man möchte es Midas-Stübli nennen, nach König Midas, der aus Scheisse Gold schuf. Aber das wäre falsch, denn die weggeworfenen Waren waren ja gerade nicht verdorben. Meine Nase reagiert nur deshalb selbst im dritten Stock sensibel, weil ich mit einem Magenvirus kämpfe, der mit der Kochkunst von Lauren Wildbolz, Studentin Master Transdisziplinarität, nichts zu tun hat.
Viel zu tun hat die Hi-Lo-Cuisine aber mit einer Struktur, die mir in diesen zwei Tagen immer wieder begegnet: Es ist der Dialog verschiedener Fertigkeiten, Stile, Sprachen – innerhalb eines Werkes selbst. Abfall und Sushi, laienhafte und virtuose Körper, avancierte Bilder und Teenagerlyrik, Kontrollverlust und Partitur: Diese Polaritäten geistern durch meine zwei langen Hausbesuche. Heisst Transdisziplinarität (langsam lesen, dann geht es besser: Transdisziplinarität), heisst Transdisziplinarität am Ende vor allem, dass ein Kunstwerk verschiedene Standpunkte aufzeigt und zur Achtsamkeit auffordert?
Die Ausstellung heisst «Showroom Z+: Darstellungsformate im Wandel» und bespielt fast alle Räume des Hauses, auch die Büros von Z+, wo die Spezialististinnen der Transdisziplinarität arbeiten, denen ich als Observer unterstellt bin. Gezählt habe ich 19 Showbeiträge, von Studierenden aller Departemente der ZHdK, nach zwei Tagen war alles schon wieder vorbei. «Krasser Aufwand», sagen die Szenografinnen Julia Nussbaumer und Manuela Benz am Samstag nach unserm Werkstattgespräch. Sie müssen nun alles schon wieder abbauen.
Der blaue Teppich: Leitsystem und Intervention
Nussbaumer und Benz bespielen das ganze Haus mit blauem Teppich. Er führt zum einen durch die Räume, als Leitsystem. Zum andern greift er unweigerlich in die ausgestellten Arbeiten ein. Zuerst dachten sie an zwei verschiedene Farben: eine für das Leitsystem am Boden, eine für die Bezugnahmen auf die Kunstwerke. «Doch das wurde zu dominant, gerade in einer Umgebung, in der visuell bereits sehr viel passiert», sagen die beiden. Blau haben sie gewählt, weil das eine Farbe ist, die neutralisiert. Immerhin: Es ist ein überaus knalliges Blau, wie Angeli Sachs im Gespräch anmerkt, Leiterin der Studienvertiefung ausstellen & vermitteln des Master in Art Education. In Erinnerung bleiben mir vom Leitsystem gerade jene Momente, in denen der Teppich plötzlich abbricht. Man steht dann wie vor einer Schwelle und überlegt kurz, ob und allenfalls wo es weitergeht, und sei es mitten in einem Raum. Als hätte der Fehler (Abbruch) das System erst kenntlich gemacht.
Im ersten Stock trennt der Teppich einen ganzen Raum. Fenster sind ausgeschnitten, Türen. Die Aufführung von «Die Flötisten» von Ivan Denes spielt damit, wenn eine Solosonate von C.P.E. Bach, dem berühmtesten Sohn des Alten, einmal auf zwei Flöten verteilt wird und sich die Musikerinnen dabei nicht anschauen können. Ein derart intensiver Eingriff ist abgesprochen zwischen Szenografie und Regie. Denes hat die Arbeit schon im Museum Bellerive gezeigt, doch es ging dem Team nicht um eine genau Wiederholung Der Teppich simuliert im Dittinghaus eine Raumtrennung, die fragil bleibt. Es stehen Stühle herum, Kopfhörer mit MP3-Playern liegen auf einem Tisch. Und ein paar seltsame Apparaturen kommen im Verlauf der Aufführung zum Einsatz: Eine Flötistin trägt so etwas wie Sonden an ihren Fingern, vor ihr baumelt eine Folie, nur leise hört man, was sie spielt. Später dreht sich eine kleine Maschine, die aussieht wie eine Mini-Stalinorgel, mehrere kurze Rohre, aus denen, ebenfalls sehr leise, das Stück herausweht. Im Werkstattgespräch finde ich heraus: Sowohl die Folie wie die Rohre sind Lautsprecher. Hat es jemand bemerkt? Denes weiss um die technischen Schwierigkeiten. Und sagt lachend, ich sei einer von nur zwei Zuschauern gewesen, die auch mal die Kopfhörer aufgesetzt haben.
Die Partitur bleibt intakt
Ich schaue mir «Die Flötisten» zwei Mal an, an zwei Tagen. Das Publikum sitzt meistens, traut sich nicht zu wandeln, was Denes möchte, um den verschiedenen Interpretationen im Raum zu begegnen. Kurz vor Ende der Inszenierung gibt es eine klassische Aufführungssituation, eine Flötistin spielt frontal das unversehrte Stück. Das Ganze ist eine Variation auf konzertante Situationen, auf Schallquellen, auf Klangmöglichkeiten. Prekäre Klangqualität und räumliche Aufteilungen welchseln sich mit perfekten Settings ab. Hier tritt die eingangs erwähnte Struktur wieder zutage: Verschiedene Qualitäten und Virtuositäten im selben Kunstwerk lenken den Fokus umso stärker auf das Format der Darstellung. Aber etwas weniger auf das Dargestellte selbst, denn die Partitur bleibt unangetastet.
Im Gespräch rege ich an, ob man das Publikum stärker hätte leiten können, zum Beispiel mit einem inszenierten Zuschauer, der oder die eingreift in das Geschehen. Oder mit Verstärkungen, um die Maschinen als alternative Lautsprecher klarer markieren zu können. Oder mit Fehlern im Vortrag, mit Irritationen wie dem Abbruch der Partitur. Patrick Müller nickt. Er ist Studiengangleiter Master Transdisziplinarität und Mentor diverser Projekte, die am Showroom gezeigt wurden. Und lobt dennoch das Beharren von Denes, die Versuchsanordnung gerade ohne Dekonstruktion der Partitur durchzuziehen. Vielleicht hätte gerade der Angriff auf das Stück selbst zu vielen Erwartungen entsprochen. Man wartet darauf, und es geschieht nicht – auch das kann Spannung erzeugen. Aber mit der Bequemlichkeit der Zuschauer muss man wohl anders umgehen, ein Stuhl ist ein Stuhl und zum Verharren da.
Und ein Monitor ist ein Monitor. Im Erdgeschoss stehe ich später in einem Nebenraum auf einem blauen Rund – ein Podest, eine Bühne, eine Spielfläche? Auf mehreren Fernsehern läuft zum einen die Aufnahme einer Performance, «Stokes» von Benjamin Egger, umrahmt von Videos der queer culture wie Divine oder Antony Hegarty von Antony & the Johnsons. Am Regal hängen bunte Ganzkörperanzüge, die im Video zu sehen sind, in einer andern Ecke stehen ein paar Requisiten. Muss ich was machen – spielen, mich umziehen, Divine imitieren?
Der Bildschirm als Ende der Darstellung
Die Grenzen der Darstellungsformate sind mit solchen Videos sofort erreicht. Eine Kamera auf Stativ filmt in der Regel eine Totale. Das tut sich niemand lange an, das geht allenfalls für Dokumentationszwecke in Ordnung. Auch das Setting im Ausstellungsraum wirkt zufällig. Ähnlich geht es mir zwei Stockwerke höher, als man einer weiteren Aufzeichnung einer Aufführung folgen soll, daneben im Raum noch einmal dasselbe, ausser dass der Bildschirm von einem blauen Teppichrund eingezäunt wird . «Oben sitzt ein Affe» heisst die Installation von Sandra Knecht, und obwohl das Video sogar weit über die Qualtität einer Dokumentation hinausgeht, mag ich nicht lange vor einem Computermonitor stehen bleiben. Iven Denes hat den Teppichzaun übrigens ziemlich kreativ verstanden: Er dachte, es handle sich um einen Kindersichtschutz, da es im Video nicht immer jugendfrei zu und hergehe! (Nachtrag: Sandra Knecht weist mich über ein soziales Netzwerk darauf hin, dass «Oben sitzt ein Affe» eine eigenständige Videoarbeit sei, und also nicht eine Dokumentation, was ich im Text oben selbst auch vermute. Allerdings: Aufgrund des Programmtextes kann man durchaus von einer Nähe zwischen Bühnenarbeit und Video ausgehen)
Haben die Szenografinnen in diesen Fällen auf fertige Kunstwerke reagiert, oder wie gestaltete sich der Austausch? Tatsächlich ist man in einzelnen Fällen erst von performativen Elementen ausgegangen, sagen Manuela Benz und Julia Nussbaumer. Und plötzlich blieb nur das Video übrig.
Auch eine kurze Live Performance schlägt jedes Proben- oder hastig aufgenommene Aufführungsvideo, wie man in «Sharing Duets» von Nicole Brabandere und Stefanie Mrachacz sieht. Die Ankündigung sagt: «Sharing Duets stellt Alltagschoreografien wie den Gebrauch eines Geschirrstücks oder eines Zahnstochers als dynamische, kollektiv nutzbare Prozesse nach.» Mag sein. Ich sehe zwei Performerinnen mit völlig unterschiedlichen Qualifikationen, die fast intime Duette tanzen, unter grosser Anstrengung, mit extremer Aufmerksamkeit füreinander. Der eine Körper ist super gespannt und trainiert, den anderen kostet es mehr Anstrengung. Das Gefälle ist interessant, weil es leere Virtuosität vermeidet. Hier kommen zwei Dinge zusammen, die nicht oft zusammenkommen, und das Resultat ist eine erhöhte Konzentration auf die Sache selbst. Wie man es macht, trotzdem macht, ja: besser macht dadurch. Erst der Sand verrät das Getriebe.
Die Tendenz zur Livesituation
Ähnlich geht es mir im Film «Giù e su», in dem die Regisseurin Corina Zünd ihre zehn Jahre als Nachtzugbegleiterin umsetzt. Mit einer Audiospur aus wenigen Interviews und einem Kommentar, Fotos, wenig Videos und einigen SMS aus dem Zug. Den Zug gibt es nicht mehr, die Ton- und Geräuschaufnahmen, selbst die Gespräche hat sie alle nach dem Ende aufgenommen. Es ist eine Nachgeschichte, keine Reportage. Auch das lenkt die Aufmerksamkeit sanft auf die Dramaturgie. Und auch hier gibt es ein interessantes Gefälle: Die Kurzmitteilungen aus dem Zug sind etwas kitschumflort. Vielleicht textet man so nach einer durchwachten Nacht, am Morgen danach, wie Angeli Sachs sagt in der Werkstatt. Sachs fand vor allem jene Situationen gewinnbringend im Showroom, bei denen man mit den Künstlerinnen ins Gespräch kommen konnte, die immer in der Nähe ihrer Arbeiten waren.
Die Darstellungsformate wandeln sich immer gleich noch einmal, wenn die Darsteller oder Urheberinnen selbst ins Bild rücken. Der Wandel tendiert, wenn man das in eine Klammer fassen will, vor allem zur Livesituation. Fast alle Künste werden performativ, müssen sich physisch in Umlauf halten und Präsenz erzeugen. Dazu gibt es viele Gründe, es ist ein grosses Fass: Die monetäre Entwertung des digitalen Kunstwerks wertet die flüchtige Präsenz auf, auch die Nähe zu den Produzierenden und deren «Authentizität». Oder wir haben einfach immer weniger Lust, unsere Zeit nach der Arbeit vor einem Computer zu verbringen. Unplugged ist das neue online. Unten riecht es jetzt nach Randen, Rote Bete, Beet. You name it.
Videostatement Julia Nussbaumer, Szenografin:
Videostatement Manuela Benz, Szenografin:
http://vimeo.com/88874896
Videostatement Ivan Denes, Flötist: