Traumabezogene Pädagogik in einer „erotischen“ Kunst

ABSTRACT by Jessica Hartley

Die Schauspielerei hat mit Begehren zu tun. Schauspielende werden von der Spielfreude und der Lust am Geschichtenerzählen auf der Bühne und auf der Leinwand angezogen. Eine gute schauspielerische Leistung ist eine körperliche Begegnung mit sich selbst, eine sinnliche Verbindung mit anderen und mit dem Text. Für andere „präsent“ zu sein, erfordert schauspielerische Verletzlichkeit und Selbstbeherrschung. Schauspieltraining bedeutet Verdoppelung, Spaltung, Fragmentierung und neue Synthesen des Selbst. Drehbücher spiegeln oft die dunklen Seiten der Menschheit wider: Konflikte, Chaos, Verzweiflung und Schmerz. Die Phänomenologie des Schauspielendendaseins ist geprägt von der sozial-epistemologischen Beziehung zum Ausdruck dunkler Emotionen, zur Befreiung von Impulsen und zum Aushalten von Opfern für die Anerkennung des zahlenden Publikums: Das ist es, was Schauspielende antreibt.

In Anlehnung an Audre Lordes Beschwörung, dass „das Erotische ein Maß zwischen den Anfängen unseres Selbstbewusstseins und dem Chaos unserer stärksten Gefühle ist“ (2017, S. 7), und an Susan Sontags Forderung nach einer „Erotik“ der Kunst, die es uns erlaubt, „mehr zu sehen, mehr zu hören, mehr zu fühlen“ (1964, S. 14), schlage ich vor, dass die Ausbildung von Schauspielenden das Begehren einschließen muss, um die „ganze“ schauspielende Person nicht zu zerbrechen. Ich plädiere für eine traumainformierte Pädagogik (Thompson und Carello, 2020) als einen Weg, Schauspielstudierende „willkommen“ zu heißen, und gehe davon aus, dass dieser Rahmen die sensorische Überlastung oder die Fragmentierung der Identität, die einige Schauspielende während oder nach ihrer Ausbildung erleben, mildern kann.

Ich möchte auch drei wichtige Fragen zu unserer Verantwortung als Lehrperson stellen. Warum wollen Menschen schauspielen? Wie „fühlt“ sich Schauspiel an? Und wie können wir Schauspielende ausbilden, um diese Gefühle zu verstehen, sie sicher auszudrücken und so in Einklang zu bringen, dass das Wohlbefinden aller gewährleistet ist?

>> English Version