Mit Materialien, jedoch ohne konkrete Modelle oder Prototypen im Gepäck, wissen wir nicht einmal, was genau wir im Windtunnel platzieren werden, als wir im Spätsommer als dreiköpfiges Team der AG Kunst und Wissenschaft zu Besuch sind und uns selbst die Aufgabe gegeben haben, Tests am/im/mit dem Windtunnel zu unternehmen.
Gewarnt von Avital Ronells Frage,„If you knew it’s a test, is it a test?“, hält das doppelte Unwissen über das Wesen des Tests die Situation letztlich ergebnisoffen. Doch ein Windtunnel, der Luft im Kreis bewegt, ist das nicht schon der Objekt gewordene hermeneutische Zirkel, in dem die Frage die Antwort schon vorwegnimmt und sich beide einander vorauszueilen scheinen? Allein in dieser (Denk-)Bewegung auf der Flucht vor einem Anfang und Ende kann man sich verlieren, wenn man den Windtunnel auf dem Dach des Toni-Areals zum ersten Mal mit seichten und harscheren Winden durchzogen erlebt. Überraschenderweise ist der Windtunnel mehrere Orte, an denen Wind, auch in seiner Abwesenheit, erfahrbar wird. Im offenen Abschnitt, wo Luft aus dem Tunnel herausgeblasen und auf der anderen Seite eingesogen wird, gerät zudem in Turbulenzen, was in der Vorstellung noch als konstant gedacht worden ist: Sobald ein Objekt hier platziert wird, bricht sich der Wind daran und alle Testpläne und Erwartungen von Aerodynamik-Laien geraten durcheinander: Materialien und Objekte bewegen sich anders als erwartet oder gar nicht, und dennoch ergeben sich in der gerade noch unbekannten Umgebung immer mehr Möglichkeiten, als dass Einschränkungen unsere Vorhaben zu einer Art Test präzisieren würden. In dem von einem Motor künstlich konstant gehaltenen Luftstrom treten mit den Objekten die Kontingenzen zutage und geraten in jeweils spezifische Turbulenzen.
Vorab konzipiert als Test-Umgebung, nutzen wir den Windtunnel im Laufe der drei Tage weniger zur Präzisierung vorher gemachter Annahmen. Vielmehr verändern wir erdachte Settings und erweitern Fragestellungen eklektisch. Objekte, die im Luftstrom platziert, aufgehängt und schweben gelassen werden, entziehen sich fast schon dem Test bestimmter Eigenschaften, so präsent sind letztlich die Möglichkeiten und Überraschungen, die sich im kontinuierlichen und stufenlos regelbaren Luftstrom immer wieder ergeben. Im Windtunnel wird für uns das Bewegt-Werden von Objekten sichtbar, hörbar oder entzieht sich im Detail dem Test-Protokoll und unserer Wahrnehmung. Nicht wissend, ob das jetzt ein Test war, erfahren wir den Windtunnel voller Nicht-Feststellbarkeiten als besondere ästhetische Umgebung.
Aerographie von Johannes Bennke
Johannes Bennke befestigt einen Füllfederhalte an einem Faden, der somit seine Bewegung im Wind aufzeichnet. Es ist der Versuch einer „Aerographie“ ausgehend von der Fragestellung, welche Bildformen ein gerichteter, gleichmäßiger Wind wohl generiert. Mit der Zeit entstehen Strukturen, gepunktete, mit zarten Strichen durchzogene Flächen, „ähnlich dem eines Galaxienhaufens von der Seite“, so seine Beobachtung. Die Flügelfeder zeichnet nicht allein die eigene Bewegung auf, sondern die Spuren auf dem Papier sind auch Gravuren der Gravitationswirkung, der Reibung von Papier und Feder, sowie der Oberflächenbeschaffenheit des Papiers. Aerographie kann somit den Wind vielleicht transkribierend einfangen. Doch die verwendeten Mittel schreiben sich ebenso ein: Der materielle Widerstand der Feder auf dem Papier sowie die Schwere der gesamten Flügelfeder sind in den teils seriell erzeugten Bildern – oder sind es Schriften? – ebenfalls enthalten. „Aerographie“ stellt sich als Sichtbarmachung singulärer Bewegungen eines Stifts im Luftstrom heraus.
Kein Windspiel von Annika Haas
Im Gegensatz dazu steht das von Annika Haas angefertigte Objekt wortwörtlich im Wind. Motiviert von dem Vorhaben,„Kein Windspiel“ zu bauen, entsteht im Laufe eines Tages eine fragmentierte Membran bestehend aus Plastik-Petrischalen, die in einem großen runden Stickrahmen an Nylonfäden dicht an dicht verknüpft sind. In den Luftstrom gehängt, gibt es keine sichtliche, sondern nur eine durch Kontaktmikrofone hörbare Bewegung, teils dem Klang von Windharfen ähnelnd, teils knirschend und stets verbunden mit der Frage, was bei einem solchen sichtbaren, aber akustisch irritierten Stillstand, „Bewegung“ im Wind heißt. Die Stabilität wird unterbrochen von Membranen, die in den Luftstrom gehalten werden und ihn umlenken, das Objekt ins Trudeln bringen und letztlich in ein Wind-Spiel münden, in dem der menschliche Körper auf Abstand ist, aber ihm mehr und mehr eine beeinflussende Rolle zukommt.
Zeppelin von Saskia Frank
Eine Form, die eher in der Luft zu schweben und anmutig zu „fahren“ scheint, ist der Zeppelin. Saskia Frank lässt ihn als Folienballon im Windtunnel aufsteigen und versucht historische Fotografien darauf zu projizieren. Wenig richtungsorientiert und eher trudelnd, fällt schnell auf, dass der motorisierte Antrieb fehlt, der aber auch in zeitgenössischen fotografischen Abbildern aus den 1920er- und 30er-Jahren weniger eine Rolle spielte als Wind, Form und Farbe, die zu einer Metaphorisierung des Luftschiff als „silberner Wal”, als „Riesengoldfisch”, als „Märchenerscheinung” beitrugen. So ist es sichtlich seine „Haut“, die das Licht aufnimmt und reflektiert, was den Zeppelinballon aus Silberfolie im Gegensatz zu gewöhnlichen Luftballonen zur Erscheinung ohne eigene Farbigkeit macht. Neben dieser Parallele im Hinblick auf das visuelle Erleben und die Nachbildung des Zeppelins in Stoff und Gestalt und in seiner Ereignishaftigkeit, sind ästhetische Ähnlichkeiten zu den Fotografien von und nach der Katastrophe von Lakehurst zu sehen, als der Folienzeppelinballon im Windtunnel mit einem Feuerzeug zerstört wird. Das Helium entschwindet und der Leib des Zeppelins sinkt in sich zusammen auf den Boden. Tierähnlich am Boden liegend, wirkt der Leib des Zepplins wie ein Kunstobjekt mit einer eigenen ästhetischen Aussage – der eigentliche Höhepunkt des Versuchs.
Annika Haas mit Saskia Frank und Johannes Bennke von der AG Kunst und Wissenschaft zu Besuch vom 15.-17.09.2014 am FSP Transdisziplinarität, ZHdK Zürich