Andrea Todisco
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Und wie es anfängt, weisst du schon. Vor kurzer Zeit war ich noch fliessendes Wasser, das jetzt hier stehen geblieben ist.
Gestern habe ich meine Grossmutter angerufen, um mich auf diese Arbeit vorzubereiten. Meine Grossmutter ist in einem Bauerndorf in den Apenninen aufgewachsen. Wasser tragen war für sie normal. Sie erzählte mir von den schönen Zinkeimern, mit denen sie jeden Morgen das Wasser trug, bis Mussolini alle Metalleimer einsammelte. Ich glaube nicht, dass sie genau weiss, wieso er das tat. Sie erzählte mir von den verschiedenen Quellen und Bächen in ihrem Heimatdorf. Ich wohne nun schon seit bald zwei Jahren in Zürich. Ich wusste nicht einmal, dass die Sihl nicht aus dem Zürichsee fliesst. Andere, mit denen ich darüber gesprochen habe und schon länger in Zürich wohnen, wussten es auch nicht. Ich glaube, es braucht schon ein grosses Mass an Automatismen und Infrastrukturen, damit es nicht mehr wichtig ist, den Flusslauf zu kennen. Ausserdem habe ich über die beiden Flüsse recherchiert. Ich brauchte ja Kontext. Tatsächlich ist Hochwasser seit 2005 ein sehr grosses Thema in Zürich. Damals wäre die Katastrophe beinahe eingetroffen. Seither wird fleissig investiert: Schwemmholzrechen und Abflussstollen in Thalwil, Flussbeckenabsenkungen unter dem HB und weiteres. Ich wusste natürlich nichts von der grossen Wassergefahr.
Eigentlich spreche ich in Zürich nie über Wasser, ausser über den Letten und den See, also über Vergnügen. Meistens spreche ich in Zürich über Ideen und Ideologien. Oft scheint es mir, Zürich schwebe. Dann gehe ich nach Hause, in die Berge. Je weiter man dort in die Täler fährt, desto wichtiger werden die Flüsse. Wer dort wohnt, weiss woher sie kommen. Sogar woher die Bäche kommen. Es wird nicht über Ideen und Ideologien gesprochen. Meistens sprechen die Bauern über Erde, Wasser, Vieh und Wetter. Wetter nicht in Bezug auf Vergnügen.
Die Welt steht in diesen Tälern.
Ich trage nun Wasser. Schon seit Stunden. Ich weiss nicht, wie viele Liter, doch die Schultern schmerzen. Meine Schultern, eigentlich auch Wasser. Ich, eigentlich auch Wasser. Wasser, das Wasser trägt.
Ich bin der Fluss.
Und wie es ausgeht, weisst du schon. Vor kurzer Zeit waren wir noch fliessendes Wasser, welches nun kurz zusammengekommen ist.
-Andrea Todisco (2021)