Die neue Aufklärung soll die Tugend der Balance betonen

„Ich beobachte an mir selber, an unseren Kindern und Enkeln, ja an fast allen Menschen, die mir lieb sind, zunehmend eine Gehetztheit, ein per­manentes Gefühl, dass man es nicht schafft. Dieses zu überwinden durch eine Wertschätzung von Ruhe, Langsamkeit und Freundschaft anstelle von ­Schnelligkeit und Rivalität, ist für mich fast selbstverständlich ein Wertegewinn, ein zivilisatorischer und kultureller Gewinn.“

Ausschnitt aus dem Interview mit Ernst Ulrich von Weizsäcker, Co-Präsident des Club of Rome.
Webseite von Ernst Ulrich von Weizsäcker.

Tages Anzeiger, 17.03.2018

Was bedeutet das für die Kernthese des Club of Rome? Steuern wir immer noch auf einen Kollaps zu, wenn wir so weiterwachsen?
Kollaps klingt so, als ob das von heute auf morgen passiert. Das wird nicht der Fall sein. Die Systeme kollabieren langsam, über hundert oder mehr Jahre. Was wir Menschen der Erde antun, ist mindes­tens so schlimm wie der gigantische Meteoriteneinschlag, der das Erdmittelalter beendete und die Dinosaurier und fast alles andere Leben vernichtete.

[…]

Wenn wir so weitermachen wie bisher, bleibt uns nur ein massiver Wohlstandsverzicht. Wenn wir es aber politisch schaffen, dem technischen Fortschritt eine neue Richtung zu geben, dann kommen wir an einem Wohlstandsverzicht vorbei.

Wie soll das gehen?
Die Massnahmen, die man durchsetzen müsste, damit sich Umweltschutz auch für die Aktionäre auszahlt, sind so unpopulär, dass sie bisher von keiner Regierung der Welt ausser der chinesischen durchgesetzt worden sind.

China als Vorbild im Umweltschutz?
China ist das Land, wo die Energiepreise in den letzten 20 Jahren am steilsten gestiegen sind. Der 13. Fünfjahresplan enthält explizit eine Fortsetzung dieser Strategie. In der Schweiz gab es auch mehrere Volksabstimmungen zu einer ökologischen Steuerreform. Sie wurden aber immer abgelehnt.

[…]

Ich halte die Ökonomisierung der ganzen Gesellschaft für eine tiefe philosophische Krise, aus der wir nur herauskommen werden, wenn wir so etwas wie eine neue Aufklärung machen. Die Krise ist nicht das ökonomische Denken, sondern die Dominanz der Kapitalrendite über die parlamentarische Legitimation.

[…]

Wie viel Wachstum braucht es, um ein gutes Leben zu haben?
Man muss unterscheiden zwischen einem Wachstum des Naturverbrauchs und dem Wirtschaftswachstum. Beim Ressourcen- und Flächenverbrauch sage ich dogmatisch: Nullwachstum. In Bezug auf Umsatz und Bruttoinlandprodukt (BIP) darf es jedoch sehr wohl Wachstum geben, wobei das BIP natürlich ein erschreckend schlechter Massstab für das Wohlergehen der Menschen ist.

Wächst das BIP, gibt es aber auch Arbeitsplätze. So werden Wahlen gewonnen.
Das BIP geht mit der bezahlten Beschäftigung einher. Richtig. Für alle politischen Parteien hat das hohe Priorität. Als deutscher Bundestagsabgeordneter habe ich selbst erlebt, welch grosser Druck entsteht, wenn das Kapital sagt, dass es keine Lust mehr hat, in Deutschland zu investieren. Das war für den damaligen Kanzler Gerhard Schröder ein Zwang, de facto einen Sozialabbau vorzuschlagen, damit wieder Arbeitsplätze entstehen. Übrigens kann ökologisches Wirtschaften, etwa Kreislaufwirtschaft und Energieeffizienz, mehr Arbeitsplätze schaffen als die Wegwerfgesellschaft.

[…]

Wie löst man sich vom Imperativ des Konsums?
Materieller Konsum und Zufriedenheit sind ja nicht automatisch das Gleiche. Geigespielen kann beispielsweise etwas unglaublich Befriedigendes sein. Auch mit kleinen Kindern zu spielen, ist etwas unglaublich Schönes – und es verbraucht keine Natur. Dies in unserer leistungs- und Output-orientierten Gesellschaft wieder zu entdecken, ist eine zivilisatorische Umstellung anderer Grössenordnung. “

 

 

 

 

 

Bild:
Von Heinrich Böll Stiftung from Berlin, Deutschland – Ernst Ulrich von Weizsäcker, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12068544)

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