MAE Frühling 2016

Was ist ein/e Lehrer/in?

Was ein/e Lehrer/in ist, davon haben alle eine Vorstellung, verbringen wir doch mindestens 10’000 Stunden in der Volksschule, dies mit verschiedenen Lehrpersonen und machen während dieser Zeit vielfältige Erfahrungen mit Lehrer/innen-Rollen.
Doch wie wird man ein/e Lehrer/in? Die Auseinandersetzung mit jener angesprochenen Lernbiographie ist Teil der Ausbildung und führt eine selbstreflexive Praxis im Auge, eigene Rollenbilder sollen befragt aber auch erprobt werden. Die Erinnerung an die eigene Schulzeit ist nie ein rein «historisches» Erinnern, sondern bedeutet immer auch ein Imaginieren, im Sinne eines bildhaften Erfindens. Hier setzt das Sichtfenster des Master Art Education im FS 16 an, indem es sich mit jenen Bildern von Lehrer/innen beschäftigt, die uns im Kino begegnen.
Die Filme werden durch ihre Suggestionskraft selbst zum subtilen Lehrakt, indem sie uns affizieren. Die in den Filmen repräsentierten Lehrer/innen-Rollen tragen wir mit uns herum und ins Unterrichtszimmer, wir interpretieren sie, schreiben sie um und wirken an den kollektiv-imaginierten Bilder der Lehrer/innen-Rollen mit.

Diese Prozesse stehen im Zentrum der vier Anlässe des MAE Sichtfenster FS 16. Sichtbar machen bedeutet hier ein Vorführen dessen, als was sich die Lehrerolle zeigt: In Gesten, Blicken, Gängen und deren Choreographie.

 


Episode 1

Vier Studierende des MAE verfassen auf der Grundlage ihrer Praktika ein minutiöses Script der Handlungsabläufe einer Lehrperson. Im leeren, neutralen Unterrichtsraum des 4.T48, der zwischen White Space und Schulzimmer oszilliert, befolgt der Schauspieler Dominik Wolfisberger die detaillierten Regieanweisungen, die ihm souffliert werden. Er führt Gesten, Blicke, Gänge aus und kommuniziert mit einer imaginären Schülerschaft. Das Publikum schaut diesem Schauspiel draussen im Korridor – «vor die Tür gestellt» – durch das Sichtfenster – dessen Proportionen mit jenen der Breitleinwand im Kino korrespondieren – zu. Inhaltlich bleiben die Regieanweisungen im Dunkeln, das Publikum wohnt einem Stummfilm bei. Die Figur des Lehrers kokettiert durch das Fenster mit dem Publikum, adressiert es als seine potentielle Schülerschaft, seine Blicke sind bestätigend, ermunternd oder ermahnend. Zugleich trifft die Erwiederung dieser sozialen Gesten seitens des Publikums ins Leere, denn es geht allein um das Vorführen der Wirkungskraft der Zeigegesten einer Lehrperson.

Performance mit Dominik Wolfinger

 


Episode 2

Im französischen Spielfilm Entre les murs (la Classe) des Regiesseurs Laurent Cantet fallen der biographische Hintergrund des Hauptdarstellers mit der Hauptfigur des Lehrers zusammen. Als Drehbuchvorlage für den Film diente das autobiographische Buch von Francois Begaudeau, der sich selber in der Rolle des Französischlehrers spielt. Die als ewiges Ping-Pong inszenierte Interaktion zwischen Lehrer und Schülerinnen einer Schule im sozialen Milieu der Pariser Banlieue wirft Fragen nach der Verhandelbarkeit vom pädagogischen Verhältnis und der Partizipation in der Schule auf.

Filmstill, «Entre les murs», Laurent Cantet (2008
)
Filmvorführung mit anschließender Diskussion

 


Episode 3

Das Biographische und dessen Inszenierung nehmen Vincent Scarth und Juliette Uzor – zwei Studierende des MAE – zum Anlass, ihre Rolle als angehende Lehrpersonen performativ zu inszenieren. Während in Episode 1 der Schauspieler Dominik Wolfisberger die Rolle des Lehrers spielt, kehrt sich dieses Verhältnis nun um, wenn die angehenden Lehrpersonen ihrerseits ihre Situation im Noch-Nicht zum Anlass einer performativen Auseinandersetzung mit dem Zukünftigen nehmen. So befragen sie mitunter spielend aber auch spielerisch das Verhältnis von Lehrerrolle und Schauspielerei.

Performance mit Vincent Scarth und Juliette Uzor
Perfomance und anschließende Diskussion

 


Episode 4

Der Film High School aus dem Jahr 1968 zeigt den Schulalltag einer Highschool in Philadelphia aus einer beobachtenden Perspektive. Der Regisseur Frederick Wiseman – ein Vorreiter des Direct Cinema – fokusiert auf Zeigegesten von Lehrpersonen.
Eine Spanischlehrerin spricht vor und dirigiert mit ihren Händen den Takt, in dem nachgesprochen werden soll «existentialista», und noch einmal: «existentialista». Die Geste wird in der nächsten Szene im Musikraum wiederaufgenommen und explizit gemacht: ein Lehrer dirigiert das Schulorchester, Schüler und Lehrer sind durch das Band des Blicks verbunden, ihm folgen die Einsätze. Und in der darauffolgenden Szene tippt der Schulsekretär immer wieder tadelnd mit erhobenem Zeigefinger – in dessen Verlängerung ein Kugelschreiber – auf einen Schüler, der seine Turnkleider zu Hause vergessen hat, auch hier wird der Merksatz wiederholt: «You better be in a gym outfit! You better be in a gym outfit.» Später in der Turnhalle, Gymnastik zu Musik. Üben, wiederholen, vormachen, nachmachen. Der Körper ist am Lernen stets mitbeteiligt, kollektiv.

Filmstill, «High School», Frederick Wiseman (1968)
Filmvorführung und anschließende Diskussion

 


Text:
Margot Zanni

Mitwirkende:
Dieter Fromherz, Vincent Scarth, Juliette Uzor, Dominik Wolfinger, Margot Zanni