Design – Lebenspraxis und Selbstkritik der Kunst

Auf welche Weise führt eine selbstkritische Wahrnehmung von Designdiskursen im Feld der Kunst zu einer Neubewertung des Verhältnisses zwischen Design, Kunst und Lebenspraxis?

Design-Fragmente etablieren in künstlerischen Arbeiten ein Verweissystem, das sich gleichzeitig auf eine Lebenspraxis und eine bereits ästhetisch geprägte Lebenswelt bezieht. Dabei wird Design nicht als Gegenpol der Kunst, sondern als Selbstkritik  im eigenen Feld positioniert. Die zentrale Stellung des Begriffs „Selbstkritik“ im Bezug auf Designverweise in der Kunst begründet sich vor allem aus drei Beobachtungen: (Selbst)kritik fungiert quasi als paradoxer Modus der Abgrenzung bei gleichzeitiger Annäherung an das Feld des Designs, der avantgardistische Einsatz von industriell gestalteten Alltagsdingen wird in der Kunsttheorie u.a. als (Selbst)kritik wahrgenommen und nicht zuletzt weisen Aussagen von Protagonisten wie Liam Gillick explizit auf die kritische Positionierung von Design-Verweisen im Kunstkontext hin. Anstelle einer dualistischen Avantgarde-Theorie (Kunst gegen Lebenspraxis) lässt sich zusammen mit der Dimension einer ästhetisch geprägten Lebenspraxis aus der Selbstkritik ein aktuelles begriffliches Werkzeug entwickeln, dass zeitgenössischen räumlichen Präsentationen der Kunst und den begleitenden Diskursen, die sich explizit auf Design beziehen, gerecht wird.

Liam Gillick, The semiotics of the built world, Installationsansicht, 2002

Liam Gillick, The semiotics of the built world, Installationsansicht, 2002

Zur Voraussetzung einer kritischen Auseinandersetzung  mit bestehenden Diskursen gehört die eigene Positionsbestimmung des Kritisierenden ebenso wie die genauere Definition eines Modus der Kritik. In Diskursen der zeitgenössischen Kunst gehört die inflationäre Behauptung von „Criticality“ , die Irit Rogoff in Abgrenzung von den historischen Begriffen „Critisism“ und „Critique“ für einen involvierten Zustand des Kritischen vorgeschlagen hat, heute oft zu einem Jargon der Öffentlichkeitsarbeit. „Selbstkritik“  umgibt zwar im sprachlichen Gebrauch die massregelnde Atmosphäre eines Tribunals, jedoch bringt dieses begriffliche Instrument den Vorteil einer selbst-reflektiven Bezugnahme  mit sich, der im Kontext von erweiterten Kunst- und Designbegriffen unerlässlich scheint. Ausserdem kann der selbstreflektive Bezug auch in Richtung des Kritikers weisen und auf diese Weise Position und Modus der Kritik selbst zum Gegenstand der Kritik werden. Bei Christoph Menke  und Jacques Rancière  können kritische Impulse zur „Lebenspraxis“ Teil der ästhetischen Erfahrung sein, jedoch ohne bloss eine „negative Folie“ (Menke) zum – von der Kritik denunzierten – ästhetischen Genuss zu bilden. Beide Sphären – Kunst und „Lebenspraxis“ – scheinen damit so miteinander verknüpft, dass sich die Eine zwar nie in der Anderen auflöst, beide aber immer wieder einander annähern oder sogar einen temporären Platz im anderen Feld einnehmen.

Tobias Madison  Bora Bora Structure for Malmö, 2010

Tobias Madison
Bora Bora Structure for Malmö, 2010

Design und Kunst überhaupt als differente kulturelle Felder zu bezeichnen, kann bereits selbst als kritisch gelten – handelt es sich doch um eine unterscheidende Handlung, die allerdings noch kein Urteil artikuliert. Dass dies durchaus nicht selbstverständlich ist, zeigt die Diskussion um Verschmelzungen zwischen beiden Feldern mit Begriffsbildungen wie DesignArt, ArtDesign, etc. in den vergangenen 10 Jahren. Durch umfangreiche Feldforschungen und Analysen sowohl auf Seiten der Designer, Künstler und Gestalter als auch der Vermittler in den vorangegangenen „Prototyp“-Projekten (2009-2011) kann es aufgrund dieser Quellenlage nun als hinreichend begründet angesehen werden, nicht von einer Verschmelzung, sondern von einer zunehmenden Differenzierung beider Felder auszugehen. Gemeinsame Berührungspunkte beziehen sich auf einzelne Themen und Präsentationsformate, nicht jedoch auf die Gesamtheit der Felder Kunst und Design.

Jochen Weber und KuengCaputo, Eine Grammatik der dritten Person, Installationsansicht, 2011

Jochen Weber und KuengCaputo, Eine Grammatik der dritten Person, Installationsansicht, 2011

Ausgewählte Arbeiten aus historischen und zeitgenössischen Ausstellungssituationen, in denen Design- und Kunstkontext gemeinsam anzutreffen waren, werden mit den begrifflichen Auseinandersetzungen der  Avantgardetheorie und Ästhetik verknüpft.

Verantwortlich für das Teilprojekt:  Burkhard Meltzer

Geboren 1979, lebt in Zürich. Studierte 1998-2003 Fotografie in Dortmund und Zürich. 2003 bis 2007 Mitarbeit im kuratorischen Team der Neuen Kunst Halle St. Gallen, bis 2006 als kuratorische Assistenz und bis 2007 als Kurator und künstlerischer Leiter. Seit 2007 Gründungsmitglied des kuratorischen Kollektivs “The John Institute” und Tätigkeit als freier Kurator. Seit 2006 Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste. Als freier Autor äussert sich Burkhard Meltzer in Magazinen wie kunstbulletin, frieze magazine, spike sowie in Buchpublikationen regelmässig zu Themen der Gegenwartskunst.

burkhard.meltzer(at)zhdk.ch
Telefon Büro+41 43 446 6-508