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„Wie ich in Caliban and the Witch geschrieben habe, hat die Hexenjagd ein Terrorregime über alle Frauen eingeführt, aus dem ein neues Modell von Weiblichkeit hervorging, dem sich die Frauen anpassen mussten, um in der sich entwickelnden kapitalistischen Gesellschaft sozial akzeptiert zu sein: geschlechtslos, gehorsam, unterwürfig, ergeben in ihre Unterordnung in der Welt der Männer und die Beschränkung auf den Bereich reproduktiver Tätigkeiten, die im Kapitalismus völlig entwertet wurden, als naturgegeben hinnehmend. Frauen wurden durch abstruse Anschuldigungen, entsetzliche Folter und öffentliche Hinrichtungen terrorisiert, weil ihre gesellschaftliche Macht zunichte gemacht werden musste  – gesellschaftliche Macht, die in den Augen ihrer Verfolger offenbar bedeutend war, selbst im Falle älterer Frauen. Alte Frauen nämlich waren Trägerinnen des kollektiven Gedächtnisses der Gemeinschaft. […] Wie das blaue Garn in Trazando el camino verbreiteten alte Frauen, indem sie von Haus zu Haus gingen, Geschichten, Geheimnisse, Wissen; sie verbanden Leidenschaften und webten vergangene und gegenwärtige Ereignisse zusammen. Daher waren sie für eine Reformelite von Modernisierern, die entschlossen war, die Vergangenheit zu tilgen und gewohnte Beziehungen und Verbindlichkeiten zu vernichten, von verstörender und furchteinflößender Präsenz.“

–(S. 28f.),  Silvia Federici; „Witch-Hunting, Past and Present, and the Fear of the Power of Women“, 2012 documenta und Museum Fridericianum; Hatje Cantz Verlag, Ostfildern

vorgeschlagen von Tyna Fritschy, Unterrichtsassistentin Bachelor Medien & Kunst, Vertiefung Theorie, VMK