Ausgangspunkte
Die Kunsthochschule wird in der internationalen Forschung als Feld beschrieben, das zum «preserve of the privileged» (Malik-Okon 2005) und damit zur Reproduktion von sozialer Ungleichheit tendiert. Verschiedene Studien zeigen, «wie sehr das Studium der ‹freien Künste› weiterhin als ein Privileg anzusehen ist, das vor allem von Angehörigen ‹bildungsnaher›, EU-einheimischer und ökonomisch wohlhabender Schichten wahrgenommen wird» (Holert 2010). Die Relevanz dieser Thesen für die Schweiz untersuchte und überprüfte die vom Institute for Art Education durchgeführte Vorstudie Making Differences: Schweizer Kunsthochschulen durch quantitative und qualitative Erhebungen an drei Kunsthochschulen (Bern, Genf, Zürich).
Die Studie ergab ein komplexes und differenziertes Bild zu Inklusion und Exklusion in diesem spezifischen Sektor der tertiären Bildung, der durchaus nicht nur «art for a few» (Burke/McManus 2009) vermittelt, jedoch zweifellos signifikante Asymmetrien und Ausschlüsse herstellt und reproduziert. Entgegen dem Mobilitätsversprechen scheinen gerade die schweizerischen Kunsthochschulen nach wie vor durch deutliche soziale Schliessungsprozesse gekennzeichnet. Die Ergebnisse der Vorstudie legen fraglos nahe, dass die gesetzlich verankerte Gleichstellung von verschiedenen sozialen Gruppen – bei allen geleisteten Anstrengungen und messbaren Veränderungen – im Feld der Kunsthochschule noch zu erreichen ist. Das gilt für die «Gleichstellung von Mann und Frau» noch ebenso wie, in ungleich stärkerem Mass, für andere benachteiligte soziale Gruppen, vor allem Migrant_innen oder Kandidat_innen aus dem nicht-urbanen Raum.
Kooperationsprojekt von drei Kunsthochschulen
Art.School.Differences ist ein auf diesen Erkenntnissen aufbauendes Forschungsprojekt in Kooperation von drei Schweizer Hochschulen, der HEAD – Genève, Haute école d’art et de design, der Haute école de musique HEM Genève – Neuchâtel und der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Ziel ist es, den komplexen Konfigurationen von Ungleichheit, Ein- und Ausschlüssen in der Kunsthochschule genauer nachzugehen, diese zu verstehen und zu verändern. Dabei werden sowohl der Transformation der Institution Kunsthochschule im europäischen Hochschulraum als auch den Effekten von Globalisierung und Migrationsgesellschaft Rechnung getragen.
Entscheidend für Art.School.Differences ist, dass Forschung und Praxis im Projektdesign konzeptuell verschränkt sind. Die Praxis beziehungsweise die Praktiker_innen werden also nicht beforscht und nachträglich über die Ergebnisse informiert, sondern aktiv in den Forschungsprozess involviert. Das Projekt setzt damit dezidiert auf partizipative Forschung und ein methodisches Setting, in dem verschiedene Akteur_innen des Feldes – Lehrende, Studierende, Künstler_innen – als Ko-Forscher_innen mitarbeiten. Art.School.Differences will in den Institutionen Protagonist_innen für die Auseinandersetzung mit Ungleichheit engagieren und qualifizieren sowie die Methoden für eine weitergehende partizipative Forschung erarbeiten, die auch für andere Hochschulen relevant sind.
Die zwei Projektphasen von Art.School.Differences
Auf Basis der in der Vorstudie erarbeiteten Grundlagen werden in einer ersten Projektphase Ein- und Ausschlüsse in allen Etappen des «student lifecycle» und auf verschiedenen institutionellen Ebenen erforscht. Dabei wird durch die Kombination von klassisch sozialwissenschaftlichen mit kulturwissenschaftlichen Ansätzen eine der Komplexität des Themas adäquate Methodik gesucht. Der für das Gatekeeping der Kunsthochschule entscheidende Prozess der Aufnahme wird hier besonders intensiv untersucht. Wir gehen davon aus, dass sich gerade in der Untersuchung dieses vielschichtigen Selektionsprozesses ein transdisziplinärer Ansatz bewähren und etwa der performativen Dimension und der vielfältigen Verkörperung von Habitus gerecht werden wird. Teilnehmende Beobachtungen, Gruppendiskussionen und Interviews sind dabei ebenso vorgesehen wie die Untersuchung von Diskursen oder Curricula. Als Ergebnisse dieser Phase liegen empirische Befunde zu Prozessen, Politiken und Praktiken der Inklusion und Exklusion vor.
Im Fokus der zweiten Phase stehen die sieben Gruppen von Ko-Forschenden (Lehrende und Studierende), die ihre eigenen Ko-Forschungsprojekte an den beteiligten Hochschulen durchführen. Mit ihnen gemeinsam wurde eine Schulung zum Themenfeld der Ungleichheit an Kunsthochschulen durchgeführt, die Grundlagen für eine partizipative Forschung durch Akteur_innen des Felds hergestellt hat: Lehrende und Studierende unterschiedlichster künstlerischer Disziplinen wurden eingeladen, sich aus ihrer jeweiligen Arbeitsperspektive und mit den entsprechenden Methoden dem Untersuchungsgebiet und den Erkenntnisinteressen von Art.School.Differences anzunähern. Zwischen September 2014 und Juli 2015 haben fünf Kolloquien statt gefunden, welche den Ko-Forscher_innen als Schulung zu den ausgewählten Themenfeldern im Zusammenhang mit Ungleichheit und Inklusion/Exklusion an Kunsthochschulen dienen. Für jedes Kolloquium wurde ein Set von Materialien und Methoden in Form eines Readers erarbeitet, das nach Projektabschluss für ein engagiertes Weiterforschen zu Ungleichheiten und Normativitäten an Hochschulen zur Verfügung steht. Zu den Kolloquien wurden Theoretiker_innen und Kunstschaffende eingeladen, die durch Vorträge und Workshops die Vermittlung der behandelten Themenfelder diskutierten und weiter vertieften. Den Ko-Forschenden wurde so ermöglicht, ihr Wissen über theoretische Konzepte und methodische Vorgehensweisen zu vertiefen und gleichzeitig diese Thematiken in ihre eigenen Projektideen einfliessen zu lassen. Jede Forschungsgruppe agiert in der konkreten Auseinandersetzung mit den Themen der Kolloquien autonom und ist selbst für deren Einbindung in die eigenen Projekte verantwortlich. Dazu wird eine konstante und persönliche Unterstützung durch das Forschungsteam von Art.School.Differences gewährleistet. Das gemeinsam erarbeitete Wissen über Ungleichheiten, Inklusion/Exklusion und institutionellen Rassismus im Feld der Kunsthochschule sowie potentielle Gegenstrategien bzw. Möglichkeiten zur Intervention wurden gesammelt und in den Schlussbericht sowie den Readern mit reflektiert. Die Zusammenfassungen der Ko-Forschungsprojekte finden sie hier (in Englisch)
Mit Art.School.Differences wird ein partizipatives Modell forschungsbasierter Hochschulentwicklung in Richtung sozialer Gerechtigkeit erprobt, überzeugt davon, dass die Hochschule mehr Egalität, Pluralität, Heterogenität braucht. Teil des Schlussberichtes sind identifizierte Handlungsfelder zur Veränderung bestehender Strukturen, Prozesse und Praktiken an Schweizer Kunsthochschulen.