Beitrag von Bernadett Settele, Lehrbeauftragte im Departement Kulturanalysen und Vermittlung.

Queer Art Education

In dem Maße, in dem sich zeitgenössische Kunst aus dem Atelier heraus in Richtung ästhetischer Situationen, zur Wissensproduktion und zur Inszenierung von Räumen und Begegnungen bewegt hat, oder sich, wie Claire Doherty formulierte, „from studio to situation“ entwickelte, sind Fragen der Subjektivierung auch in Kunstsituationen wichtig geworden. Mechanismen des Sichtbar-Machens und Zu-Sehen-Gebens nehmen eine zentrale Rolle ein in Kooperationen, Aktionen und performancebasierter Arbeit. Was heißt es, angeblickt zu werden? Was sind die next subjects der Kunst in Kulturen der Sichtbarkeit und Kooperation? Wie gehen wir damit um, dass wir immer schon in sozialen Situationen sind, die uns angehen, ansehen?
Meine Next Art Education ist auf der Suche nach einem Ort für die Auseinandersetzung mit jener nicht ganz geruchlosen Materie um Subjekt, Geschlechter, Körper und Affekt, die jeder ästhetischen Erfahrung mit zugrundeliegt. Es ist die Suche nach einer Praxis, die normativen und binären Denkweisen und Repräsentationen kritisch begegnet und die bereit ist, der Macht von Alltag und Heteronormativität entgegenzutreten. Ich navigiere dazu entlang von Theorien aus den kulturwissenschaftlichen Visual Culture Studies und der queer theory, die das visuelle Primat anzweifeln und eine Kritik an der vereindeutigenden Funktion des Leitsinnes üben; und die andere Möglichkeiten von Relationalität suchen. Wie können die Körper verlernen, sich visuell zu denken?
Filmtheoretikerinnen aus der zweiten Welle des Feminismus wie Silverman und Mulvey formulierten eine Kritik des Visuellen, die sich am Blick/Regime und an der vereindeutigenden, von Machtverhältnissen durchzogenen Schaulust (visual pleasure) abarbeitete. Einer queer-feministischen third wave geht es um das Umarbeiten der phantasmatischen unsichtbaren Bilder vom Körper und um die Frage, wie sich Normen im Körper und im Affekt materialisieren.
Individuen bringen ihr Gewordensein mit, und damit kommen jene interdependenten, sich kreuzenden Kategorien wie soziale und kulturelle Herkunft, Alter, Sexualität, Aussehen, etc. ins Spiel, die binär und hierarchisch organisiert sind. Und die sich meistens an der Norm, am Ideal orientieren. Es besteht eine bemerkenswerte Blindheit gegenüber der Tatsache, dass auch kunstpädagogische Lehr- und Versuchsanordnungen Subjekte unter gegebenen Regeln vor- und aufführen – dass sie „Normalität“ reproduzieren, wenn sie nicht eine eigene Position im Feld von Repräsentation und Performativität formulieren.
Art Education von der Devianz her zu denken, vom Rand und von der Uneindeutigkeit her, folgt einem Begehren, die Individuierung bzw. Subjektwerdung von Kindern, Jugendlichen oder (jungen) Erwachsenen kritisch zu begleiten, mit Blick darauf, wie dabei abweichende Positionalitäten und Relationalitäten verworfen oder anerkannt werden. Mit Judith Butler könnten wir sagen, das hieße das Urteil aufzuschieben. In der Kunst gibt es eine Tradition der nicht-schließenden Arbeit der Interpretation, die Situationen offenhält, einfache Binaritäten und Urteile aussetzt, auf die Lücken schaut und uns dazu auffordert, nicht dem ersten Anblick zu trauen: Das ist ein exzellenter Ausgangspunkt für eine Queer Art Education.

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-Bilder: Videostills, James Cameron, Avatar, 2009

Vgl. a. Bernadett Settele: Queer Art Education, in: Meyer, Torsten und Gila Kolb (Hg.): What’s Next? Bd. 2, Art Education. München: Kopaed, 2015.