Im Anschluss an das studentische Theater-Austausch-Festival Hilde an der Sihl sprach der Observer-in-Residence mit Yvonne Büdenhölzer, seit 2012 Leiterin des Berliner Theatertreffens, über das Format Theaterfestival wie auch über Formen von Partizipation und Kritik im Theater. Ob beim studentischen Festival Hilde an der Sihl in Zürich oder beim Berliner Hochglanzfromat: Die Fragen nach Struktur und Publikumsansprache sind ähnlich. Im Gespräch überlegt sich die Yvonne Büdenhölzer gar, etwas von Hilde an der Sihl für ihre Zwecke zu adaptieren.
Büdenhölzer hat viel Erfahrung mit Theaterfestivals. 2005 übernahm sie den Stückemarkt, ein Wettbewerb für Neue Texte innerhalb des Berliner Theatertreffens, das sie seit 2012 leitet. Gleichzeitig zum Stückemarkt hatte sie auch die Leitung der Theaterbiennale in Wiesbaden inne. Mit dem Theatertreffen ist Büdenhölzer im Herzen des deutschsprachigen Bühnenbetriebs angekommen.
Tobi Müller: Welche Rolle spielt ein Festivalzentrum? Braucht man überhaupt eines?
Yvonne Büdenhölzer: Absolut, ein Festivalzentrum ist wichtig. Ich finde es zwar nachvollziehbar, dass die Studierenden in Zürich ihr Zentrum ausserhalb der Schule etabliert haben. Für ein grosses Festival mit einem eigenen Theaterhaus als zentralen Spielort
wie bei uns wäre das allerdings kontraproduktiv. Da muss man das Zentrum ja gerade im Theater selbst behaupten.
Warum ist das so wichtig?
Ein Festivalzentrum vermittelt eine Atmosphäre, bildet Erlebnisräume, die viel transportieren können. Das Theatertreffen hat eine lange Geschichte mit Festivalzentren. Viele Besucher denken noch immer an das Spiegelzelt. Dieses alte Spiegelzelt stand früher an unterschiedlichen Orten in der Stadt, oft vor dem Schillertheater, auch vor dem Deutschen Theater und anderen. Da ist viel Nostalgie dabei, wenn sich Zuschauer das Spiegelzelt in diesem Jahr zurück gewünscht haben, als wir 50 Jahre Theatertreffen feierten. Für ein zeitgenössisches Festival in Berlin im 21. Jahrhundert finde ich persönlich dieses Zelt aber zu altmodisch und zu hermetisch. Es hat nicht die offene Atmosphäre, die ich mit dem Theatertreffen vermitteln möchte. Das Spiegelzelt gab es aber schon bei meiner Vorgängerin, Iris Laufenberg, die heute in Bern das Schauspiel im Stadttheater leitet, nicht mehr.
Ein Festival braucht ein Zentrum, wo man alles zusammenziehen kann. Wo immer etwas stattfindet, am liebsten von morgens bis nachts. Wir werden das beim Theatertreffen verstärken und künftig in drei zeitlichen Strukturen programmieren: Tag, Abend, Nacht. Tagsüber sollen Workshops, Lectures, Open-Space-Formate etc., wie sie zum Beispiel beim Internationalen Forum des Theatertreffens (früher: Internationales Forum junger Bühnenangehöriger) praktiziert werden, im Festivalzentrum stattfinden, und nicht mehr weit weg im Stadtteil Wedding wie in den letzten Jahren.
Am Theatertreffen inszeniert Ihr die Räume stark, und fast jedes Jahr anders. Die Berliner Festspiele sind jeweils kaum wiederzuerkennen.
Ja, ich arbeite seit zwei Jahren mit der Künstlerin, Architektin und Bühnenbildnerin Heike Schuppelius zusammen. Die Aufgabenstellung lautete etwa so: Schau dir das Haus an und überlege, was man tun kann, um bestimmte Atmosphären herzustellen, sprich: Kommunikationsorte, Erlebnisräume für unterschiedliche Temperaturen und Räume für Formate wie Diskussionen, Publikumsgespräche, Konzerte, Premieren. Ich sehe ein Festival immer als Gesamterlebnisort. So stehen im Foyer nun diese grossen Holztreppen. Sie sind nicht zu übersehen, da kann man verweilen. Ich übergebe dort auch die Trophäen an die Regisseure der eingeladenen Inszenierungen, dann werden die Treppen auf denen in der Pause noch die Zuschauer sassen zu «Siegertreppen» für die Künstlerinnen und Künstler. Für das 50. Jubiläum haben wir vor das Festspielhaus einen riesigen Festplatz gebaut, eine Plaza mit Bar und Bänken und einem öffentlichen Bücherschrank. Den schönen Garten im Innenhof müssen wir gerade wegen Lärmproblemen nach 22 Uhr schliessen. Und so überlege ich mir, die Kassenhalle zur Raucherlounge zu erklären. Gerade Künstler rauchen ja gerne, da muss man ein Angebot schaffen, dass nicht alle ständig rein- und rausgehen durch Lärmschleusen, das ist schrecklich umständlich. Und verunmöglicht genau das, was man versucht hat herzustellen: nämlich einen Kommunikationsort. Künstler nehmen stark wahr, wie ein Haus zu ihnen spricht, was es ausstrahlt. Von der Kassenhalle bis in die Garderoben. Also: Festivalzentrum, total wichtig!
Hilde an der Sihl, das studentische Austausch-Festival, das hier im Blog Thema ist (s. unten), hat eine Feedbackmethode ausprobiert. Ich sehe übrigens – welch ein Zufall – die DVD dieser Methode auf Deinem Schreibtisch liegen…
Ja, ich hatte davon gehört. Aber ich habe die DVD noch nicht schauen können. Alles, was ich weiss, weiss ich bislang von Dir und dem Observer-in-Residence-Blog.
Kannst Du Dir vorstellen, die Methode mal auszuprobieren beim Theatertreffen?
In einigen Bereichen ja. Nämlich da, wo wir mit jungen Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten wie zum Beispiel beim Stückemarkt oder beim Internationalen Forum. Für die klassischen Publikumsgespräche wäre ich skeptisch. Die sind anders gedacht, das ist ein rohes, überraschendes Format. Man weiss nie, wo das hinausläuft. Die Zuschauer kommen aus der Inszenierung, der Kopf voll mit Eindrücken und sitzen dann vor einem Podium von 10 bis 15 Schauspielern mit ihren jeweiligen Regisseur_innen, Bühnenbildner_innen etc. Das Publikum will erst einmal zuhören, es geht ihm dabei auch um den Blick auf die Künstler als «Privatperson», also wie redet der oder die «in echt». Und wie sehen die aus – gerade frisch abgeschminkt? Diese Neugier finde ich legitim. Und gegen Ende dieser Gespräche wollen einige Zuschauerinnen und Zuschauer ihre Eindrücke loswerden. An diesem Format kann man gar nicht so viel ändern – hier geht es um das Publikum, weniger um die Künstler. Eine tiefergreifende Analyse hat da in der Regel kaum Platz – oft finden diese Gespräche spätabends statt, manchmal bis nach Mitternacht.
Das Format hat auch etwas mit der Grösse der Gespräche zu tun beim Theatertreffen, oder?
Ja, da sitzen ja manchmal 250 Besucher um nach der Vorstellung gleich noch einmal zuzuhören, Wahnsinn! Nach acht Stunden Faust waren es sonntagnacht um ein Uhr früh immer noch 80 Zuschauer. Und die Künstler, die beim Theatertreffen auf dem Podium sitzen, wollen und sollen zuerst einfach mal gelobt werden. Die haben gearbeitet, oft auch gezittert.
Ja, die brauchen ein paar Streicheleinheiten. Genau das leistet ja die Feedback-Methode, welche die Studierenden in Zürich angewandt haben. Wäre das möglich am Theatertreffen: Das Publikumsgespräch zu eröffnen mit der Frage «Was hat für Sie funktioniert?» und die Antworten dann festhalten?
So konkret formuliert, muss ich sagen: Ja. Wäre eine Überlegung wert. Was glaubst Du?
Ich habe schon viele Publikumsgespräche moderiert beim Theatertreffen und ich glaube nicht, dass das Publikum selbst gleich im Zentrum stehen will. Die Zuschauenden wollen zuerst, wie Du selbst gesagt hast, die Schauspieler «in echt» sehen, die sprechen hören, die ungeschminkten Gesichter abgleichen. Es geht um den Blick hinter die Kulissen. Vielleicht könnte man die Methode im zweiten Teil der Publikumsgespräche ausprobieren. Also erst eine moderierte Runde, in der die Künstler zu Wort kommen, und dann die Flipchart auspacken und die Eindrücke aus dem Publikum sammeln. Ob dieser didaktische, auf positives Feedback ausgerichtete Ansatz allerdings gerade für Berlin und das Theatertreffen der richtige ist, bezweifle ich dennoch.
…Weil bei uns so viele Profis und theateraffine Zuschauer_innen im Publikum sitzen und weil man in Berlin gerne auch mal öffentlich Kritik übt. Die Auseinandersetzung danach gehört zum Aufführungsbesuch beim Theatertreffen dazu. Hinzu kommt, dass die Gespräche beim Theatertreffen nicht vergleichbar sind mit den üblichen Publikumspodien, weil bereits die Vorstellungen nicht zu vergleichen sind mit jenen im Repertoire des jeweils eingeladenen Hauses. Hier herrscht mehr Druck, man spielt vor dem gesamten Theaterbetrieb und kriegt in der Regel auch noch einmal eine schärfere Kritik als Zuhause. Aber das gilt nur für den Kern des Festivals. Für das Internationale Forum zum Beispiel wäre so eine Feedback-Methode absolut denkbar. Das sind junge internationale Theatermacher, die zwei Wochen lang in verschiedenen Workshops arbeiten und sich intensiv mit den eingeladenen Inszenierungen beschäftigen.