Eine Kooperation des BA Art Education mit dem Gewerbemuseum Winterthur
Für die Ausstellung «Hella Jongerius – Breathing Colour» im Gewerbemuseum Winterthur entwickelten die Studierenden des 6. Semesters Bachelor Art Education der Zürcher Hochschule der Künste digitale und analoge Vermittlungsprojekte. Vom 24. April – 7. Mai 2021 waren sie in den Strassen von Winterthur unterwegs, tauchten in die Welt der Farben ein, suchten das Gespräch über Lieblingsfarben, die Farben der Stadt und fragten, ob die Nacht wirklich so schwarz ist, wie sie scheint.
Anna-Brigitte Schlittler & Eva Wandeler, Dozentinnen
«Steibi Colour Spectrum»
Wir initiierten dieses Projekt mit dem Grundgedanken, das Museum aus seinen vier Wänden hinaus in den Lebensraum der Menschen zu tragen. Als Interventionsort entschieden wir uns für die Steinberggasse. In der «Steibi» sitzen die Menschen auf dem Boden, Sitzgelegenheiten sind rar. Das Bedürfnis hier zu sein, ist aber gross und dem wollten wir nachkommen. Hierfür konzipierten wir das «Steibi Colour Spectrum».
Das Projekt_
Mit sechs Sitzbänkli konstruierten wir ein Pop-Up, den wir jeweils für einige Stunden um den mittleren Judd-Brunnen im Zentrum der Gasse stellten. Analog dem Konzept des Gewerbemuseums schenkten wir der Alltagskultur Aufmerksamkeit. Diese generierten wir nicht nur durch die Sitzgelegenheit, sondern auch durch deren Farben. Die Bänkli trugen jeweils die Fassadenfarbe des gegenüberliegenden Altstadthauses, um den Blick der sitzenden Personen auf die Architektur zu lenken. Die Entscheidung, uns auf die Farben des Stadtraums zu beziehen, rührte daher, dass wir die Thematik der Farben möglichst niederschwellig vermitteln wollten. Ziel war es, einen Dialog bei den Passant:innen zu initiieren.
Auf den Bänkli führte ein QR-Code auf unseren Instagramkanal @steibicolourspectrum. Dort stellten wir eine Sammlung aller Fassadenfarben als abstrakten Farbpunkt und als Fotografie des entsprechenden Gebäudes bereit. Dazwischen befanden sich Textbeiträge, welche die architektonischen Farbveränderungen der letzten Jahrhunderte thematisierten – angelehnt an Hella Jongerius, welche die Veränderung der Farbe im Tageslicht thematisiert.
_in der Steinberggasse
Unser Modell ist mit den Bänkli im realen und dem Instagram-Kanal im digitalen Raum hybrid. Wir stellten uns in den Hintergrund und setzten auf eine personenlose Vermittlung. Dafür sprach einerseits die pandemische Situation; andererseits wollten wir unser Projekt als Selbstläufer beobachten und dieses als mögliches Konzept für eine Museumsvermittlung mit geringem Personalaufwand testen. Wir vertrauten auf das Bedürfnis der Menschen, sich hinzusetzen und auf die Neugierde, die Codes zu scannen.
Unsere Annahmen wurden bestätigt. Speziell zur Mittagszeit wurden die Bänkli rege benutzt; die Rückmeldung war durchgehend positiv. Auch wir gesellten uns inkognito immer wieder dazu, lauschten den Gesprächen und genossen die Aufmerksamkeit, die unserem Projekt zuteilwurde.
_im digitalen Raum
Auch auf unserem Instagram-Account konnten wir einige Follower generieren, Interaktion an sich fand jedoch nicht wirklich statt. Die Analyse zeigte einen signifikanten Anstieg der Besucher:innen an den Tagen, an denen wir uns in der «Steibi» aufhielten mit einem Nachklang am folgenden Tag. Dazwischen war das Interesse gering. Mit diesem Ergebnis hatten wir gerechnet. Trotzdem hatten wir versucht, mit einer direkt an die Besuchenden adressierten Aufgabe einen Austausch zu initiieren. Nur eine Person erfüllte diese. Daraus schlossen wir, dass Instagram ein zu schwaches Medium ist, um Menschen auch wirklich zum Tun anzuregen, da es primär zum Bilderkonsum genutzt wird.
Interessant ist allerdings, dass auch nach Projektende stetig Followers aus Winterthur dazukommen. Dies widerspricht unserer Annahme, dass Instagram alleine nicht funktioniert.
_im Nachhinein
Unser Ansatz hat gezeigt, dass Projekte Anklang finden, wenn man die Bedürfnisse der Personen in der Umgebung, die man bespielt, vorgängig eruiert. Nicht alle, die sich auf unsere Bänkli gesetzt haben, sind zum Kern des Projektes vorgestossen, aber wir konnten sie abholen. Darin liegt ein grosses Potential für kulturelle Institutionen, (scheinbar) desinteressierte Menschen zu erreichen. Abschliessend können wir sagen, dass die Sozialen Medien zwar sozial sind, soziale Interaktion jedoch nicht voraussetzen. Dazu braucht es noch immer uns Vermittler:innen.
nurFarbe
Das Projekt
«Kleidung und Schmuckgegenstände werden direkt auf dem Körper getragen, sie bilden die Grenzen des Individuums und besitzen Ausstrahlungskraft sowohl nach aussen (soziale Kommunikation) wie auch nach innen (Selbstvergewisserung).» (Bosch 2010, S.167)
nurFarbe sammelt die Farben, die ganz nah am Körper sind, die wir anziehen und sichtbar nach aussen tragen. Die Absicht des Projektes war es, über die Farben der Kleidung ins Gespräch zu kommen.
Die Station von nurFarbe setzte sich zusammen aus einem iPad auf einem Stativ mit der App Adobe Capture, einem weissen Hintergrund und einer weissen Tafel mit Text, Logo und eingelassenem iPad. Die Tafel war ein wichtiges Element der Station. Sie bot mit dem iPad die Möglichkeit das Archiv auf Instagram zu zeigen und damit die Absicht des Projektes einfach zu erklären. Text und Logo auf der Tafel sollten die Personen auf das Thema Farbe vorbereiten.
Über Farben sprechen
nurFarbe war bei schönem Wetter vor dem Eingang des Museums platziert; bei regnerischem Wetter im Museum auf der Ebene der Ausstellung Breathing Colour. Dieser Ortswechsel hatte grossen Einfluss auf die Gesprächsführung. Die Passant:innen auf dem Kirchplatz waren im ersten Moment eher skeptisch und ablehnend. Nach kurzer Erklärung verflog diese Skepsis, und sie wirkten oft sehr interessiert. Wichtig war, die Absichten des Projektes umgehend zu kommunizieren und die bereits gesammelten Farben auf Instagram zu zeigen. Im Museum gab es diese anfängliche Zurückhaltung nicht. Die Besucher:innen fühlten sich im Kontext Museum sicher und befürchteten keine Belästigung, wie sie diese auf offener Strasse anzutreffen glaubten. Daher konnte im Museum experimenteller befragt werden – zum Beispiel:
«Darf ich Ihre Farben haben?»
Die Gespräche in- und ausserhalb des Museums erzählten von Erinnerungen, Gefühlen, Funktionen und Normen. Ein längeres Gespräch wurde mit der Frage beendet, wie wir Farbe nach dem Tod wahrnehmen würden. Manche Gespräche positionierten die Funktion vor der Farbe. Viele Gespräche banden Stimmungen und Emotionen an die Farbwahl der Kleidung. Vereinzelt waren äussere Umstände, wie die Anordnung im Kleiderschrank oder der Waschtag, Grund für das damalige Outfit.
Die vermittlerische Methode von nurFarbe stützt sich auf einen Text von Hans Belting. Er beschreibt wie Kunst im Museum abstirbt, wie die Objekte aus der Gesellschaft herausgetrennt und zur Distinktion von Klassen verwendet werden. Das Gespräch über die Farben der eigenen Kleidung mit den Menschen in- und ausserhalb des Museums war ein Versuch, die Idee bzw. das Anliegen von Hella Jongerius unabhängig von der Ausstellung erfahrbar zu machen. Die Teilnehmenden reflektierten ihre eigene Farbwahrnehmung und entdeckten im Gespräch verschiedene Verbindungen zur Arbeit von Hella Jongerius.
Rückblick und Ausblick
Ich unterhielt mich mit 120 Personen über Farben. Die Gespräche im Museum gaben den Besuchenden einen erweiterten Blick auf die Ausstellung. Die Gespräche ausserhalb machten die Ausstellung den Passant:innen schmackhaft. Mein Projekt entwickelte sich zu einer effektiven Methode, Personen mit dem Museum zu verbinden. Manche Begegnungen dauerten länger als es angenehm war zu stehen, daher wäre es sinnvoll gewesen, eine gemütliche Sitzgelegenheit zur Verfügung gehabt zu haben. Nach der Teilnahme einer Grafikerin, die sich von meiner Arbeit inspirieren liess, schickte sie @nur.farbe einige Beiträge mit dem Kommentar, dass die von mir verwendete App ihr die Auswahl der Farben in ihrem Berufsalltag erleichtert hätte. Grund genug für mich, den Account weiterzuführen und weitere inspirierende Farbstreifen zu teilen.
Belting, Hans (2002): Das Museum. Ein Ort der Reflexion, nicht der Sensation; J.G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH.
Bosch, Aida (2010): Konsum und Exklusion. Eine Kultursoziologie der Dinge; Bielefeld, transcript.
IM DUNKELN TAPPEN – ein nächtlicher, bunt leuchtender Mixed Media Walk
Museale Realität
Die standardisierten Museumsöffnungszeiten von 10.00 – 17.00 Uhr sind eine Form der Exklusion. Mit unserem Projekt wollten wir dieser entgegenwirken. Dies nicht nur als einzelnes Vermittlungsangebot, sondern als Grundbaustein in unserem Konzept. Wie relevant die Anpassung von Öffnungszeiten an die Bedürfnisse der Gesellschaft ist, wird in einem Text der Studiengruppe Kuverum[1] deutlich.
Hella Jongerius untersucht in der Ausstellung «Breathing Colour» das Zusammenspiel von Licht und Farbe im Tageslauf. Die Nacht ist nicht Teil ihrer Auseinandersetzung. Dies bot uns die optimale Ausgangslage für unseren Mixed Media Walk – denn das Dunkel ist mehr als nur Schwarz. Unser Vermittlungsprojekt zielte darauf ab, mit neuen Mitteln und Medien unabhängig von Museumsöffnungszeiten weitere Zielgruppen anzusprechen.
Erweiterte Realität
Augmented Reality[2] (AR), kommt immer häufiger in diversen Kontexten zum Einsatz. Im vermittlerischen Bereich ist AR jedoch noch selten anzutreffen. Hie und da ploppt in Museen ein informativer Text via AR auf, in dieser Technologie steckt jedoch ein wesentlich grösseres gestalterisches Potential. Wir vertreten die Meinung, dass dadurch ein breiteres ortsunabhängiges Publikum angesprochen werden kann. Diese Ansicht teilt auch Elizabeth Semmelhack, Direktorin und Senior Curator des Bata Shoe Museum in Toronto in einem Statement via Instagram.[3] Durch Covid erlangten digitale Formate grundsätzlich eine höhere Relevanz in Museen. Diese Neuerung ist wichtig und soll sich auch in Zukunft weiterentwickeln und etablieren.
Augmented Reality setzt ein eigenes Smartphone voraus – in unserem Projekt ein iPhone/iPad. Zudem verlangt es eine gewisse Technikaffinität und Neugierde von den Nutzer:innen. Diese Voraussetzungen exkludieren einige Personen. Nichtsdestotrotz fasziniert uns die neue Technologie und die damit verbundenen Möglichkeiten. Die Technik der erweiterten Realität erlaubt es, fiktive Szenarien spielerisch in die reale Welt zu transferieren. Wir sind überzeugt, dass damit weitere Zugänge zu Kunst und Design ermöglicht werden. Im besten Fall begeistert die Vermittlung dadurch auch bisher museumsferne Personen. Trotz zusätzlicher Kosten und allfälliger anderer Hürden erachten wir es aus vorgenannten Gründen dennoch als sehr lohnenswert, längerfristig auch in der Vermittlung auf neue Methoden zu setzen.
Unsere Realität
Durch die pandemischen Einschränkungen konzipierten wir unser Vermittlungsprojekt so, dass es von Besucher:innen selbstständig durchgeführt werden konnte. Zu unseren Herausforderungen zählte, den Mixed Media Walk möglichst niederschwellig und selbsterklärend zu gestalten sowie allenfalls aufkommende Fragen mit unserer Webseite abfangen zu können. Auch die Frage, wie weitere Personen für den Walk begeistert werden könnten, wenn nicht die Möglichkeit zur Teilnahme an einer Führung besteht, beschäftigte uns. Hier sehen wir Potential bei einer nächsten Durchführung. Längere Startphase und Laufzeit, grosse auffällige Werbeplakate im Park sowie fixe Uhrzeiten, an welchen wir als Vermittlerinnen unterstützend vor Ort zur Verfügung stehen, könnten uns mehr Zulauf verschaffen.
Trotz der kurzen Laufzeit sowie des schlechten Wetters blicken wir auf ein gelungenes Projekt zurück. Die Besucher:innen haben stetig am Walk teilgenommen und positives Feedback gegeben. Dies bestätigt uns darin, dass neue Technologien in der Vermittlung sowie Projekte, welche unabhängig von der Institution im öffentlichen Raum stattfinden, grossen Anklang finden können.
[1] Kuverum (Hg.): Lernen mit Kunst. Blick nach London; Baden 2009.
[2] Deutsch: Erweiterte Realität
[3] https://www.instagram.com/tv/CPBCeqfAy43/