Die Illustratorin Olivia Aloisi begrüsst mich herzlich im Innenhof ihres Ateliers, das im Erlacherhof mitten in Basel liegt. Das Atelier, das sie liebevoll «Schluuch» nennt und ihr auch als Ausstellungsplatz dient, teilt sie sich mit vier anderen Leuten. 2022 hat sie sich hier niedergelassen, um ihrer selbständigen Tätigkeiten nachzugehen. Daneben arbeitet sie seit 2018 für Oculus. Olivias aktuelles Projekt Der Lällekönig – Wie Basel wieder lachen lernte, ein Kinderbuch über ein altes Basler Stadtwahrzeichen, erfreut sich in Basel an grosser Beliebtheit.


Auf Umwegen zum Erfolg
Schon seit ihrer Kindheit ist das Zeichnen Olivias grösste Leidenschaft. Ihr war früh klar, dass sie diese nicht nur in der Freizeit ausleben, sondern auch zu ihrem Beruf machen will. So entschied sie sich nach dem Absolvieren der Maturität, den gestalterischen Vorkurs an der heutigen ZHdK zu besuchen. Dort wurde Olivia auf die Fachklasse wissenschaftliche Illustration, den heutigen Studiengang Knowledge Visualization, aufmerksam. Sie empfand grosse Begeisterung für die wissenschaftlichen Illustrator*innen und liess sich direkt nach dem Vorkurs selbst zu einer ausbilden. 1996 schloss sie das Studium erfolgreich ab.
In den ersten Jahren nach dem Abschluss schlug sich Olivia mit der Führung eines kleinen Ladens für Kunst und Kunsthandwerk in Brugg und vereinzelten Malkursen durch. Im Versuch, mehr Geld zu verdienen, rutsche sie in die Informatik-Abteilung ab und arbeitete 1999-2005 als IT-Supporterin bei der SV Group. Erfüllung darin fand Olivia aber nicht. Eigentlich wollte sie doch etwas ganz anderes machen und nahm sich fest vor, ihren Traumberuf zu verfolgen.
Der Sprung zurück in die Illustration gelang Olivia unter Guido Köhler, ebenfalls ausgebildeter wissenschaftlicher Illustrator, der sie als Nachfolgerin seines vorherigen Mitarbeiters einstellte. Daneben arbeitete Olivia für die Ateliers Bunter Hund und Oculus, wo ihr zeitweise auch ein Atelierplatz zur Verfügung stand. Heute ist sie nach wie vor bei Oculus angestellt. Bei Guido arbeitete sie 17 Jahre lang, bevor sie sich dazu entschied, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen und ihr eigenes Atelier zu gründen. Zeitgleich erhielt sie den Auftrag, ein Kinderbuch zu illustrieren. Mittlerweile ist Olivia zu 50% selbständig und macht in einem Pensum von 15-50% Aufträge für Oculus.
Zwischen Nonfiction und Fiction
Zu Olivias beruflichen Tätigkeiten gehört auch der Porträtkurs, den sie an der Schule für Gestaltung Basel gibt. Dabei steht nicht die realistische Wiedergabe des Gesichts, sondern dessen Ausdrucksstärke im Vordergrund. Das menschliche Gesicht ist schon immer eines von Olivias Lieblingsmotiven zum Zeichnen gewesen. Bei langen Zugfahrten hält Olivia gerne Passagier*innen und deren Besonderheiten in ihrem Skizzenbuch fest. Ihr gefällt, dass man beim Betrachten von anderen Leuten merkt, wie gross die Vielfalt von Körpern und Gesichtern eigentlich ist. Die Ideal-Proportionen, die man im anatomischen Zeichnen gelernt hat, stimmen selten. Und gerade diese Gesichter, die nicht der Norm entsprechen, nimmt Olivia besonders gerne als Modell.
Nicht nur ausdrucksstarke Gesichter, sondern auch narrativ zeichnet Olivia gerne. Wenn sie frei arbeitet, kommen vielmals Bilder zustande, die als Szene Teil einer Geschichte sein könnten. Bei Oculus erhält sie daher oft Aufträge, denen Aspekte im Bereich Fiction innewohnen. Für Olivia vermischen sich da die Grenzen zwischen den beiden Gebieten Nonfiction und Fiction. Denn Wissensvermittlung ist nicht geradlinig und kann daher auch narrativ gestaltet sein. Auch wenn Olivia sich ab und zu fragt, ob ihr der Studiengang Illustration Fiction an der HSLU besser gelegen hätte, schätzt sie es sehr, dass sie in ihrem Studium viele Techniken gelernt hat, die sie heute zahlreich einsetzen kann.
«Ich selbst finde – und höre das auch von anderen –, dass man mich nicht am Stil erkennt. Denn ich mache ja unterschiedliche Sachen. Das ist vielleicht die Stärke eines wissenschaftlichen Illustrators, dass er alles Mögliche kann.»
Ein gutes Beispiel für Olivias Hang zur Narration ist der Inktober, an dem sie seit vielen Jahren ausnahmslos teilnimmt. Sie stellt sich gerne immer wieder der Herausforderung, jeden Tag im Oktober eine Tuschezeichnung zu machen. Das Thema gab sie sich jeweils selbst vor. Olivia gibt allerdings zu, dass die Inktober-Challenge sehr zeitaufwändig sein kann. Seit drei Jahren macht sie daher Flecken-Bilder: Im Verlauf des Tages werden ein Paar Flecken gemalt, die am Abend zu einer fertigen Zeichnung ausgearbeitet werden. So kann man den Fleck als Vorgabe nehmen und muss nicht lange überlegen, was man zeichnen könnte. Diesen Vorgang beschreibt Olivia als «Spiel mit dem Zufall».



Wie Basel wieder lachen lernte
Olivias neustes Projekt ist das Kinderbuch Der Lällekönig – Wie Basel wieder lachen lernte, das sie illustriert hat und im Oktober 2024 erschienen ist. Sie wurde vom Journalisten, Autor, Musiker und Filmregisseur Olivier Joliat, dem Schriftsteller des Buchs, direkt als Illustratorin angefragt. Der Lällekönig (Lälli = Zunge) ist eine Basler Figur – i. d. R. ein Blechgesicht mit einem Mechanismus, der die Zunge raus- und rein und die Augen hin- und her bewegt –, die erstmals im 17. Jahrhundert am Basler Stadttor auftauchte. An verschiedenen Stellen in Basel hängen seither Lällekönige.
Obwohl Olivia für Aufträge grösstenteils digital arbeitet, gestaltete sie das gesamte Kinderbuch analog. Das Zufällige, dass das Analoge mit sich bringt, schien Olivia passender für ein Kinderbuch zu sein. Die Figuren und den Hintergrund malte sie separat und setzte sie dann mittels Photoshop zusammen. So konnte sie flexibel auf die Geschichte reagieren und sich mit Olivier effizient austauschen. Tatsächlich durfte Olivia zu einem gewissen Grad die Handlung mitgestalten, da sie ins Boot geholt wurde, als das Ende der Geschichte noch ausstand. Sie durfte sogar ihre ehemalige Katze Nuudeli verewigen, die wie Walter von Wo ist Walter? in jedem Bild vorkommt und letztendlich zu einer eigenständigen Figur heranwuchs.
Dank Oliviers Beruf war Der Lällekönig grosszügig in den Medien wie der Zeitung, dem Radio und der Kultursendung auf Telebasel vertreten und kam allgemein in Basel sehr gut an.


In den Sternen liegt die Zukunft
Trotz ihrer neuerlangten Selbständigkeit entspricht es Olivia, in einem Team zu arbeiten. Das Atelier – in Olivias Fall Oculus – hat den direkten Kontakt zur Kundschaft und verteilt Aufträge gemäss den Stärken der Mitarbeiter*innen. Viele alte Freund*innen aus der Ausbildung sind bei Oculus tätig, so konnte Olivia, als ihr Atelierplatz noch in Zürich lag, während des Arbeitens mit ihnen schwatzen. Es stört sie aber nicht, allein zu sein. «Jetzt höre ich Podcasts. Als ich in Zürich war, lief der Podcast live», sagt Olivia lachend dazu.
Auch online ist Olivia gut repräsentiert. Auf Instagram gibt sie regelmässig Einblicke in ihre aktuellen Projekte und macht bspw. auf Ausstellungen und Kurse von ihr aufmerksam. Daneben hat sie ihre Webseite, auf der sie sich illustra nennt, im Zuge der Selbständigkeit auf Vordermann gebracht und so organisiert, dass sie sie laufend aktualisieren kann. Olivia betont, dass es wichtig ist, eine Onlinepräsenz, vor allem eine gut ausgearbeitete Webseite, zu haben, hinter der man stehen kann.
Ganz zum Schluss des Interviews zeigt sich Olivia dankbar, ihren Traumberuf ausüben zu dürfen. Ihr ist bewusst, dass das nicht allen möglich ist.
«Wenn man privilegiert genug ist, den Beruf auszusuchen, den man gerne macht – auch wenn man bei gewissen Dingen vielleicht z. B. finanzielle Kompromisse eingehen muss – dann finde ich, dass man das wählen soll, was einen erfüllt. Schlussendlich ist man eben doch mehr im Geschäft als in der Freizeit. (…) Nicht alle Menschen sind in der privilegierten Lage, dass sie das machen können, was ihnen gefällt. Ich habe selber keine Kinder und darum muss ich einfach schauen, dass es für mich stimmt – allenfalls noch für den Partner. Aber ist schon etwas anders, wenn man Familie hat, dann denkt man ein Stück weit anders.»
Mehr von Olivia Aloisi findet man hier:
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- Webseite (illustra): https://illustra.ch
- Instagram: https://www.instagram.com/olivia_aloisi_illustra/