Ein Projekt in Kooperation mit dem Gewerbemuseum Winterthur
2018
Wir haben uns mit „Cupboard Love: Der Schrank, die Dinge und wir“ im Gewerbemuseum Winterthur auseinandergesetzt. Die Ausstellung rückte das sperrige Möbel ins Rampenlicht und beleuchtete es aus der Perspektive von Design, zeitgenössischer Kunst, Film und Kulturgeschichte.
Wir haben einen Blick ins Innere des Schranks geworfen als Ort der Aufbewahrung, Sicherung und (Un-)Ordnung von Dingen, Wissen, Erinnerungen und Geheimnissen. Die Studentinnen – Annik Hunziker, Lara Hausheer, Andrea Lei, Emanuela Schulze und Maria Zimmermann – haben nach ortsverbundenen Möglichkeiten gesucht, Design wahrzunehmen und darüber zu sprechen. Sie haben Vermittlungsformate aus der gestalterischen Praxis heraus entwickelt und im Winterthurer Stadtraum durchgeführt.
Als Dokumentation und Reflexion sind fünf Film entstanden sowie begleitende Essays, die je über eine vermittlungsspezifische Frage nachdenken.
Eva Wandeler und Anna-Brigitte Schlittler, Dozentinnen
Museums(t)räume
Andrea Lei
Wie könnte sich das Ausstellungsformat des Museums verändern? Und sind Erweiterungen des Ausstellungsraumes in öffentliche Räume wirklich nur Zukunftsmusik? Im nachfolgenden Text wird beleuchtet, inwiefern diese Expansion das Museum beeinflusst und damit verbunden, werden die Auswirkungen auf die Kunstvermittlung untersucht.
Begrifflichkeiten
Damit klar ist, welche Räume im folgenden Text umschrieben werden, sollen zuerst einige Begriffe genauer erläutert werden. Der öffentliche Raum ist der für alle Menschen frei zugängliche oder der Öffentlichkeit dienende Raum. Grundsätzlich können auch virtuelle Räume als öffentlich verstanden werden.(1) Hierin grenzt er sich vom privaten Raum ab, der einer Person oder einem Unternehmen gehört und daher unmittelbar deren sozialer und zugangsrechtlicher Kontrolle unterliegt.
Der Soziologe Richard Sennett beschreibt, wie um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch die zunehmende Verschränkung von öffentlicher und privater Sphäre, der Zerfallsprozess der Öffentlichkeit begann . Durch die fortschreitende Industrialisierung und dem daraus folgenden Privatisierungsdruck, gekoppelt mit dem Aufkommen der Massenmedien, sieht er die Öffentlichkeit immer mehr der politischen und ökonomischen Manipulation ausgesetzt. Im gleichen Verhältnis wie das Privatleben zunehmend publik wird, nimmt die Öffentlichkeit Formen der Intimität an. (2) Die gegenwärtige Tendenz ist, dass einst permanent zugängliche Räume zunehmend aufgrund der Sehnsucht nach Sicherheit privatisiert werden. Dies äussert sich etwa so, dass die Räume nicht rund um die Uhr für alle Bevölkerungsschichten begehbar sind. Diese Zwischenform von öffentlichem und privatem Raum wird als der halböffentliche Raum bezeichnet, welcher besonders in dichten Siedlungsstrukturen an Bedeutung gewinnt. (3)
Meine These ist, dass Erweiterungen des Museums in öffentliche- oder halböffentliche Räume für die Institution und das Publikum äusserst fruchtbar sind. Diese Erweiterungen können parasitäre Eingriffe in bestehende Räume oder auch Neuerschliessungen von Räumen sein, die davor einen anderen Nutzen hatten oder haben.
Cupboard Tales – Schrankgeschichten
In meinem Projekt «Cupboard Tales» stand die Erweiterung der Räume in Verbindung zur Ausstellung «Cupboard Love», die zeitgleich im Gewerbemuseum in Winterthur gezeigt wurde. Ich bewegte mich mit „physischen“ Installationen in der «Brockenhalle» und im «Café Portier» im Sulzer-Areal. Beides sind Orte, die halböffentlich zugänglich sind, was bedeutet, dass sie nicht jederzeit begehbar sind und abgeschlossen werden können. Während den Öffnungszeiten hingegen sind sie für die ganze Bevölkerung zugänglich. Die Gehdistanz vom Gewerbemuseum zum Sulzer-Areal beträgt ungefähr 15 Minuten, sodass ein völlig anderer Stadtteil bespielt werden konnte, denn der Hauptbahnhof in Winterthur trennt die Altstadt vom Sulzer-Areal. Durch die Backsteinbauten und die stählernen Konstruktionen versprüht das Areal den Charme alter Eisenbahnindustrie . Die umgenutzten Gebäude bieten Möglichkeiten, der Stadt zu entfliehen und die Freizeit mit vielfältigen Unterhaltungsmöglichkeiten zu geniessen, was ein breites Publikum anzieht. Folglich sind Menschen vor Ort, die durch das Areal flanieren und viel Zeit haben. Es gibt Angebote für jede Altersgruppe, welche zu unterschiedlichen Tages- oder Nachtzeiten dahin gelockt werden.
Wie Peter J.Schneemann es darlegt, gibt es eine Kehrseite des Museumsmarketings, dass nämlich massgeschneiderte Angebote für die jeweilige Zielgruppe bereitgestellt werden müssen, damit die Besucherzahlen stimmen. Deswegen werden Inhalt und Form dem Publikum angeglichen, was für die Werke nicht zwingend vorteilhaft ist (Schneemann 2017, S. 60). Durch die Erweiterung der Räume müssen keine zielgruppenspezifische Ausstellungen kuratiert werden, sondern der Fokus läge gänzlich auf den Werken. Natürlich sollten im Vorfeld, bei der Auswahl des Ortes, die dort anzutreffenden Menschen analysiert und die Gründe herauskristallisiert werden, warum sie diese Orte besuchen und wie viel Zeit sie dort verbringen. Die BesucherInnen kommen aus anderen Gründen zum Areal, dadurch kann jedoch das Ereignis oder die Nutzung des Ortes parasitiert werden, was für beide Parteien einen Mehrwert generiert.
Brockenhalle – Audio-Installation
Inmitten dieses umgenutzten Industriequartiers befindet sich ein von aussen eher unscheinbares Brockenhaus. Mir wurde sogleich klar, dass mein Thema der verborgenen Schätze und Geheimnisse des Schrankes mit diesem Ort verbunden werden muss. Alte, vergessene, geliebte, sowie ungeliebte Schätze und Geheimnisse werden geborgen und sortiert. Objekte voller Geschichten bekommen neue Besitzer Innen und neue Geschichten. Beim Stöbern und Schlendern durch die Regale, werden sofort Erinnerungen ins Bewusstsein gerufen und mit den sichtbaren Objekten verknüpft.
Durch das Parasitieren des Brockenhauses mit einer Audio-Installation, hatten die BesucherInnen gleichzeitig die Möglichkeit, den Schrankgeschichten zu lauschen. Dies gab einen Anstoss, über die sichtbaren Dinge und die eigenen Dinge im eigenen Schrank zu sinnieren. Ich versteckte die Audioboxen an den Stellen, wo sie sich inhaltlich mit dem visuell Sichtbaren verknüpften.
Peter J. Schneemann schreibt, dass bei einem Museumsbesuch der Blick auf das Exponat meist abschweift und auf den Raum und die anderen BesucherInnen gerichtet wird. Wenn die Aufmerksamkeit vom Exponat abnimmt, könnte das ein Plädoyer dafür sein, dass die erweiterten Räume im Bezug zum Thema stehen sollten, sodass bei einem abschweifenden Blick trotzdem Inspiration durch den Ort und die sich darin befindenden Menschen geschöpft werden kann (Schneemann 2017, S. 59).
Café Portier – Dialograum
Angesichts der vielen Augenreize entschied ich mich, das nebenanliegende Café «Portier» als weiteren Standort, als einen Dialograum zu parasitieren. Dies bot die Möglichkeit, bei einem gemütlichen Kafi über die eigenen Geschichten nachzudenken und diese aufzuschreiben. Auch konnten Geschichten anderer Menschen auf der Pinnwand an der Fassade gelesen werden. Im «Portier» gibt es den regulären Café- und Restaurantbetrieb, sowie am Montag jeweils Konzerte. Dies führt zu einem ständig wechselnden Publikum.
Instagram – der virtuelle Raum
Als dritten Ort bespielte ich fast täglich einen Instagram-Account. Der virtuelle Raum gewährte auch einem Winterthur fernen Publikum einen Einblick ins Projekt. Durch die Erwähnung der realen Orte —Brockenhalle, Café «Portier», Gewerbemuseum — konnten diese zusätzlich beworben werden. Auch Menschen, die nicht in der Schweiz ansässig sind, konnten durch den englischsprachigen Account das Projekt mitverfolgen. Diese Menschen werden sich hoffentlich bei einer Reise nach Winterthur an das Projekt zurückerinnern und einen Besuch im Gewerbemuseum wagen.
Vermittlungspersonen
Thomas Hirschhorn setzt sich in seinem Manifest für ein Museum der Zukunft ohne «Wächter und Sicherheitspersonal ein» (Hirschhorn 2017, S. 158). In den zusätzlichen Räumen, können die Mitarbeitenden der Betriebe als Aufsichtspersonal genutzt werden, was bei meinen Projekten gut beobachtet werden konnte. Die Mitarbeitenden der parasitierten Orte übernahmen diese Rollen.
Zusätzlich, wie in der Brockenhalle beobachtet werden konnte, nahmen sie ihre Rolle sogar mit grosser Freude ein. Sie waren jedoch nicht nur als Aufsichtspersonal tätig, sondern nahmen auch die der Vermittlungsperson mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ein. Dadurch fallen nicht nur die „Wärter“ weg, sondern Nicht-Museumsleute hatten die Möglichkeit aktiv die Ausstellung zu begleiten. Sobald die MitarbeiterInnen spürten, dass BesucherInnen Interesse an der Audio-Installation zeigten, gingen sie auf diese Personen zu, kamen mit ihnen ins Gespräch und informierten sie über die Ausstellung. Es stand keine Person im Vordergrund, sodass zuerst der Raum und die Installation auf die Personen wirken konnten. Bei sichtbarer Neugier der BesucherInnen konnte ich als zusätzliche Gesprächspartnerin auftreten, oder eben die Ressourcen der Angestellten am Ort genutzt werden.
Ich als Vermittlungsperson war vor allem vor der Umsetzung gefordert. Es war eine Herausforderung, die Leute zu motivieren und mit meiner eigenen Begeisterung für das Thema anzustecken. Ich versuchte, die MitarbeiterInnen im Vorfeld gut zu instruieren und ihr persönliches Interesse zu wecken. Dadurch konnte ich meine Aufgabe mit ihnen teilen. Sie gaben ihr gewonnenes Wissen den BesucherInnen weiter und ergänzten es mit ihren eigenen Erfahrungen. Für mich war dies ein besonders schönes Erlebnis, da ich die MitarbeiterInnen nicht aktiv dazu aufforderte, die BesucherInnen zu informieren. Sie taten es aus eigenem Willen.
Blick nach England
Bereits vielfach erprobt wurde die Erweiterung der Museumsräume in England. Viele Museen entwickelten langfristig angelegte Zusammenarbeiten mit Schulen, Heimen und weiteren Institutionen, um nicht nur von teilweise schnell wechselnden Ausstellungen abhängig zu sein. Das Zauberwort dabei heisst «vernetzen» (Hangartner et al. 2009, S. 7).
So lancierte beispielsweise die Whitechapel Gallery in London wegen eines einjährigen Umbaus das Projekt «The Street». In einer benachbarten öffentlichen Strasse erarbeiteten internationale KünstlerInnen ihre Werke mit den Menschen vor Ort und stellten sie auch da aus. Durch die dicht bewohnte Gegend rückte die Institution der Lokalbevölkerung näher und die Projekte wurden auf den Ort bezogen. Relevante Themen wurde wieder zurück ins Museum geführt und ein neuer Austausch fand statt (Huijnen 2009, S. 14).
Fazit
Zusammengefasst bietet die Erweiterung der Räume eine Annäherung an die Lokalbevölkerung und Erschliessung neuer Orte. Die Ausstellung wird herausgetragen und der Inhalt räumlich ausgedehnt. Ein breiteres, museumsfernes Publikum kann angesprochen und dadurch möglicherweise ins Museum zurückgeführt werden. Die Menschen müssen sich nicht aktiv dazu entscheiden, ins Museum zu gehen, sondern können bei einem Ereignis, wohin sie sowieso gehen wollten, durch eine überraschende Ausstellungsform inspiriert werden. Die parasitären Eingriffe führen zur Verknüpfung dieser Räume mit dem Thema der Hauptausstellung. Diese Erweiterung der Museumsräume in den öffentlichen und halböffentlichen Raum ermöglicht zudem einen differenzierten Einsatz des Personals: Mitarbeitende könnten teilweise die Rolle von Vermittlungspersonen übernehmen und gleichzeitig entfielen so die «Wärter».
Ich bin überzeugt, dass Erweiterungen des Museums keineswegs nur Zukunftsmusik sind und sein sollten. Meines Erachtens generiert die Ausdehnung der räumlichen Dimension sowohl für das Museum wie auch für die bespielten Orte in vielen Hinsichten einen grossen Mehrwert.
(1) http://www.stadtkunst.ch/0/4/8/20/ 21.6.18; http://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/kulturelle-bildung/137868/partizipative-stadt-und-raumgestaltung?p=all./ 21.6.18
(2) https://kluedo.ub.uni-kl.de/frontdoor/deliver/index/docId/1629/file/Aesche-Dimmer_Mythos_oeffentlicher_Raum.pdf, S.17/ 25.6.18(3) (https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/bvu/dokumente_2/raumentwicklung/innenentwicklung/Begriffserlaeuterung.pdf./ 21.6.18)
Literaturverzeichnis
Jeannine Hangartner Mitarbeit Michèle Dercourt, Sarah Merten, Beatriz Würsch, «Vorbild England» in: Lernen mit Kunst. Blick nach London (2009)., Kulturvermittlung Museumspädagogik, 8000 Zürich: Kuverum, S.7.
Thomas Hirschhorn, «Das Museum der Zukunft. Ein Manifest» in: Museumsboom. Wandel einer Institution. Dieter Bechtloff (Hg.), Kunstforum International (2017).. TZ- Rossdorf Verlag.
Patricia Huijnen, „Whitechapel Gallery Kunstvermittlung mit sozialer Verantwortung“, in: Lernen mit Kunst. Blick nach London (2009)., Kulturvermittlung Museumspädagogik 8000 Zürich: Kuverum.
Peter J.Schneemann, «Vermittelnde Präsenz» in: Museumsboom. Wandel einer Institution. Dieter Bechtloff (Hg.), Kunstforum International (2017). TZ-Rossdorf Verlag.
Das Schrank-Orakel
Emanuela Schulze
“Welcher Schrank-Charakter sind Sie? Möchten Sie mehr über sich erfahren, dann nehmen Sie am Schrank-Orakel teil. Durch das Offenlegen ihres Schrankes werden ihre Charakterzüge enthüllt!”
Mit diesen Aufforderungen startete ich den Aufruf zu meinem Vermittlungsprojekt im öffentlichen Raum. Beim Schrank-Orakel setzt man sich hin, nimmt sich kurz Zeit und stellt sich seinen eigenen Schrank vor. Was sagt die Schrankordnung über den Charakter aus? Spiegelt ein überfüllter Kleiderschrank die Unfähigkeit, Altes loszulassen? Zeigt Chaos, dass die Orientierung fehlt?
„Wenn man sich zuerst die Kleidung vornimmt, kann man seine Entscheidungsfähigkeit mit den Gegenständen trainieren, die einem am wenigsten bedeuten“, sagt Aufräum-Expertin Marie Kondo. Sie ist der Meinung, dass Menschen, die einen unaufgeräumten Kleiderschrank haben, Chaoten sind. Der Erfolg ihrer Ratgeber zeigt, wie sehr wir uns davor fürchten, als Leute wahrgenommen zu werden, die ihr Leben nicht im Griff haben.
In meinem Projekt habe ich Passantinnen und Passanten in Winterthur zu Schränken, Ordnung und Unordnung befragt. Die Mitwirkenden haben sich meist länger Zeit genommen und sich Gedanken gemacht, was sie auf meine Fragen antworten sollen. Ich habe die Aussagen interpretiert und die Ergebnisse auf ein Mottenpapier übertragen: akkurat, ambivalent, autark, charismatisch, chaotisch, dekadent…
Partizipation in der Vermittlung
Häufig näherten sich Passantinnen und Passanten neugierig dem Schrank-Orakel, was der Einstieg vereinfachte. Einige stimmten dem Resultat belustigt zu; andere fanden, an gewissen Eigenschaften wollten sie arbeiten.
Ein partizipatorisches Vermittlungsprojekt benötigt zum vorneherein eine Fragestellung, die bei der Durchführung im Zentrum steht. Dadurch werden ausserhalb der Institutionen Kommunikationsräume erschlossen, die im besten Fall einen vielfältigen kulturübergreifenden Austausch ermöglichen.
Siglinde Lang beschreibt dies in ihrem Buch „Partizipatives Kulturmanagement“ folgendermassen: “Partizipative Alltagskultur: Die soziokulturelle Dimension von Kunst rückte vor allem seit und mit den 60er Jahren in das Blickfeld, aber auch das Selbstverständnis von künstlerischen Aktivitäten. Ein aktives Eingreifen in einen bestehenden kulturellen Status quo bildet zumeist Basis und Intention für künstlerisches Handeln.”
Um sich in der Öffentlichkeit in ein Handlungsfeld begeben zu können, muss erst eine Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum erfolgen. Somit war auch für mich klar, mir ein Bild zu machen über die Winterthurer Altstadt, um dann mögliche Standorte für mein Schrank-Orakel zu bestimmen. Meiner Ansicht nach ist es wichtig, die Vermittlungsarbeit im öffentlichen Raum in den Mittelpunkt zu rücken und so den Kunstbetrieb im Museum so zu ergänzen. Die Ausstellung “Cupboard Love” im Gewerbemuseum Winterthur setzte den Rahmen für die Inszenierung meines Handelns im öffentlichen Raum. Die Kooperation und die Integration potentieller Personengruppe und das Festlegen des Ortes für mein Vermittlungsprojekt erfolgte bereits in der Konzeption. Dies war wichtig für eine erfolgreiche Durchführung des Projekts.
Reflexionen und Herausforderungen
Ich konnte viele persönliche und professionelle Erfahrungen machen sowie mir sozialkulturelles Wissen aneignen. Unter anderem habe ich gelernt, wie wichtig meine Haltung, meine Vorbilder und angemessene Kommunikationsstrategien sind. Es war ein gutes Gefühl, etwas sozusagen aus dem Nichts entstehen zu lassen. Es muss nicht immer eine grosse Aktion sein, sondern es sind die unmittelbaren Begegnungen mit den Menschen, die zum Denken anregen.
Ich finde, partizipatorische Vermittlungsprojekte sollten regelmässig angeboten werden und selbstverständlich das Angebot im Museum ergänzen.
Literaturverzeichnis
Kondo, Marie (2014): The life-changing magic of tidying up : the Japanese art of decluttering and organizing, Berkeley, Ten Speed Press Verlag.
Arnold, Antje, Dannecker, Wiebke, Steker, Christoph (2017): Die Kunst der Ordnung: Standortbestimmungen gegenwärtigen Erzählens, Würzburg, Königshausen & Neumann Verlag.
Fayet, Roger (2003): Verlangen nach Reinheit oder Lust auf Schmutz? Gestaltungskonzepte zwischen rein und unrein, Wien, Passagen Verlag.
Lang, Siglinde (2015): Partizipatives Kulturmanagement, Interdisziplinäre Verhandlungen zwischen Kunst, Kultur und Öffentlichkeit, Bielefeld, transcript Verlag.
Resonanz – in Bezug auf das Projekt
“Kastenbilder – eine Führung”
Annik Hunziker
Meine Arbeit; „Kastenbilder – Eine Führung“ möchte ich aus dem Blickwinkel des Begriffes der Resonanz (Maset, Pierangelo: Formate der Kunstvermittlung, Kompetenz – Performanz – Resonanz, Pierangelo Maset, Kerstin Hallmann (Hg.), Maria Peters/Christian Inthoff, 2017, transcript Verlag, Bielefeld) betrachten. Zuerst werde ich den Begriff erläutern und anhand verschiedener Aspekte meiner Arbeit den Begriff weiter klären.
Der Begriff Resonanz
Der Begriff der Resonanz kommt aus der Physik und beschreibt das verstärkte Mitschwingen eines Anklang findenden Systems, das einer sich zeitlich ändernden Einwirkung unterliegt. Als Beispiel aus der Musik könnten wir sagen, dass der Gitarrenbauch ein Resonanzkörper ist, der mit dem Saitenklang mitschwingt. Wir können die Resonanzschwingung einer angeschlagenen Gitarrenseite auf der ganzen Gitarre als leichte Vibration fühlen.
Die Resonanz im Kontext der Kunstvermittlung
Diesen Begriff betrachten wir nun im Kontext der Kunstvermittlung, denn hier geschieht etwas ganz Ähnliches. Nehmen wir an, jede Person, jedes Kunstwerk, jeder Ort hat seine eigene Schwingung, und diese Schwingungen treffen aufeinander, verstärken oder schwächen sich gegenseitig. Nun ist eine Person also nicht nur Sender dieser Frequenz, sondern auch Empfänger und zugleich Resonanzkörper. Sie gibt eine Mischung aus dem Empfangenen und Eigenem weiter. So ergibt sich eine Vielzahl an Verbindungen, bei denen alles mit allem „verbunden“ ist und einen Einfluss aufeinander hat.
Es ist ein Grundanliegen, dass durch die Kunstvermittlung in den BetrachterInnen etwas auf Resonanz stösst und dass die Inhalte und die Art wie wir vermitteln, einen Widerhall in ihnen finden. Ich habe mir einige Beispiele an meiner Arbeit herausgesucht und versuche die für die Kunstvermittlung wichtigen Zusammenhänge am Begriff der Resonanz zu beschreiben.
Der Begriff der Resonanz bezogen auf meine Arbeit
Das Ziel in meiner Arbeit „Kastenbilder – Eine Führung“ war es, historisches Wissen künstlerisch/spielerisch zu verpacken und zu vermitteln. Mit dieser Strategie erhoffte ich, die BesucherInnen auf verschiedenen Ebenen anzusprechen und eine hohe Resonanz, ein Aufnehmen und Mitschwingen der Themen zu erzeugen. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass man sich an geschichtliche Inhalte besser erinnern kann, wenn man sie veranschaulicht und Informationen in spannende, kleine Geschichten verpackt werden. So, dass neu Gelerntes mit möglichst vielen Punkten im Gehirn verknüpft werden kann.
„Jedes Aufzeichnen kann bereits als Antwortgeschehen im Sinne einer Resonanz auf das Vorgefundene ausgelegt und zugleich weiter zu bearbeitendes Produkt im künstlerischen Forschungsprozess verstanden werden.“ (Maset 2017, S. 28)
Als Ausgangslage hatte ich drei Themen, die in mir sozusagen eine Frequenz anschlugen und auf die ich reagierte. Ziel war es, diese drei Impulse zu einer stimmigen Frequenz in Form einer Führung zu bündeln. Der Ort, das Sulzer-Areal, wo ich in Ecken, Fassaden, Ritzen und Spalten die Geschichte förmlich spüren konnte, veranlasste mich zur genaueren Recherche. So lernte ich die Gebäude, die Familie Sulzer und ihr Unternehmen besser kennen.
In der Ausstellung „Cupboard Love“ im Gewerbemuseum Winterthur stand ein Puppenhaus, darin befanden sich kleine Schränke. Diese Änderung der Grössenverhältnisse von Raum und Gegenstand fand ich spannend. Das Gefühl der Grösse der Hallen und Fassaden im Sulzer-Areal, das ich erlebt hatte, wollte ich für BetrachterInnen verstärken, in dem ich kleine, puppenhausgrosse Schränke dazu stellte. Beim Gestalten der Schränke stellte sich ein immer wiederkehrender Prozess ein: Der unfertige Schrank, der eine eigene Schwingung besitzt und seine Frequenz aussendet, erzeugte in mir eine Reaktion, anhand derer ich viele ästhetische Entscheidungen traf. So bearbeitete ich den Schrank weiter und veränderte so seine Eigenschwingung, bis sie mir gefiel.
Für eine Kunstvermittlerin ist es eine erfreuliche Erfahrung, wenn man merkt, dass das Vermittelte eine Resonanz in den BetrachterInnen erzeugt. Dieses Reaktion kann sich beispielsweise bemerkbar machen durch Kritik, Rückmeldungen, Begeisterung, Zuspruch und Fragen.
Dies fiel mir am meisten auf bei den Fragen und Ergänzungen, welche die BesucherInnen während der Führung beifügten. Mein Grossvater reagierte zum Beispiel, als wir uns beim „Rudolf Diesel-Schrank“ in der Halle 53 befanden. Er erzählte, dass er damals noch gesehen habe, wie in dieser Halle Eisen gegossen wurde. Wir staunten alle bei der Vorstellung, wie eindrücklich der Anblick dieser riesigen Krane in Bewegung gewesen sein musste. So verstärkten sich die zwei Frequenzen zu einem Gesamteindruck. Auch das Sulzer-Areal und seine BesucherInnen haben auf meine Arbeit reagiert: Ein Schrank wurde entwendet.
Fazit
Der oben dargestellte Prozess erscheint linear, ist aber in Wirklichkeit viel komplexer. Zum Beispiel kollidierte mein künstlerischer Prozess mit der vermittlerischen Praxis: was sind jetzt künstlerische und was sind pädagogische Entscheidungen? So passierte es, dass ich zu viel Zeit mit der Gestaltung der Schränke verbrauchte und die Überlegungen, wie ich in der Führung das Thema vermitteln möchte, eher zu kurz kamen.
Es wäre spannend gewesen, der Durchführung eine Testphase voranzustellen – Resonanzen muss man austesten. So würde ich im Nachhinein gerne die Schränke noch an unterschiedlichen Orten platzieren, um zu schauen, wie das Objekt auf die Umwelt reagiert und auf BetrachterInnen wirkt.
#fridgelove
Maria Zimmermann
„Ein Instagramaccount nur mit Kühlschränken“, werden Sie denken, „wie banal!“ Das kann man Ihnen gar nicht übelnehmen. Und doch beschäftigte ich mich für das Kooperationsprojekt intensiv damit. Ich sammelte Bilder, machte Werbung und lud täglich einen neuen Kühlschrank auf Instagram.
Ein Kühlschrank ist etwas Banales. Etwas Alltägliches. Wir nehmen ihn für selbstverständlich. Er ist immer da, in der Küche, kühl, anspruchslos, mit einem stillen Surren. Er ist aber der wohl unausweichlichste aller Schränke. Er ist entscheidend in der Art, wie wir uns ernähren und leben. Ein Leben ohne Kühlschrank ist kaum vorstellbar und wäre wohl unerträglich.
Unser Kühlschrank ist das Ende einer langen Kühlkette, die es uns erlaubt, frische Nahrung zu uns zu nehmen, jahreszeitenübergreifend Gemüse zu kaufen und Milchprodukte zu essen, obwohl wir keine Kuh im Garten haben.
Unsere Beziehung zum Kühlschrank ist vermutlich so individuell und komplex, wie unsere Beziehung zum Essen und so gibt unser Kühlschrank viel über uns preis. (Jackson, Tom (2015): „Chilled – How refrigeration changed the world“; London, Bloomsbury Sigma)
Dass jemand anderes in unseren Kühlschrank blickt, ist selten. Meistens sind es nur wir selbst und die Menschen, die den Kühlschrank mit uns teilen, die Einblick haben. Es gibt aber doch diese eine Art von Gast, die fast automatisch den Kühlschrank öffnet und leer hinein starrt. Mir persönlich ist das immer ein wenig unangenehm.
Gedanken schiessen mir in diesem Moment durch den Kopf. Gedanken wie: Was habe ich im Kühlschrank? Irgendein vergessenes Tupperware? Eine schimmlige Karotte? Zu viel Bier? Hat es überhaupt etwas Essbares drin? Hat es zu viel Essen drin? Was sucht die Person? Was denkt sie? Denkt sie jetzt ich bin Alkoholikerin? Verurteilt sie mich für die zwei Tuben Mayonnaise oder das Schoggijoghurt?
Doch es sind womöglich genau diese Unsicherheiten, welche die Neugier auf fremde Kühlschränke wecken. Durch das Betrachten fremder Kühlschränke realisieren wir: „Ich bin gar nicht so anders! Meine Essgewohnheiten sind gar nicht so daneben! Es gibt Menschen, die haben mehr Grund, sich für ihren Kühlschrank zu schämen als ich!“ und so fühlen wir uns besser und weniger allein mit unseren vergessenen Tupperwares. Das ist eigentlich etwas Schönes. Es verschafft uns ein Gefühl der Normalität.
Dieser Voyeurismus ist nicht nur unproblematisch. Er ist sehr komplex und vielleicht auch eines der grossen gesellschaftlichen Probleme. Der Kreislauf der eigenen Superiorität auf Kosten von anderen. Der Unterdrückte wird zum Unterdrücker und so weiter uns so fort. Durch das konstante vor Augen-geführt-bekommen von unerreichbarer Perfektion und das darauffolgende Gefühl der Unzulänglichkeit: Gibt es nichts Schöneres, als das Scheitern Anderer zu beobachten?
Zu diesem Kreislauf sind die Magie der Sensation und die Ambivalenz des Abstossenden und Anziehenden hinzuzufügen.
So ist es kein Zufall, dass die auf Instagram am meisten beachteten Kühlschränke jene waren, die am aussergewöhnlichsten waren. Aussergewöhnlich schön, aussergewöhnlich schmutzig, aussergewöhnlich viel Alkohol. Unter dem Strich kann man sagen, die Kühlschränke mit aussergewöhnlich viel Alkohol waren die erfolgreichsten.
Mit dem eigenen Alkoholkonsum verhält es sich ähnlich wie mit dem Essverhalten, nur ist Alkohol noch verpönter als ungesunde Ernährung. Er wird intensiver verschwiegen und intensiver verurteilt, nur um im gleichen Zug Neid auszulösen, auf ein spassiges Leben, wilde Parties und eine vermeintliche Joie-de-vivre.
Die Bilder der Kühlschränke sind Abbilder von Menschlichkeit. Sie sind kleine Einblicke in das ganze Leben. Sie verraten so viel und doch bleibt das Gesamte verborgen. Wir sehen nur einen kleinen Teil der Realität und erhalten nur die Information, wie viele Menschen sich den Kühlschrank teilen, was ihr Geschlecht ist und was sich über die Wohnsituation sagen lässt. So beginnen wir zu spekulieren und uns auszumalen, wer diese Menschen sein könnten. Am Ende führt uns dieser Gedankenprozess auf uns selbst zurück. Auf unsere Unsicherheiten, Wünsche und Hoffnungen. „Diese Geistesaktivitäten regen die Kreativität an, denn nur aus dem Geheimnisvollen entstehen Sehnsüchte“ (Valérie Fremont (2015): Marcel Proust in bed with Instagram“, https://www.lofficiel.de/popkultur/marcel-proust-in-bed-with-instagramm/2.5.2018), und sie geben uns die Bestätigung, die wir immerfort suchen. Die Anderen sind wie ich. Ich gehöre dazu.
Zu beantworten bleibt die Frage, wie man diese Sehnsucht nach Alltäglichkeit für die Vermittlung nutzen kann. Ist es nicht so, dass wir alle gerne Teil von etwas Grösserem wären? Dass es schön ist, wenn die langweiligen Alltäglichkeiten unseres Lebens auf Interesse stossen? Und wir die langweiligen Alltäglichkeiten anderer durchaus interessant finden, weil wir uns dann vergleichen können? Müsste man nicht genau diesen Teil für die Vermittlung nutzen? Die Besucher dort abholen, wo sie schon sind? Dort wo weder Können noch Reichtum eine Voraussetzung für die Teilnahme sind?
Dieses Projekt versuchte, die Besuchenden der Ausstellung Cupboard Love genau dort zu erreichen. In ihrem Alltag. Und bot ihnen die Möglichkeit nicht nur Besucher, Besucherin der Ausstellung zu sein, sondern ein Teil davon. Ihr alltäglicher, banaler Kühlschrank wurde Teil eines Archivs, das auf einem iPad in der Ausstellung präsent war.
Ob das Projekt wegen der kurzen Laufzeit im musealen Kontext nicht so gut funktioniert hat, oder wegen der kleinen Reichweite bleibt unbeantwortet. Trotzdem ist eine beachtliche Anzahl an Kühlschränken zusammengekommen und ein umfangreiches Archiv entstanden, das hoffentlich noch in einer anderen Form Beachtung bekommt.
Cupboard Extended
Lara Hausheer
“Wieso soll ich meinen Kopf in den Schrank stecken? Ich seh‘ doch, dass da nichts drin ist.“
Was ist schief gelaufen, dass dies die häufigste Antwort war, die ich bekommen habe, wenn ich die Passanten aufgefordert habe, mein Objekt der Vermittlung genauer zu betrachten? Was könnte man tun, damit so etwas nicht passiert? Dass ein im öffentlichen Raum platziertes Objekt Neugier weckt, die Lust es zu erforschen und sich mit etwas auseinanderzusetzten? Dass ein Objekt überhaupt zum Gegenstand der Vermittlung wird?
Projektbeschrieb
In meinem Vermittlungsprojekt ging es um die Dinge, welche Menschen aussortieren, jedoch behalten, und um die Orte, an welchen sie diese Dinge lagern. Sogenannte Schrankerweiterungen. Im Vorfeld der Vermittlungsaktion, machte ich Interviews, in denen ich unterschiedliche Personen zu ihren Schrankerweiterungen befragte. Zusätzlich filmte ich die Orte, an welchen die weggepackten Dinge gelagert werden. Aus den Audioaufnahmen der Interviews und den Videos entstand eine Installation in einem weissen Mottenschrank. Den Schrank platzierte ich im öffentlichen Raum der Stadt Winterthur. Einmal neben und einmal im Stadtgarten. Von aussen wirkte der Schrank leer, wenn man aber an ihm vorbeiging, hörte man die Audioaufnahmen. Steckte man den Kopf in den Schrank, konnte man auf vier I-Pads die Videos sehen. Die Idee war, dass die Merkwürdigkeit des weissen Schranks, sowie die Audioaufnahmen, welche aus seinem Inneren zu hören waren, ausreichen würde, die Neugier der Passant*innen zu wecken. Sie dazu veranlassen würde zu suchen, den Kopf in den Schrank zu stecken, um zu schauen, was sich in seinem Inneren befindet. Der Schrank sollte ihre Aufmerksamkeit erregen und als Einstieg ins Thema dienen. Anschliessend würde ich mit den Passant*innen das selbe kurze Interview führen, wie mit den Personen, welche auf den Audioaufnahmen zu hören waren.
Das hat so nicht funktioniert. Der Schrank erregte zwar Aufmerksamkeit, weckte jedoch keine Neugier. Ohne direktes Ansprechen und Aufforderung meinerseits kam niemand auf die Idee, zu verweilen und den Kopf in den Schrank zu stecken.
Vermittlungsaktionen im öffentlichen Raum – im musealen Raum
Bei Aktionen im öffentlichen Raum ist ein wichtiger Faktor, dass dieser belebt wird durch die Personen, welche sich in ihm aufhalten. Im öffentlichen Raum werden die möglichen Reaktionen des Publikums diverser. Alle Reaktionen, von Ignorieren, Kopfschütteln, genauem Betrachten, bis zu Vandalismus, sind möglich.
Man verfügt nicht über die gängigen Inszenierungsmöglichkeiten wie in einem Museum. Das Museum ist ein halböffentlicher Raum. In der Theorie ist das Museum für alle zugänglich, in der Praxis ist es jedoch eher ein Ort an welchem sich Menschen mit ähnlichen Interessen treffen. Es existieren unausgesprochene Zugangsbedingungen, welche dazu führen, dass die Kunstmuseumsbesucher meist ein ausgewähltes Publikum sind. (Schnettler, 1991, S.65f.)
Die Ausstellungsräume in Museen sind meist so gestaltet, dass der Fokus des Betrachters, der Betrachterin sich möglichst auf das Ausgestellte richten kann. Im öffentlichen Raum wirkt die Umwelt stärker auf das Gezeigte. Im von Alltagshektik verdichteten Stadtraum besteht die Herausforderung darin, das Ausgestellte mit seiner Umgebung zu einer Gesamtwirkung zu verweben. Man kann das Exponat und seine Umwelt nicht voneinander trennen. Im Museum stehen die Ausstellungsobjekte in direkter Relation zum Kontext, in welchem sie präsentiert werden. Dieser verweist immer wieder direkt auf das Objekt und macht jegliche Legitimierung überflüssig. So stellt sich zum Beispiel nicht die Frage, ob etwas Kunst oder nicht Kunst ist, weil der Ausstellungsort diese Frage bereits beantwortet hat. Werden Objekte im öffentlichen Raum platziert, ist dies oft nicht so klar zu erkennen. Die Objekte müssen sich als erstes die Wahrnehmung erkämpfen, erst danach können sie zur Sache weitergehenden Interesses werden. (Schnettler 1991, S.68f.)
Projektbeispiel
Nachdem ich nun einige Faktoren thematisiert habe, welche sich bei Vermittlungs- oder Ausstellungsprojekten im öffentlichen Raum als Schwierigkeit erweisen, werde ich abschliessend ein Projektbeispiel thematisieren, das mit den genannte Schwierigkeiten geschickt umgegangen ist.
Der Titel des Projekts ist KIOSK FRee. Es war ein Projekt von Joachim Sauer im Rahmen des Programms “Wo hört die Kunst auf, wo fängt die Vermittlung an?“ des Kulturreferats München, anfangs Oktober 2011 am Sedlinger-Tor-Platz München.
Das Projekt bewegt sich an der Schnittstelle Kunst/Vermittlung und war eine zeitlich begrenzte, unterschiedlich nutzbare Kiosk-Skulptur. Von dieser ausgehend, führten verschiedene Beteiligte situationsabhängige Aktionen im städtischen Zwischenraum durch. Gleichzeitig diente der Kiosk auch als Aufenthaltsort, lud zum Verweilen, zum Vorbeigehen, zum Tun oder Nichtstun ein. Der innerstädtische Raum wird in erster Linie geformt, durch konsumorientierte, freizeit- und kulturwirtschaftliche Funktion und Nutzung. Die informelle Kleinarchitektur von KIOSK FRee bettete sich in diese Umgebung ein und hob sich durch seine Funktion als Begegnungs- und Alltagsort ohne Konsumzwang zugleich davon ab. Das äussere Erscheinungsbild der Kioskinstallation fügte sich einerseits parasitär in den Stadtraum ein, andererseits hob sie sich durch ihren “do-it-yourself look“ von diesem ab. Diese leichte Verschiebung von etwas Gewohntem in Richtung des Ungewöhnlichen erregte Aufmerksamkeit, gab Anlass zum Staunen, zum überlegen und zu Fragen. Vor allem zur Frage, was man an diesem Kiosk konsumieren konnte. So leitete der Irritationsmoment über zu dem, was KIOSK FRee sein sollte: ein Ort bewussten Nicht-Konsums.
Das Unterschwellige und Unfertige spielte eine wichtige Rollte. Der Kiosk wurde als Kunst wahrgenommen und sogleich wieder als Kunst vergessen. So trat das offensichtlich Künstlerische in den Hintergrund und wurde zu einem Teil der Alltagswelt. (Schuster 2013, S.230f.)
Fazit
Vergleiche ich die Strategie, welcher sich dieses Projekt bediente, um sich die Wahrnehmung der Passanten im dichten öffentlichen Raum zu sichern, mit jener, welche ich verfolgte, fällt mir vor allem eines ins Auge: ich habe den entscheidenden Punkt vergessen – die Umwelt, in welche ich mein Objekt platzierte in dessen Gestaltung miteinzubeziehen. So hob sich der Mottenschrank von seiner Umgebung ab, ohne sich durch Anpassung an deren Gegebenheiten sich seiner Umgebung auch zu bedienen. Ich habe mich zu sehr auf den Moment der Irritation fokussiert, ohne zu bedenken, dass vielleicht genau das Spiel zwischen dem Gewohnten und Ungewohnten die Aufmerksamkeit der Menschen weckt. Mit dieser Strategie kann man Fragen aufwerfen und gleichzeitig den Raum dafür schaffen, dass diese gestellt oder verhandelt werden können. Die Adressaten meines Projekts waren Passant*innen. Menschen, die sich mit unzähligen anderen Dingen im Kopf, als dass sie jeden Moment Teil einer Vermittlungsaktion werden könnten, durch den öffentlichen Raum bewegen.
Ich bin bei meinem Projekt nicht nur zu wenig differenziert mit den Bedingungen im öffentlichen Raum, sondern auch mit den spezifischen Eigenschaften des Objekts Mottenschrank umgegangen. Ein Mottenschrank ist in ein privates Möbel, in das man nicht einfach den Kopf hineinsteckt. Vielleicht hätte ich mit einem gestalterischen Eingriff den Schrank entprivatisieren müssen. So wie ich ihn ausstellte, wurde er auf den ersten Blick eindeutig als Mottenschrank und nichts anderes wahrgenommen. Das einzig Ungewöhnliche war der Ort, an welchem sich der Schrank befand. Dies ist es wohl auch, was abschliessend dazu führte, dass der Schrank zu wenig Neugier weckte, sich länger als einen kurzen Blick im Vorbeigehen mit ihm zu befassen. Denn: Weshalb soll man seinen Kopf in den Schrank stecken, wenn man schon alles zu wissen glaubt?