Mein zweiter Tag an der ZHdK sollte das Motto „Kunst & Chaos“ transportieren. Und als ob ich hellseherische Fähigkeiten besitzen würde – das Chaos blieb nicht aus. Zwei Stromausfälle, die Zürich West und damit auch das Toni Areal lahmlegten, sorgten für Konfusion und für jede Menge kalten Kaffee im Chez Toni.
Aber der Reihe nach. Was ist Kunst? Mein Vater hätte geantwortet: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Wann entsteht Kunst? Was macht Kunst zu Kunst? Und sind auch Tiere in der Lage, bewusst Kunst herzustellen? „Inherent Crossing“ ist ein Projekt, das dieser Frage nachgeht.
Mit Unterstützung des Anthropologischen Instituts der Universität Zürich hat der ZHdK-Künstler Benjamin Egger beobachtet, was passiert, wenn man Schimpansen Farben und Pinsel überlässt. Über mehrere Monate haben die Tiere ohne Zwang das Angebot bekommen, zu malen. Über ein Dutzend Schimpansen aller Altersgruppen waren Teil der Studie.
Das Ergebnis von Inherent Crossing: Nicht alle Affen zeigten Interesse an der Kunst. Dann aber gab es Tiere wie Blacky, eine 57jährige Schimpansen-Dame. Blacky war es, die in ihren Werken erkennbar strategisch (bewusst?) vorgegangen ist. So setzt sie auf einem Bild gezielt eine neue Farbe zwischen zwei schon vorhandene Striche. Oder sie füllt das Zentrum einer Umrandung mit roter Farbe aus.
Benjamin Egger erklärt: „Das Kreuz von Inherent Crossing steht für den Strich, den man bewusst durch den anderen Strich zieht“. Eine Metapher für den Moment, wenn sich Mensch und Tier, Kreativität und Instinkt, Bewusstsein und Unterbewusstsein kreuzen.
Meine nächste Station – das Projekt „Titanwurz“ im Design-Departement der ZHdK. Alessandro Holler beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Illustration. In diesem speziellen Fall stand Holler vor der Aufgabe, eine seltene Blume am Rechner zum Erblühen zu bringen.
Bei der Titanwurz handelt es sich um eine Pflanze, die nur zweimal im Jahr für 24 Stunden blüht. Um diesen seltenen und sehr komplexen Vorgang zu illustrieren, entwickelte Holler ein 3D-Modell der Titanwurz, die man mittels eines Sensors mit seinen Händen aus der Erde ziehen und zum Blühen bringen kann.
Faszinierend: Obwohl heute computergenerierte Visualisierungen fast zum Standard gehören, wird im Bereich Scientific Visualization auch nach wie vor klassisch, also mit Stift, Tusche und Pinsel gearbeitet. Ich fürchte, die traditionellen Schulbücher, wie ich sie selbst genossen habe, werden so schnell nicht aussterben.
Alessandro Holler zeigt uns anhand der Titanwurz den Einsatz von Knowledge Visualization [Video] #ZHdK pic.twitter.com/mpz9xD3XnA
— ZHdK (@zhdk) October 24, 2016
Wenn Ihr mich nach meinem Lieblingsort an der ZHdK fragt, dann ist das in jedem Fall das Dach! Nicht nur, weil man von hier einen irren Blick auf die Umgebung hat. Hier befindet sich der Windtunnel von Florian Dombois. Der interdisziplinäre Künstler begrüßt mich mit einem breiten Grinsen. Dann wird es aber schnell ernst.
Dombois wirft die Windmaschine an. Zunächst werden die Saiten eines Klaviers zum Schwingen gebracht. Danach: ich (siehe Video)! „Wie fühlst du dich?“, will Florian Dombois von mir wissen, als ich aus dem Windtunnel komme. Er mustert mich durch seine verschmitzten Augen sehr genau. Moment mal, war ICH nicht der Observer?
„Ein Windtunnel ist ein Ort und ein Prozess, der sich in den letzten 100 Jahren kaum verändert hat“, sagt Dombois. „Ein Grund, sich mit den Gruppen und den Ritualen zu befassen, die hier forschen.“ Florian Dombois hat gerade ein Buch rund um den ZHdK-Windtunnel fertiggestellt, das demnächst erscheint. Es befasst sich mit dem Thema Skalieren.
Zur Verabschiedung erhalte ich das „Wind Tunnel Bulletin“ (Ausgabe 5) sowie ein Stück Wollfaden mit einem winzigen Magneten am unteren Ende. Man sieht diese Fäden überall von den Decken und Luftschächten des ZHdK-Gebäudes hängen. Eine eher unorthodoxe Methode, um die Luftströme im Inneren des Toni-Areals sichtbar zu machen. What is Lifehacking?
Ganz zum Schluss meines „Kunst und Chaos“-Tages treffe ich Delphine Chapuis Schmitz im Chez Toni. Der Strom geht wieder und damit zum Glück auch die Kaffeemaschine. Delphine konzentriert sich in ihrer Arbeit auf Texte, vor allem kurze. „Die Welt ist voller Texte, mehr oder weniger interessante. Ich will nicht mehr dazu beitragen als unbedingt nötig.“
Kein Wunder, dass Twitter ein großartiger Ort für Delphine ist, sich und ihre Worte auszustellen. Ihr solltet Ihr unbedingt folgen! Aber auch haptisch gibt es Dauphines Wortkunst, gedruckt in einem Katalog, den sie mir zum Abschied überreicht. „A few words I want to show you“ steht dort seitenfüllend in schwarzen Univers-Lettern auf der Titelseite.
Schnappschuss vom Stromausfall im Toni-Areal
Während ich diese Zeilen schreibe, befinde ich mich gerade über Grönland, auf halber Strecke Richtung San Francisco. Ich weiß noch nicht, was ich von diesem zweiten Tag an der ZHdK gelernt habe. Vielleicht habe ich Antworten, wenn ich Mitte November zurück ans Toni komme, dann auch mit einem eigenen Vortrag zum Thema Medien und (Selbst-) Branding.
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