Tobi Müller: Observer-in-Residence ZHdK

Diplomausstellung Bachelor Medien & Kunst, Vertiefung Mediale Künste (VMK), Sihlquai 131, Arbeit: «Das Kollektiv» von Janka Stemmle und Studierenden der VKM

8. Juni 2014 · Keine Kommentare

Die Rush Hour der Diplomvernissage wollte ich vermeiden. Tags darauf – Ende Mai, kurz nach der Mittagszeit – teile ich mir die Diplomausstellung einzig mit den studentischen Aufsichtspersonen. Gleich mehrere Abschlussarbeiten der Vertiefung Mediale Künste senden akustische Signale – einige direkt in den Raum, andere über Kopfhörer. Die Ruhe kommt deshalb gelegen. Dennoch verirre ich mich, stehe im zweiten Stock vor den zwei Arbeiten von Janka Stemmle und rätsle über den Titel «Das Kollektiv». Ist das wirklich die Arbeit, die Gegenstand unseres Werkstattgesprächs sein wird? Man findet, was man sucht, und ich notiere hastig zwei Seiten zum Thema, während ich zuhöre. Aber auch in der Bildenden Kunst, wo man sich nicht gerne festlegt, kann man in diesem Fall klar sagen: Ich liege falsch. «Das Kollektiv» befindet sich ein Stockwerk tiefer. Keine Schildchen verweisen auf die Arbeiten. Wir sind in Zürich, Reich des Minimalen, home of supertrocken.

Ah, ein Plan. Und eine weitere Aufsichtsperson. Im ersten Stock, gleich nach dem Eingang, hängen 12 Kopfhörer. Das ist die Arbeit, um die es geht: «Das Kollektiv», wie soll man sagen: kuratiert von Janka Stemmle? Denn eigentlich sind es 12 verschiedene Statements, genauer: Artist Statements, oder auch Artist’s Statements, wie die Selbstbeschreibungen heissen, die Künstlerinnen und Künstler in ihren Portfolios, auf ihren Websites oder an Galeriewänden veröffentlichen. «Das Kollektiv» spielt mit diesem Format, weil es mit mehreren Konventionen dieser Textsorte bricht (wie bewusst oder unbewusst, werde ich erst später erfahren). Zuerst: Hier herrscht die mündliche Rede, nicht die Schrift. Dass diese Rede direkt in die Ohrmuschel schleicht, betont die Intimität noch weiter, im starken Gegensatz zur distanzierten, jargonhaften Sprache der in der Regel schriftlichen Statements. Dann: Niemand beschreibt konkret, wie er oder sie künstlerisch arbeitet, wie das Kunstwerk aussieht, warum man mit welchen Themen, Stoffen, Materialien arbeitet. Ist das Absicht?

Manifeste, aber keine Namen

Die Statements klingen enorm unterschiedlich, aber sie tendieren alle zum Manifest. Ein paar Textbeispiele aus der Erinnerung und aufgrund meiner Notizen: Kunst ist Ekstase; ich arbeite mit aktuellen Beobachtungen, fast dokumentarisch; Kunst ist ein Zustand, nicht ein Produkt; mich interessieren die Perversionen einer Gattung; meine Arbeit nimmt einen Anfangspunkt und führt irgendwo hin. Spätestens Letzteres lässt auch die Möglichkeit der Parodie zu, die zweimal in den Vordergrund rückt, wenn wir statt eines Statements nur Vogelgezwitscher hören, einen analogen Tweet sozusagen, und wenn eine Studierende auf Amerikanisch eine Website vorstellt, die automatisierte Artist Statements verfasst, die vor Jargon und heisser Luft schier platzen. Das ist sehr lustig. Eine zentrale Verschiebung ist sicher, dass die Künstlerinnen und Künstler ihre Namen nicht nennen, ausser in einem Fall, wenn ich mich richtig erinnere (aber da hatte ich den Namen eh nicht verstanden). Eine Zuordnung zu den auf zwei Stockwerken ausgestellten studentischen Arbeiten ist nicht möglich. Wäre sportlich gewesen, oder? Ein Abgleich mit den mitunter wolkigen, mal witzigen, mal geerdeten, mal einsam drehenden Gedanken zur Kunst im Allgemeinen?

Dies und mehr frage ich die Runde tags darauf, als wir mitten im Kopfhörer-Wald sitzen. Es sind Studierende da, zwei Unterrichtsassistentinnen, zwei Besucherinnen, keine Dozierenden. Um nach den einleitenden Beobachtungen das Eis zu brechen, versuche ich, eine einfache Vermutung zu verifizieren: Haben alle selbst gesprochen, oder gibt es auch Fremdstimmen, Schauspielerinnen? Nebst dem Vogelgezwitscher natürlich, und abgesehen von einer stark verfremdeten Stimme (ausgerechnet jene, die über das Dokumentarische spricht – klassische Ironie). Im Gespräch zeigt sich: Zwei haben nicht selbst gesprochen. Eine Studierende erklärt, sie habe mit ihrem Statement an die gesamte Studienzeit der letzten drei Jahre erinnern wollen, nicht an ihre Arbeit im Speziellen. Deshalb habe sie es angemessener gefunden, wenn jemand anders spricht als sie. Von einem andern Sprechertausch wird indirekt berichtet: Eine Frau, die in ihrem Statement das Thema Gender streift, hat ergo einen Mann sprechen lassen. Ergibt alles sehr viel Sinn. Nur merkt es keiner, der die Klasse nicht kennt und somit diese «Umbesetzungen» auch nicht mitkriegen kann

 Geronnene Studienzeit

Doch das wiederkehrende Argument liegt damit ausgebreitet vor uns. Es steht ja bereits im Titel: «Das Kollektiv». Bewusst habe man vermieden, auf die einzelnen Arbeiten zu verweisen. Das sei gerade kein Portfolio, keine Arbeitsmappe, die hier von der Decke hängt. Sondern – ich schreibe jetzt wieder in der Paraphrase, so hat das niemand gesagt, glaube ich – eher so etwas wie geronnene Studienzeit. Man redet deutlich mehr als man zum Schreiben aufgefordert wird in diesem Studiengang, höre ich mehrmals. Auch dies führt zur Mündlichkeit der Statements in den Kopfhörern. Hier halte ich etwas entgegen: Es gibt viele Markierungen im 19-minütigen Audioloop, die gerade den Unterschied betonen. Manche sprechen sogar Schweizerdeutsch, andere Englisch, auch Hochdeutsch. Einer spricht sehr lang, andere sehr kurz. Der Dialekt wird in Schutz genommen – als etwas Persönliches, Unmittelbares Janka Stemmle hat letztes Jahr ein Austauschsemester in Barcelona verbracht und gemerkt nach all den Jahren in Zürich, wie zentral die eigene Sprache in der Auseinandersetzung mit der (eigenen) künstlerischen Arbeit sei. Und sie habe bewusst die Sprache und auch die Länge der Statements offen gelassen.

Ein paar Meter weiter liegen die Portfolios des Abschlussjahrgangs auf einem Tisch. Am Tag nach unserm Gespräch haben einige noch Prüfungen. In den letzten Monaten hatten sie wenig anderes zu tun, als ein Bild, eine Idee von ihrer Kunst zu entwerfen, wer weiss: ein Bild von sich. Ich glaube, die Audioarbeit von Stemmle und Co. ist vor diesem Hintergrund zu sehen: als Gegenbewegung. Nicht als Betonung von Autorschaft, die an einer Prüfung zählt, sondern als Spur eines gemeinsam gegangenen Wegs. Hier muss wenig vermittelt werden, sondern darf auch mal in der Luft hängenbleiben. Es sind Postkarten, die man sich selbst geschrieben, gesprochen hat. Nun hängen sie, die Kopfhörer, wie Vögel in der Luft: Brieftauben, Eulen, Papageien?

 

«Das Kollektiv»

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