Kontext
Künstlerisch – gesellschaftlicher Kontext
Authentizität als Hauptwort der Moderne (Ferrara, 1993) spielt in unserem Alltag eine große Rolle: Die Reisebranche wirbt für „authentische Reisen“ auf der Touristenmesse („Viva Touristika“), unsere authentischen Erlebnisse sind uns nicht nur beim Theaterbesuch wichtig, sondern auch bei Nahrungsmitteln, Turnschuhen, Autos. Manager-Seminare sprechen von „Authentizität als Schlüsselmerkmal für Erfolg“ (Evelin Rosenfeld) und eine Zürcher Agentur will „authentisch werben“ (treibstoff). Lässt sich unter heutigen Bedingungen im Kontext des Theaters überhaupt ein brauchbarer Begriff von Authentizität geben, der allgemein verständlich ist? In wie weit ist „authentisch“ ein phänomenales Attribut und in wie weit muss es als relationales oder selbstreflexives benutzt werden? Ist die Kreation bzw. Konstruktion von Authentizität möglich?
Welche Konditionen und Faktoren, welches „setting“ bietet die Basis für die Entstehung eines Authentizitätsgefühls?
Schwerpunkt Theater
Theaterproduktionen, in denen so genannte Experten oder nicht-professionelle Darsteller zum Einsatz kommen, sind in den letzten Jahren vermehrt zur Aufführung gebracht worden: Christoph Schlingensief, das Kollektiv Rimini Protokoll, das Regieduo Hoffman und Lindholm, das Duo Auftrag/Lorey, die dänische Performancegruppe Signa, das deutschschweizerische Team um Bernhard Mikesha, die Hildesheimer Gruppe Aspik von Ueli Jäckle, Ruedi Häusermann in Lenzburg – sie alle arbeiten mit nicht ausgebildeten Schauspielern, um mit ihrer Hilfe im Theater authentische Wirkungen zu erzielen, die anders nicht möglich wären. Das Forschungsprojekt „Suche nach Authentizität“ geht mit Knaller/Müller, Fischer-Lichte/Pflug und Berg/Hügel/Kurzenberger davon aus, dass in zeitgenössischen Inszenierungen Authentizität hergestellt wird. Wir leben heute in Zeiten des Zerfalls des Phantasmas einer verbürgten Realität (Zizek 2005). Teilaspekte unserer Wirklichkeit lassen sich immer weniger zu einer geschlossenen Gestalt integrieren, bleiben widersprüchlich und bedürfen der permanenten (spielerischen) Authentifizierung. Auf dem Theater geht damit der Zerfall der geschlossenen selbstidentischen Rollenfigur einher. Zugrunde gelegt wird ein Verständnis von Theatralität, das die vier Komponenten Wahrnehmung und Darstellung, Inszenierung und Verkörperung in einen wechselseitigen Bezug setzt (Fischer-Lichte 2002).