Perfectly Imperfect

Eine Kooperation des BA Art Education mit dem Gewerbemuseum Winterthur

Für die Ausstellung «Perfectly Imperfect – Makel, Mankos und Defekte» im Gewerbemuseum Winterthur haben die Studierenden des 6. Semesters Bachelor Art Education der Zürcher Hochschule der Künste digitale und analoge Vermittlungsprojekte entwickelt. Sie haben sich mit versteckten Winterthurer Sehenswürdigkeiten, abgegessenen Tellern, dem „pretty privilege“, Macken, Mödeli und Marotten, verlassenen Dingen, persönlichen Erlebnissen und lokalen Handwerks-Traditionen befasst.

Anna-Brigitte Schlittler und Eva Wandeler, Dozentinnen

Delaor Ali: Zu schön, um böse zu sein

Schöne Menschen haben es einfacher im Leben. Sie haben höhere Löhne, werden mit positiveren Eigenschaften konnotiert, ihnen werden Fehler eher verziehen, sie werden mehr gefördert, und sie werden vor Gericht weniger hart bestraft. Zahlreiche Studien zeigen auf, dass als schön empfundene Menschen bevorzugt behandelt werden. Was mich interessiert, ist, wie verschiedene Menschen dieses Phänomen in ihrem Alltag bemerken und erfahren. Dazu habe ich für mein Vermittlungsprojekt, im Zusammenhang mit der Ausstellung «Perfectly Imperfect» des Kunstgewerbemuseums Winterthur, verschiedene Personen zu diesem Thema interviewt.
Damit sich meine Interviewpartner:innen zu persönlichen Fragen öffnen, war es mir zuerst wichtig, eine zurückhaltende, nicht wertende und neutrale Rolle als Interviewer einzunehmen. Schnell bemerkte ich jedoch, dass die Interviewsituation so zu formell wurde und sich die Personen nicht öffneten. Hinzu kam, dass ich mit einem Mikrofon interviewte, was den formellen Charakter verstärkte. Um eine ausgelassenere und informellere Situation zu schaffen, habe ich zwei Änderungen vorgenommen:

  1. Die Interviews wurden durch Lavalier-Mikrofone aufgenommen, die kabellos an mein Handy angeschlossen waren. So wurde die Technik unsichtbar.
  2. Bevor die Interviews begannen, habe ich den Personen zunächst einige Informationen und Fakten zum Thema nähergebracht und danach kurz von meinen Erfahrungen und Geschichten aus meinem Alltag und der Vergangenheit berichtet. Dieser kurze Monolog zu Beginn machte das Gespräch menschlicher und gab ihnen einen ersten Einblick, wie ich mir das Interview mit ihnen vorstellte.

    Nach dem Einstieg ließ ich ihnen einen kurzen Moment Zeit, das Gehörte zu verarbeiten und darauf zu reagieren. Daraufhin begannen sie, das Erste zu sagen, was ihnen durch den Kopf schoss. Ich überliess es ihnen, worüber sie sprechen wollten, und ging darauf ein. Dies führte dazu, dass die Interviews nur teilweise die Fragen beantworteten, die ich geplant hatte, jedoch kamen andere interessante Themen auf. Bezüglich meiner zukünftigen Tätigkeit als Lehrperson lehrte mich diese Erfahrung, auch Offenheit gegenüber spontanen Richtungswechseln innerhalb eines Projekts zu akzeptieren und nicht auf meinen eigenen Vorstellungen zu beharren.

    Ein weiterer Punkt, der dazu führte, dass die Interviews nicht so verliefen, wie ich sie konzipiert hatte, war die Definition des Wortes «Schönheit». In Studien wird eine schöne Person als eine von der Mehrheit überdurchschnittlich bewertete Person bezüglich des Aussehens definiert. Dazu wurden meist Standbilder benutzt, und die befragten Personen kannten die zu bewertende Person nicht. Dies führte zu Unklarheiten, worüber genau gesprochen wird, was wiederum dazu führte, dass die Definition von Schönheit zum Thema in den Interviews wurde, was interessant war.

    Nach den Interviews ging es darum, das Material in eine Form zu bringen, die für eine Öffentlichkeit zugänglich ist. Ich entschied mich, die Interviews auf einer rein auditiven Ebene zu präsentieren, da es kohärent zum Konzept der Arbeit war. Ich habe die verschiedenen Audios zusammengeschnitten und versucht, eine Dramaturgie aufzubauen, die die Hörer:innen von einem Thema ins nächste führt. Am Ende des Audios hört man, wie ich darüber erzähle, zu welchen Erkenntnissen ich durch die Interviews gekommen bin und welche Fragen für mich offen geblieben sind.

    Um die Arbeit zugänglich zu machen, habe ich kleine Karten erstellt, auf denen auf der Vorderseite verschiedene Fragen stehen, die auch in den Interviews behandelt wurden. Beispielsweise: Ist es dir wichtig, auf andere schön zu wirken? Hat dir dein Aussehen schon mal Vorteile oder Nachteile gebracht? Haben es schöne Menschen einfacher im Leben? Dies sollte der Einstieg in die Arbeit sein und einen persönlichen Bezug zur Arbeit herstellen.
    Mit diesen Fragen habe ich ebenfalls den Einstieg während der Führung gemacht, was sehr gut geklappt hat. Auf der Rückseite der Karten fand sich die Beschreibung des Projekts und ein QR-Code, der es ermöglicht, das Audio zu hören. Die Karten wurden im Café und am Eingang des Kunstgewerbemuseums zugänglich gemacht. Schon während des Projekts habe ich gemerkt, dass die vermittelnde Qualität des Projekts in den Gesprächen selbst lag, was mich zur Frage brachte, ob Vermittlungsarbeit immer eine Öffentlichkeit braucht. Ja, die braucht es immer, aber ich habe schlicht die falsche Form gewählt, sie öffentlich zu machen. Statt dem Publikum Gespräche anderer Personen zu präsentieren, hätte ich die Interviews als Grundlage nehmen sollen, um selbst eine Diskussion mit dem Publikum zu starten. Während der Projektpräsentation merkte ich, dass die Begeisterung, über dieses Thema zu sprechen, da war. Der Einstieg mit den Fragen, die auf der Vorderseite der Karten stehen, ließ erahnen, welches Potenzial da gewesen wäre, um eine größere Diskussion zu starten. Im Nachhinein würde ich das Vermittlungsprojekt eher wie einen Workshop gestalten, der zum Diskutieren anregen soll, statt das Publikum zum Konsum von Interviews anderer Personen bewegen zu wollen.

Séverine Antille: Shit happened (here)

… und hier, hier und hier.

Die Sonne scheint uns angenehm ins Gesicht und friedvolle Stille begleitet uns auf unserem Weg. Ein lautloser Wind tanzt durch die Blätter und in mir breitet sich eine Wut aus.

Städte wie Winterthur strahlen durch ihre Idylle. Dies ist kein Zufall: In einem Perfektionswahn wird jedes Geschehen und Bewegen in den Städten bis ins kleinste Detail geregelt. Sonnenschirme müssen mindestens einen halben Meter Abstand zueinander haben, auffälliges Mobiliar ist verboten, alles muss sauber sein. Der öffentliche Raum wird vermehrt zu entpersonalisierten Durchgangszonen, zu sogenannten «Nicht-Orten» : Orte, die in Winterthur täglich fast 80’000 Menschen durchqueren, ohne eine persönliche Spur zu hinterlassen. Kommerzialisierte und privatisierte Konsumzonen und penible Bestrebungen nach Ordnung und Sauberkeit verdrängen all die Individuen, die unsere Städte erst zum Leben erwecken, in ihren Privatraum. Ihre Geschichten haben zwischen Grossstadtfieber und Dorfidylle keinen Platz. Und trotzdem liegen hinter jeder Fassade oder unter jedem Baum Erinnerungen versteckt, die sich an diese Orte festklammern, auch wenn sie im nächsten Morgengrauen wieder weggewischt werden.

Gehe ich durch Winterthur, sehe ich nicht nur unschuldigen Frieden, sondern auch verwirrte Jugend und Schmerz. Dieses Café, in dem eine langjährige Freundschaft zerbrach oder dieses eine Fenster, zu dem ich immer in Freude hochsah und es nun nie wieder tun werde. Während die Altstadt so leer und liebevoll vor mir liegt, sehe ich all diesen Schmerz vor mir und den von wohl tausend anderen – und die Stadt atmet weiter, als hätte es nie irgendetwas davon gegeben.

Rückaneignung der Stadt

«Shit happened (here)» nimmt sich wieder Platz und gibt ihn uns zurück. Es soll uns das unsichtbare Gewebe all der Geschichten und Emotionen zeigen, die in der Stadt verborgen liegen. Ziel des Projektes war, den Stadtbewohnerinnen Raum und Mittel zur Auseinandersetzung zur Verfügung zu stellen, ohne dabei selbst zu intervenieren. Eine interaktive Online-Map hält all die Geschichten als Erinnerungstagebuch fest, welches durch Besuchende des Gewerbemuseums Winterthur und Passantinnen via QR-Code gelesen und per E-Mail ergänzt werden konnte. Alle Standorte in der Altstadt wurden am Boden mit Kreide und teilweise mit einzelnen, in den Himmel ragenden Ballons markiert. Die Kreidemarkierungen wurden dem Sauberkeitswahn zum Trotz während mehreren Tagen täglich erneut angebracht und durch neue Standorte neuer Geschichten ergänzt. Dabei handelt es sich bei den Geschichten nicht unbedingt um Geschichten der Trauer, sondern um jene, die in uns einen wehmütigen Stich im Herz hinterlassen, sodass wir uns immer, wenn wir an einer gewissen Stelle vorbeigehen, daran erinnern: Shit, shit happened here.

But what happened here?

Im Verlauf des Projekts nimmt ein forschender und suchender Fokus zu: Welche Geschichten lassen die Menschen nicht mehr los, sodass sie bestimmte Orte noch Jahre später damit assoziieren? Welche Geschichten möchten Menschen teilen und markieren? Viele Erzählungen handeln von Jugend oder Liebeskummer und es scheint, als wären gewisse Orte Sammelpunkte für schmerzhafte Erinnerungen. Diese Orte sind aber nicht jene, die die Stadt als Aufenthaltsorte vorgesehen hat, sondern meistens unscheinbare Gassen oder Sitzbänke. Interessanterweise fand keiner der Geschichten in der Marktgasse, dem belebtesten Ort der Altstadt, oder an grossen Festen statt.

Emotionale ästhetische Vermittlung im Museum

Die Übersetzung in den realen, öffentlichen Raum fordert von Besucherinnen und Passantinnen einen emotionalen Zugang zum Projekt. Das Projekt lebt von der Anzahl teilweise verletzlicher Einblicke in persönliche Lebensgeschichten. Dies forderte einen geschützten, sorgfältig gestalteten Rahmen der Ruhe, Anonymität und Geborgenheit, um bestenfalls auch etwas Persönliches preisgeben zu wollen, um Teil des Projektes zu werden. Dieser Raum lag im Gewerbemuseum in Form eines iPad’s mit Online-Map auf einem Sockel vor. Das Nachlesen der Geschichten sollte möglichst niederschwellig zugänglich sein, ohne auffällige Inszenierung oder überfordernde Mittel. Trotzdem wurden während der gesamten Projektzeit keine eigenen Geschichten zu den bestehenden, von mir gesammelten hinzugefügt.

Die ausbleibende Beteiligung im Gewerbemuseum zeigt auf, bis in welche Details vermittlerische Mittel durchgedacht werden müssen – insbesondere, wenn ein emotionaler Zugang ohne menschliche Interaktion erzielt werden will. Woran lag es, dass keine Geschichten hinzugefügt wurden? Lag es am iPad, am Standort oder am Wetter? Womit werden iPad und Sockel assoziiert? Wo liegt die perfekte Mitte zwischen unkompliziertem Minimalismus und das Vorgeben eines mentalen Settings? Möglicherweise möchte niemand schmerzhafte Erinnerungen teilen, wenn nebenan gehämmert oder gebastelt wird. Oder persönliche Geschichten auf einem kalten Bildschirm eintippen. Vielleicht waren die Räumlichkeiten zu hell und zu fröhlich, oder zu laut und lebendig. Oder es brauchte einfach einen Rahmen, der mehr Raum und Zeit für die Vertiefung in das Projekt lässt.

Begegnungen in der Stadt

Obwohl meine Intention eine anonyme Intervention meinerseits war, um Stadtbewohnerinnen ihren Raum zu überlassen und nicht durch meine Person zu beeinflussen, zeigten Begegnungen während den Standortmarkierungen und den Projektrundgängen, dass die ausbleibende Beteiligung nicht an fehlendem Interesse für das Projekt lag. Die einfachen, allein fliegenden Ballons zogen grosse Aufmerksamkeit auf sich und Menschen erzählten von eigenen Erinnerungen, Meinungen zum Anspruch auf Sauberkeit, Privatsphäre und dem Wunsch, am Stadtleben teilzunehmen. Es scheint, als bräuchte es zusätzlich zum mental isolierten Raum als Ausgangslage, um sich auf emotionaler Ebene auf das Projekt einlassen zu können, ebenfalls einen öffentlichen Raum für den Austausch. Die Stadtbewohnerinnen möchten nicht wieder mit ihren Stadtgeschichten im Privatraum alleingelassen werden, sondern das Netz der Erinnerungen gemeinsam mit anderen aufbauen.

Das Projekt lässt sich als vermittlerisches Experimentierfeld, als soziale Forschung oder aber auch als Stadttagebuch immer weiter denken. Die Thematik scheint bei vielen ins Schwarze zu treffen und zeigt den Wunsch auf, sich in einer anonymisierten Masse mitzuteilen und zurück zur Verbundenheit zur Stadt sowie zu ihren Menschen zu finden. Städte brauchen diese Tagebücher genauso wie ihre Archive, um ihre Geschichten über die Zeit festzuhalten. Vielleicht in Form von festen Installationen, möglicherweise aber liegt die Wärme darin gerade in der Geborgenheit des Flüchtigen. Trotz perfekten Hausfassaden und verstärkter Homogenisierung sind wir hier und leben wir hier, als Gemeinschaft wie auch als Individuen.
Und wir brauchen Platz.

Florian Berger und Noëmi Zingg: Pssst! Flüstergeschichten über Macken, Mödeli und Marotten

Unser Projekt
Wir alle haben sie. Durch den Alltag begleiten sie uns. Doch trotz derer Präsenz in unserem Leben, sprechen wir kaum darüber. Macken, Mödeli und Marotten sind kleine Gewohnheiten, die unsere menschliche Imperfektion perfektionieren.
Aus diesem Grund machten wir es zu unserer Aufgabe, Geschichten verschiedenster Personen zusam-menzutragen. Macken, Mödeli und Marotten wurden als Audio gesammelt, bearbeitet, mit einer Il-lustration hinterlegt und dann unter unserem Instagram-Account @pssstmamoma veröffentlicht.

Auf den Strassen
Doch wie empfanden wir die Erfahrung zu diesen Audios zu kommen? Ein Teil der Sammlung wurde uns von Personen per WhatsApp zugestellt, die wir dazu aufgefordert hatten. Die meisten Aufnahmen stammen von Passant:innen aus den Strassen von Winterthur. Wir begaben uns in Blau bekleidet auf die Strasse und sprachen unterschiedliche Menschen an. Mit uns trugen wir ein Mikrophon, eine Kamera für die Dokumentation und Visitenkarten. Wir machten relativ schnell die Beobachtung, dass einige Personen mit Blick auf unser Equipment in eine Abwehr-haltung gerieten. Auf das Mitnehmen der Kamera verzichteten wir von da an. Und das Mikrophon nahmen wir erst hervor, wenn angesprochene Passant:innen einer Teilnahme zugestimmt hatten. Wir gaben ihnen immer eine Visitenkarte mit, unabhängig der Partizipation. Eine weiterer wichtiger Punkt war das relativ baldige Erwähnen der Kooperation. Wir machten die Erfahrung von positiven und zugänglichen Reaktionen, sobald wir den Bezug zum Gewerbemuseum Winterthur herstellten.

Eine oft auftretende Situation war, dass den von uns angesprochenen Personen keine Beispiele in den Sinn kamen. Sie waren offen und fanden Interesse an unserem Projekt, konnten uns jedoch keine Ge-schichte über eigene Alltagsmarotten erzählen. An was lag das? Waren sie sich selber nicht bewusst, was für Gewohnheiten sie hatten? Fühlte sie sich unter Druck und konnten auf die Schnelle kein Beispiel hervorrufen? Wir versuchten wie folgt mit der Situation umzugehen. Erst wurden eigenen Beispiele gebracht, um so mögliche Denkprozesse anzuregen. Funktionierte das nicht, boten wir einen weiteren Versuch zehn Minuten später an. Diese Strategien klappten manchmal und manchmal auch nicht. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob wir dort einen anderen, effizienteren Umgang hätten finden können? Oder ist das Teil der vermittlerischen Arbeit?

Wen sprachen wir an?
Wir setzten uns nicht wirklich ein Fokus, wenn es um auserwählte Passant:innen ging. Wir versuchten uns offen und spontan in diesen Austausch zu begeben und machten uns diesbezüglich auch nicht viel Gedanken. Wir bemerkten trotzdem gewisse Muster, die doch eine grosse Relevanz im Vermittlungs-kontext haben. Ein Grossteil der Sammlungsbeispiele stammt von FLINTA-Personen. Männlich gelese-ne Personen sind zwar vertreten, aber deutlich in der Minderheit. Es ist schwierig heraus zu deuten, ob FLINTAs einfach mehr auf das Projekt eingingen und offener für eine Teilnahme waren, oder ob wir tendenziell weniger männlich gelesene Personen ansprachen.
Auch befanden wir uns ein-zwei Mal in Situationen, in welchen wir Stereotypen auf Passant:innen projiziert haben, die durch gesellschaftlicher Prägung in uns verankert sind. Es kamen Hemmungen in uns auf. Wir schrieben Personen geringere Deutsch-Kenntnissen zu und hatten Angst, diese zu überfor-dern und vielleicht auch blosszustellen und daraus resultierte, dass wir sie nicht ansprachen. Doch die Vermittlung ist ja gerade dazu da, Brücken zu schlagen. Wie können wir in Zukunft unsere Hemmun-gen überwinden und diese Brücken schlagen? Reicht ein „Ins-kalte-Wasser-stürzen“ und sich einfach in die Situation zu begeben? Oder können wir gewisse Strategien aufbringen?

Das richtige Medium
Im Verlaufe des Prozesses begannen wir immer intensiver das Medium zu hinterfragen. Wir wählten als Sammlungsplattform Instagram. Mit dieser App hatten wir die Chance, täglich einen Beitrag zu posten und eine gewisse Reichweite zu generieren. Trotzdem exkludierten wir durch die Wahl des Mediums Personen, die keinen Account besitzen. Wäre eine Webseite passender gewesen? Oder wäre eine analoge Sammlung angebracht gewesen? Mit Blick zurück sind wir auch der Meinung, dass das Potential der Illustrationen nicht im vollen genutzt wurden. Beispielsweise hätten wir das Sammeln auf eine analoge Ebene in Form von Postkarten bringen können. Auf der Vorderseite die Illustration und auf der Rückseite die dazugehörige Macke. Das wäre eine mögliche Umsetzung gewesen.
Auch machten wir uns über längere Aufnahmesequenzen Gedanken, beispielsweise in Form eines Podcasts. Vielleicht hätten so auch ausführlichere Gespräche über Alltagsgewohnheiten entstehen können. Beispielsweise im Sinne von:“ Ich esse den Salat immer vor der Hauptspeise…“ „Ach, wirk-lich? Ich esse ihn immer danach. Ich esse ihn gerne in dem Teller, in welchem die Überreste der Hauptmahlzeit sind…“. „Lustig, diese Überlegungen mache ich gar nicht, da ich nicht gerne Salat und eine Mahlzeit in Kombination esse. Ich esse entweder einfach die Mahlzeit, oder einen grossen, reich-haltigen Salat!“. Für diese Art von Austausch hatte unser Konzept nicht die richtige Veranlagung und das wäre vielleicht einen Weg, den man weiter einschlagen könnte. Dies sind rein hypothetische Überlegungen, die sich auf Erfahrungen aufbauen und potentielle Vermittlungsprojekte in Zukunft fruchtbare Konzepte bieten.

Das ist uns gut gelungen
Mit Blick zurück auf uns Kooperationsprojekt sprechen wir und sehr positiv über folgende Aspekte aus. Die von Florian erarbeiteten Illustrationen werteten die Geschichten visuell sehr auf und bringen einen sehr zutreffenden Charme, wie auch eine humorvolle Beinote in die Beiträge. Mit einher geht die Cooperate Identity, die wir uns von Anfang an als roter Faden festgelegt hatten. Von Logo über die Kleidung bis zum Hintergrund der Illustrationen, wurde das gleiche Blau verwendet und begleitete uns durch die Vermittlungsprozesse.
Wir empfanden uns als ein gut funktionierendes Team, dass viel Wert auf Kooperation und Kommu-nikation legte. Es war stets ein rücksichtsvoller Umgang zwischen uns feststellbar. Meinungen und Hal-tungen durften ausgesprochen werden.
Bei der Arbeitsaufteilung versuchten wir immer eine gute Balance zu halten, was nicht immer so ein-fach war. Doch wir fanden den Rank, indem Florian die Illustrationen erstellte, wir beide die Audio-dateien bearbeiteten und Noëmi das Posten übernahm. Wir versuchten täglich, gegen Abend, einen Beitrag auf Instagram zu laden und anschliessend in der Story anzuwerben. Die Arbeitsaufteilung gelang uns somit recht gut.
Der höchste Stellenwert hatte für uns die Freude am Projekt und die gemeinsame Arbeit. Gegenüber dem Resultat selber teilen wir sehr positive Gefühle und eine gesunde Zufriedenheit. Wir empfinden es als ein gelungenes Projekt, in welchem wir viel lernten, sei das im Kontext der Vermittlung oder der eigenen Verhaltensweisen.
Macken, Mödeli und Marotten wurden zu einer reichhaltigen Sammlung zusammengetragen. Wir alle haben sie. Sie machen unsere menschliche Imperfektion umso perfekter. Ein guter Grund, um uns über sie auszutauschen. Die Geschichten sind nach wie vor auf @pssstmamoma abrufbar.

Stephanie Furrer: Wo ist Was? – Wimmelbild in Winterthur

In Zusammenarbeit mit dem Gewerbemuseum habe ich als Studentin der ZhdK eine Karte kreiert und sie an mehreren Standorten in Winterthur verteilt. Die „Wo ist Was?“-Erlebnisstadtkarte ist eine analoge Papierstadtkarte von der Altstadt Winterthur. Sie ist inspiriert von Erlebnisstadtkarten für Tourist:innen. Aber anstatt typische Sehenswürdigkeiten, die man in Winterthur erwarten würde, wie etwa der Justitia Brunnen, die Stadtkirche Winterthur, das Waaghaus oder die Alte Kaserne, verweist die „Wo ist Was?“-Erlebnisstadtkarte auf Kleinigkeiten, die nicht in das Bild einer perfekten Stadt passen, die es aber wert sind, erlebt zu werden.


Abstract
Worauf achten Sie als Touristin, wenn Sie neu in einer Stadt sind? Klappern Sie verschiedene Sehenswürdigkeiten ab? Oder suchen Sie Verstecktes? Mit der „Wo ist Was?“ Erlebnisstadtkarte, einem Stift, Ihren Augen, Ohren und Ihrer Nase können Sie sich auf die Suche nach Kleinigkeiten, Kuriosem und Skurrilem machen, die Ihnen im Normalfall entgehen würden. Die Karte ist gratis und liegt an folgenden Orten in Winterthur auf: Gewerbemuseum Winterthur, Sammlung Winterthur, Stadtbibliothek Winterthur, Buch am Platz Genossenschaft, Emita Creativ Center und liv’in’colors – us Winti – für Winti. Recherche Alles fing mit einer Faszination für Insekten, Krabbeltiere und Ekligem an. Ich begab mich sowohl auf einer Internetrecherche, als auch einer Begehung in der Altstadt Winterthur vor Ort. Ich interessierte mich vor allem für Orte, an denen besonders viele Insekten gesehen werden konnten. Ich fragte mich: Gibt es in Winterthur ein Insektenverein? Insektenzüchter? Einen botanischen Garten? Große Entsorgungshöfe mit viel Grünabfall? Durch die kalten Temperaturen im März und April gestaltete sich die Suche allerdings als schwieriger als gedacht So fand ich Orte, an denen theoretisch gesehen Insekten zu finden wären, wie etwa Blumen in einem Park, modrige Asthaufen in einer Hecke oder auch Müllcontainer mit Küchenabfällen, aber durch die Kälte waren die Insekten versteckt. Nichtsdestotrotz eröffneten mir die vielen Stadtrundgänge in Winterthur dennoch eine andere Sichtweise auf die Stadt, vor allem für Banales, Skurriles und auch gar Hässlichem und Ekligem. Jeder Ort, der mich faszinierte, fotografierte ich mit meinem Smartphone, gleichzeitig schrieb ich mir den genauen Standort auf. Mit der Zeit öffnete ich mein Themengebiet, entfernte mich von den Insekten. So schaute ich in viele Mülleimer, öffnete die Deckeln von Ölsammelstellen, watete durch Dickicht oder schlich durch Hinterhöfe. Ich entdeckte viele kleine Sachen, die mir bei einem normalen Stadtspaziergang entgehen würden. Normalerweise bleibe ich bei den Schönen Sachen, bei den perfekten Sachen stehen und schaue sie mir an. Bei nicht so schönen Orten beschleunige ich meine Schritte, damit ich schnell durch bin, auf Kleinigkeiten achte ich kaum. Bei manchen dieser Spaziergänge nahm ich Freundinnen mit und bat sie darum ihre Augen offen zu halten nach imperfekten Sachen – ganz nach dem Thema der Ausstellung „Perfectly Imperfect“. Ich stellte mir die Frage: Wie kann ich andere Menschen dieselben Erlebnisse schenken, wie ich sie bei meinen Spaziergängen hatte.


Umsetzung der Karte
Im nächsten Schritt musste die Karte gezeichnet werden. Ich traf hierfür eine Auswahl an Stationen, da ich sehr viele Orte dokumentiert hatte, aber sie sich nicht alle eignen. Ich zog mehrere Kriterien in Betracht: Ich musste Orte aussuchen, die man auch noch in einen Monat so vorfinden würde. Es mussten Orte sein, die nicht allzu sehr von Wetter und Jahreszeit abhängig sind. Auch wollte ich die Leute nicht dazu bringen an Orten zu gehen, an der sie nicht sein durften oder wo sie Ärger bekommen würden. Auch die geografische Verteilung der Orte war wichtig, so sollte nicht alles zu nah beieinander sein. Aber trotz aller Planung stellte ich im Nachgang fest, dass einige meiner ausgewählten Orte sich innerhalb der Wochen veränderten und nicht mehr so vorzufinden sind, wie sie zur Erstellung der Karte waren. Das Zeichnen der Karte unterschätzte ich masslos und plante viel zu wenig Zeit dafür ein. Mir war nicht bewusst, dass das Zeichnen einer Karte viel länger dauerte, als das Zeichnen, wie ich es sonst tat. Denn ich zog Aspekte wie die richtige Beschriftung der Straßen, die gut übersetzte Farbgebung, das richtigen Massstab, die Lesbarkeit nicht in Betracht. So musste ich einiges umändern, ergänzen, hinzufügen. Am Ende blieb viel zu wenig Zeit für den Aufgabentext, den ich genauer hätte überarbeiten sollen. Ich führte die im Text beschriebenen Aufgaben durch, aber zu wenig oft, der Feinschliff fehlte mir. Meine Schwester half mir sehr. Auf einen der Spaziergänge, auf denen sie mich begleitete, nutzte ich sie als „Versuchskaninchen.“
Die größte Zeitnot bereitete mir aber das Drucken der Karte. Online Druckereien waren günstig, brauchten zu lange und gaben auch keine Garantien, dass die Karten an einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein würden. Deshalb suchte ich eine Druckerei in Zürich aus, bei der ich schon etwas öfters drucken ließ: Printoset. Ich erschien dort direkt vor Ort mit meiner Karte als druckfertige PDF-Datei und gemeinsam besprach ich mit den Leuten dort mein Wunschpapier. Letztendlich wurden die 100 Drucke erst wenige Tage vor der Umsetzung der Projekte beim Gewerbemuseum fertig. Sie enthielt einige Fehler, aber an diesem Zeitpunkt konnte ich diese Fehler nicht mehr beheben. Ich musste arbeiten mit dem, was ich hatte.Ein Kartenhalter konnte ich auch nur noch notdürftig herstellen, ich bedruckte Kartonpapier und klebte sie an den Plastikprospekthaltern.


Vermittlung der Karte
Die Vermittlung der Karte stelle ich mir sehr schwer vor, aber letztendlich stellte sie sich einfacher als gedacht heraus. Zwei Tagen vor der Frist ging ich mit meinen 100 Karten durch die Altstadt Winterthur und suchte mir Läden aus, von denen ich annahm, dass meine Karte dort hinein passen könnte. Ich lief direkt in die Läden hinein, stellte mich den Leuten vor, erklärte ihnen, dass ich eine Studentin der ZHdK sei und in einem Kooperationsprojekt mit dem Gewerbemuseum wäre. Das war meistens der Moment, in denen ich Skepsis bei den Menschen erkannte und sie wuchs noch mehr, sobald ich Karten erwähnte, die ich gerne ausgestellt und verteilt hätte. Sobald ich aber eine Karte herausnahm, sie auseinander faltete und es den Menschen zeigte, verschwand die Skepsis und es kam der „Aha-Moment“. Die ansprechende Ästhetik der Karten war das, was mir in diesen Augenblicken am meisten weiterhalf. Meine Idee wurde mit der ausgefaltete Karte leichter nachvollziehbar. Auch ohne sie zu sehen waren die Wenigsten an meinen Prospekthaltern, interessiert. Meistens hatten die Läden selber schon Orte für solche Karten und wollten keine Objekte dazustellen.
Mein größter Highlight war die Sammlung Winterthur, die alles rund um Winterthur sammelt. Sie nahm drei Exemplare meiner Karten in ihre Sammlung sofort auf. Am 25. und 28. April fanden die Führungen beim Gewerbemuseum statt, in denen nach und nach die einzelnen unserer Projekte präsentiert und abgelaufen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war ich für gut 2 Wochen sehr krank und hatte am Morgen überhaupt keine Stimme mehr und ziemliche Halsschmerzen, die mit Sprechen nur schlimmer wurden. Deshalb übernahm meine Studienkollegin Eva das Reden für mich. Hierfür steckten wir unsere Köpfe vor den Führungen zusammen. Zwei Aufgaben wurden auf der Karte ausgeführt.


Fazit
Insgesamt habe ich mein eigenes Projekt, die „Wo ist Was?“-Erlebniskarte als sehr chaotisch erlebt. Ich hätte sicherlich besser organisiert sein können und brauchte viel zu lange, um zu entscheiden, was ich überhaupt wollte. Dass ich krank wurde war für den ganzen Prozess auch sehr hinderlich. Zudem unterschätze ich stellenweise den benötigten Zeitaufwand, sodass ich in Zugzwang geriet. Erleichternd war für mich zu Erfahren, dass das Ausstellen und Verteilen der Karte beim Empfang des Gewerbemuseums selber relativ einfach ging. Weil uns vom Gewerbemuseum selbst kein Raum zur Verfügung gestellt wurde war ich der Annahme, dass es schwer werden würde. Aber einmal kurz nachfragen tat schon sein Übriges. Eine richtige Überprüfung habe ich nicht, ob Personen, die sich eine Karte je schnappen auch wirklich die Orte suchen gehen. Ansonsten geniesse ich vor allem die Ästhetik der Karte, von der ich mir schon einen Platz an der Wand aussuche, an der ich sie hängen kann.

Ana Germann: Post Food Porn

Das Projekt «Post Food Porn» will als Gegenüberstellung zum digitalen «Food Porn» einen Fokusshift initiieren, welcher den Fokus auf den Moment nach dem Essen legt.
Für mich passiert nach und während und nach dem Essen das Spannende zwischen den Menschen, nämlich das Interaktive und Soziale. Bei einem gemeinschaftlichen Schlemmen nimmt die Essenszeit einen grossen Teil der Zeit die man zusammen verbringt ein.
Aufgrund dessen habe ich mir die Frage gestellt: Was würde passieren, wenn nach dem Essen ein Foto gemacht werden würde, also ein «Post Food Porn» Moment entstehen würde? Würden so nicht mehr Erinnerungen an den Verlauf und den ganzen Akt des Essens bleiben und einen sentimentalen Wert zum Bild geben, und dem sozialen Aspekt von Essen einen grösseren Wert geben, anstelle von einem Schnappschuss am Anfang, wenn der Teller kommt, der sozusagen noch nichts erlebt hat?

Food Porn

Um eine Hinterfragung vom «Food Porn» überhaupt zu starten, wollte ich mich erst mit diesem Phänomen auseinandersetzten und für mich herausfinden, wo der Kern und der Fokus dieses Trends liegt.
Dabei habe ich bemerkt, dass die ästhetische Inszenierung von Essen eine Form von Wertschätzung für die Zubereitung und Präsentation von Speisen zeigt. Perfekt festgehaltene Bilder können die Emotionen und den Genuss, die mit dem Essen verbunden sind, intensiver vermitteln. Diese Bilder dienen jedoch nicht nur der Erinnerung an den Moment, sondern auch dem Teilen dieser Erfahrung mit anderen, sei es durch soziale Medien oder persönliche Erzählungen.

«Food Porn» bezeichnet visuell ansprechende Darstellungen von Speisen, die oft in sozialen Medien geteilt werden. Unter dem Hastag Food Porn sind auf Instagram aktuell 308 Mio. Beiträge zu finden. Diese unendlichen Bilder betonen zum einen die sensorischen Qualitäten des Essens wie Farbe, Textur und Präsentation. Zum Anderen befriedigen sie das Bedürfnis, Bilder vom Essen zu machen, bevor man es probiert und dies aus verschiedenen Gründen: die ästhetische Wertschätzung der Gerichte, dem Teilen von kulinarischen Erlebnissen, dem Festhalten von Erinnerungen und dem Streben nach sozialer Anerkennung auf online Plattformen. Während «Food Porn» auch der Erinnerung an gemeinsame Essensmomente dienen kann, liegt der Hauptfokus oft auf der visuellen Wertschätzung und dem Teilen mit einer breiteren fiktiven Gemeinschaft.

Zudem kann «Food Porn» online auch als neue Form der indirekten Selbstinszenierung verstanden werden. Das Essen, die Anrichtung und das Restaurant können den sozialen Stand vermitteln und einen bestimmten Lebensstil beschreiben. Essen kann eine individuelle Haltung darstellen.
Was wir essen, wo wir essen und mit wem, hat eine große Aussagekraft über das Persönliche.

Im «Post Food Porn» geht es darum, die Ästhetik des perfekt angerichteten Tellers zu entziehen und den sozialen Aspekt des Essens in den Vordergrund zu rücken, indem der Moment nach dem Essen in Form eines fertig gegessenen Tellers festgehalten wird. Dies verleiht diesem Moment eine neue, vielleicht sogar tiefere Wertschätzung und lässt die Spuren des perfekt angerichteten Gerichts zur Bildfläche der Erinnerung werden.

Vom Restaurant zur Postkarte

Mit diesen vielen Fragen machte ich mich mit meiner Kamera auf den Weg durch Winterthur und Zürich, um verschiedene Restaurants zu besuchen. Dort stellte ich mich für mehrere Stunden in die Küche oder an einen Ort, an dem ich den Restaurantablauf nicht störte, und fotografierte einen abgegessenen und zurückgegebenen Teller nach dem anderen. Während dieser Arbeit entstanden viele spontane Gespräche mit dem Küchenpersonal, den Gästen und Passanten. In einer Küche mitten in der Altstadt von Winterthur wurden mir am Ende des Abends langsam bestimmte Teller zugestreckt, die ich fotografieren sollte. Zum Schluss richtete sich auch die Aufmerksamkeit der Menschen um mich auf diese Teller, die kurz vor dem Abwasch einen kleinen Moment der Anerkennung erhielten. Für mich persönlich war dies eine sehr wirkungsvolle Verschiebung der Aufmerksamkeit der Menschen um mich herum und ein Zeichen dafür, dass sich dieser Shift durch den Input und meine persönlichen Fokus verändern kann.

Die Bilder der abgegessenen Teller wurden den Besucher*innen des Museums in Form von kostenlosen Postkarten zur Verfügung gestellt. Diese Wahl einer Postkarte als bewusstes Pendant zur digitalen Welt des „Food Porn“ ermöglicht es, einen schriftlichen Inhalt zu vermitteln und kann somit eine Atmosphäre, Erinnerungen oder Eindrücke des Absenders festhalten und weitergeben. Durch Fragen wie „Was ist das perfekte Essen?“ wird die inhaltliche Ebene der Karten erweitert und ermöglicht einen subtilen, aber wirkungsvollen Beitrag zur Diskussion über Essenskultur und Perfektion. So hatte ich die Möglichkeit, den Inhalt der Nachrichten zu einem gewissen Grad zu lenken, in eine Richtung, die durch die Bildebene der abgegessenen Teller einen Denk- oder Gesprächsprozess eröffnen kann.

Das Sammeln der Postkarten war für mich ein spannendes und lehrreiches Feedback. Das Projekt entwickelte sich in dieser Hinsicht zu einer Art Forschungsarbeit über Essenskultur und ästhetischen Genuss. Während der Durchführung in Winterthur konnte ich anhand der gesammelten Antworten festhalten, dass viele Menschen die Gesellschaft anderer und die Liebe oder Verbundenheit als häufige Assoziationen mit perfekten Essenssituationen verbinden. Antworten wie: «Ein Essen, das mit viel Liebe und Herzblut zubereitet wird, mit Experimenten von verschiedenen Gewürzen und Kräutern. Schön arrangiert und mit Freude dekoriert, um großen Genuss zu bereiten.» zeigten, dass selbst bei einer Frage, die explizit nach der perfekten Zutat für ein Essen fragte, neben klassischen Zutaten wie beispielsweise Parmesan, Salz und Weißwein «Die Gesellschaft, ob Familie oder gute Freunde» genannt wurde. Das führte mich zu der Erkenntnis, dass Essen durch die enge Verbundenheit mit Gesellschaft und Beisammensein immer ein wenig besser schmecken kann.

Die Postkarte als vermittlerisches Objekt

Die Besucherinnen des Parcours und der Ausstellung «Perfectly Imperfect» hatten im Vermittlungsraum des Gewerbemuseum Winterthur die Möglichkeit, die Karten kostenlos mit nach Hause zu nehmen oder die Fragen auf der Rückseite zu beantworten und sie in einen Briefkasten neben dem Kartenständer mit ihrer persönlichen Antwort einzuwerfen. Ich entschied mich bewusst dafür, diese gesammelten Antworten für mein persönliches Archiv und die Dokumentation der Arbeit zu verwenden. Anstatt die Karten wie traditionelle Postkarten per Post zu verschicken, wurden sie im Museum gesammelt und wurden Teil von meinem Archiv. Dabei entfielen persönliche Widmungen und Grüße, und die Handlung im klassischen Sinne, somit wurde die Anwendung der Postkarte auf das Beantworten einer Frage und das Einwerfen beschränkt. Aus diesem Grund, nenne ich die Karten auch «Karten» und nicht Postkarten, da diese in der Benutzung einen anderen Ablauf und Nutzen haben. Das Setting im Museum bietet eine interaktive Möglichkeit, mit den Besucherinnen in Kontakt zu treten, ohne persönliche Gespräche zu führen. In diesem Beispiel habe ich festgestellt, dass durch das Nichtversenden die Karten zu einer Art Souvenir und Mitbringsel der Ausstellung werden können. Ich sehe in diesem Sinne jedoch keine negative Wendung, sondern vielmehr eine Chance, einen Denkanstoß von einer Ausstellung ins Private der Besucher*innen zu vermitteln.

Dabei stellte sich die Frage, inwiefern dies Vermittlung ist. Für mich persönlich bedeutet Vermittlung das Auslösen von Prozessen, seien es Lernprozesse oder Denkprozesse; etwas soll durch die Vermittlung in Bewegung kommen. Dieses Projekt würde ich mehr als eine Form der indirekten Vermittlung beschreiben, welche es ermöglicht, den Menschen ihre eigenen Perspektiven zu entwickeln und durch subtile Fragen und Bildebenen zu einem individuellen Prozess zum Thema zu kommen. Durch die Postkarten haben die Menschen die Möglichkeit, dies auf einer schriftlichen Ebene festzuhalten oder einen Denkanstoß bei den Empfänger*innen der Karte auszulösen. Sie kann einen subtilen Anstoß zu Denk- und Handlungsprozessen geben, die auf persönlichen Erfahrungen und Interpretationen basieren, und so einen Raum für Vielfalt eröffnen. In meinem Kooperationsprojekt steht somit nicht die klassische Vermittlung im Vordergrund, sondern eine subtile, unkontrollierbare Ebene von Prozessen, die durch die Postkarten und ihre Botschaften vermittelt und ausgelöst werden können.

Rebecca Goetz: Geschäftsgeschichten

Im Zusammenhang mit der aktuellen Ausstellung „Perfectly Imperfect – Makel, Mankos und Defekte“ im Gewerbemuseum Winterthur habe ich in dieser Arbeit acht Geschäfte aus Winterthur durch eine fotografische Reportage präsentiert. Es handelt sich um Porträts von Besitzerinnen und Besitzern von Werkstätten oder Geschäften, die ein spezifisches Handwerk ausüben. Jeder Handwerksberuf hat seine Vor- und Nachteile, wie etwa technologische Fortschritte und wirtschaftliche Faktoren. Neben der Suche nach Perfektion und dem Umgang mit Unvollkommenheit verbergen sich inspirierende und prägende Geschichten, die den eigentlichen Wert dieser Berufe ausmachen. Deshalb sollen die verschiedenen Handwerkerberufe sichtbar gemacht werden, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Es ist nicht nur wichtig, sie zu bewahren, sondern auch dazu beizutragen, das Bewusstsein für die Bedeutung lokaler Unternehmen zu stärken und die Verbundenheit innerhalb der Gemeinschaft zu fördern. Auch die Verkaufs- und Konsumsituation hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Der Fokus auf die „Veränderung“ und der Frage „War früher alles besser, perfekter?“, wird in dieser Arbeit zentral miteinbezogen. Durch die Rückbesinnung können diese Geschichten vom Handwerk plötzlich wieder real greifbar werden, wenn die Besitzerinnen und Besitzer in ihre nostalgischen Erinnerungen zurückkehren und uns davon berichten.


Kreative Begegnungen
Angefangen mit einem gemütlichen Spaziergang durch die engen Gassen in Winterthur, wurde ich von der unerwarteten Herzlichkeit der Handwerkerinnen und Künstlerinnen überrascht. Ihre Bereitschaft, mir Einblicke in ihre Ateliers und ihr kreatives Schaffen zu gewähren, hat mich von Anfang an beeindruckt und Lust gegeben, mich mit diesem Thema mehr auseinanderzusetzen. Es war faszinierend zu sehen, wie schnell sie ihre Türen öffneten, um ihre Leidenschaft und ihr Handwerk mit anderen zu teilen. Jeder Besuch in einem Atelier oder Laden war eine neue und bereichernde Erfahrung. In unserer Gesellschaft spielt das Handwerk eine entscheidende Rolle, nicht nur in Bezug auf die Herstellung von Waren, sondern auch in Bezug auf die Bewahrung von Traditionen und die Schaffung von Gemeinschaft. In einer Welt, die von Massenproduktion und technologischem Fortschritt geprägt ist, erinnern mich die Handwerksberufe daran, dass die Schönheit oft in den kleinen Details liegt und dass Perfektion nicht immer erstrebenswert ist.
Handwerkerberufe sind viel mehr als nur Berufe, sie sind eine Form, die Tradition, Innovation und handwerkliches Können vereint. Diese Berufe sind nicht nur von praktischer Bedeutung, sondern auch von kultureller und historischer Bedeutung. Sie repräsentieren das Erbe und die Vielfalt der handwerklichen Fertigkeiten, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Betrachtet man Handwerkerberufe als Vermittlung, so sind sie nicht nur Mittel zum Zweck, um bestimmte Aufgaben zu erledigen, sondern auch Wege, um Fähigkeiten, Wissen und Erfahrung weiterzugeben, die zugleich Präzision, Kreativität, Ausdauer und Stolz vermitteln. In einer Zeit, in der viele traditionelle Handwerkerberufe bedroht sind, ist es wichtig, ihre Bedeutung zu würdigen und sie als wichtige Vermittler von Wissen und Können anzuerkennen.


Weiterführende Gedanken
Die Entscheidung, das Vermittlungsprojekt in Form einer gedruckten Broschüre zu präsentieren, war eine charmante Möglichkeit, die Geschichten und das Handwerk der lokalen Handwerker einem kleineren Publikum zugänglicher zu machen. Dennoch hätte die direkte Integration der Läden und Werkstätten in das Projekt Passanten die Möglichkeit gegeben, vor Ort Einblicke zu erhalten. Dies hätte sicherlich zusätzlich noch eine spürbare Verbundenheit zur Gemeinschaft geschaffen und das Interesse an den Handwerkskünsten geweckt. Aber auch die Idee von Workshops oder direkten Teilnahmemöglichkeiten für die Besucher, bei denen sie selbst Hand anlegen können, würde eine faszinierende Erfahrung bieten. Dadurch hätten sie nicht nur die Gelegenheit gehabt, die Handwerkskunst aus erster Hand zu erleben, sondern auch ein tieferes Verständnis für die Arbeit und die Leidenschaft der Handwerker zu entwickeln. Vor allem auch die Vermittlung mit Schulen oder Bildungseinrichtungen hätte man da viele spannende Einblicke geben können, um das Bewusstsein für die Handwerkerkunst bei den Jugendlichen vermehrt zu stärken. Durch eine Mischung aus praktischen Übungen, Geschichtenerzählen und Diskussionen können sie einen tieferen Einblick in die Welt des Handwerks gewinnen und die Bedeutung dieser traditionellen Berufe besser verstehen. Wenn wir diese Vermittlungsform etwas genauer weiterdenken, könnte der Workshop mit Schülerinnen mit einer kurzen Einführung in die Geschichte des Handwerks und den verschiedenen Handwerkskünste beginnen. Anschließend hätten die Schülerinnen die Möglichkeit, verschiedene Handwerkskünste selbst auszuprobieren. Unter Anleitung erfahrener Handwerkerinnen können sie Holz schnitzen, Metall bearbeiten, Stoffe weben oder andere handwerkliche Techniken erlernen. In kleinen Gruppen werden die Schülerinnen dann dazu ermutigt, aktiver zu werden, um selbst ein kleines Projekt zu realisieren. Dabei könnten sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen und ihre handwerklichen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Währenddessen haben sie die Möglichkeit, mit den Handwerkerinnen zu interagieren und mehr über ihre Erfahrungen und Traditionen zu lernen. Zusätzlich zu den praktischen Übungen werden Geschichten über berühmte Handwerkerinnen und ihre Werke erzählt, um den Schülerinnen einen Einblick in die kulturelle Bedeutung des Handwerks zu geben. Sie haben auch die Möglichkeit, lokale Handwerksbetriebe zu erkunden, um mehr über die verschiedene Handwerkskünste zu erfahren. Der Workshop endet dann mit einer Reflexionsrunde, in der die Schülerinnen über ihre Erfahrungen sprechen und darüber nachdenken können, wie die Traditionen des Handwerks in der heutigen Gesellschaft weiterleben.
Abschließend betrachtet, sehe ich diesen Schritt als einen mutigen Anfang. Ich hoffe aufrichtig, dass diejenigen, die die Broschüre lesen, etwas Wertvolles daraus mitnehmen und dass diese Einblicke sich ausbreiten werden. Möge mein bescheidener Beitrag dazu beitragen, das Bewusstsein etwas zu schärfen und Inspiration zu verbreiten, während die Geschichten der Handwerker weitergetragen werden.

Luc Scapin und Eva Guler: Ding sucht Dach

Ziel unseres Projektes
Unsere Castingshow „Ding sucht Dach“ war ein Vermittlungsprojekt in Kooperation mit dem Gewerbemuseum Winterthur. Dabei luden wir Passant:innen dazu ein, sich für das Sorgerecht einer Gießkanne zu bewerben, die wir im Abfallcontainer des Gewerbemuseums gefunden haben und auf den Namen Fridolina tauften.
Im Vögelipark aufgestellt, boten wir ein Jury-Pult und einen grünen Vorhang mit Leuchtschrift als Kulisse, vor dem die Bewerber:innen ihre kurzen Präsentationen hielten. Sie sollten überlegen, welche Massnahmen sie ergreifen würden, um der Gießkanne ein gutes Zuhause zu bieten und wie sie Fridolina pflegen würden. Diese Fragen sollten nicht nur die Gewinner:in ermitteln, sondern auch eine Diskussion über den Wert von Gegenständen und
die Bedeutung von Reparatur und Pflege anregen. Die Gewinnerin der Giesskanne beeindruckte uns mit ihrer einzigartigen Einstellung. Sie
erklärte, dass sie eine schlechte Reparateurin sei und sich stattdessen der Kanne anpassen würde. Ihre Bereitschaft, die Bedürfnisse eines Objektes über die eigenen zu setzen, hat uns überzeugt.
Die Qualität der Castingshow lag nicht nur im Unterhaltungs- und Wettbewerbsaspekt, sondern auch darin, dass die Teilnehmer:innen einem Objekt gefallen mussten und nicht umgekehrt. Dies bot eine niederschwellige Möglichkeit, sich mit dem Verhältnis zu Objekten zu beschäftigen, ohne moralisierend zu sein. Durch die Frage, warum ein Objekt für sie persönlich bedeutend ist oder eine zweite Chance verdient, wurden die Teilnehmer:innen angeregt, über ihre Konsumgewohnheiten nachzudenken und neue Perspektiven zu entwickeln.


Castingshow Niederschwelliges Format?
Das Castingshow-Format bricht gezielt mit den traditionellen Erwartungen und der Rezeption von Museumsveranstaltungen, indem es eine unterhaltsame und bekannte Plattform bietet, die die Besucher:innen dazu ermutigt, aktiv teilzunehmen und sich persönlich mit einem Objekt auseinanderzusetzen. Durch die bewusste Nutzung eines popkulturellen Phänomens, nämlich der Castingshow, wollten wir mit den üblichen Erwartungen an ein Museum brechen und gleichzeitig eine andere Sicht auf das Museum ermöglichen. Diese Herangehensweise sollte eine niederschwellige Umgebung schaffen, in der Menschen ihre eigenen Gedanken teilen und vor allem Strategien entwickeln können, um einem Objekt Sorge zu tragen. Denn dies ist nicht so einfach, wie es scheint.

Aufsuchende Vermittlungsarbeit
Die Tatsache, dass viele Passant:innen, die wir auf der Strasse angesprochen haben, sich für das Casting interessierten, lässt vermuten, dass die Verbindung zum Gewerbemuseum Winterthur eine grosse Rolle in der Aktivierung der Personen gespielt hat. Es scheint, als hätten die Passant:innen weniger Angst gehabt, dass wir ihnen etwas verkaufen wollen, und stattdessen das Angebot als eine Gelegenheit betrachtet haben, an einer interessanten und unterhaltsamen Veranstaltung teilzunehmen. Auch unser Auftritt mit sämtlichen Requisiten
hat dazu beigetragen, die ganze Aktion locker zu betrachten. Viele Leute mussten lachen, als sie verstanden, dass die Inszenierung einer Castingshow samt Requisiten und Kostümen dazu diente, sich auf ein Stück angeblichen Abfalls zu fokussieren. Wir könnten uns gut vorstellen, weitere aufsuchende Vermittlungsangebote zu gestalten, da wir ein grosses Potenzial darin sehen, potenziell neues Publikum zu erschliessen und Museumsthematiken auf einer anderen Ebene zu diskutieren. Zudem bietet die aufsuchende Vermittlungsarbeit die Möglichkeit, Geschichten zu sammeln, die mit Kunst oder Gebrauchsgegenständen verbunden sind, oder wie in unserem Fall, Taktiken zu entwickeln, wie man einem Gegenstand besser Sorge tragen könnte.

Belohnungssystem
Das Belohnungssystem der Castingshow hatte sowohl Vor- als auch Nachteile.
Die Gewinnerin der Show erhielt neben der Gießkanne auch ein Preisgeld von 200 Franken, um Care-Arbeit zu entlohnen und eventuelle Reparaturkosten zu decken. Einerseits half der finanzielle Anreiz, die Hemmschwelle für die Teilnahme zu senken und trug dazu bei, die Legitimität der Castingshow zu etablieren, da Preisgeld ein wesentlicher Bestandteil einer solchen Show ist. Andererseits lockte sie auch Personen an, die lediglich aufgrund der Aussicht auf die Belohnung mitmachten, wodurch es schwierig wurde, diejenigen zu identifizieren, die tatsächlich das Sorgerecht für die Gießkanne übernehmen
wollten.

Ding Sucht Dach 2.0
In Bezug auf die Weiterentwicklung unseres Vermittlungsprojekts könnten wir uns gut vorstellen, weitere Formate anzubieten. Eine Möglichkeit wäre, in der Öffentlichkeit Sammlungsgegenstände zu diskutieren und Menschen zu befragen, wie sie Designklassiker anhand ihrer eigenen Kriterien bewerten
würden. Das Ziel wäre es, Museumssammlungen zu aktivieren, indem Designgegenstände in die Lebenswelten normaler Menschen gesetzt werden, um sie anhand ‚realer‘ Kriterien zu betrachten und sie somit von ihrem theoretischen Podest zu heben, welches häufig selbst referenzierend ist oder seine Legitimation aus kulturellen oder intellektuellen Strukturen
erhält. Ebenso könnten wir auch Personen dazu befragen, wo und wie sie ein Kunstwerk, Gemälde oder Skulptur in ihrer Wohnung platzieren und wie sie diese inszenieren würden. Auf diese Weise könnten wir Kunstwerke ebenfalls in die Lebenswelten normaler Personen setzen und sie aus dem Museumskontext herausnehmen, in dem sie oft mit vielen strukturellen Vorurteilen und gelernten Verhaltenskodizes betrachtet werden.