Studierende, vereinigt euch!
Bericht des Awareness-Teams der HfMT Hamburg
Das Düsseldorfer Schauspielhaus, die Berliner Volksbühne, das Maxim Gorki Theater… In den letzten Monaten reiht sich Schlagzeile an Schlagzeile über Fälle von Machtmissbrauch in der deutschen Theaterlandschaft. Immer mehr im Kulturbetrieb Beschäftigte veröffentlichen ihre Diskriminierungserfahrungen und beginnen so das ewige Schweigen – scheinbares Charakteristikum der Kulturstätten – zu brechen. Auch (ehemalige) Angehörige der entsprechenden Ausbildungsstätten, der Kunst- und Musikhochschulen im deutschsprachigen Raum, machen seit einigen Jahren mit Berichten über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch auf tiefliegende strukturelle Probleme aufmerksam. Nach dem Bekanntwerden von Fällen wie denen um den ehemaligen Hochschulpräsidenten Siegfried Mauser und nach den Enthüllungen weiterer „#metoo-Skandalgeschichten“ ist die Öffentlichkeit alarmiert und innerhalb der Hochschulen erhöht sich langsam aber sicher die Sensibilität. Im Kontext dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung mag auch die Geschichte unseres Awareness-Teams gelesen werden.
Die Gründung des Awareness-Teams geht zurück auf einen grauen Hamburger Herbsttag 2020: Studierende der Theaterakademie der HfMT Hamburg veranstalten eine Zukunftswerkstatt, in der Studierende aus allen Studiengängen der Theaterakademie zusammenkommen, um sich über Kritik und Utopien bezüglich ihrer Ausbildung auszutauschen. „Welche Probleme sehen wir in unserem Studium?“ „Welche Erfahrungen machen wir an unserer Hochschule, die wir lieber nicht machen würden?“ „Welche Unterrichtsformate und welche Strukturen wünschen wir uns?“ An diesem Tag wird eine Solidarisierung unter der Studierendenschaft spürbar, die beflügelnd ist. Es gründet sich beispielsweise eine Initiative, die die Sichtbarkeit der Theaterakademie auf Social Media stärken will. Eine weitere Arbeitsgruppe befasst sich mit dem Anliegen einer transparenten Kommunikation innerhalb der HfMT Hamburg. Dafür arbeitet sie Möglichkeiten aus, um den Dialog zwischen der Leitung und den Studierenden auf Augenhöhe zu gestalten, etwa durch die Einführung eines gemeinsamen Jour fixe. Und dann bildet sich auch noch das Awareness-Team.
Wir, das Awareness-Team, sind eine Gruppe von Studierenden verschiedener Musik- und Theaterstudiengänge der HfMT Hamburg, die im Anschluss an die Zukunftswerkstatt im November 2020 eine Interessengemeinschaft gegründet haben. Unser Ziel ist es, an unserer Institution und darüber hinaus ein Bewusstsein für Diskriminierung zu schaffen und Betroffene zu unterstützen. In Zusammenarbeit mit der HfMT Hamburg, deren Lehrenden, Mitarbeitenden und Studierenden bemühen wir uns, Strukturen, die Machtmissbrauch begünstigen und zulassen, aufzuzeigen und nachhaltig zu verändern. Die Mitgliedschaft ist allen Studierenden der HfMT Hamburg möglich.
Wir organisieren Workshops, Vorträge und Aktionen innerhalb und außerhalb der Hochschule. Außerdem stehen wir zur Supervision in heiklen Situationen zur Verfügung, stellen einschlägige Literatur bereit und machen bei Bedarf strukturelle Probleme öffentlich. Wir handeln nach antirassistischen, antifaschistischen, antisexistischen, antiklassistischen, intersektional-feministischen und inklusiven Grundsätzen. Als studentisch organisierte und damit niederschwellige Anlaufstelle für Studierende schließt das Awareness-Team die Lücke zwischen den reinen Beratungsstellen und den ‚offiziellen‘ dienstrechtlichen Wegen des Hochschulbetriebs. Wir können zwar keine psychologische oder ähnliche Beratung ersetzen, können Betroffene jedoch individuell und zielgerichtet an entsprechende Stellen weiterleiten. Überdies schafft das Awareness-Team einen Safespace durch das Gründen von Untergruppen für LGBTQI+, FINTA*, People of Color, Menschen mit Behinderung und Menschen mit psychischen Erkrankungen.
„Sie haben genug gesprochen!“
TRIGGERWARNUNG: Diese Zitate sind im genauen Wortlaut wiedergegeben. Sie stammen von Dozierenden und wurden Studierenden gegenüber geäußert. Wir werden im Folgenden das Ausbildungssystem problematisieren, in dem derartige Aussagen möglich werden. Dadurch wird deren Gewaltförmigkeit noch sichtbarer.
Auf hierarchische Strukturen und Machtgefälle, die Nährboden für verschiedene Formen der Diskriminierung sind und Machtmissbrauch begünstigen, trifft mensch vielerorts: im alltäglichen Leben, an Universitäten und Lehrinstitutionen, am Arbeitsplatz. Die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, betreffen keineswegs ausschließlich Musik- und Theaterhochschulen. Doch bestehen an diesen Ausbildungsstätten Rahmenbedingungen, die bestimmte Diskriminierungsmechanismen besonders zu fördern scheinen (s. Kommentar unten).
An erster Stelle ist hier sicher das Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden zu nennen: Während Unterrichts- und Prüfungssituationen in wissenschaftlichen Studiengängen an Universitäten häufig in Gruppenkonstellationen stattfinden und Einzelunterrichte eine Ausnahme sind, stehen diese an künstlerischen Hochschulen an der Tagesordnung. Gerade im Musik- und Schauspielstudium machen Sprech-, Gesangs- oder Instrumentalunterrichte bei dem*der Hauptfachdozierenden einen beträchtlichen Teil des Studienplans aus. Was innerhalb der vier Wände des Unterrichtszimmers passiert, wie diese Einzelunterrichte genau ablaufen, weiß niemand. Es gibt keine Kontrollinstanzen. Und selbst dort, wo kein Einzelunterricht stattfindet, sind die Studiengänge klein und familiär. Gerade junge Studierende begeben sich – auf der Suche nach Orientierung in der Welt des Leistungsdrucks – verständlicherweise oft vollständig in die Hand dieser Dozierenden.
„Studieren Sie erstmal richtig!“
Oftmals aber haben die Dozierenden keine pädagogische Erfahrung, denn Hochschulen schmücken sich lieber mit erfolgreichen Musiker*innen und Regisseur*innen anstatt mit guten Pädagog*innen. Dabei geht es scheinbar gar nicht um uns Studierende. Denn pädagogische Aus- und Weiterbildung für das künstlerische Lehrpersonal ist an den meisten Hochschulen wenig verbreitet und selten verpflichtend.
Hinzu kommt, dass an Universitäten der Forschungsgegenstand nur mittelbar mit der Persönlichkeit der Studierenden in Zusammenhang gebracht wird, während an Musik- und Kunsthochschulen die Persönlichkeit von uns Studierenden im Fokus der Ausbildung steht: Kunst zu studieren wird uns oft als eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst, also mit dem eigenen Privatleben verkauft. Alles soll persönlich sein. Wir Studierenden sollen unser Innerstes nach außen tragen, unsere privaten Gefühle artikulieren; damit machen wir uns angreifbar und verletzlich.
„Ihr seid eine Schande für die Hochschule und für uns!“
Wir haben schon einiges ertragen und gehört. Wir haben Übergriffigkeit erlebt und beobachtet. Unsere Geschichten handeln von psychischer Gewalt, von physischen Übergriffen, von Beleidigungen und mentaler Verletzung, von narzisstischen Dozierenden und deren Inschutznahme durch verantwortliche Personen. Inschutznahme gerade in den Gesprächen, die wir suchten, damit unsere Erfahrungen gehört würden und gegen solche Vorfälle etwas unternommen würde.
Wir wollten uns nicht mehr an diesen Erlebnissen aufreiben, wollten uns nicht mehr in der Vergangenheit aufhalten und uns vom Schmerz lähmen lassen. Wir hatten keine Lust mehr darauf, dass es an der Hochschule nicht um uns Studierende geht. Also beschlossen wir, die Lösung unserer Probleme selbst in die Hand zu nehmen.
Die Hochschule muss ein diskriminierungsfreier Raum werden!
Mittlerweile gibt es das Awareness-Team etwas länger als ein halbes Jahr. In den eineinhalb Semestern unserer Existenz haben wir kleine Dinge im Hochschulalltag verändert: Wir haben einen gemütlichen Awareness-Space eingerichtet, der Rückzugsort sein soll. Dort steht ein Bücherregal, in dem Literatur zu finden ist, rund um die Themen Awareness, Machtmissbrauch, strukturelle Ungleichheit und was mensch dagegen unternehmen kann. Gemeinsam mit den verantwortlichen Stellen der Hochschule haben wir dafür gesorgt, dass die Toiletten am neuen Standort der Theaterakademie alle Gender ansprechen und arbeiten daran, diese in den nächsten Jahren vollständig genderneutral zu gestalten.
Außerdem haben wir uns um Aufklärung bemüht: Mit den Gleichstellungsbeauftragten der Hochschule haben wir eine Vortragsreihe zum Thema Machtmissbrauch im Klassik- und Theaterbetrieb ins Leben gerufen. Verschiedene Referent*innen aus der Forschung und aus der Musik- und Theaterpraxis haben aus intersektionaler Perspektive zu Machtmissbrauch in der Klassikszene, zu Rassismus und Klassismus an Musikhochschulen, zu Aufnahmeverfahren und Besetzungspolitik und zum Eurozentrismus des Werke-Kanons gesprochen. Die Vortragsreihe soll fortgeführt werden und wird im Wintersemester 21/22 in die alljährliche musikwissenschaftliche Ringvorlesung der HfMT integriert: Gemeinsam mit der Professorin für Musikwissenschaft, Nina Noeske, und der Gleichstellung organisieren wir die Ringvorlesung Musik und Theater intersektional (Informationen zum ersten Termin der Veranstaltungsreihe).
Des Weiteren haben wir uns mit anderen Hochschulen vernetzt. Wir haben uns über Strategien ausgetauscht und unsere Handlungsmöglichkeiten reflektiert, und auf diesem Weg die Gründung weiterer studentischer Awareness-Teams an deutschen Musikhochschulen angeregt.
Zudem konnten wir schon in den ersten Monaten unseres Bestehens Studierenden helfen, die mit Wünschen und Problemen auf uns zugekommen sind. Wir konnten ein offenes Ohr bieten, unterstützen und vermitteln. Wir sind dabei auch an die Grenzen unserer Möglichkeiten und unseres Wissens gestoßen. Das stärkste Mittel, das uns zur Verfügung steht, ist zweifellos, dass wir ein Team sind. Wir können uns als Gruppe solidarisieren und uns hinter einzelne Studierende und ihre Anliegen stellen. So wirken wir der Ohnmacht gegenüber dem Hochschulapparat entgegen, die durch das Einzelgänger*innentum entsteht, das uns in der Ausbildung tagtäglich vorgebetet wird. Der Hochschulapparat ist nicht interessiert an Störungen und Turbulenzen – er will nur reibungslos funktionieren.
Wir Studierende wollen – so unterschiedlich wir alle auch sind – in unserer Studienzeit wachsen, lernen und natürlich unser Studium auch erfolgreich abschließen. Viele nehmen Diskriminierungen oder Machtmissbrauch hin, um sich das Studium nicht zu verkomplizieren, den Abschluss nicht zu gefährden, oder ihren ‚Ruf‘ durch den Konflikt mit einem*einer berühmten Lehrer*in nicht zu schädigen. Es läuft etwas falsch, wenn es geradezu als notwendig angesehen wird, den Kopf einziehen zu müssen, um im Studium voranzukommen. Die Hochschulen erheben Anspruch darauf, uns zu Persönlichkeiten mit selbstbewussten Haltungen auszubilden und uns so auf die Berufspraxis vorzubereiten. Doch stattdessen erlernen wir im hidden curriculum schweigend zu ertragen und hörig zu sein. So entwickeln wir uns zu Künstler*innen, die sich nicht wehren, dadurch überholte und ungesunde Strukturen reproduzieren und in ihrer Arbeitsweise und ihrem künstlerischen Schaffen diskriminierende Verhaltensweisen und stereotype Narrative fortschreiben. Wegen dieses Umstands ist es so wichtig, die bestehende Ausbildungsstruktur immer wieder zu reflektieren und zu hinterfragen. Doch dafür wird uns kein Raum gegeben, wir müssen ihn uns erkämpfen, oft auf Kosten von Zeit und Energie, die wir gerne in unsere Studieninhalte stecken würden. Es kann nicht sein, dass Studierende, die sich politisch oder gesellschaftlich engagieren, Abstriche in ihrem Studium machen müssen. Was wir brauchen und fordern, ist eine Studienstruktur, die gesellschaftlichem und hochschulpolitischem Engagement im Lehrplan Platz einräumt.
Schluss mit dem Geniekult!
Wir haben kein Interesse am Geniekult oder der verklärten Idee einer Kunst, die uns zu besseren Menschen macht. Das sind gefährliche Rechtfertigungsmuster, die narzisstische Persönlichkeiten schützen und Machtmissbrauch und Diskriminierung begünstigen. Es kann in der künstlerischen Ausbildung nicht immer wieder darum gehen, sich am bestehenden Kulturbetrieb zu orientieren und sich damit zufrieden zu geben, dass „es vor Jahren ja noch viel schlimmer war als jetzt“. Wir als angehende Künstler*innen müssen schon im Studium den Raum erhalten, uns kritisch mit gesellschaftlichen Themen und systemischen Strukturen auseinanderzusetzen. Erst so können wir eine Haltung zur Welt einnehmen und daraus künstlerische Perspektiven entwickeln. Wenn wir diejenigen sind, die später den Kulturbetrieb formen, müssen wir uns mit Strategien auseinandersetzen, durch die Machtmissbrauch und Diskriminierung tatsächlich abgeschafft werden können. Das kann unser kleiner Beitrag – der Beitrag der privilegierten Bubble Kunsthochschule – im großen System Gesellschaft sein.
Trotz der Unterstützung und Aufmerksamkeit, die wir an unserer Hochschule erhalten, lauern Gefahren im althergebrachten System: Auch unsere Hochschule ist Opfer des Wettkampfs, dem sich die „Hochkultur“ verschrieben hat, sie ist darauf aus, die besten Leistungen und den besten Ruf hervorzubringen. Und so genießt sie es vielleicht ein wenig, dass wir ehrenamtlich so aktiv für unsere Utopien arbeiten. Denn tun wir es, ist die Arbeit ja getan und die Hochschule gewinnt sogar noch ein Aushängeschild: „Seht her, wie aufgeklärt wir sind und wie wir uns gegen diskriminatorische Strukturen einsetzen!“
Ohne die mentale und monetäre Unterstützung der Gleichstellung und vieler unserer Redner*innen bei der Vortragsreihe, ohne den Zuspruch durch Professor*innen und Mitarbeiter*innen der Hochschule wären wir nicht hier, wo wir sind. Doch diese Unterstützung ersetzt nicht, dass tiefgreifende strukturelle Veränderungen im System Hochschule erfolgen müssen. Die Antidiskriminierungsarbeit darf nicht auf Studierende abgewälzt werden, sondern muss institutionell verankert sein, bspw. in Form von fest angestellten Supervisor*innen und regelmäßig stattfindenden und verpflichtenden Awareness-Workshops für alle Angehörigen der Hochschule. Eine Antidiskriminierungsrichtlinie, ein Verhaltenskodex können wichtig zum Erkennen von Diskriminierung und Machtmissbrauch sein, doch sie helfen nur bedingt, solange es keine Kontrollinstanz gibt, die wirklich unabhängig ist von den Mächtigen an einer Hochschule.
Für eine bessere Zukunft!
Wir, das Awareness-Team, glauben daran, dass die Kunstwelt ein bisschen besser wird, wenn die Studierenden in der Kunstausbildung besser behandelt werden. Wir wollen alle angehenden Künstler*innen und uns selbst darüber aufklären, was unsere Rechte sind und wie wir von ihnen Gebrauch machen können. Wir kämpfen gegen Diskriminierung und Machtmissbrauch in der Ausbildung, damit wir mit positiven Erfahrungen in das Berufsleben starten können. Und ja, dort werden wir uns noch mit streng hierarchisch organisierten Betrieben auseinandersetzen müssen. Doch werden wir die Verantwortlichen im Dialog von unseren Werten und Strategien überzeugen, wenn wir uns in der Studienzeit einen entsprechenden Werkzeugkasten aneignen.
Wir wollen die Kunstausbildung zu einem Ort machen, der kritische und selbstbewusste Künstler*innen ausbildet. Dafür muss der Machtmissbrauch, dieses Produkt des selbstbezogenen patriarchalen Systems, enden, und der Blick muss geweitet werden: Lasst uns unsere Privilegien nutzen und die Kunstwelt zu einem Ort machen, der weniger ausschließt und alle willkommen heißt!
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Kommentar: Wir Studierende haben das Gefühl, dass ein Grundübel von künstlerischen Hochschulen die Unterfinanzierung und der damit verbundene Personalmangel in der Verwaltung und das Prekariat der Lehrbeauftragten ist. Wir nehmen wahr, dass Beschäftigte an Kunst- und Musikhochschulen meist überarbeitet sind, unter hohem Druck stehen oder ihre Arbeitsmoral unter den schlechten Anstellungsbedingungen leidet. Doch darf dies keine Rechtfertigung sein.
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Ein weiterer Eintrag zum Awareness-Team der HfMT-Hamburg findet sich bei Harfenduo