Autor: fhess

«Ich bin mich ständig am umorganisieren…»

Interview mit Julia Kuster am 6.12.2022

An einem sonnigen Wintermorgen mache ich mich auf den Weg ins Quartier Binz in Zürich, wo sich Julia Kusters Atelier befindet. Es ist etwa vier Jahre her, als ich sie zum letzten Mal gesehen habe – als eine ihrer Schülerinnen im Zeichnungsunterricht an der Schule für Gestaltung in St. Gallen. Nun freue ich mich, sie in einem anderen Kontext wiederzusehen.

Als ich Julia für dieses Interview anfragte, betonte sie erstmal, dass sie keine wissenschaftliche Illustratorin sei, sondern sich in ihrem Atelier hauptsächlich freien Arbeiten widme. Trotzdem habe ich mich für sie als Interviewpartnerin entschieden, da es mich interessiert, was aus einer ehemaligen Knowledge Visualization- Studentin geworden ist und wie es dazu kam.

Nachdem ich von Julia in einem grossen Gewerbegebäude freundlich begrüsst werde, führt sie mich in ihr Atelier. An den Wänden hängen bunte Drucke und Malereien, auf einem Tisch liegen kleine Holzschnittplatten und Späne. Es riecht nach Kaffee, Kreativität und Gemütlichkeit. Sie teilt den Raum mit einer Kollegin.

 

Julia in ihrem Atelier

 

Der Schwerpunkt unseres Gespräches liegt auf ihrem Werdegang.
Nach dem Gymnasium hat sie ein Jahr lang Sprachen in Rom studiert und sich dann für den Bachelor Knowledge Visualization an der ZHdK beworben – erfolgreich. 2010 hat sie abgeschlossen. «Dann wurde mir aber klar, dass ich mich nicht bereit fühle, in diesem Bereich zu arbeiten». Es habe sie dann vielleicht doch zu wenig interessiert.
Stattdessen nutzte sie das Angebot eines Stipendiums, welches ihr ermöglichte, ein Jahr in Bulgarien an der Kunstakademie in Sofia zu verbringen. Da kam sie mit alten Drucktechniken in Berührung und hat zudem bulgarisch gelernt. «Als ich wieder heimgekommen bin, fühlte ich mich recht verloren.» Die freiere Kunst habe sie eigentlich mehr interessiert als die auftragsbasierte Illustration.

«Als ich wieder heimgekommen bin, fühlte ich mich recht verloren.»

Schliesslich hat sie ein Semester an der PH absolviert und herausgefunden, dass ihr das Unterrichten im Bildnerischen Gestalten Freude bereitet. «Das hat mich auf die Idee gebracht, mich für den Master Kunstvermittlung zu bewerben.» – hello again ZHdK! Nebenbei leitete sie Gestaltungskurse für Menschen mit Beeinträchtigung und arbeitete als Gerichtszeichnerin für den Tages Anzeiger. Ein ehrenvoller Auftrag! «Da diese Gerichtszeichnungen von vielen Leuten gesehen werden, war das auch eine super Werbung für mich.»
Nach dem Masterabschluss hat sie begonnen, in St. Gallen als Gestaltungslehrerin zu arbeiten.
Nun unterrichtet sie bildnerisches Gestalten an der Kantonsschule Zürcher Oberland in Wetzikon (ca. 70%). Die restliche Zeit verbringt sie im Atelier oder mit ihrem Kind. Hinzu kommen manchmal Aufträge, beispielsweise Illustrationen für das Magazin Reportagen. Ist es überhaupt möglich, der Familie, dem Job und dem Atelier gleichermassen gerechtzuwerden? «Ich bin mich ständig am umorganisieren und muss schauen, wie ich meine Zeit am besten nutze.»

Im Verlaufe des Gesprächs mit Julia habe ich gemerkt, dass ihr Berufsweg nicht linear von A nach B verläuft, sondern eher durch verschiedene Interessensgebiete mäandriert. Von ihren Erfahrungen im Studium kann sie ohnehin profitieren – das Gelernte verschwindet nie. Das beruhigt mich, denn es zeigt, dass man auf dem Berufsweg eigentlich keinen Fehler machen kann, solange man die eigenen Interessen verfolgt. Auf die Frage, worauf ich während des Studiums achten sollte, antwortet Julia:

«Geniesse es, dass du mit so vielen gestalterischen Techniken in Berührung kommst. Und meine nicht, irgendwelche Erwartung erfüllen zu müssen, sondern mache das, was dich wirklich interessiert!»

Diesen Ratschlag werde ich mir zu Herzen nehmen. Danke Julia für das Gespräch!

 

«Das Digitale finde ich dann interessant, wenn es nicht so viele Möglichkeiten anbietet. Ich mag lieber gstabige Programme wie Brushes.»

 

Gerichtszeichnung

 

Fisch-Illustrationen für das Magazin Reportagen

 

Mehr von Julias Arbeiten könnt ihr auf ihrer Webseite anschauen: juliakuster.ch