Rundschau über Schweizer Musiktheaterbühnen

Über 20 Jahre verfolge ich das Leben auf Schweizer Musiktheaterbühnen und berichte darüber in verschiedenen Printmedien, hauptsächlich in der Zeitschrift „Orpheus“. Hier sind sie gesammelt .

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Héctor Berlioz – La Damnation de Faust (St.Galler Festspiele)

Erfolg unter freiem Himmel

Skeptiker – und ich gestehe, dass ich mich zu ihnen zähle – fragten sich, wie Héctor Berlioz’ La Damnation de Faust auf der St.Galler Freilicht-Festspielbühne zu Erfolg kommen könnte. Aber genau die als Argumente angeführten Spezifika, etwa die unopernhafte Anlage und die vorwiegend subtile Orchestration, wandelten sich zu den Überzeugungspunkten. Ein ausgefeiltes Soundkonzept erhöhte die orchestrale Präsenz, der die Singstimmen mit mephistophelisch anmutender Perfektion beigemischt wurden, ohne dass der Eindruck der Bühnenverortung der Darsteller verloren gegangen wäre. Trotz des üppigen Luxusklanges wurde die Raffinesse der Instrumentation zur Geltung gebracht. Verantwortlich dafür zeichnete Dirigent SEBASTIAN ROULAND, der mit dem unter der Bühne spielenden Sinfonieorchester St.Gallen die Partitur mit eloquenter Eleganz und ganz ohne plakative Knalleffekte in grosszügigem Fluss durchmass. Die Herausforderungen des tableauhaften Werkes und der beträchtlichen Distanzen auf und zu der Bühne meisterte Regisseur CARLOS WAGNER im Verbund mit dem Bühnenbildner RIFAIL AJDARPASIC souverän und mit ausgeprägtem Gespür für das Timing. Die Dimensionen der mit etlichem technischem Wunderwerk ausgestatteten Bühnenkonstruktion boten die Möglichkeit, die Bilder und Schauplätze fliessend ineinander übergehen zu lassen. Für die Fantastik, die Poetik und die Magie fand Wagner besonders im ersten Teil bezaubernde Mittel, woran auch die zusammen mit der Tanzkompanie durch ANA GARCIA erarbeiteten choreografischen Interventionen bedeutenden Anteil hatten. Besonders schön auch, wie aus dem Kontext des Werkes heraus die Natur sich mittels des Windes, der Fahnen und Bänder immer wieder unerwartet in Bewegung setzte, an der Regie beteiligte. In den Liebes-, Geister- und Traumszenen des dritten und vierten Teils liess sich Wagner jedoch mehr zu Effekten und Kitsch verführen und erreichte damit nicht mehr die gleiche Sinnfälligkeit. Nur bedingt was so das zeitweilige Abfallen der Konzentration der kühlen Ausstrahlung und Stimme von ELENA MAXIMOVA als Marguerite anzulasten. MIRCO PALAZZI hingegen gab einen überaus eleganten Mephisto, der seine Gefährlichkeit perfid aus der verführerischen Weichheit seines Timbres und seiner attraktiven Erscheinung nährte. TIJL FAVEYTS verfügte als Brander über genau den Bass, der die Verruchtheit seiner Kellerschenke und den Spott des Rattenliedes vorzüglich abbildete. Sowohl der stimmlichen wie auch der körperlichen Kondition und Präsenz von GILLES RAGON in der Titelpartie wurde Enormes abverlangt. Mit wunderbar idiomatischen Timbre und souveräner Beherrschung der Mittel wurde er den Anforderungen der Partie und der Inszenierung in beeindruckender Weise gerecht. Opernchor sowie die Theaterchöre St.Gallen und Winterthur mit potenter Unterstützung des Prager Philharmonischen Chores, die Tanzkompanie, Tanzschule und Statisterie trugen engagiert Wesentliches zu diesem erlebnisreichen Abend unter freiem Himmel bei.

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Paul Hindemith – Mathis der Maler (Opernhaus Zürich)

Referenz zum Abschied

Mit Hindemiths Mathis der Maler erwies Alexander Pereira dem Haus, von dem er nach 21 Intendanzjahren mit dieser Festspielpremiere Abschied zu nehmen hatte, eine besondere Referenz, denn das Werk wurde 1938 auf eben dieser Bühne uraufgeführt. Und einmal mehr regte der umtriebige Majordomo mit seiner Werkwahl Sängerinnen und Sänger zu wichtigen und teils karrierelenkenden Rollendebuts an. Diesmal war es mit einer Ausnahme gar für das gesamte Ensemble eine Erstbegegnung. So hat sich THOMAS HAMPSON mit der Titelpartie eine bedeutende neue Partie souverän angeeignet und zeichnete ein eminent ausgearbeitetes Portrait dieser reflektierenden Künstlerfigur: beklemmend die Verinnerlichung und intensiv das Hadern, in mustergültiger Diktion und mit profundem Ausloten der textlichen Tiefe. EMILY MAGEE arbeitete weit weniger auf Text als auf Volumen und Strahlkraft, die sie trotz ihres deutlich eingedunkelten Timbres erreichte. So verlieh sie der Ursula Selbstbewusstsein und Stärke. Die leiseren Töne, die ihrem Sopran so gut anstehen, verhinderte leider das robuste Dirigat von DANIELE GATTI. Die Vitalität, der er in Hindemiths Partitur nachspürte, hielt die Musik zwar wohltuend in geradezu sinfonischem Fluss. Mit der Bevorzugung eines dunklen Blechklanges förderte er aber auch das Verdichten des Klangbildes und die Lautstärke, was für die Sänger wiederum vornehmlich voluminöses Singen diktierte. Zudem hätte die orchestrale Präzision und Koordination bei einem transparenteren Klangbild wohl profitiert; das Orchester der Oper Zürich wirkte unter Gattis Händen eher unkonzentriert, was sich in etlichen Wacklern und Ungenauigkeiten manifestierte. Im Männerdominierten Besetzungszettel strahlten SANDRA TRATTNIG als lichte Regina und STEFANIA KALUZA als dramatische Gräfin Helfenstein jedoch erfolgreich über die Orchesterwogen. Einmal mehr überzeugte BENJAMIN BERNHEIM (Capito) mit seinem klar zeichnenden und ungemein tragfähigen Tenorkapital und REINALDO MACIAS vermochte als Albrecht von Brandenburg durch Potenz und präzise Gestaltung ebenso zu gefallen, wie als charaktervoller Interpret im deutschen Fach zu überraschen. Der musikalischen Opulenz setzte MATTHIAS HARTMANN eine wohltuend zurückhaltende und doch sehr genaue Inszenierung entgegen, die Raum bot für sorgfältig geschärfte Personenportraits. Grossartig wurde diese Sichtweise unterstützt durch das geometrisch-reduktive Bühnenbild aus zwei quadratischen Flächen von JOHANNES SCHÜTZ und einer überaus suggestiven Farb- und Lichtdramaturgie. Die szenischen Steigerungen etwa im deftigen Bauernaufstand und in der bildmächtigen Visionsszene waren treffgenau gesetzt und schärften die Aufmerksamkeit für die intim versonnenen Bilder, in denen es Hartmann ohne grosses Aufheben gelang, die Spannung zu halten oder gar zu fokussieren. So bleibt dringend zu hoffen, dass diese eindrückliche und bewegende Produktion trotz des Abgangs ihres Fürsprechers Pereira weiter im Repertoire des Hauses bleiben kann.

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Gaetano Donizetti – Poliuto (Opernhaus Zürich)

Zwingend

Donizettis Poliuto steht so selten auf den Spielplänen, dass die Schweizerische Erstaufführung gar für einen ausgewiesener Experten wie Maestro NELLO SANTI, der nunmehr auf eine über 60-jährige Karriere zurückblickt, eine Erstproduktion darstellte. Und Regisseur DAMIANO MICHIELETTO machte deutlich, dass sich dieses Stück nicht nur in schwelgerischem Belcanto, Koloraturenwerk und spektakulärem Heldentod ergibt, sondern gemäss dem Titel der französischen Version (aus der einige Partien in die nun in Zürich gespielte Fassung eingefügt wurden) die dramatische Situation von verfolgten und geächteten Glaubensgruppen in bedrängendem Ausmass zeigt. Ganz besonders dort, wo seine aktuelle und direkte Sichtweise die Grenzen reizt und damit die Ablehnung des an diesem Haus gern auf Lukullik eingestellten Publikums evozierte, korrespondiert die Musik wie eine Kommentarebene zur Handlung. Die Bilder, der sich Michieletto bedient, schmerzen. Um Persönlichkeit oder Identität preiszugeben, ist Entblössung notwendig, die daraus folgend mit Verletzlichkeit einhergeht. Gerade diese ganz existentiellen Momente, die fast zum Wegschauen zwingen, hat der Regisseur präzis mit der Partitur abgestimmt. So können die Fragen um Martyrium, Glauben, Macht oder Liebe Kraft der Suggestionskraft der Töne beantwortet oder mindestens die für unsere Zeit und unseren Kulturkreis schwer nachvollziehbare Ambivalenz erhellt werden. Handeln in einem solchen Spannungfeld Personen nicht mehr nach gewohntem menschlichem Massstab, so sind die Schaufensterpuppen, die immer unter der Volksmasse auszumachen sind, als Hüllen treffliche Metaphern für Entleerung, Entfremdung und Anonymität. Die Umgebung, in die Bühnenbildner PAOLO FANTIN die Handlung stellt, ist eine kalte Welt von Huxleys oder Orwells Zukunftspessimismus. Nello Santi setzte mit dem Orchester der Oper Zürich den starken, unbequemen Bildern mit grosser Ernsthaftigkeit eine Emotionalität der vertrauteren Dimension entgegen und führte damit die hohe Qualität der Komposition deutlich vor Augen.

Freilich stellte gerade das erwähnte irritierende Handlungsmoment die Trias der tragenden Rollen vor entscheidende Probleme. Am Evidentesten wurde dies bei der Partie der Paolina in den Liebesgefühlen zwischen zwei Männern und in der Entscheidung zum Märtyrertod. FIORENZA CEDOLINS beschränkte den emotionalen Ambitus mehr, als sie Paolina zur kompromisslosen Heldin aufblähte. Zu konzentiert auf die Anforderungen der Partie, berührte ihre Interpretation leider wenig und zeigte sich eher kühl. In MASSIMILIANO PISAPIA hatte sie einen ebenso höhensicheren wie fermatenfreudigen Partner als Poliuto, musikalisch wie auch dramaturgisch blieb er eher pauschal. MASSIMO CAVALLETTIs Stimme spiegelte das Dilemma des Prokonsuls Severo zwischen Liebe und Staatsgehorsam in kraftvoll leuchtenden dunklen Farben. So stellte sich dem Statistenverein und dem Chor ganz wesentlich die Aufgabe, die Aussagekraft der Inszenierung zu tragen. ERNST RAFFELSBERGER hat letzteren gewohnt zuverlässig vorbereitet, so dass er frei und intensiv die grossen Aufgaben erfüllen konnte. Das Stück allerdings wird jedoch wohl weiterhin eine Rarität auf den Spielplänen bleiben.

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Richard Strauss – Salome (Theater St.Gallen)

Luxuriös

Man traute seinen Augen kaum beim Blick auf den Besetzungszettel der St.Galler Salome und wähnte sich viel mehr in einer Metropole als in der Ostschweiz. Der Herausforderung, die das Stück an ein kleineres Haus stellt, begegnete man hier mit der Verpflichtung einer Gästereihe, das aufmerken liess. Wohl auch auf Grund der Tatsache, dass die Platzkapazität im Graben nur die im Orchester reduzierte Fassung zulässt, hat sich ALEXANDRINA PENDATCHANSKA (die hier allerdings verkürzt als Alex Penda gelistet wird) eine Partie angeeignet, die eine Tür zur weiteren Karriereentwicklung öffnen könnte. Die Bulgarin verkörperte eine glühende, vibrierend-erotische und jugendliche Salome mit stupenden , berückenden piani und erschauern-lassenden Schroffheiten. Dass es (noch) eine Grenzpartie ist, liess sich aus dem Körpereinsatz, der sie Stimmproduktion verlangte, ablesen und manifestierte sich auch in einer leider sehr schwachen Textverständlichkeit. Um diese brauchte man sich bei den weiteren Hauptrollen nicht zu sorgen. Nichts Dröhnendes benötigt MARTIN GANTNER, um den Prophezeiungen des Jochanaan Gewicht zu verleihen: balsamisch-nobel strömte sein Bariton und jede Silbe erhielt intelligente Gewichtung. Auf gleichem Höchstniveau ist der agile und charaktervolle Herodes von ANDREAS CONRAD zu nennen und in Bezug auf die Stimm- und Bühnenpräsenz der Herodias von GABRIELE SCHNAUT können nur die bekannten Superlative bemüht werden. Zusammen bildeten sie ein Quartett von luxuriöser Qualität, von der sich die Ensemblekräfte in den weiteren Partien hörbar motivieren und anspornen liessen. MODESTAS PITRENAS  sorgte im Graben mit dem brillant aufgelegten Sinfonieorchester St.Gallen in erstaunlicher Transparenz für aus dem rhythmischen entwickelte Impulse und gewichtigen Rausch. Etwas irritierend wirkte die (wohl der erhöhten Bühnenkonstruktion anzulastende) verhinderte vollkommene Verschmelzung von Gesangsstimmen und Orchester.

In der Verpflichtung des Modeschöpfers CHRISTIAN LACROIX für das Kostümdesign und der Grosszügigkeit der hiesigen Stoffkreation Schläpfer/Bambola wurde nicht nur dem Ruf St.Gallens als führende Textilstadt Rechnung getragen, sondern auch der Produktion eine weitere Aura der Exklusivität und Noblesse verliehen. VINCENT LEMAIRE schuf dafür einen Bühnenraum, der trotz seiner Käfigartigkeit den Luxus der Palastumgebung vermuten liess. Wie durch eine Linse blickte man durch eine kreisrunde Öffnung auf den beengten Raum. Die Personen kamen sich dort deshalb ungewohnt nah, wobei es jedoch Regisseur VINCENT BOUSSARD nicht durchwegs gelang, die Spannungsverhältnisse zwischen den Figuren evident zu machen und aufrecht zu erhalten. Die unruhige und beliebige Lichtgestaltung von GUIDO LEVI fügte sich in den Eindruck des eher Dekorativen, der auch der Regie und Ausstattung angelastet werden kann.

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