Beitrag von Lucie Tuma, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Bachelor Theater, Vertiefung Dramaturgie, DDK und Cecilie Ullerup Schmidt
Chuck Morris ist ein Duo im Bereich Theorie, Choreografie und Performance. Es ist als Langzeitbeziehung über die nächsten 30 Jahre angelegt und bedeutet die kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Figur des Zwillings, mit dem Doppelkörper als einer spezifischen Art des Kollektivs und mit dem Versuch, die individuelle Identität der Künstlerin aufzulösen. Mit jeder neuen Arbeit lernt das Duo etwas, das es bis anhin nicht konnte. Chuck Morris wurde 2008 am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Giessen (D) von Cecilie Ullerup Schmidt und Lucie Tuma gegründet. Feminine Fun Studies ist seine dritte Arbeit.
In Feminine Fun Studies lernt Chuck Morris lustig zu sein. Es gibt Menschen, denen als eines der ersten Attribute ihr Charme, ihre gute Laune, ein gewisses Etwas im demzufolge ontologisch begründeten Lustig-Sein zugesprochen wird. Zu diesen Menschen gehörte Chuck Morris bis anhin nicht. Attribute, die diesem Duo gegenüber unmittelbar ausgesprochen wurden, wären: Klug, jung, schön, weiblich. In der umgekehrten Reihenfolge, meistens, gefolgt von ambitioniert und vielleicht, zwanghaft. Von da aus hat Chuck festgestellt, dass ihm etwas fehlt: der sogenannte ‹boys bonus›. Menschen mit ‹boys bonus› wickeln einen um den Finger, sie sind lässig, leicht nachlässig, schlagfertig, ganz sich selbst und geniessen Narrenfreiheit. Mit dem biologischen Alter hat dies wenig zu tun. Boys stay boys forever, viele nutzen diesen Bonus bis ins hohe Alter. Nun steckt im Lachen ja ein gewisser Kontrollverlust und so ermöglicht Lustig-Sein eine nicht unwesentliche Teilhabe an Macht.
In seiner Aneignung von Witz hat das Duo die Charmanten beobachtet und von den Lustigen geklaut, Charisma untersucht und sich seiner Produktion angenommen. Feminine Fun Studies ist sowohl die Behauptung des nun witzig gewordenen Duos, als auch eine andauernde Studie: nur während der Performance kann überprüft werden, wie «Lustig-Sein» operiert, wann auf welche Art und Weise es funktionieren könnte. Das Risiko des Ausbleibens von Lachern ist der Haken an dieser wunderbaren Technologie, hier ist Technologie im Sinne einer Technologie des Selbst gemeint (Michel Foucault), als Subjektivierungsachse und In-Beziehung-Setzen zum Anderen: unser Lustig-Sein entsteht ausschliesslich im Raum zwischen uns und denjenigen, die zum Lachen gebracht werden – oder eben nicht. Und gibt es vielleicht doch so etwas wie eine Ontologie des Lustig-Seins? So oder anders, für das Duo bedeutet es erstmal: learning while doing. Chuck kann nur mit und vor Publikum lustig werden. Das Paradoxon des Kontrollverlusts scheint auf Situationskomik und Spontaneität hinzuweisen. Man könnte meinen, es handle sich um ein Talent und sei in diesem Sinne nicht lernbar. Die Aufmerksamkeit führt Chuck weg vom Talent zum Technologiebegriff, zu einem Setting des Witzes und hin zu einer Praxis, die unterschiedliche Taktiken findet, wie Lustig-Sein nun gelernt und geübt werden könnte. Woraus besteht dieser charmante Rest, der sich einer auf Ursache und Wirkung zurückgehende Definition entzieht, der uns losprusten lässt, der als Lacher im Raum zwischen uns landet? Sicherlich, es ist eine konstellative Angelegenheit. Timing, Rhythmus, Tempo, kleine Gesten des Zögerns, ein Augenblitzen, die überraschende und spezifische Körperlichkeit, Intonation, Kostüm, Musik in der richtigen Lautstärke, Wiederholung – Anordnungen von Material. All dies deutet nun aber auf einen Bereich hin, in dem sich Chuck Morris gut auskennt: Komposition, Choreografie, Inszenierung. Das Setting ist ein höchst soziales, dieses Mal und wohl immer. Kein Trick ist zu billig, kein Objekt zu simpel, kein Material zu offensichtlich: nicht Lustig-Sein um jeden Preis, aber bereit, den Preis für das herzwärmende Potenzial von Gelächter zu zahlen. Becoming fools, on all levels.
Auf einer grünen hügeligen Landschaft schläft eine junge schöne Blondine, apricotfarbenes Kleid, weicher Stoff und wallendes Haar. Warmes Sonnenlicht scheint auf ihr helles Gesicht. Sanftes Vogelgezwitscher, Grillen zirpen, Frösche quaken. Hinten im Halbdunkel taucht die Silhouette einer Brünette am Fenster auf: enganliegendes schwarzes Kleid, kalter Zigarettenrauch, ein klarer Mond am Himmel. Grossstadt, Motoren, Sirenen, Stimmengewirr, knackendes Eis im Whiskeyglas.
Mit diesem dichotomen Klischee eröffnet Chuck Morris Feminine Fun Studies und markiert, welches Gepäck ein weibliches weisses Duo mitunter mit auf eine Bühne bringt. Die ersten zwanzig Minuten des Abends sind hyperrealistisches Filmset, Tableau Vivant, Hörspiel. Bespielt wird ein anhaltender Alptraum, der als Sprungbrett in einen Abend dient, wo nichts davon für den Rest des Abends wieder eine Rolle spielen wird. Ab hier treten andere Körper, andere Körperlichkeiten, andere Welten auf den Plan. Als Protagonist tanzt ein gigantischer roter Samtvorhang. Einer Dramaturgie der Unterbrechung folgend strukturiert sich die Arbeit um heterogenes Material, treibt das Nummernprinzip der Revue auf die Spitze und bringt Referenzen aus Vaudeville, Popkultur und Akademia neben Avantgardeklassikern und Cartoon bis in zu kaum lesbaren Zusammenhängen, deren affektive Wirkung den Weg zur Semiotik endgültig versperrt. Dosengelächter. Ein nicht unwesentlicher Sidekick ist dabei die Musikerin und Medienkünstlerin Julia Krause, die das Ganze akustisch rahmt, die eng mit dem Vorhang zusammenarbeitet und immer wieder in den Abend interveniert, bis hin zur eigenen Solo Nummer als OneWomanOrchestra.
Das Duo breitet eine Studie auf dem schmalen Grad des Humors aus und bringt das Lustig-Sein dahin, wo man es nicht vermutet: zum weiblichen Geschlecht. Die Frauen- und Geschlechterforschung hat fetischisierte Frauenbilder wie die Heilige und die Hure, Femme fatale und die Unschuld vom Lande, Blondine und Brünette dekonstruiert und die vorgebliche Unergründlichkeit des weiblichen Geschlechts in Frage gestellt. Der Diskurs des Komischen jedoch blieb hierbei marginal. Feminist_innen haben den Objektstatus von weiblichen Körpern und Frauen als Gegenstand des Verlachens thematisiert. Frauen wurden Komikproduzentinnen und eroberten sich einen Teil des Komikermarktes, wie etwa Hella von Sinnen, Anke Engelke oder Sarah Silverman. Der Männerwitz wurde installiert und wird in Zeitschriften wie EMMA gepflegt. «Was macht frau, wenn ein Mann im Zickzack durch ihren Garten läuft? Weiterschießen.»
Statt nun allein dem männlich identifizierten Komiker weiblich zu besetzen und der Rehabilitierung des Verlachens von Männern Vorschub zu leisten, schlägt Feminine Fun Studies die Erforschung des Potenzials des Komischen im weiblichen Geschlecht vor. Hierbei steht die mythische Figur der Baubo Pate. Baubo ist eine Göttin der eleusinischen Mysterien, die Amme der Demeter und personifizierte Vulva. Baubo bringt die – wegen der Entführung ihrer Tochter Persephone durch Hades in die Unterwelt – untröstliche Demeter zum Lachen, indem sie vor dieser ihr Geschlecht entblösst. Diese berühmt-berüchtigte Geste der Baubo interessiert Chuck Morris im Zusammenhang mit dem Dionysoskult und den Phallosträgern der attischen Komödie. Auch wenn im christlich geprägten Abendland Baubo zumeist die Rätselhaftigkeit des weiblichen Geschlechts festschreiben sollte, so steht die Präsentation der Vulva ebenso in einem komischen Zusammenhang, wie die des Phallos. Mit dieser komischen Funktion des weiblichen Geschlechts nun tritt Chuck Morris den weiblichen wie feministischen Frauenbildern und Körperdiskursen entgegen.
Dabei werden gewohnte Formate des Komischen gewählt: Stand-up, Parodie, Trickfilm-Pointen und Vaudeville-Nummern. Gerahmt von einem roten Samtvorhang, erinnert die Show an den Kontext von Varieté, Zirkus und Kleinkunst. In Aneignung dieses Handwerks betreibt Chuck Morris Studien des feminine fun, indem sie dieses mit bauboesker Gestik kreuzt. In solcherlei Versuchsanordnungen treffen Pin-ups auf Pups-Posen, macht die Vagina dentata Gymnastik, wird Witze-Erzählen zur klitoralen Schreibübung und die Vulva zum Zentrum von Ausdruckstanz. Chuck Morris flirtet mit den Pointen männlicher Gewalt der Trickfilme und kitzelt den Humor aus der weiblichen Tanzavantgarde der 20er und der feministischer Performances der 70er Jahre. Chuck Morris singt ein Gegenlied auf feminine fun. Feminine Fun Studies betreibt mit Ernst das Studium des Quatschmachen und Blödelns, immer im Bewusstsein um die soziologischen Aspekte des Lachens – und fordert so den schmalen Grad des Humors heraus. Mit den Worten der Theaterkritikerin Esther Boldt heisst es dann: «Klischeeträchtige Frauenbilder wurden zum Ausgangspunkt einer komischen, klugen und befreienden Revue und der weibliche Körper in einem Akt der Wiederaneignung zur Pointe» (tanz – Das Jahrbuch 2014 : 153).
Literatur:
- Esther Boldt: Die Hoffnungsträger Chuck Morris, in: tanz – Das Jahrbuch 2014, Berlin 2014, S. 153.
Feminine Fun Studies
von und mit: Chuck Morris Musik: Julia Krause Dramaturgie: Friederike Thielmann
Licht: David Nicolas Abad Produktion: Luisa Grass Male Gaze: Max-Philip Aschenbrenner, Maximilian Haas, René Kruse, White on White Beratung Bühne & Kostüm: Karin Gille Kostümassistenz: Sara Smed Fotografie: Caroline Palla Grafik: Tomas Brader
Koproduktion: Chuck Morris mit Bora Bora Aarhus, CaféTeatret København, Gessnerallee Zürich, Südpol Luzern, Sophiensaele Berlin, Samara Network
Unterstützt durch: Stadt Kultur Zürich, Kanton Zürich – Fachstelle Kultur, Danish Arts Council, Pro Helvetia – Schweizer Kulturstiftung, Ernst Göhner Stiftung, Kultur Kontakt Nord, Fondation Nestlé pour l’Art
Nach Aufführungen in Zürich, Luzern, Berlin, Kopenhagen, Stockholm und Malmö hat das Theater Bora Bora in Arhus (DK) Chuck Morris eingeladen Feminine Fun Studies am 14. März 2015 erneut zu zeigen. Im September 2015 wird Chuck Morris’ neue Arbeit DIALOG (AT) Premiere bei Südpol Luzern feiern. Noch im Entstehungsprozess wird sich das Duo diesmal mit dem Dialog als rhetorischer Figur und philosophischem Konzept beschäftigen – wortlos.
Ältere Arbeiten von Chuck Morris:
2008 untersuchte Chuck Morris sein Verhältnis zum Begriff der Avantgarde unter der Frage eines post-revolutionären ‹und was nun?›. In einem Setting von Langeweile und Unterlassen als Handlung übertrug es in siebenschoenchen (2008) Filmtechnologien auf choreografische Verfahren. In souvereines wurde Chuck Morris 2010 durch eine souveräne Geste zur kommenden Königin gekrönt und führte den doppelten Körper der Königin auf. Nun fand das Duo mit Feminine Fun Studies das diametrale Gegenbild dazu im Narren. Dieser Statusverlust knüpft an eine substanzielle Beschäftigung mit Darstellungen von Macht an und siedelt das doppelköpfige Wesen in ihrem Zentrum an.
Weitere Informationen: www.chuck-morris.org
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