Ich frage einen Dozenten, wie es ihm im neuen Gebäude gefällt:
Ich find es eigentlich recht interessant. Ich finde, das Gebäude ist so steingewordene Ideologie der Gegenwart. Als das ist es sehr klar. In einem alten Gebäude überlagert sich die Widerständigkeit der Mauern, die macht gewisse Implementierungen von zeitgenössischen Managementideen schwierig. Ich war vorher in einem kleinen alten Abseits-Gebäude, und da hatten sie keinen Zugriff darauf. Da sahen sie nicht, was da passiert ist, und du konntest machen, was du willst. Und jetzt ist es sozusagen so, dass das Gebäude mit der Idee, wie es betrieben wird, vollständig harmoniert. Das ist eine recht erstaunliche Erfahrung. Jetzt ist sozusagen die Frage, wie kann man die Dinge, die ich durchaus positiv finde, dass man Leute trifft, die man sonst nur einmal im Jahr getroffen hat – die sieht man jetzt viel öfter, da funktioniert es, das geht. Das halte ich für positiv. Wie kann man den Teil mit den anderen Teilen, die eigentlich schrecklich sind – wie kann man den einen Teil behalten und die anderen Teile irgendwie unterlaufen?
Was sind die schrecklichen Teile?
Dieser Transparenzimperativ. Den halte ich für sehr schädlich. Das finde ich eine interessante Erfahrung, weil vor diesem Informationsaktivistenhintergrund ist Transparenz ja ein positiv besetzter Wert. Und ich finde, man merkt jetzt, dass das ein sehr zweischneidiger Wert ist, und dass unter diesem Begriff ganz verschiedene Regimes drin sind. Ist es Transparenz von unten nach oben? Oder eben Transparenz von oben nach unten? Jetzt in dem Gebäude ist es eher Transparenz von oben nach unten …
Warum?
Ja, du wirst ja für diese Managementstrategien greifbar. Man sieht die Leute immer. Du kannst nicht sagen: Ja, okay, das ist die Hausordnung, aber hier hinten machen wir’s jetzt anders. Das finde ich interessant.
Was mir bisher noch nicht ganz klar geworden ist bei der Kritik an der Transparenz … der normale Wissensarbeiter ist ja intransparent als Arbeitender. Du siehst ja von aussen nicht, ob die Leute arbeiten. Die blosse Tatsache, dass sie an ihrem Schreibtisch vor ihrem Computer sitzen, bedeutet gar nichts, vielleicht schauen sie Katzenvideos an, und die Tatsache, dass sie an der Kaffeemaschine rumstehen, bedeutet auch nichts, vielleicht führen sie da gerade die wichtigen Gespräche. Also wie jetzt diese technische Transparenz zu einer tatsächlichen Überwachung deiner Arbeit führen soll, hat sich mir noch nicht ganz erschlossen. Aber du hast ja gerade offenbar was anderes gemeint, mit den Ecken vom Gebäude, in denen man dann die Dinge anders machen kann?
Im Moment hat es damit zu tun, dass es ein neues Gebäude ist. Es ist quasi eine uniforme Dominanz der Hausordnung. Weil die war zuerst und jetzt kommen die Leute. Und jetzt ist die Frage sozusagen: An welchen Ecken kann man die Hausordnung wie leicht biegen? Um eben Zonen einzurichten, die in gewissen Dingen einen eigenen Charakter entwickeln. Und da wieder finde ich die Transparenz nicht gut.
Aber ist das nicht eben die Idee, die in dem Architekturkonzept überall drinsteht? Dass eben einzelne Zonen sich ganz anders entwickeln sollen?
Ja … Ich glaube, die Architektur arbeitet dem entgegen.
Inwiefern?
Eben dass alles immer von aussen einsichtig ist. Das ist eines. Eines der Dinge, die eigentlich immer recht wichtig waren, ist, dass die Studenten in ihren Ateliers gekocht haben. Das ist zwar oft nervig und führt zu endlosen, mühsamen Diskussionen, aber es gibt dem eben auch den Charakter eines Raumes, in dem man sein, in dem man sich einfach aufhalten kann. Und das war immer verboten. Weil du das nicht erlauben kannst, du müsstest einen Rauchabzug machen … Aber du konntest sagen, ich seh’s nicht. Es war immer klar, die Studenten können machen, was sie wollen, sie sollen’s uns einfach nicht auf die Nase binden, und wir schauen nicht nach. Damit wir sagen können, wir wussten’s nicht, und die können sagen, wir wussten nicht, dass wir’s nicht dürfen.
Oder zum Beispiel diese Gänge. Es sind ja sehr lange Gänge über die ganze Länge des Gebäudes. Da darfst du hausordnungsmässig keine Zettel aufhängen, nicht irgendwie einen Veranstaltungsflyer, nix. Feuerpolizei. Da wird sich zeigen, wie viel man da machen kann. Das Problem ist, und das ist eben diese gegenwärtige Ideologie: Das Haus ist zwar gebaut für diese Hochschule, gehört aber nicht der Hochschule, auch nicht dem Kanton. Sondern das gehört einer Immobilienfirma und ist geleast. Und diese Immobilienfirma hat entweder als Modell, was sie alles kann, oder vielleicht hat es mit Steuern zu tun oder Versicherungsprämien oder irgendwas, hat diesem Gebäude den höchsten Sicherheitsstandard verordnet: mit Fluchträumen, mit Dingen, die du nicht machen darfst, mit einer state-of-the-art-Wahnsinns-Sprinkleranlage. Jeder Raum, den du mit einem Badge aufmachen kannst, hat innendrin eine Panikbox. Hast du das gesehen?
Ja, hab ich, ich hab ein Foto gemacht:
Damit, wenn irgendeiner draussen Amok läuft, du dich dort einschliessen kannst und der nicht von aussen mit seinem Badge aufmachen kann. Und was es, glaub ich, relativ wenig hat, erstaunlicherweise, aber wo ich auch noch nicht genau geschaut hab: Es hat, glaub ich, relativ wenig Überwachungskameras.
Dazu hab ich schon eine Anfrage bekommen. Das wollte ich mir noch anschauen:
@allueren Aber mit dem grössten Vergnügen. Ich werde mir einen falschen Schnurrbart und eine Zeitung mit einem Loch darin beschaffen.
— z_observer (@z_observer) September 18, 2014
Da stossen einfach die Interessen des Hauseigentümers auf einer ganz tiefen Ebene sozusagen gegen die, die das Haus nützen. Und weil die beiden Gruppen so weit voneinander weg sind, also über Leasingverträge, an die du nicht rankommst und die du nicht beeinflussen kannst, wo du auch nicht irgendwie einen politischen Prozess darum starten kannst, da siehst du, wie sich das gegeneinander reibt.
Glaubst du, das ist auch seitens der Hochschule so gewollt? Sie waren ja nicht gezwungen, die Sache so zu lösen. Glaubst du, das ist auch in irgendeiner undurchschaubaren Weise für die Hochschule selbst von Vorteil?
Das glaub ich nicht. Es ist irgendwie so ein Fake, dass du politisch die Kosten runterrechnest. Dass du sagst, nein nein, das kostet gar nicht vierzig Millionen, das kostet nur … irgendwie zwei Millionen Miete pro Jahr oder so. Damit bist du in einer anderen budgetären Kategorie, du bist nicht so teuer … du segelst halt anders durch die politischen Prozesse. Das, würde ich vermuten, ist die Grundmotivation. Ähnlich wie Städte, die ihre Wasserleitungen verkauft haben und dann zurückmieten. Das ist ein budgetärer Trick, der dir kurzfristig politischen Handlungsspielraum gibt. Aber du installierst da natürlich ähnlich wie mit der kommunalen Infrastruktur ganz spezifische Macht- und sonstige Relationen.
Dann gibt’s andere Sachen, die ein bisschen schräg sind. Die Räume sind teilweise sehr hoch. Aber aus versicherungstechnischen Gründen darf man über zwei Meter fünfzig nichts selber machen, weil du sonst runterfällst. Das heisst, du musst den Hausdienst rufen, wenn du auf vier Meter einen Scheinwerfer aufhängen oder einen Nagel einschlagen willst, was man halt so braucht. Aber weil jede dieser Institutionen in diesen neoliberalen Organisationen die ganze Zeit nachweisen muss, dass sie gebraucht wird – und das heisst: Aufträge generieren – wird der Techniker dir intern verrechnet. Das heisst, du musst jemanden anrufen: Kannst du mir eine Lampe aufhängen? Sagt der, ja, kann ich, kostet aber 75 Franken. Und dann hast du irgendwo ein internes Budget, was eben komische Überlegungen schafft dann, wie du jetzt mit dem Zeug umgehen musst.
Und das ist eben alles so in Reinkultur hier. Weil es auf allen Ebenen übereinanderpasst. Wir sind eingezogen, und das Erste, was alle gekriegt haben, die einen Rechner von der Hochschule haben: Sie haben ein Update gekriegt, das ihnen die Administratorenrechte auf ihrem Computer entzogen hat. Das hat zu tun mit einem im Hintergrund ablaufenden Security-Review, weil sie draufgekommen sind, holy shit, da könnte ja ein Virus über so eine Maschine in den privilegierten Teil des Netzwerks gelangen. Und die Lösung war, allen Seiten die Rechte zu entziehen. Das geht jetzt halt alles so übereinander. Da gibt’s dann schon jetzt wieder Möglichkeiten, die Rechte wieder zurückzukriegen im Einzelfall und so, das muss man jetzt wieder auseinanderdefinieren. Aber in einem Moment – der ist eben jetzt – ist es eine in total vielen Ebenen sich verstärkende Logik. In gewachsenen Organisationen hast du sich widersprechende Logiken. Das gibt auch viel Mühsal, aber auch eben so komische Freiheitszonen, weil Dinge nicht klappen.
Der stärkste Eindruck bis jetzt ist, dass an einem normalen Tag wie heute das Gebäude wahnsinnig leer ist. Da weiss ich nicht so richtig, an was das liegt, ob sich das noch ändern wird, wie sich das so einrenken wird, aber im Moment ist die Hülle … Das Gebäude ist im Moment noch viel zu starr. Die Nutzung des Gebäudes. Es hat sich noch kein Raum richtig in dieser Hülle ausgebeult.
Kommentare von Kathrin Passig
In der Sowjetunion
Danke, Barbara, danke, Thomas! Ist beides im Beitrag korrigiert.
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