Interview mit Helgard Haug und Daniel Wetzel von der Gruppe Rimini Protokoll
Der Showroom Z+ hat sich in 18 Positionen und darunter fünf performativen Beiträgen mit «Darstellungsformaten im Wandel» befasst. In der Beobachtung stellte ich als Observer-in-Residence einige Fragen nach der Dokumentation von performativen Arbeiten. Mit Helgard Haug und Daniel Wetzel, zwei von drei Köpfen der weltweit erfolgreichen Gruppe Rimini Protokoll, habe ich in Berlin solche Fragen weiter erläutert.
Wann habt ihr angefangen, eure Projekte zu dokumentieren, und wie?
Daniel Wetzel: Unsere ersten 10 Jahre sind komplett undokumentiert. Das sind bestimmt 24 Projekte, die wir damals – noch vor der Gründung von Rimini Protokoll mit dem Schweizer Stefan Kaegi – zusammen mit Marcus Dross realisiert haben.
Helgard Haug: Das stimmt so nicht! Die Projekte sind zwar nicht auf Video dokumentiert. Aber sie sind hervorragend in Büchern festgehalten!
Wetzel: Stimmt, den Schuber können wir dir zeigen.
Haug: Wir haben richtige Bücher gemacht früher!
Wie geht ihr die Dokumentation heute an, wenn die Arbeit bereits viel Videomaterial enthält?
Haug: Man denkt sie früher mit. Bei «Situation Rooms» zum Beispiel, einer Arbeit, bei welcher die Zuschauer_innen mit Kopfhörern und Bildschirm in der Hand durch Räume wandern, ist das Bild überpräsent. Es war ein Zufall, dass eine Filmemacherin beim Aufbau mit dabei war und sich für eine Dokumentation interessiert hat. Sie sagte: Ich bin dabei, ich beobachte euch, ich spreche auch mit den Leuten. Damit ermöglichte sie einen zweiten künstlerischen Blick auf den ganzen Abend. Wir haben uns entschieden, in der Dokumentation nicht nur die Videobilder zu zeigen, die das wandelnde Publikum sieht, sondern auch das Publikum selbst, wie es den Raum erlebt. Man klemmt sich also an die Schulter eines Zuschauers, schneidet ihn an und so sieht man, was er sieht, durch dessen Augen.
Und dann gibt es auch noch eine Totale, so dass man die Situation sieht?
Haug: Ja, es gibt mehrere Kameras, eine Totale, Gegenschnitt. Für eine Dokumentation werden mehrere Durchgänge eines Abends besucht..
Das klingt nach einem eigenständigen Kunstwerk. Und geht in Richtung Film?
Haug: Ja, dahin geht es…
Wetzel: Nicht immer. Es gibt verschiedene Ansätze. Entweder man macht etwas komplett Filmisches, wo man tagelang dreht, wie die Theaterverfilmungen der alten Schaubühne unter Peter Stein (zum Beispiel «Sommergäste»). Oder wie die Aufnahmen von 3sat zum Berliner Theatertreffen. Dann kommen die mit dem Übertragungswagen, schauen zwei ganze Proben an. Und dann folgen die aber auch der Logik ihres Apparats. Im Theater darfst du am Anfang langsam sein. Im Fernsehen nicht, hat man uns erklärt, da muss es vor allem am Anfang voll abgehen. Nachlassen darf das Tempo dann eher gegen Ende.
Christoph Schlingensiefs «Kirche der Angst» war ein gelungenes Beispiel, wie das Fernsehen eigene Mittel finden kann, einen Theaterabend einzufangen. Auf der Bühne waren auch Handkameras, es gab viel Bewegung, und man hat fast 45 Minuten rausgekürzt. Das war klar eine filmische Fassung…
Wetzel: Das haben wir einmal gemacht, als wir mit «Wallenstein» zum Theatertreffen eingeladen waren. 3Sat hat uns eingeladen, eine einstündige Version des Stücks zu machen, wir wollten aber auch den Mitschnitt. «In Ordnung», hiess es, «dann zeichnen wir eine Aufführung auf und ihr kriegt für drei weitere Tage eine Fernsehkamera. Um den Rest müsst ich euch selber kümmern.» So haben wir mit den Darstellern während des Aufbaus vor den Aufführungen Material gedreht, aus dem wir dann einen super Fernsehfilm gedreht haben, der aber nur ein einziges Mal lief. Wir hatten den Fehler gemacht, uns Senderechte in den Vertrag schreiben zu lassen.
Haug: Ich erinnere mich an die Gespräche mit der Redaktion: «Wir wollen jetzt aber mal die privaten Räume der Leute sehen!» Im Vorfeld casten wir diese interessanten Menschen, und sie erzählen auf der Bühne aus ihrem Leben. Und das Fernsehen will dann alles nochmal in der Retrospektive erzählen, unsere Spieler nochmal zu Hause besuchen! Ich konnte das gar nicht glauben.
Das heisst: Man muss schon bei den Proben mitdrehen, um einen Mehrwert zur reinen Dokumentation der Bühne zu schaffen?
Haug: Wenn man den Nerv hat, ja! Wenn man den Blick von aussen noch aushält, wenn man das Team toleriert. Bei «Qualitätskontrolle» haben wir an den Rollstuhl der Protagonistin eine GoPro-Kamera geschnallt. Die Protagonistin wird dann zur Kamerafrau, und als Zuschauer sieht man das Stück aus ihrer Perspektive. Das fand ich eine gute Idee.
Wetzel: Der Audiomittschnitt ist für uns wichtiger, weil wir fast jedes Mal hinterher ein Radiostück bauen. Das ist nicht ganz einfach, beispielsweise der Verlag dachte: Es gibt ein Basiskunstwerk, das Theaterstück, und dann gibt es subalterne Arbeiten, die dazugehören, das wäre dann das Hörstück. Das ist ein Sechzigerjahredenken. Wir verwerten ja nicht die Audioaufnahmen des Probenprozesses, sondern überlegen uns aufgrund dessen nach der Premiere, wie es ist, wenn man etwas nur hört? Und wir treffen uns in diesen Fällen mit den Beteiligten mit etwas zeitlichem Abstand und greifen das Erarbeitete nochmal auf, ohne Zuschauer.
Haug: Genau, da können dann auch neue Leute dazukommen, andere Stimmen können wegfallen, es gibt eine neue Dramaturgie. Eine neue Erzählstrategie. Das ergibt eigenständige Arbeiten, die das Material in anderer Weise einfangen. Dieser Medienwechsel von Bühne zu Radio bringt meistens mehr als die blosse Anfertigung eines Videos. (Alle Hörspielproduktionen von Rimini Protokoll gibt es hier vorzuhören und zu erwerben.)
Wetzel: Die Hörspielredaktion hat immer Angst, dass es sich um Zweitverwertungen handelt, dabei ist es für uns eigentlich der Höhepunkt einer Arbeit.
Es ist also für euch normal, dass man aus einem Projekt mehrere Dinge macht? Und das Denken in mehreren Kanälen bestimmt auch die Proben mit?
Wetzel: Nein, das nicht. Bei gewissen Projekten haben wir die Leute zwar verkabelt, aber eher, um Konzentration herzustellen und um für die Arbeit am Text nichts zu verpassen. Aber das machen wir nicht mehr. Manchmal nehmen wir informelle Gespräche verdeckt auf, um die Situation nicht zu beeinflussen. Das hilft uns, manches genauer zu rekonstruieren. Aber danach werden diese Aufnahmen gelöscht.
Haug: Oder man macht sich stattdessen Notizen. Aufnahmen sind oft nur ein Ersatz für Buch und Bleistift. Klar ist es interessant, bei einer Probe Fotos zu machen. Aber nach der Premiere gibt es einen Zustand, der viel stärker ist, um aus dem Material noch einmal etwas Neues zu formen. Nur so nebenher während der Proben sind die Resultate schwächer. Man kann nicht gleichzeitig auf fünf Kanälen denken, das kommt nicht gut.
Was in Zürich beim Showroom Z+ gut funktioniert hat: leibliche Präsenz, also wenn entweder Arbeiten performativ, live gezeigt wurden oder die Künstler_innen für ein Gespräch anwesend waren.
Wetzel: Wir geben eher Lectures. Aber unser Vimeo-Kanal ist sehr voll! Für eine Gruppe wie etwa die Wooster Group sind die Verkäufe von DVDs ihrer Produktionen relevant, um weiterarbeiten zu können. Das ist der amerikanische Markt. Eine DVD einer Produktion kostet da um die 350 oder 400 Dollar, das Box-Set bekommt man für 1.250 Dollar, letzten Monat waren es noch 1.000. Und gewisse Arbeiten der Wooster Group, etwa aus den Achtzigerjahren, sind ja total wichtig. Wir aber sind mit öffentlichen Mitteln gefördert. Da muss man Produktionen zugänglich machen, gerade bei den grossen Theatern, die teilweise auch bei uns recht viel Geld für den DVD-Verkauf verlangen. Bei denen geht es oft um die Rechte der Schauspieler, die bei unseren Leuten selten das Problem sind. Die freuen sich meistens, wenn sie noch woanders, auf DVD, zu sehen sind.
Wollen eure Performer eigentlich in die Dramaturgie eingreifen?
Wetzel: In der Regel wollen sie das nicht. Sie machen Angebote, ja, aber die Sicht von der Bühne herab ist einfach eine sehr andere als von vorne, vom Regiepult aus. Die meisten Performer sind tatsächlich einfach sehr gespannt, was bei dem Projekt herauskommen wird. Das betrifft auch die Dokumentation. Da ist zentral, dass ein Projekt seine Dokumentation mitdenkt und dabei aber nicht den Medienwechsel verkennt, der ein anderes Denken erfordert. Bei anderen Projekten, wo wir den Medienwechsel nicht erheblich finden, ist die Dokumentation nur so etwas wie ein Abstrich. Das Video unserer Arbeit «Qualitätskontrolle» ist sehr schön geworden, aber es ist ganz klar sekundär zur eigentlichen Arbeit. Während das Radiostück dazu eine eigenständige Arbeit ist.
Haug: Ich habe aber grosses Verständnis für Theaterprojekte, die die Dokumentation nicht gleich mitdenken können. Weil es die Arbeit verändert, weil es Konzentration abschöpfen kann. Die ersten Schritte können auch anders aussehen.
Wetzel: Siehe unsere ersten zehn Jahre! (lacht)