Interdisziplinarität beschreibt eine Praxis der Forschung, Lehre und Projektarbeit, an der mehr als eine herkömmliche Disziplin beteiligt ist. Die Fachliteratur weist durch das Fehlen eines systematisch betriebenen Forschungsprogramms eine grosse Spannbreite an Definitionen des Begriffs auf.

Aus der Vielzahl von Definitionen und Darstellungen von Interdisziplinarität werden hier die zwei zentralen Aspekte der interdisziplinären Praxis und Theorie zusammenfassend genannt:

1. Die Einheit der Wissenschaft: Die Definitionen verhalten sich diesem Aspekt gegenüber entweder zustimmend oder ablehnend. (Balsiger 2005).

2. Die Zusammenarbeit von bestehenden disziplinären Paradigmen: Intensität und Struktur der Zusammenarbeit wird je nach Definition unterschiedlich ausgelegt.

In diesem Sinne kann der Begriff der Interdisziplinarität als Sammelbegriff für eine «bestimmte Form und Struktur der Organisation wissenschaftlichen Wissens in unserer Gesellschaft» beschrieben werden (Balsiger 2005: 172). Jedoch verweisen die in allen Definitionen ungenau beschriebenen Grenzen zwischen den Disziplinen auf eine grundlegende Problematik dieser Organisationsform hin.

Generell wird die Interdisziplinarität als Reaktion der fortschreitenden Spezialisierung und Differenzierung der zeitgenössischen Wissensgesellschaft beschrieben. Jedoch kann das interdisziplinäre Gedankengut bis in die Antike zurückverfolgt werden. Aber erst nachdem sich die Disziplinen im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts etabliert haben, entsteht der Begriff der Interdisziplinarität. In den 1920er Jahren wird er im Social Science Research Council (SSRC) zum ersten Mal zur Beschreibung von disziplinenübergreifender Forschung vorgeschlagen und wird fortan vor allem in den Naturwissenschaften gelegentlich verwendet. In den 1960er Jahren werden interdisziplinäre Strategien im Strukturalismus oder der Dekonstruktion diskutiert. In den 1970er und 80er Jahren bezieht sich der Feminismus und in den 1990er Jahren der Multikulturalismus auf interdisziplinäre Zusammenarbeit (Klein 2010). Während in den 1960er und 70er Jahren die Interdisziplinarität als euphorisches Schlagwort einer wissenschaftskritischen Einstellung galt, lässt sich heute eine semantische Verwässerung des Begriffs und eine Anwendung auf unzählige verschiedene Forschungs- und Gesellschaftsbereiche beobachten.

Der Begriff der Interdisziplinarität wird seit den 1980er Jahren häufig als Vorstufe der Transdisziplinarität betrachtet. Interdisziplinarität beschreibt in dieser Argumentationstradition eine Zusammenarbeit von verschiedenen Disziplinen, bei der die Grenzen zwischen den Disziplinen zwar überschritten, aber nicht aufgehoben werden. Interdisziplinarität belässt demnach die bestehenden disziplinären Bestimmungen. Erst in der Transdisziplinarität werden die Perspektiven demnach substantiell verändert (Defila 2006; vgl:. Brand et al. 2004; Mittelstrass 2003; Mainzer 1993).

 

Literatur

Balsiger, Philipp: Transdisziplinarität: Systematisch-vergleichende Untersuchung disziplinenübergreifender Wissenschaftspraxis. München 2005.

Brand, Frank; Schaller, Franz; Völker, Harald (Hg.): Transdisziplinarität. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Göttingen 2004.

Defila, Rico;  Di Giulio, Antonietta; Scheuermann, Michael: Forschungsverbundmanagement: Handbuch für die Gestaltung inter- und transdisziplinärer Projekte. Zürich 2006.

Frodeman, Robert (Hg.): The Oxford Handbook of Interdisciplinarity (Oxford Handbooks). Oxford, New York 2010.

Klein, Julie Thompson; Newell, William H.: Advancing Interdisciplinary Studies. In: Gaff, Jerry G.; Ratcliff, James L. (Hg.) Handbook of the Undergraduate Curriculum: A Comprehensive Guide to Purposes, Structures, Practices, and Change, 1997, S. 393–415.

Klein, Julie Thompson; Schneider, Carol Geary: Creating Interdisciplinary Campus Cultures: A Model for Strength and Sustainability. San Francisco 2010.

Mainzer, Klaus: Erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Grundlagen der Inter- und Transdisziplinarität. In: Arber, Werner (Hg.): Inter- und Transdisziplinarität. Warum? –Wie? Bern 1993.

Mittelstrass, Jürgen: Transdisziplinarität – wissenschaftliche Zukunft und institutionelle Wirklichkeit. Konstanz 2003.

(vr)

 


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