Unterwegs mit dem Mikronauten Martin Oeggerli – Das Interview

Werke:
– Oben links: Lavendel
– Oben rechts: Rosmarin
– Unten links: Zitronenmelisse
– Unten rechts: Salbei
© M. Oeggerli, supported by Pathology, University Hospital Basel and School of Life Sciences, FHNW and/or C-CINA, Biozentrum, University Basel.

 

 

Es ist Freitagabend. Ich sitze im vollen Zug von Zürich nach Solothurn und lese mein Lieblingsmagazin. Es ist das National Geographic, die englische Ausgabe vom September 2019. Das Magazin ist spannend wie immer, doch ein Artikel im Speziellen hat meine volle Aufmerksamkeit für sich beansprucht. Es ist der Artikel Tiny Sources Of Big Tastes, indem es um die Bildwelten von Martin Oeggerli geht. Es sind Bilder, von denen ich nicht verstehen kann, wie sie entstanden sind, so eindrucksvoll, dass sie mir nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Im Rahmen meines Studiums bekam ich die Chance ein Interview mit Martin zu führen und ihm all jene Fragen zu stellen, die seine Bilder in mir aufgeworfen haben.

Martin Oeggerli hat «slalomartig» zu dem Beruf gefunden, den er heute ausübt. Begonnen hat es mit dem Wirtschaftsgymnasium, gefolgt von einem Studium in klassischer Biologie. Von da ging es weiter über ein Praktikum in Molekularbiologie und schliesslich zur Krebsforschung, wo er zum Doktor promoviert hat. Als Hobby hat er nebenbei gezeichnet und später auch fotografiert, denn Bildwelten haben ihn schon immer sehr interessiert. Per Zufall ist er dann durch seine Arbeit zum Rasterelektronenmikroskop ¬(REM) gekommen, wo er auch geblieben ist.
Seinen «slalomartigen» Werdegang sieht er als nichts Negatives, denn ohne ihn wäre Martin wohl nicht dort wo er heute ist. Durch sein Biologiestudium hat er mitbekommen, wie wichtig Bilder in diesem Bereich sind und dank seinem «Insiderwissen» weiss er z.B. in welchen Bereichen es noch viel Potential für Bilder und Visualisierungen gibt.
Sein prägendstes Arbeitsinstrument ist das REM, ohne welches seine Arbeit nicht möglich wäre. Das REM macht schwarzweisse Topografieaufnahmen, die schwarz-weiss Fotografien sehr ähnlich sehen, aber auf eine sehr unterschiedliche Weise aufgenommen werden. Bei der Fotografie geht der Verschluss auf, dann wird der ganze Sensor bzw. der ganze Film auf einmal belichtet und die Aufnahme ist fertig, sobald sich der Verschluss wieder schliesst. Das REM funktioniert da anders. Zum Einsatz kommt ein Elektronenstrahl, dessen Wellenlänge viel enger ist als beim Licht, weshalb auch viel kleinere Objekte aufgenommen werden können als bei einem herkömmlichen Lichtmikroskop. Das zuvor getrocknete, goldbedampfte und vakuumierte Präparat wird dann vom Elektronenstrahl Pixel für Pixel, also einem Raster entlang gescannt. Die Elektronen aus dem Elektronenstrahl spicken entweder als sogenannte «Backscatter» zurück oder dringen ins Objekt ein, und treffen auf Sekundärelektronen, die nicht aus dem Elektronenstrahl stammen. Diese energiearmen Sekundärelektronen spicken aus dem Präparat raus und werden dann von Detektoren angesogen. Anschliessend wird ausgemessen, wie viele Sekundärelektronen aus einem Pixel herausgespickt sind. Bei dem Detektor zugewandten Pixeln können mehr Sekundärelektronen gemessen werden weshalb sie heller sind als die dem Detektor abgewandten Pixel, welche dunkler sind. Bei diesen Aufnahmen kann vieles falsch laufen, das Präparat kann verrutschen oder es kann eine schlecht leitfähige Stelle haben und es brennt ein Loch ins Präparat. Bei «Belichtungszeiten» von über einer halben Stunde ist dies mühsam und verlangsamt den Arbeitsprozess. Jedoch ist die Arbeit am REM die kürzere, denn der zeitaufwendigere zweite Arbeitsschritt steht noch an, die Kolorierung in Photoshop.

Obwohl das REM das prägendste Arbeitsinstrument ist, liegt die Kunst erst im Kolorieren der Bilder. Dies geschieht bei Martin mit dem Touchpad auf dem Laptop, da er so durch die vielen Jahre Erfahrung flinker ist als mit jedem Grafik Tablet. Der Prozess des Kolorierens kann gut und gerne einen Monat pro Bild dauern, zumal diese Bilder oftmals über einen Quadratmeter gross sind. So erstaunt es auch nicht, dass die Dateien mit duzenden Layers um die 15 GB gross werden können.

Mit seiner Arbeit bewegt sich Martin auf einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst, was viel Feingefühl erfordert. «So schaffe ich, schon beim Sample muss alles perfekt sein, dann am Mikroskop und bei der Bearbeitung sowieso. Jede Drüse ist perfekt ausgeschnitten mit Verläufen, so dass es nicht aussieht wie ein Scherenschnitt. Denn an den Kanten erkennt man den Meister bei so kolorierten Bildern.»

Ein Bild muss für sich stehen können, ohne Text, es muss also visuell ansprechend sein. Zudem will Martin wenn möglich immer auch Wissen in seine Bilder einfliessen lassen. Gerade Objekte, von denen jeder denkt, er wisse wie sie aussehen, machen Martin doppelt Spass. Denn «jeder isst seine Pizza Prosciutto mit einem Blatt Basilikum drauf. Wenn du dann fragst, wie sieht ein Blatt Basilikum aus, dann meint jeder, er wisse es, aber eigentlich weiss es keiner.» Die Farben wählt er so naturgetreu wie möglich, nimmt sich aber auch die Freiheit, gewisse Details hervorzuheben um Informationen zu vermitteln, indem er ihnen eine den Blick anziehende Farbe gibt. Martin versucht die ganze Farbpalette auszunutzen. Auch Details sind bei ihm nicht «nur grün» sondern komponiert aus vielen verschiedenen Untertönen, damit das Bild nicht einen unnatürlichen Farbstich bekommt. Er macht sich die Farbperspektive zu Nutze, indem er Nahes und Lebendiges in warmen Tönen hält während er die Umgebung und Fernes in kühle Töne taucht. Mit dieser Technik kann er dem Problem entgegenwirken, dass bei einer REM Aufnahme von vorne bis hinten alles scharf ist. Aufgrund der fehlenden Unschärfe weiss das Auge nicht, was von Bedeutung ist, da zu viele Informationen vorhanden sind. Durch die Kolorierung an sich und die angewandte Farbperspektive macht Martin diese Bilder also erst richtig lesbar.

Mit seinen Bildern hat Martin schon grosse Erfolge gefeiert und seine Arbeit wurde unter anderem von BBC, Nature, Cell, Vogue und National Geographic publiziert. Auf meine Aussage, dass ich durch das National Geographic Magazin auf ihn aufmerksam wurde weil mir seine Bilder sofort ins Auge gestochen sind, meinte Martin: «Dann habe ich gute Arbeit geleistet. Ich kenne und lese dieses Heft seit ich klein bin und irgendwann um 1996 bin ich auch Member geworden bei National Geographic. Bei den Bildern und Bildserien die ich mache habe ich eigentlich immer einen National Geographic Artikel im Hinterkopf.» Obwohl eine Publikation in einem namhaften Magazin wie dem National Geographic natürlich eine Ehre ist, hat es auch negative Aspekte. Zum einen arbeitet Martin sehr gross. Seine Bilder sind nicht «nur» schwarzweisse REM Aufnahmen, wie man sie vielleicht kennt. Es sind Kunstbilder, die für den maximalen Effekt auch in ihrer vorgesehenen Grösse betrachtet werden müssen. Dies ist in einem Magazin fast nicht möglich, ausser man druckt die Bilder auf eine Doppelseite, wenn möglich auch noch beidseitig ausklappbar. Es ist schade um die Arbeit und den Effekt, wenn mehrere Bilder verkleinert auf eine Seite gequetscht werden. Ein anderes Dilemma beschreibt Martin wie folgt: «Für so einen Artikel arbeite ich aber im Schnitt eineinhalb Jahre. Und das ist dann oft eine Frage der Finanzierung. Wenn ich so lange an einem Projekt arbeite und sie es dann nicht nehmen, dann habe ich natürlich ein Problem. Aber wenn ich ihnen etwas zeige, das noch nicht fertig ist, und sie geben mir noch 3 Monate um fertig zu werden, dann kann ich 3 Monate durchgehend Arbeiten und hoffen, dass ich zumindest die Hälfte des Potenzials dieser Arbeit ausschöpfen kann. Es ist natürlich schön wenn sie etwas nehmen, denn es ist bezahlt, aber man könnte etwas Tolles draus machen. Das werdet ihr alle auch noch merken mit den Kunden; Wenn du sie überzeugt hast, dann wollen sie alles sofort haben.»

Natürlich ist Martin nicht eineinhalb Jahre Vollzeit mit einem Projekt beschäftigt, sondern arbeitet oftmals an mehreren Projekten gleichzeitig. Ausser wenn er gerade sehr in ein Bild vertieft ist, dann kann es schon auch vorkommen, dass er bis nachts um 2 Uhr an einem Bild weiterkoloriert. Abschliessend ist mir vor allem eine Aussage zu diesem Thema geblieben. «Wenn man Pausenlos an einer Arbeit ist und keine Abwechslung hat, dann wird sie nicht gut.»

Ich möchte mich an dieser Stelle nochmals recht herzlich bei Martin Oeggerli dafür bedanken, dass er sich die Zeit genommen hat, all meine Fragen zu beantworten. Ich freue mich auch in Zukunft auf Martins atemberaubende Bilder zu stossen, wenn ich das National Geographic Magazin am Lesen bin. (Zurzeit sind Martins Aufnahmen von Mikroorganismen im Bericht «Der Zoo in uns» in der National Geographic Ausgabe vom Januar 2020 zu finden.)

 

Martin Oeggerli an seinem Arbeitsplatz
© M. Oeggerli, supported by Pathology, University Hospital Basel and School of Life Sciences, FHNW and/or C-CINA, Biozentrum, University Basel.

 

 

Links:

micronaut.ch

oeggerli.com