Das Forschungsprojektes „Re/Okkupation“, das in Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Zürich und der ETH (Professur für Architektur und Städtebau) am Institut für Theorie (ith) der ZHdK stattfindet und vom Schweizer Nationalfonds (SNF) gefördert wird, untersucht exemplarisch am Beispiel von theatralen Interventionen im Stadtraum Zürich, wie performative Techniken zur Erzeugung und Gestaltung von Öffentlichkeit im urbanen Raum genutzt werden können. Dabei bedient es sich interdisziplinär den Instrumentarien und Methoden der Design-, Architektur-, Urbanistik- und Theaterwissenschaft sowie der Philosophie.
Forschungsgegenstand ist „Ciudades Paralelas – Parallele Städte“, ein mehrtägiges Festival in verschiedenen Funktionsräumen der Stadt Zürich: Bahnhof, Hotel, Bibliothek, Shopping-Center, Wohnhaus, Fabrik, Dachlandschaft und Gericht werden von Künstlern aus Deutschland, Argentinien und der Schweiz durch Interventionen anders belebt und dem Besucher anders zugänglich gemacht. Die Interventionen bespielen also nicht traditionelle Typologien öffentlicher Räume (wie Strassen, Plätze, Parks etc.), sondern erschliessen andere/neue städtische Räume, in denen Öffentlichkeit praktiziert werden kann. Kuratiert wird das Mini-Festival von dem Rimini Protokoller Stefan Kaegi und der argentinischen Regisseurin Lola Arias. Praxispartner und Produzent ist das Schauspielhaus Zürich.
Das Forschungsprojekt beschäftigt sich grundsätzlich mit der Frage, inwiefern künstlerische Strategien für wissenschaftliches Forschen fruchtbar gemacht werden können, indem es mit den Methoden der Wissenschaft die Nachhaltigkeit der theatralen Interventionen von Ciudades Paralelas im Stadtraum Zürich untersucht. Die vier Forschungsbereiche – Theaterwissenschaft, Urbanistik, Szenografie und Philosophie – arbeiten weitgehend unabhängig mit jeweils eigenen Fragestellungen und den Methoden der eigenen Disziplin. Wesentlich sind die drei gemeinsamen Treffen – wir nennen sie Laboratorien – in denen sowohl über den Stand der Arbeit berichtet, nach Gemeinsamkeiten und Differenzen gesucht, wie auch eruiert wird, ob und inwiefern sich die Forschungsbereiche aufeinander abstützen können. Als zusätzlicher Input und externe „Kontrolle“ werden zu diesen Laboratorien jeweils 4 – 6 Künstler oder Wissenschaftler diverser Disziplinen als Experten eingeladen.
In den einzelnen Forschungsteilen werden Fragen aufgeworfen, die das theatrale Ereignis und sein Umfeld von verschiedenen Seiten beleuchten. Immer geht es sowohl um eine Beschreibung der künstlerischen Intervention im urbanen Raum, der konkreten Gestaltung einer Öffentlichkeit, als auch um die Nützlichkeit theateraler Techniken zu dieser Gestaltung.
Durch die enge Verzahnung mit dem Festival Ciudades Paralelas versucht das Forschungsprojekt eine Brücke zu schlagen zwischen der künstlerischen Arbeit, die sich mit dem urbanen Raum beschäftigt, und den Disziplinen, die sich in einem eher wissenschaftlichen-theoretischen Umfeld damit auseinandersetzen.
Theaterwissenschaft – Imanuel Schipper (Projektleiter, ith, ZHdK)
Hier geht es um die Frage, was für Vorstellungsarten, Dramaturgien, Inszenierungen und Materialitäten für die theatralen Stadtrauminterventionen benutzt werden, und welche Rolle der Zuschauer dabei spielt: Wie stark wird er inkludiert und dadurch emanzipiert (im Verhältnis zur „klassischen“ Publikumssituation)? Daran anschliessend soll erörtert werden, was solche neuen Theaterformen für die Institution „Stadttheater“, für dessen Image in der Stadt und für dessen Publikum bedeutet – wenn Theater die bekannten Bretter (die die Welt bedeuten) verlässt und „normale“ urbane Funktionsräume zu Bühnen macht.
Philosophie – Clemens Bellut (Design2context, ZHdK)
Der geisteswissenschaftlich ausgerichtete Beitrag zu der Forschung untersucht einige Aspekte der philosophischen Diskussion über die politische Öffentlichkeit und schliesst Positionen von Arendt über Habermas, Lefebvre bis Agamben und Rancière ein. Insbesondere wird eine Konstruktion des Begriffes der „Öffentlichkeit“ als These aufgestellt und an Hand der künstlerischen Interventionen auf dessen Brauchbarkeit kritisch überprüft.
Urbanistik – Tim Rieniets (Urban Research Studio, Professur für Architektur und Städtebau, ETHZ); Gabriela Muri Koller (Dozentur Soziologie, ETHZ; Institut für Populäre Kulturen, UZH)
Das Forschungsprojekt Re/Okkupation (Teilprojekt Urbanistik) nimmt Ciudades Paralelas zum Anlass, einen noch weitgehend unerforschten Fragenkomplex zum Thema ‚öffentlicher Raum’ zu behandeln: Ist es möglich, durch Einsatz performativer Techniken aus dem Theater, Qualitäten von Öffentlichkeit in städtischen Räumen zu stimulieren? Welche performativen Techniken sind besonders gut geeignet, um Öffentlichkeit zu erzeugen? Welche städtischen Räume sind besonders geeignet, um durch performative Techniken qualifiziert zu werden?
Für das Forschungsprojekt Re/Okkupation (Teilprojekt Urbanistik) ist Öffentlichkeit kein politisch, juristisch oder medial vordefinierter Raum, sondern ein gesellschaftlicher Akt der gegenseitigen Wahrnehmung und Interaktion unterschiedlicher Gruppen und Individuen. Öffentlichkeit ist in diesem Sinne konstitutiv für den öffentlichen Raum und für jene Form des menschlichen Zusammenlebens, die wir Stadt nennen. Öffentlichkeit ist demnach nicht an bestimmte Raumtypen gebunden (z.B. Straßen, Plätze, öffentliche Anlagen), sondern kann sich überall dort ereignen, wo gegenseitige Begegnung und Austausch möglich ist: In Shoppingcenter, Bahnhöfe, Bibliotheken, Hotels, Fabriken etc.
Um die Wirksamkeit performativer Interventionen für die Entstehung von Öffentlichkeit verstehen und beurteilen zu können, werden ausgewählte Projekte von Ciudades Paralelas mittels empirischer Forschungsmethoden untersucht. Das Forschungsprojekt Re/Okkupation (Teilprojekt Urbanistik) bewegt sich dabei in einem interdisziplinären Spannungsfeld zwischen städtebaulicher und kulturwissenschaftlicher Stadtforschung. Um die Wechselwirkungen zwischen Menschen, Räumen und theatralen Interventionen erfassen zu können, kommt eine methodenplurale Kombination stadtethnografischer, kartografischer, film- und textbasierter Verfahren zum Einsatz.
Das Forschungsprojekt Re/Okkupation (Teilprojekt Urbanistik) wird von einem interdisziplinären Team von Studierenden durchgeführt und ist eine Kooperation der Professur für Architektur und Städtebau (ETH Zürich), der Dozentur Soziologie (ETH Zürich) und dem Institut für Populäre Kulturen (Universität Zürich) durchgeführt.
Szenografie – Stephan Trüby (MAS Scenography, ZHdK)
In diesem Teil liegt der Fokus auf Materialität und Funktion der bespielten Räume. Untersucht wird deren Umnutzung durch die theatralen Interventionen. Neben einer historischen Verortung der Umnutzung von öffentlichen Räumen wird auch nach dem Hinterlassen von Spuren aus der Umnutzung an der Architektur und bei den „Benutzern“ der Räume geforscht.