Japsen. (Rohaberfertig)

Japsen

 

Finger ist im `Hierundjetzt`. Zum ersten Mal, wirklich.

 

Seine Lungen reagieren hustend auf den Salzwassereinfluss.

Seine Beine strampeln impulsiv, aber nunmehr kraftlos.

 

Die weissen Schaumkronen umspülen sein Gesicht in rhythmischen Intervallen.

Die Küste ist noch zu sehen, doch aufgrund der Strömung unerreichbar.

Die Geräusche beschränken sich auf das rauschende Mantra des Windes.

 

Finger ist im `Hierundjetzt`. Ohne Lotussitz und Om. Er lächelt und japst zwischendurch.

 

Sich selbst umzubringen war nie ein Thema, auch nicht als er die Warnungen der Strandbarfrau ignorierend, weiter rausgeschwommen ist als die Fünfzigmeterbojen, die für die mutigsten Strand-plausch-weicheier gesetzt wurde. Er war ein guter Schwimmer.

 

Er sei ein guter Seiltänzer! Hat Herr Stocker von der Brüstung des Dachs der Klinik heruntergerufen, kurz bevor seine Gedärme Fingers weisse Arbeitskleider rot besprenkelten. Er fühlte wie ein Blutstropfen von seiner Stirn in die Augenhöhle reinlief.

Mechanisch lief er zur Garderobe warf die Wäsche in den Sack wo Personal draufstand, duschte sich und ging.

Er wollte weder helfen, noch das Leid und den Schrecken mit anderen Pflegern und Ärzten teilen.

Im Netz entschied er sich wieder einmal für die holotropen Atmer, schrieb sich ein und buchte einen Billig-Flug der Air Berlin. Take Off sechzehn Uhr fünfzehn. Der Flug und die Ankunft im Tegel verliefen reibungslos. Seine Gedanken flossen suksessive ohne sich irgendwo festzuhaken.

Er nahm die S-Bahn zur Friedrichstrasse wo die Wohnung seiner Lebensabschnittspartnerin lag. Die Platonik dieser Beziehung, er lebte und arbeitete in Zürich, raubte ihm eher Kraft, als dass sie ihm welche gab.

 

Über sein Kommen hatte er sie nicht in Kenntnis gesetzt und er hoffte, dass sie nicht zu Hause war. Er liebte sie sehnsüchtig und wollte mehr von ihr, als sie ihm zu geben bereit war.

 

Dass er sich in Suse verliebte war ein alter Wiederholungszwang, darüber war er sich durchaus im Klaren. Seine Ratio konnte diesen Mechanismus durchaus unterlaufen, aber der mütterlichen Liebe nachzurennen war seit seiner Geburt in sein Gehirn eingebrannt. Mit Frauen, die ihm sichere Bindung und bedingungslose Liebe zusprachen, konnte er zu seinem persönlichen Leidwesen bereits nach wenigen Monaten nichts mehr anfangen.

 

Er betrat die Wohnung mit dem Zweitschlüssel. Suse war zu Hause und statt dem seit Wochen ausstehenden Sex gab es wieder Streit.

Obwohl sie alleine war, war die Wohnung irgendwie von fremder Präsenz geschwängert. Er bildete sich ein, sie röche herb. Und statt sie direkt mit seinen Bedürfnissen und Haltungen zu konfrontieren, machte er sich zum Opfer ihrer Lieblosigkeit und warf ihr die altbekannte Beziehungsunfähigkeit vor. Auch sie nahm ihre angestammte Rolle ein und nach einer Viertelstunde verliess er Türe schletzend die Wohnung, nicht aber ohne sein Gepäck im Gästezimmer zu lassen.

 

Seine Augen schmerzen vom Salz. Immer wieder Wasser abhusten. Meditation heisst die Bewegung des Bewusstseins zum Stillstand zu bringen, das aufgewühlte Meer in einen Zustand von ruhigem Geglättetsein versetzen. Das Atmen fällt ihm jetzt schwer.

 

`Ihr müsst siebenmal in kurzen Zügen ein- und in zwei langgezogenen Stössen wieder ausatmen. Das wiederholt ihr dreizehn Mal. Dann lässt ihr den Atem wieder ruhig fliessen und beobachtet`. Bernds weiche Stimme drang an sein Ohr und gerne folgte er der Instruktion. Er lag in Unterhosen rücklings auf einer Yogamatte und ausser seinem Atem beobachtete er die ebenfalls nackten Oberkörper der anwesenden Frauen. Er kannte den Ablauf dieses Seminars und freute sich auf die nächste Übung, die es zu zweit auszuführen galt. Er lag direkt neben einer kleinen Schwarzhaarigen, mit einer stattlichen Oberweite.

 

Früher hatte er es sich verboten Erotik und Spiritualität zu verbinden, nun war er nicht mehr so kleinlich und schämte sich auch kaum mehr wenn er sich verhärtete. Er hatte gelernt grosszügig mit seinen körperlichen Bedürfnissen umzugehen.

 

Herr Stockers lausiger Seiltanz und die Kämpfe mit Suse waren beinahe vergessen.

 

Auf dem Rückweg zur Wohnung trank er einen Liter seines selbstgemixten Saftes. Er enthielt einen ganzen Kopfsalat, zwei Eier, eine Banane, drei Äpfel und zwei Esslöffel Kokosfett. Mit dem erst kürzlich gekauften Mixer war sehr zufrieden. Er schaffte viertausend Umdrehungen in der Minute und pürierte wirklich alles im Handumdrehen. Finger fand die achthundertsiebenunddreissig schweizer Franken gut investiert.

 

Suse hatte das Licht bereits gelöscht und lag am äusseren Rand des Bettes. Er kroch unter die Decke und legte seine rechte Hand auf ihre Hüfte. Sie nahm die Hand und wies sie nicht grob aber bestimmt zurück.

 

Der Wellengang scheint sich verstärkt zu haben. Die Häuser am Ufer kaum mehr erkennbar. Eine Möwe kreist kurz über seinem Kopf und kehrt kreischend zur Küste zurück.

 

 

 

 

 

 

 

 

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