Aus dem Regal II

(von Suzanne Zahnd)

Manchmal hilft es, seine Gedanken zu ordnen indem man sich eine künstliche Ordnung auferlegt, um sie dann konzentriert und verdichtet niederzuschreiben.

Einige Beispiele für strenge formale Auflagen, die sich Autoren gegeben haben:

Mark Z. Danielewski, „Only Revolutions – Die Demookratie von Zweien dargelegt und chronologisch geordnet“, 2006, Tropen. Hochkomplex und dabei streng geordnet: Das Buch lässt sich vorwärts und rückwärts lesen (ein Mann und eine Frau erzählen ihre gemeinsame Geschichte aus der jeweils eigenen Perspektive). Es geht quer durch die amerikanische Geschichte von Bürgerrechtsbewegung bis Irakkrieg. Pro Doppelseite gibt es jeweils vier Cantos zu je 90 Wörtern. Eine hochkomplexe Angelegenheit. Immerhin stellt der Autor uns auf jeder Seite noch ein kleines Lexikon zur Seite, in dem historische Fakten nach Daten geordnet sind…

„Alle wollen den Traum, aber wir geben ihn. Vier Spuren, acht Spuren. Da gibt’s nur eins. Sam & ich mit überhaupt nix, überholen jede Autobahnauffahrt & fädeln uns ein. Aufs Gas & los. Sag bloss!“

Wolfgang Müller, „Blue Tit – Das deutsch-isländische Blaumeisenbuch“, 1997, Martin Schmitz Verlag. Der Künstler und Musiker Wolfgang Müller ordnet seine Sammlung von Fakten, Notizen, Interviews, Forschungsresultaten, Fotografien, Bildern und Skizzen etc. die während eines längeren Aufenthalts in Island entstanden sind und nicht direkt zusammenhängend sind, zu einem reichen Panoptikum aus einem Guss, indem er ein wissenschaftliches Werk über die Blaumeise behauptet.

„Die kommen hierher, um Geysire, Vulkane und Gletscher zu sehen – Natur pur eben. So ein Quatsch! Wir leben doch hier nicht auf dem Mond, auch wenn es an einigen Stellen so aussieht!“

Nanni Balestrini, „I Furiosi“, 1995, Edition ID-Archiv. (vergriffen) Der italienische Journalist hat seine jahrelangen Recherchen über die Fussball-Hooligan-Szene zu einer hochpoetischen Prosa in elf Gesängen verdichtet. Durch den Verzicht auf Interpunktion bekommt der Roman ein irres Tempo, dem man sich nicht entziehen kann.

Philip Kerr, „Das Wittgensteinprogramm“, 1992, rororo. Ein Kriminalroman der weit über sein Genre hinausreicht. Ein Computerspezialist, ein Philosophieprofessor und ein Chiefinspector machen sich daran, einen hochintelligenten Serienmörder, der nach dem Zettelkastensystem und den Erkenntnissen des Philosophen Wittgenstein tötet, dingfest zu machen.

„Wenn ein Zug vorbeifährt, zittert mein Zimmer. Aber ich sitze in dem Zug und manchmal bin ich selbst der Zug. Verstehen und Leidenschaft, Denken und Fühlen – es ist in Wirklichkeit alles dasselbe.“

Simon Borowiak, „ALK – fast ein medizinisches Sachbuch“, 2007, Eichborn. Der Satiriker Simon Borowiak, selber alkoholkrank, schreibt in gewohnt ironischer Manier eigene Erfahrung nieder und stellt sie medizinischen Fakten zum Alkoholismus gegenüber. Nachdem das Werk nach Erscheinen scharf kritisiert wurde, gilt es mittlerweile als Standardwerk in der Suchtprophylaxe.

„Es ist ein Unterschied, ob ich hin und wieder an meiner Psycho-Basis herumexperimentieren mag, oder ob ich die Basis schlechthin ablehne.“

Nicole Müller, „Denn das ist das Schreickliche an der Liebe“, 1992, Nagel & Kimche. Müller lässt ohne die Chronologie einzuhalten eine gescheiterte Liebesbeziehung mit allen Höhen und Tiefen Revue passieren. So funktioniert ihr Text wie die Erinnerung – sprunghaft, bildreich, wie Traumsequenzen – durch die gestrenge „Pseudoordnung“ mit der sie das Buch strukturiert, respektive schlicht durchnummeriert und unterkühlt, wird die Geschichte sehr berührend.

„361. Wenn man als Frau nicht geliebt wird, kann man wählen: entweder man wird gefürchtet oder verachtet. Respekt ist selten.“

Gebrüder Frei, „ICON POET – Alle Geschichten dieser Welt“, 2011 Verlag Hermann Schmidt. Ein Spiel – ihr kennts

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