Zwei Ikonen beim Kamingespräch
Der Andrang war enorm am Mittwochabend, das Auditorium an der ETH sowie mehrere Übertragungssäle zum Bersten voll. Nicht alle Tage plaudern zwei so profilierte Leitfiguren der Architektur aus dem Nähkästchen. Der Niederländer Rem Koolhaas hat mit seinem Büro OMA und seinen Publikationen zur Architekturtheorie Geschichte geschrieben. Auch Bernhard Tschumi, der in Lausanne geboren ist und an der ETH studiert hat, krempelte die Architekturwelt um mit seinen Bauten und seinen Theorien zur Beziehung zwischen Architektur und deren Benutzung. Die beiden diskutierten engagiert und zeigten eindrücklich, warum sie nicht nur renommierte Architekten, sondern auch brillante Denker und Theoretiker sind. Und kaum war ein Aspekt angeschnitten, peitschte Moderator Stefan Trüby die beiden zum nächsten.
Koolhaas’ und Tschumis Biografien weisen erstaunliche Parallelen auf. Im Mai 1968 waren beide in Paris, Koolhaas als Journalist und Tschumi als Praktikant in einem Architekturbüro. Rückblickend sagte Koolhaas: «Wir vergessen bei den 60er-Jahren, wie überraschend offen das System war.» Ein kurzer Brief habe ihm genügt, um eine Woche später als Journalist für eine Zeitung zu schreiben. «Die Schönheit der Periode ist nicht so sehr die Rebellion, sondern wie zugänglich alles war.» Tschumi war im Mai 68 auf der Strasse und wurde gar einmal verhaftet. Der Umbruch habe es seiner Generation erlaubt, alles infrage zu stellen – mit weitreichenden Folgen auch für die Architektur.
«Einsame Atome im Raum»
In den 70er-Jahren zogen die beiden 1944 geborenen Architekten nach Manhattan, wo sie am Institute for Architecture and Urban Studies unter Peter Eisenman wirkten. Eisenman hätte nur mit ihm spielen wollen, erklärte Koolhaas, seriös über Architekturtheorie hätten sie kaum gesprochen. Damals entdeckten beide New York als Grundlage für ihre Auseinandersetzung mit der Stadt. Koolhaas veröffentlichte 1978 «Delirious New York», drei Jahre später erschien Tschumis «Manhattan Transcript». Beide Bücher reflektieren nicht den harten Stein der Architektur, sondern die Aktionen und Handlungen zwischen den gebauten Mauern. «Es gibt keinen Raum, ohne dass darin etwas passiert», sagt Tschumi.
Die Diskussion drehte sich denn auch weniger um konkrete Projekte, sondern um die Konzepte und Ideen ihrer Entwürfe und darum, was die Architektur beeinflusst – Themen, die im globalen Architekturwetteifer in den Hintergrund geraten. Heute seien Ikonen gefragt, alle eiferten dem Bilbao-Effekt nach, bedauerte Tschumi. «Es herrscht der generelle Konsens, dass Städte Ansammlungen von individuellen Objekten sind.» Der Dekonstruktivismus sei die letzte Architekturbewegung gewesen, sagte Koolhaas. «Heute sind alles einsame Atome im Raum, das ist tragisch.»Nach zweieinhalb Stunden theoretischer Diskurse und biografischer Vergleiche war das Gespräch vorbei. Den Zuhörern rauchten die Köpfe, für die beiden Architekten aber schien der Abend ein kurzer gedanklicher Spaziergang gewesen zu sein. (Tages-Anzeiger)
Erstellt: 20.05.2011, 13:51 Uhr