Text: Irene Ragaller Bild: Kris De Decker
Dieser Artikel zum «Destination Digital»-Zoomvortrag mit Kris De Decker erschien im MIZ Aktuell Blog der ZHdK.
Digitalität und Nachhaltigkeit: Chance oder Widerspruch? Der freie Journalist und Gründer des Low-Tech-Magazins, Kris De Decker präsentierte dieses viel diskutierte Thema sowie seine persönlichen Erfahrungen mit dem Betrieb einer nachhaltig konzipierten Webseite. Wie sehr uns der Wunsch nach nachhaltiger Digitalität beschäftigt, zeigte sich schon an der grossen Resonanz auf den Event, aber dann besonders auch in der angeregten und vielschichtigen Diskussion im Anschluss.
Zum Einstieg gab De Decker einen Einblick in den gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Nachhaltigkeit und kritisierte die weitverbreitete Meinung, dass «Nachhaltigkeit» einfach mit der Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien zu gewährleisten wäre. Wind- und Sonnenenergie sind viel zu wenig ergiebig, um allein den gegenwärtigen Energiebedarf zu decken. Der Output dieser Technologien fluktuiert stark. Sie benötigen viel Land und eine umfangreiche Infrastruktur zur Energiespeicherung – und nicht zuletzt auch Komponenten, die aus fossilen Bestandteilen produziert werden. De Decker folgert also, dass «Nachhaltigkeit» nicht allein eine Frage unserer Energiequellen sein kann, sondern dass wir für ein nachhaltiges Leben auch unseren Energiebedarf und den darauf basierenden Lebensstil in Betracht ziehen müssen.
Das Internet ist nicht (nur) «Cloud», sondern Infrastruktur.
In eben diesen Fragen nach einem «nachhaltigen» Lebensstil setzen wir gegenwärtig vermehrt auf das Digitale als eine vermeintlich ressourcenschonendere Alternative zu physischen Produkten und Prozessen. Allzu leicht sehen wir das Internet als quasi «immateriell» an. Dabei sind, so De Decker, digitale Technologien nicht die Antwort auf das Problem unseres rasant wachsenden Energiebedarfs, sondern längst Teil des Problems. Den steigenden Energiebedarf im Internet führt De Decker auf drei Hauptgründe zurück:
- Das Netz enthält immer mehr Bilder und Videos in ständig steigender Auflösung.
- Immer mehr Menschen sind ständig online, oft auf mehreren Geräten gleichzeitig.
- Webseiten enthalten immer mehr und immer aufwändigere Softwaretrackers.
Was macht eine «nachhaltige» Webseite aus?
Diese Erkenntnisse führten De Decker also zu der Überlegung, wie man sich diesem Trend entgegenstellen und eine nachhaltigere Webseite konzipieren könnte. Die Inspiration dazu holte er sich aus der Vergangenheit, und zwar konkret von der allerersten Webseite. Mittels eines Solarpanels auf dem Balkon und einem kleinen Server betreibt sein Team nun seit einigen Jahren eine eigene, nachhaltig konzipierte Webseite. Und so berichtet De Decker anschaulich von seinen Erfahrungen aus diesem Projekt.
Das Design der Webseite ist – entgegen dem heutigen Trend – lightweight. Die Seite ist statisch, verwendet keine Trackers, keine Werbung, keine Cookies, und ist auch nicht ständig online.
So gelingt es De Decker, die Seite mit der Energie eines einzigen Solarpanels zu betreiben. In diesem Fall war also die Konzeption der Seite ganz klar auf ein bestimmtes Energielimit zugeschnitten. De Decker betont aber, dass man sich bei der Gestaltung einer Webseite auch selbst ein Limit setzen kann – und sollte. In zeitgenössischem kommerziellen Webdesign geht man dagegen in der Regel vom Design aus. Der entsprechende Energiebedarf wird kaum je hinterfragt.
Nachhaltigkeit ist Effizienz
Ist diese «nachhaltige» Webseite nun ein «Dinosaurier»? Keinesfalls! Es gibt natürlich ein paar Nachteile, erklärt De Decker. Kommentare etwa erscheinen auf einer statischen Seite nicht sofort, sondern erst am nächsten Tag. Und für die User ist es natürlich anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, dass die Seite nicht immer verfügbar ist. Trotzdem fällt De Deckers Bilanz sehr positiv aus. Nicht nur verbraucht seine Seite zwanzigmal weniger Energie als die vorherige, herkömmliche Version; sie lädt auch sehr viel schneller – und verzeichnet doch hohe und ständig steigende Besucherzahlen.
Auch aus Nutzersicht spricht vieles für nachhaltiges Webdesign. So braucht die Darstellung seiner solchen Seite auch auf dem Endnutzergerät sehr viel weniger Energie, und die Seite ist auch mit älteren Geräten abrufbar, was sich wiederum positiv auf die Barrierefreiheit niederschlägt, vor allem für Nutzer aus Entwicklungsländern. Nachhaltiges Webdesign wirkt somit auch der immer schnelleren Geräteobsolenz entgegen.
Zum anderen betont De Decker, dass viele Nutzer an seiner Webseite auch die Tatsache schätzen, dass tatsächlich nur Content dargestellt ist, und man nicht von Werbung, Pop-Ups, Cookie-Einstellungen usw. abgelenkt wird.
Praktische Tipps und Grundsatzfragen
Im Weiteren teilt De Decker ganz konkrete Tipps zum Betrieb seiner Webseite; etwa wie er Bildmaterial komprimiert, oder zu welchen Tageszeiten er die Seite jeweils neu lädt.
Zum anderen stellt er aber auch grundsätzliche und kontroverse Fragen in den Raum. Etwa, welche Inhalte wir wirklich online brauchen und welche man auch offline zur Verfügung stellen könnte. Oder ob es tatsächlich immer dynamische Webseiten braucht, die uns dann zum ständig-online-sein verführen, was erwiesenermassen Stress auslöst und gesundheitliche Folgen haben kann.
Die anschliessende Diskussion reichte ebenfalls von sehr konkreten technischen Themen bis hin zu weltanschaulichen Fragen. In jeder Hinsicht jedoch ein spannender Abend, der zum Nach- und bei vielen wohl auch zum Umdenken angeregt hat!
Bericht: Irene Ragaller
ZHdK-Angehörige finden die Aufzeichnung der Veranstaltung im Medienarchiv.
Dieser Artikel erschien zuerst im MIZaktuell Blog.