1. Das Bild, das auf die Netzhaut fällt, steht auf dem Kopf. Im Brennpunkt des Strahlengangs befindet sich die Sehgrube. Die dünne Schicht der Netzhaut, die die Lichtsinneszellen enthält, ist rot gekennzeichnet. Die Pigmentschicht hüllt sie lichtdicht ein und ernährt sie. Aufsicht auf den zentralen Bereich der Netzhaut mit Sehgrube (Gelbem Fleck) und Blindem Fleck.
Die Netzhaut oder Retina ist die lichtempfindliche Schicht des Auges. Sie ist ein komplexes Netzwerk aus Nervenzellen, die einen nach außen gelagerten Teil des Gehirns darstellen. Ihr wichtigster Bestandteil sind die Lichtsinneszellen. Sie liegen auf der dem Licht abgewandten Unterseite der Netzhaut über der Pigmentschicht. An der Austrittsstelle, wo der Sehnerv das Auge verlässt, befindet sich der so genannte Blinde Fleck, da dort keine Lichtsinneszellen liegen. Dieses Loch in der Netzhaut wird allerdings nicht wahrgenommen. Alle Teile der Netzhaut werden im Gehirn repräsentiert. Der Sehgrube, dem Zentrum des scharfen, farbigen Tagessehens, steht dort ein besonders großer Bereich zur Verfügung. Beim Blick auf den Augenhintergrund erkennt man die Sehgrube an ihrer gelben Färbung. Sie gilt als der Gelbe Fleck.
Optische Täuschungen, die willentlich nicht ausgeschaltet werden können, gehen auf eine vorbewusste Verarbeitung innerhalb der Netzhaut zurück. Es kommt hier zu einer ersten Verarbeitung der ins Auge fallenden Lichtsignale. Dabei sind die Lichtsinneszellen horizontal vernetzt. Gerade die Kontrastverstärkung geht auf die Wechselwirkung von Gruppen von Lichtsinneszellen zurück.
2. Schematische Darstellung des zellulären Aufbaus der Netzhaut. Die Lichtrichtung ist angegeben. Die lichtempfindlichen Außensegmente der Stäbchen und Zapfen weisen nach unten in Richtung der Pigmentschicht. Alle Ausgänge der Netzhaut werden im Sehnerv zusammengefasst. Alle Netzhautzellen sind gleichzeitig aktiv und kommunizieren miteinander.
Die Netzhaut ist aus klar unterscheidbaren Schichten von Nervenzellen aufgebaut. Schichten, die Zellkörper enthalten, wechseln sich mit reinen Verschaltungsschichten ab. Die elektrischen Signale, die von den Lichtsinneszellen gebildet werden, werden in diesem komplexen Netzwerk von Schicht zu Schicht weiterverarbeitet und modifiziert. Die horizontale Vernetzung wird von so genannten Horizontal- und Amakrin-Zellen getragen. Die vertikale Vernetzung wird von Nervenzellen mit zwei Polen gewährleistet. Sie werden daher auch Bipolare genannt. Sie sind die Direkt-Verbindung zwischen den Lichtsinneszellen und dem Sehnerv. Licht trifft sie nicht direkt. Die Lichtsinneszellen liegen geschützt auf der Netzhautunterseite, eingebettet in die lichtdichte Pigmentschicht. Nur im Bereich der Sehgrube ist die Netzhaut sehr dünn. Die dort gelegenen Zapfen trifft das einfallende Licht direkt. Ganz oben auf der Netzhaut liegen die Ganglienzellen, die zusammen den Sehnerv bilden. Das gesamte Netzwerk der Netzhaut mündet mit allen elektrischen Signalen auf den vergleichsweise wenigen Ganglienzellen. Das bedeutet, dass Signale stark zusammengefasst werden müssen. Alle Sinneszellen, deren Signale eine Ganglienzelle beeinflussen, bilden zusammen ein rezeptives Feld.
3. Georg Wald konnte drei Sehpigmenttypen für die Absorption im Blau-, Grün- und Rot-Bereich des
Wellenlängenspektrums nachweisen. Dargestellt sind die Absorptionskurven nach W. D. Wright.
Im Nachdenken über die Grundlage des menschlichen Farbensehens ging Thomas Young 1802 davon aus, dass es in der Netzhaut des Auges niemals so viele Typen von Sinneszellen wie Farbtöne geben könne. Durch Farbmischungsexperimente, die er nach Newtons Vorlagen durchführte, gelangte er zur Hypothese, dass es in der Netzhaut drei Typen von Lichtsinneszellen geben müsse mit der jeweils maximalen Reaktion auf blaue, grüne und rote Farbreize. 65 Jahre später verfeinerte der Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz Youngs Hypothese. Daher spricht man auch von der Young-Helmholtz- Theorie. Helmholtz vertrat die Auffassung, dass Farbe keine Eigenschaft des Lichts ist, sondern eine Leistung des Nervensystems. Eine beliebige Farbe wird durch alle drei Lichtsinneszell-Typen in einer ihr eigenen Weise erfasst. Der Farbton ergibt sich aus dem jeweiligen Anregungsverhältnis. Aber erst 100 Jahre später (1967) konnte der amerikanische Biochemiker Georg Wald die drei Lichtsinneszell-Typen, die Zapfen, nachweisen.
Absorptionsspektren roter, grüner und blauer Zapfen. Energiereiches blaues Licht wird weniger stark absorbiert als energieärmeres gelbes Licht. Das Zapfenmosaik in der Sehgrube zeigt blaue Zapfen seltener und nur einzeln am Rand. Blaues, grünes und rotes Licht wird scharf gesehen und somit ein klares farbiges Bild gewonnen.
4. Schematische Darstellung eines von Licht beschienenen Ausschnitts der Netzhaut. Die drei Zapfen-Typen werden gereizt. Ihre Signale werden bei der Weiterleitung miteinander verrechnet. Gelb-Signale entstehen aus Rot und Grün, analog zur additiven Farbmischung.
Der Physiologe und Hirnforscher Ewald Hering kritisierte 1871 an der Drei-Farben-Theorie, dass die reine Farbe Gelb bei den Primärfarben fehle.1 Er fand weder einen Übergang von der Substanzfarbe Blau zu Gelb, noch von Rot zu Grün, d.h. kein bläuliches Gelb und kein grünliches Rot. Seine Theorie besagt, dass die Gegenfarben Rot-Grün und Blau-Gelb der menschlichen Farbwahrnehmung zugrunde liegen. Sie arbeiten einander entgegengesetzt mit dem Ziel des Ausgleichs. Im Zustand des Ungleichgewichts erzeugen sie Farbwahrnehmungen. Außerdem rechnete Hering den farblosen Gegensatz von Hell/Dunkel und Schwarz/Weiß zu diesen Prozessen. Heute verbinden sich Drei- und Vier-Farben-Theorie als unterschiedliche Stufen des einen Prozesses der Farbwahrnehmung. Die Input-Situation auf der Zapfen-Ebene basiert auf drei Ausgangsfarben (RGB). Die Output Situation stellt die Verrechung der Zapfensignale dar und funktioniert gegenfarbig. Die Addition roter und grüner Signale ergibt das Gelbsignal. Es kontrastiert das Blausignal. Das Gegensatzpaar rot und grün entsteht durch die Subtraktion roter und grüner Signale. Die Verarbeitung des Helligkeitswertes wird auch durch die Addition roter und grüner Zapfensignale geleistet. Die Gegenfarben-Aktivitäten der Netzhaut werden durch die komplementären Nachbilder erfahrbar.