Lange vor dem Einzug ins Toni-Areal hat sich Hansuli Matter Gedanken zum Zusammenleben am neuen Ort gemacht und das Projekt «Orte des Informellen (ODI)» lanciert. Matter, der die Leitung des Departements Design zunächst interimistisch wahrgenommen hatte, ist zeitgleich mit dem Einzug ins Toni-Areal zum neuen Departementsleiter gewählt worden. Bei einem Besuch in seinem Büro auf der Ebene 4 sticht die Ordnungsstruktur seiner Unterlagen auf dem Schreibtisch ins Auge: «Keine Ordnung – eine Überlebensstrategie!». Teil I des Interviews mit Hansuli Matter.


Was hat Dich damals – als Leiter des Studiengangs Bachelor of Arts in Design – motiviert, Fragen des künftigen Lehrens, Lernens und Arbeitens am neuen Standort zu thematisieren?
Ausgangslage war das Projekt «Territorien der Künste» mit Design-Studierenden. In diesem Projekt haben wir Zukunftsmodelle für einen Campus der Künste entwickelt: Wie könnte eine Kunstschule gestaltet sein? Wie funktioniert Territorialverhalten? Welche Strategien für die Kunst gibt es? Gemeinsam mit der Hochschulleitung wuchs dann der Gedanke, die studentische Gedankenübung auf Fragen hinsichtlich des Toni-Areals anzuwenden: Was bedeutet das Informelle? Wie gestalten wir allgemeine Bereiche und wie grenzen sich gedachte Territorien davon ab? Wie soll das Zusammenleben funktionieren?

Durch die Vorgaben der Architektur kann man sich auf dem neuen Campus über die Disziplingrenzen hinweg begegnen – auch ausserhalb von Seminar- und Übungsräumen sowie Werkstätten. Warum sollte dieses «informelle Lernen» noch zusätzlich gefördert werden?
Es gilt, das Expertentum zu relativieren. Wer ist heute Experte und erklärt wem die Welt? Dass ausschliesslich Dozierende qua Status Experten sind, entspricht nicht mehr der Realität. Bei einem meiner Seminare, Einführung in Netzwerktechnologien, unterrichtete ich Studierende, die seit Jahren mit Sicherheitssystemen arbeiteten. Denen musste ich nichts von einer Firewall erzählen – und schon gar nichts Falsches. Vielmehr sollte das Know-how untereinander ausgetauscht werden. Diese Lernprozesse sind wertvoll und geschehen bei den Studierenden im Alltag untereinander – ohne Frontalunterricht.

Unterstützt das Toni-Areal informelle Arbeitsplätze?
Genau dafür haben wir uns mit ODI stark gemacht. Viele Projekte waren infrastrukturell angelegt. Jetzt ist es an der Zeit, eine Analyse zu machen: Wie funktioniert das Haus, wie es jetzt ist? Wo haben sich informelle Orte etabliert? Wo bräuchte es weitere Unterstützung? Der Sinn liegt nicht darin, alles mit Möbeln vollzustellen. Unser Grundsatz war, stellenweise eben nichts zu machen – und zu beobachten, wo sich was organisch entwickelt: auf der Rampe oder in Aufenthaltsräumen.

Wie lautet Deine Zwischenbilanz?
Es gibt ausgezeichnete Orte, die sehr gut funktionieren wie der Stammtisch. Er hat eine holzige, sinnliche Qualität und bedient funktionelle Ansprüche an Chill-out, Arbeitsplatz, Meetings, essen, entspannen. Diese Idee in die Riesenhalle zu übersetzen, hat vorbildlich geklappt. Man muss hinzufügen, dass bei jenen ODI-Projekten, die gut funktionieren, auch genügend Ressourcen zur Verfügung standen. Eine gute Idee ist das eine, deren Umsetzung das andere. Dahinter steckt eine Menge Entwicklungsarbeit und Aufwand.

Läuft Euer Projektauftrag denn noch?
Die HSL ist dabei, das Projekt zu evaluieren und weitere Schritte zu initiieren. Damit dies geschehen kann, benötigt es neben dem Willen auch angemessene Ressourcen: ohne Budget kann man lange an Papieren schreiben. Die Gelder für die erste ODI-Phase wurden grösstenteils aus dem Projektbudget für das Toni-Areal generiert.

Greenboxes, Vorhänge … Ihr hattet eine hohe Umsetzungsquote – fast 2/3 der 24 geplanten ODI-Projekte wurden realisiert.
Ja, und viele fallen kaum auf, fügen sich organisch ins Ganze ein. Die Betonbänke, die Y-Bänke, die Kabelvorhänge … Die Kabel sind aufgeräumt und das System wirkt ganz natürlich. Keiner käme auf die Idee, dass das eines unserer Projekte war, dass irgendjemand jemals über diese Schlitze nachdenken musste. Andererseits gab es Projekte, die bewusst nach dem Bottom-up-Prinzip funktionieren sollten. Das Urban Gardening auf der Dachterrasse ist ein solches Projekt: Die Initiatoren kamen zu mir – und ich konnte ihnen weiterhelfen und sie mit den richtigen Ansprechpartnern verknüpfen. Man kann in einem so grossen Haus nicht alles selbst bespielen, sondern ist auf eben solche Leute angewiesen, die selbst denken, machen und umsetzen, die von sich aus Ideen generieren.

Was ist mit den Projekten, die nicht umgesetzt wurden?
Manche Projekte, wie die Ruhekapseln, sind bewusst noch nicht realisiert worden, weil wir zunächst beobachten wollen, wo wir sie hinstellen könnten und welche Funktion sie haben sollen. Es gibt ja eine grosse Freiheit im Haus. Doch die Menschen im Toni-Areal gehen zurückhaltend mit ihr um, weil sie das Haus nicht lesen können bzw. die Freiheiten nicht sichtbar sind. So stellen sie Fluchtwege voll, obwohl nebenan die Freizonen und Räume wären, die unkompliziert bespielt werden können. Es braucht ein ‹enablement›. Die Mitarbeitenden und Studierenden an unserem Departement sind damit vertrauter, weil ich sie ermuntere: ‹Ihr müsst raus, da sind allgemein nutzbare öffentliche Zonen, die müsst Ihr bespielen!› Dadurch hat das Design derzeit eine hohe Präsenz innerhalb der ZHdK. Dabei könnten alle diese Räume nutzen! Es sind keine unzugänglichen Territorien.

Während der Diplomausstellung hat die Kaskade mit den Durchgängen und Schalträumen so funktioniert, wie sie von den Architekten angelegt war.
Der HSL-Konferenzraum war während der Diplomausstellung als Ausstellungsraum in Gebrauch. Somit hat die Hochschulleitung ihre Sitzung in einem Nebenraum abgehalten. Es ist toll, ad hoc zusätzliche Ausstellungsräume generieren zu können.

Wie hat sich der neue Ort auf die Konferenz ausgewirkt?
Wir waren irritiert und das Zeitmanagement hat für einmal nicht wirklich funktioniert. Ob das der Effekt des ungewohnten Raumes war, weiss ich allerdings nicht.