Wie helfen uns die sozialen Medien unser inneres Selbst zu gestalten?
Kuckt man unter die Oberfläche der sozialen Technologien der heutigen Zeit, kann man einige spannende Mechanismen beobachten. Wenn man vom durchschnittlichen Benutzer und aktuellen Nutzung absieht und die Grundstruktur der Sozialen Medien freilegt, kann man einen grösseren Sinn in dieser Technologie entdecken. Unter dem Deckmantel der oberflächlichen Selbstdarstellung steckt ein Werkzeug, das uns helfen kann unser Selbst zu gestalten.
Durch das ständige niederschreiben des eigenen Lebens, beschäftigt man sich mit seinem Innern. Vor jedem Beitrag wird bewusst nachgedacht über die Ereignisse, die man darstellen möchte und wie sie präsentiert werden sollen. Die Art und Weise der Darstellung lässt Rückschlüsse auf seine persönliche Wahrheit ziehen lassen.
Das Veröffentlichen der Beiträge als zweiter Schritt, zieht die Konsequenz der Selbstenthüllung nach sich. Dadurch entblösst man sich vor der Gesellschaft. Wobei der Nutzer sich die Gesellschaft selber aussuchen kann, durch die Einstellung des Publikumsradius – des Freundeskreis.
Daraus entsteht dann das dritte Werkzeug zur Selbstbestimmung. Auf jeden Beitrag kommt eine direkte Rückmeldung. Der Empfänger hat die Möglichkeit auf jede Publikation konstruktiv zu reagieren. Dadurch wird der Ball wieder zurückgespielt an den Sender, der mit dem Feedback von Aussen sein Bild des Innern anpassen kann.
Michel Foucault führt in Technologien des Selbst unglaublich viele Quellen an und leuchtet scheinbar jede Aussage von mehreren Seiten aus. Der Text wirkt, als wollte Foucault damit verzweifelt etwas beweisen. Wirft man einen Blick in seine Biografie, wird einem schnell klar weshalb.
Foucault war ein von der Gesellschaft gebrandmarkter Charakter des 20. Jahrhunderts. Als Homosexueller musste er sein Leben lang gegen verschiedene Mächte ankämpfen. Mächte, die ihm vorschreiben wollten, wie er sein Leben zu gestalten hätte – ihm verbieten wollten sein Leben selber zu gestalten.
Mit dem Erarbeiten der Technologien des Selbst, setzt er den Grundstein der Gestaltung seines eigenen Lebens. Er versucht sein Leben und sein Selbst zu legitimieren. Dafür sucht er nach einer Anleitung – einer Technologie – die dem Menschen die Legitimation gibt, eigenständig über sein Leben zu bestimmen.
Das Selbst ist ein philosophisches Konzept, um vom Inneren des Menschen sprechen zu können. Nicht von Organen, sprich nicht das medizinisch Innere. Die Rede ist vom Kern des Individuums. Neben dem bewussten Ich und dem Gedächtnis macht uns das Selbst zu dem was wir sind. Wir können es hier zu Zwecken des besseren Verständnisses auch Seele nennen.
Es ist das Bild, das wir von uns selbst malen. Jede Tat, Entscheidung, Erinnerung und jeder Gedanke prägen das Bild unseres Selbst. Das Bild ist als amorpher Komplex verschiedener Farben anzusehen. Wobei die Farben unterschiedliche Ereignisse, Gedanken, Entscheidungen und Taten darstellen. Zusammen ergeben sie ein Bild, das in stetem Wandel ist.
Die Machtkomplexe unserer Gesellschaft haben eine klare Vorstellung, welche Farben auf der Palette willkommen sind und welche verboten – welche Bilder schön sind und welche nicht. Wer nicht in den Rahmen passt, muss sich anpassen oder wird ausgeschlossen.
Foucault’s Homosexualität war ein solcher falscher Farbklecks in den Augen der zur Zeit vorherrschenden Machtstrukturen. Um die individuelle Arbeit am eigenen Bild zu legitimieren, setzte sich Michel Foucault mit den Technologien des Selbst auseinander.
An seinem inneren Selbst arbeiten zu können, erfordert laut Foucault Wahrheit. Unabhängig von der Technik die man anwendet, um sein Selbst zu verändern, braucht es am Ende die Wahrheit. Jeder Einfluss, der das Selbst verändert, wird anhand ihr gemessen und bewertet.
Laut Platon steckt die Wahrheit in uns allen. Tief vergraben in unserem Innern steckt das Potential zur Wahrheit. Nur durch kontinuierliches Nachdenken und Hinterfragen kann sie ans Tageslicht gebracht werden. Durch das Reflektieren der eigenen Gedanken – also das Betrachten der Spiegelung seines Inneren – kann eine Annäherung an die Wahrheit gemacht werden.
Was wir in uns vorfinden, müssen wir bewerten. Als Masstab dient die Moral. Diese bauen wir in uns auf, indem wir alle Erfahrungen, unsere Erziehung und alles was wir gelernt haben, zusammengeben und daraus ein persönliches Regelbuch manifestieren. Da wir ständig dazulernen und neue Erfahrungen sammeln, verändert sich auch unser Moralbegriff mit der Zeit.
Diese Wahrheit, die auf dem oben beschriebenen Weg gefunden werden kann, ist subjektiv. Jedes Individuum hat seine eigene Wahrheit, wie auch jedes Wesen sein eigenes Leben lebt. Doch kann durchaus von demographisch allgemeinen Wahrheiten gesprochen werden, wenn denn das gewünscht ist. In derselben Kultur werden allen die gleichen Werte vermittelt und viele Erfahrungen macht das Individuum gemeinsam mit allen anderen. So unterscheiden sich die Moralbegriffe auch nur in Nuancen. Also kann durchaus von einer intersubjektiven – also eine von mehreren Subjekten akzeptierte – Wahrheit gesprochen werden.
Viele Wege führen nach Rom. Analog gibt es viele Techniken, die dem Individuum helfen, Einfluss auf das Bild seiner Selbst zu nehmen. Michel Foucault schlägt in seinem Text Technologien des Selbst einige vor.
Die Kontrolle über sein Inneres zu erlangen, erfordert Kontrolle über seine Gedanken. Jeder Gedanke, jede Entscheidung und jede Erfahrung muss festgehalten werden und auf ihre Wahrheit geprüft werden. Das Niederschreiben dieser Ereignisse wird schon seit Urzeiten praktiziert. In Form von Briefen, die man an Freunde schickt, oder Tagebucheinträgen. Egal ob geteilt oder privat, das Schreiben hält die Gedanken im Raum fest und erlaubt eine genauere Prüfung. Mit dieser Selbstprüfung reflektiert man sich selber und kann damit Einfluss auf sein Selbst nehmen.
Etwas weniger penibel ist die Methode der Meditation. Dabei geht es darum, ethische Fragen zu behandeln. Entweder als Gedankenspiel mit der Frage: „Was wäre wenn?“, oder als physisch erlebtes Experiment. Unabhängig davon, ob praktisch oder theoretisch orientiert – oder irgendwo dazwischen – führt die Übung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit seiner inneren Wahrheit. Diese Wahrheit hat direkten Einfluss darauf wie wir das Bild des Selbst malen.
Als letzte Technik schlägt Foucault die Askese vor. Damit ist weniger der Verzicht auf etwas gemeint, sondern vielmehr der Fokus auf das – Sorge um das Selbst tragen. Mit dem Blick sowohl nach innen als auch nach aussen gerichtet, beobachtet man sich selbst. Man vergleicht, wie das Innere auf Äusseres reagiert. Es wird sowohl das Leibliche, als auch das Geistige geschult, nach der inneren Wahrheit zu leben.
Noah Bühler