GETRIEBEnes DESIGN
SPEZIFIKATIONEN
KONTEXT
Die Bypass Schere PX92 ist ein Produkt der finnischen Firma FISKARS. Dieses Unternehmen besteht bereits seit dem Jahr 1649 und ist somit eines der ältesten Unternehmen der westlichen Welt. FISKARS wandelte sich von einem Eisenunternehmen zu einer modernen Firma, welche stets Innovationen vorantrieb. Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang die Schere „Orange Classic“ zu nennen, welche eine der ersten ergonomischen Scheren aus Kunststoff war. Neue Mechanismen und Materialien für alltägliche Produkte zu testen scheint bei FISKARS Tradition zu haben und genau das spiegelt sich auch in ihrem Gartenscheren-Sortiment wider.
FORMALÄSTHETIK
Für das Objekt wurde eine klare Linienführung gewählt und es wurden starke Kontraste zwischen den Farbtönen eingesetzt. Auf den Einsatz von Geraden wurde verzichtet, stattdessen sind alle Konturen und Elemente geschwungen, wodurch die Form eine dynamische Ästhetik aufweist. Durch die Anwendung eines kräftigen orangen Farbtons erhält das Objekt eine gewisse Dominanz und kontrastiert dadurch auch mit seinem typischen Umfeld.
SYMBOLFUNKTIONEN
Die dynamische Ästhetik des Objekts lässt Assoziationen mit Designs aus dem Automotive-Bereich zu. Durch die ausschliessliche Anwendung von Splines zur Formgebung ist dieser Vergleich naheliegend, da diese Kurvenzüge ihren Ursprung in der Automobil-Branche haben und die Gestaltung eines Fahrzeuges ohne Splines heute undenkbar scheint. Auch die Farbgebung des Objekts erinnert an sportive Transportation-Designs wie etwa KTM Motorräder.
Eine andere mögliche Assoziation wäre mit der Tierwelt möglich: Die Klingen könnten als Schnabel interpretiert werden und die Innensechskantschraube als Auge. Durch diese Betrachtungsweise kommt das Objekt visuell einem exotischen Vogel, wie etwa einem Tucan, nahe.
ZIELGRUPPE
Die Design-Theoretikerin Uta Brandes hat bei einem Vortrag an der ZHdK (Dienstagabendveranstaltung vom 24.10.2017) erwähnt, dass FISKARS neben HILTI eine der Firmen wäre, welche eine Product Identity gewählt hätte, die spezifisch für Männer ausgelegt sei. Die Designsprache sei im Allgemeinen aggressiv und würde Macht ausstrahlen und wäre deshalb typisch männlich konnotiert. Wenn man diesem Klischee-Denken unterworfen ist, so scheint diese Behauptung auch zu stimmen, denn die Firma bewirbt ihre Produkte tendenziell mit technischen Begriffen wie Power, Gear und FiberComp. Jedoch sind diese Klischees lediglich in den Köpfen eines Teils unserer Gesellschaft verankert, wodurch es permanent zu einer divergierenden Behandlung respektive Erwartungshaltung kommt, nur aufgrund des Geschlechts einer Person. Durch die kontinuierliche Reproduktion geschlechtsnormierender Inhalte werden Rollenbilder weiter verstärkt, weshalb an dieser Stelle darauf verzichtet wird. Stattdessen wird eine allgemeinere Aussage getroffen: Die typische Designsprache von FISKARS, die auch bei der PX92 gewählt wurde, spricht mit höherer Wahrscheinlichkeit Menschen an, die technikaffin sind. Dies begründet sich daraus, dass viele Designs von FISKARS komplexe mechanische Details aufweisen, die bei technisch versierten Menschen durchaus Begeisterung auslösen können. Als weitere Eigenschaft kommen Personen in Frage, die Wert auf Effizienz legen und den beworbenen „PowerGear X mit 3x mehr Leistung“ wertschätzen würden, da sie entweder weniger Kraft aufwenden wollen oder mehr Arbeit verrichten können wollen als mit herkömmlichen Scheren. Da die Rezyklierbarkeit bei dem Produkt sehr beschränkt ist (siehe Kapitel Nachhaltigkeit) werden Menschen mit ökologisch-progressiven Denken als Zielgruppe tendenziell ausgeschlossen.
VERPACKUNG
Die Verpackung der Gartenschere besteht aus bedruckter Pappe und einer Kunststoff-Umhüllung aus PET. Auf der Packung wurden diverse Produktinformationen aufgedruckt, welche die Vorteile des Objektes hervorheben sollen respektive für den Nutzer relevante Details kommuniziert (Hand-Grösse und maximaler Durchmesser des Schnittgutes). Das Testen der Funktionsweise und der Haptik des Produktes ist möglich ohne das Objekt aus der Verpackung zu entnehmen.
Des Weiteren kann man die Bypass Schere vollständig aus der Umhüllung lösen, ohne die Verpackung selbst zu beschädigen. Daraus lässt sich schliessen, dass der Hersteller mehr Wert auf das Testing des Kunden legt als auf etwaige Diebstahlsicherungen.
Ein weiterer Vorteil der Kunststoff-Umhüllung ist die mögliche Wiederverwendbarkeit dieser als Schutz für die Klingen respektive für die Umgebung. Zusätzlich befindet sich in der Umhüllung ein Loch, welches für eine Aufhängung zur Lagerung der Schere z.B. in einem Gartenschuppen geeignet wäre.
ALLTÄGLICHER GEBRAUCH & TESTING
Beim Testing wurde unter anderem geprüft, ob die Schere den angegebenen Spezifikationen gerecht wird. Beim Schneiden von frischem Grün bis 20mm Durchmesser erfüllte die Schere problemlos die Angaben. Bezüglich den ergonomischen Vorteilen der Schere wurden Meinungen und Eindrücke von einigen Testpersonen eingeholt, jedoch wurde auf eine ausführliche Umfrage mit entsprechend grossem Stichprobenumfang zugunsten von anderen Themen verzichtet. Die Schere für das Testing ist für Rechtshänder und weisst Grösse M auf, dennoch kann auch eine Person mit kleineren Händen sie nutzen. Dies jedoch nur mit der Einschränkung, dass die Schere im voll geöffneten Zustand schlecht in der Hand liegt, da die Finger den Rollgriff nur noch schlecht umfassen können. Bei grösseren Händen wurde die Länge der Griffe bemängelt.
Die Ergonomie des Rollgriffes wurde von den Testpersonen vorwiegend positiv aufgenommen, jedoch empfanden einige den Bewegungsablauf zunächst ungewohnt, meinten jedoch, dass sie sich schnell daran gewöhnen würden. Teilweise wurde bemängelt, dass der Getriebemechanismus sich während des Öffnens und Schliessens unangenehm anfühlt, da er mit der Hand in Kontakt kommt. Jedoch wurde dies als minim bewertet und wäre im Allgemeinen akzeptabel.
AUSTAUSCH DER ERSATZTEILE
Um die Klinge oder die Feder auszutauschen muss zunächst die Innensechskantschraube gelöst werden. Danach können alle Komponenten voneinander getrennt werden, jedoch besteht das Risiko, dass sich die Feder löst, wodurch die Verlustgefahr gross ist.
Der Zusammenbau der Einzelteile ist aufgrund der Feder ebenso schwierig, da sie gestaucht werden muss und gleichzeitig die anderen Komponenten korrekt positioniert werden müssen. Es besteht demnach sowohl bei der Demontage als auch bei der Montage Verlustgefahr der Feder.
Positiv zu vermerken ist die geringe Anzahl an Teilen, wodurch das Objekt sehr übersichtlich wirkt. Die Zerlegung und der Zusammenbau werden dadurch vereinfacht.
MECHANISMEN
GETRIEBEMECHANISMUS
Im Folgenden wird unterschieden zwischen dem statischen Griff und dem dynamischen Griff (Rollgriff). Der statische Griff ist mit dem inneren Teil eines Kegelradgetriebesegments versehen, während der dynamische Griff über den äusseren Gegenspieler verfügt.
Bei der Verzahnung handelt es sich um eine verjüngte Evolventenverzahnung. Die Verjüngung ermöglicht eine Rotationsbewegung des Rollgriffes, welche der Greifbewegung der menschlichen Hand ähnlich ist. Führt man einen Schnitt aus, so bleibt der statische Griff in Ruhe, während der dynamische Griff die Rotation durchführt. Simultan zu dieser Rotationsbewegung schliesst sich die Klinge, da das Zahnradsegment des Rollgriffes mit dem orangefarbenem Kopfstück verbunden ist und somit die Bewegung an die antihaftbeschichtete Klinge weitergibt. Für die Ausführung dieser Bewegung ist – auch ohne Gehölz zwischen den Klingen – Kraft von Nöten, da während der Durchführung die Schraubfeder elastisch verformt wird. Dies hat den Vorteil, dass sich die Klinge automatisch wieder öffnet, wenn man den Griff wieder löst, da die gespannte Schraubenfeder wieder nach dem entspannten Zustand strebt. Der automatisierte Öffnungsmechanismus wird von einem Endanschlag gestoppt. Als Endanschlag dient hierbei die unbeschichtete Klinge, welche das orange Kopfstück blockiert.
ARRETIERUNG
Durch Arretierung werden die Klingen geschlossen gehalten um die Bypass Schere zu sichern. Dadurch wird die Verletzungsgefahr reduziert und ein optimierter Transport ermöglicht. Die Arretierung erfolgt mit einem Schieber, welcher am statischen Griff angebracht ist. Im geschlossenen Zustand der Klinge wird die Arretierung durchgeführt, indem man den Feststeller mit dem rechten Daumen nach vorne (zu den Klingen) schiebt. Der arretierte Zustand wird mittels eines Lock-Symbols, welches im nicht-arretierten Zustand unter dem Schieber verborgen ist, zusätzlich visualisiert.
Durch einen Blick zwischen die beiden Griffe der Schere wird die Funktion des Schiebers ersichtlich: Es wird bei der Arretierung ein Riegel, der direkt mit dem Schieber verbunden ist, über das orange Kopfstück geschoben. Aufgrund dieser Verriegelung kann sich die Feder nicht mehr ausdehnen und verharrt im gespannten Zustand.
Bei einer detaillierten Betrachtung der Schere fällt auf, dass der Schieber auch in den arretierten Zustand gebracht werden kann, obwohl die Klingen nicht geschlossen sind. Für diesen theoretisch ungewollten Zustand wurde folgende Lösung gewählt: Der Riegel und das orange Kopfstück wurden auf einer Seite verrundet, so dass beim Schliessen der Griffe das orange Kopfstück über den Riegel gleitet und einrastet.
MATERIALITÄT
Die Klingen der PX92 bestehen beide aus Stahl, wobei die schwarze Schneidklinge zusätzlich eine Kunststoffbeschichtung aus PTFE (Polytetrafluorethylen) aufweist. Diese Beschichtung bildet eine sehr glatte Oberfläche, wodurch die Reibung reduziert wird. Die Innensechskant-Schraube, welche zur Montage der Klingen dient, besteht ebenfalls aus Stahl. Ein weiteres Element aus Stahl ist die Schraubenfeder, welche vom statischen Griff umgeben ist und somit kaum sichtbar ist.
Alle anderen Elemente der Bypass Schere bestehen aus Kunststoff respektive aus einem Faserverbundwerkstoff. Der orange Teil des statischen Griffes ist gummiert um einen verbesserten Grip zu gewährleisten. Auf dem statischen Griff befindet sich der Recycling-Code 7 (Andere Kunststoffe), wodurch eine präzise Aussage über den verwendeten Kunststoff nicht möglich ist. Das Material wurde von FISKARS patentiert unter dem Namen FiberComp® (FIBERglass COMPosite, Glasfaser Verbundwerkstoff). Dabei handelt es sich laut Herstellerangaben um eine Vermengung eines Duroplasten mit Glasfasern. Durch die Compoundierung des Kunststoffes mit Glasfasern ergeben sich für das Eigenschaftsprofil des Materials diverse Vorteile, etwa reduzierte Dichte (geringeres Gewicht) und erhöhte Festigkeit. Des Weiteren bleibt fertigungstechnisch die Möglichkeit des Spritzgiessens erhalten, wodurch eine kostengünstige Massenproduktion möglich ist.
NACHHALTIGKEIT & QUALITÄT
Aufgrund der Verwendung eines Faserverbundwerkstoffes bestehend aus einem Duromer und Glasfasern ist ein zweiter Formgebungsprozess aktuell ausgeschlossen. Die PTFE Beschichtung auf der Klinge stellt für die Rezyklierung ebenfalls ein Problem dar, da die spezialisierten Anlagen für die Wiederverwertung keinen hohen Verbreitungsgrad haben. Lediglich die unbehandelten metallischen Komponenten der Schere könnten wieder eingeschmolzen werden. Alle anderen Bestandteile der Schere werden bestenfalls thermisch verwertet oder werden (im schlechteren Fall) deponiert.
Theoretisch könnte man die Nutzung solcher schwer rezyklierbaren Materialien rechtfertigen, wenn die Lebensdauer des Produktes ausserordentlich hoch wäre. Jedoch kam es bereits nach kurzer Zeit des Gebrauchs der Schere zu ersten Abnutzungserscheinungen: Da die unbehandelte Stahlklinge als Endanschlag für das orange Kopfstück dient, kommt es bei jeder vollständigen Öffnung der Schere zu Verschleisserscheinungen des Faserverbundwerkstoffes. Des Weiteren besteht das Innengewinde für die Innensechskantschraube ebenfalls aus dem Faserverbundwerkstoff was sich mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ auf die Lebensdauer des Produkts auswirkt.
Positiv ist bezüglich Nachhaltigkeit die Möglichkeit der Bestellung von Ersatzteilen zu nennen, jedoch sind nur Ersatzklingen und Ersatzfedern vom Hersteller erhältlich.
Bezüglich der Qualität wirken sich noch weitere kleinere Faktoren negativ aus: Der Schieber für die Arretierung hat im offenen Zustand zu viel Spiel und wirkt dadurch instabil. Die gleiche Problematik zeigt sich beim Rollgriff im arretierten Zustand.
Als weiteres Qualitätskriterium wurde die Sichtbarkeit des Schmiermittels im Getriebe genannt. Jedoch kam es hier zu divergierenden Meinungen, da es von einigen Personen als unästhetisch wahrgenommen wurde, während andere es als funktional und damit qualitativ hochwertig empfanden. Um hier eine Schlussfolgerung zu ermöglichen wäre ein höherer Stichprobenumfang nötig.
SICHERHEIT
Die PX92 hat, wie alle anderen getesteten Gartenscheren, offene und spitz zulaufende Klingen. Es ist – abgesehen von der Arretierung – kein Schutz vorhanden, der die Verletzungsgefahr reduzieren würde. Darüber hinaus könnte man sich theoretisch bei der Arbeit mit der Schere die Finger im Getriebemechanismus einklemmen, jedoch wird dieses Risiko als sehr gering eingeschätzt, da keine Testperson dies bemängelte.
Anmerkung:
Alle Fotografien wurden von der Autorin aufgenommen, ausser wenn in der Bildunterschrift anders vermerkt.