20. April bis 3. Juni 2018
Austellung in der Eingangshalle der ZHdK

Vernissage: Donnerstag, 19. April, 18 Uhr
Mit einer Begrüssung von Peter Jenny (Prof. em. ETH) und Michael Hiltbrunner (Kurator)

Eingerichtet von Michael Hiltbrunner, Daniela Mirabella und Rolf Wolfensberger
Kontakt: Michael Hiltbrunner, michael.hiltbrunner@zhdk.ch

Sonntag, 6. Mai 2018, 15 Uhr
Sezession! Ein Gespräch mit Clifford E. Bruckmann, Sabine Hagmann, Rut Maggi und Salome Stauffer, moderiert von Michael Hiltbrunner.


Das Ausstellungsinsert F+F zu Revisiting Black Mountain dokumentiert die Gründung der Klasse F+F an der damaligen Kunstgewerbeschule Zürich (heute ZHdK), den Austritt unter Protest und die Gründung der F+F Schule für experimentelle Gestaltung (heute F+F Schule für Kunst und Design) 1971. In dieser Klasse wurde nicht nur frei experimentiert, sondern sie war auch offen für soziales und politisches Engagement und neue Tendenzen in Kunst und Design. Geleitet wurde sie von Hansjörg Mattmüller und Serge Stauffer, weiter unterrichteten etwa Markus Raetz, Peter Bichsel, Doris Stauffer und Bendicht Fivian. Die Klasse F+F wurde zum Ausgangspunkt der alternativen Gestaltungspädagogik, die die F+F Schule in den 1970er-Jahren entwickelte und die einen noch wenig erforschten Knotenpunkt für Radical Education und Critical Pedagogies bildet.


 Die F+F – vom Bauhaus-Vorkurs zur experimentellen Gestaltungsschule
Die Klasse F+F steht für Skandal, Provokation und Sezession. Dabei war es eine normale Versuchsklasse der damaligen Kunstgewerbeschule (heute ZHdK), die von 1965 bis 1970 aktiv war. Rückblickend entsprechen die Ansätze dieser Klasse dem damaligen Aufbruch in der westlichen Kunst. Die alternative Gestaltungspädagogik, für die die F+F heute steht, wird in Ansätzen sichtbar und führte zum Bruch mit der Kunstgewerbeschule. Mit der Gründung der F+F Schule für experimentelle Gestaltung 1971 entwickelte diese ihre Eigenständigkeit, die eine ganze Generation prägen sollte und noch heute längst nicht in ihrer Tragweite erfasst ist.

Bei der Klasse F+F war das Bauhaus namensgebend, denn der Name bezog sich auf den 1939 von Johannes Itten an der Kunstgewerbeschule eingeführten Vorkurs in formaler und farbiger Gestaltung. Doch die Leiter der Klasse distanzierte sich klar vom Bauhaus-Ansatz, indem sie das freie Experimentieren ins Zentrum ihrer Tätigkeit rückten und bei den Schüler*innen transdisziplinäres Arbeiten förderten. Wichtig war dabei die damalige Gegenwartskunst, gerade Pop Art, Surrealismus, Happening oder Fluxus. Es war die einzige Klasse in Zürich, an der dies möglich war und galt als die schweizweit progressivste. An der Kunstgewerbeschule Zürich hatte es für kurze Zeit zuvor eine reguläre Kunstklasse gegeben, hervorgegangen aus der Textilklasse leitete Otto Morach ab 1948 die Fachklasse für angewandte und freie Kunst, die schon 1956 wieder geschlossen wurde. Lehrkräfte wie Elsi Giauque, Walter Binder und Hans Finsler sahen weiterhin die Notwendigkeit, eine andere gestalterische Lehre zu ermöglichen, als die rein technisch-berufsorientierte in den herkömmlichen kunstgewerblichen Fachklassen.

Sie initiierten deshalb 1965 den Neustart einer solchen Versuchsklasse, die einen offenen gestalterischen Ansatz aus dem Vorkurs in einer Hauptklasse weiterführen sollte. Der Vorkurs-Lehrer Hansjörg Mattmüller und der Fotografie-Lehrer Serge Stauffer erhielten die Aufgabe, diese Klasse für Form und Farbe (F+F) zu leiten. Ein Schulfest im Geiste des Aufbruchs mit dieser Klasse missriet aber schon gänzlich: Das von Georg Radanowicz und Peter Schweri auf Einladung von Hansjörg Mattmüller geleitete Happening auf der Bühne des Vortragssaals war nichts Anderes als eine neo-dadaistische Provokation, mit provokativem Vortrag, zerhackten Kohlköpfen und danebengegangenen Knallpetarden. Doris Stauffer schrieb dazu einen Brief an Serge Stauffer, der in ihrer Monografie von 2015 publiziert wurde: «die leute klatschten und pfiffen, die mäuse rannten herum, und es sah grauenvoll aus. der halbe saal und die ganze bühne wie nach einer schlacht. es war gewiss etwas stark, aber mir gefiel es.»

Der Beginn der Klasse selbst war dann viel ruhiger, über die ersten Jahre gibt es gar nicht so viele Dokumente. 1966 zeigten die Schüler*innen in der Kunstgewerbeschule eine Ausstellung zu ihrer Arbeit, Schüler wie Christian Rothacher, Walter Pfeiffer, Hannes Binder oder Anton Bruhin schlossen in diesen Jahren ab. Zu ersten Spannungen kam es 1967 im Rahmen einer Expertenkommission zur Erarbeitung einer Reform der Kunstgewerbeschule. Basierend auf dem Vorschlag zur Umgestaltung der Schule in ein «Institut für Gestaltung» von Max Bill aus dem Jahr 1961 legten die Autoren einen Vorschlag vor, der das Künstlerische ganz wegliess und die Schule stark am Industrial Design und den entsprechenden Wirtschaftszweigen orientieren wollte. Serge Stauffer lieferte eine knapp 15-seitige Kritik, doppelte mit einer angriffigen «Adresse an Herrn Direktor Buchmann» nach, wurde prompt wegen Ehrverletzung verklagt, konnte es aber später aussergerichtlich beilegen. Der Reformvorschlag selbst wurde von der Lehrerschaft der Schule abgelehnt, wie die Unterlagen im Archiv der ZHdK zeigen.

In der Schule gab es nun Fronten: Auf der einen Seite Buchmann, der progressive Ansätze in einem bürgerlich-wirtschaftlichen Rahmen halten wollte und Stauffer, der die Schule für gestalterische Forschung und experimentelle Ansätze öffnen wollte, die auch künstlerisch anspruchsvoll waren. Auch das Profil der Klasse wurde klarer. Dozierende wie Peter Bichsel und Markus Raetz kamen zur Klasse und stärkten das zeitgemässe und überregionale Profil. Die Klasse orientierte sich vermehrt an sozialkritischer und experimenteller Kunst. Beim Ausflug nach Westdeutschland 1968 stand etwa ein Treffen mit Joseph Beuys, der noch an der dortigen Akademie lehrte, auf dem Programm, ausserdem die Documenta in Kassel und Treffen mit Exponent*innen experimenteller Kunst wie André Thomkins oder Lutz Mommartz. Anfang 1969 begann Doris Stauffer den Kurs «Teamwork» zu unterrichten. Einmal die Woche nachmittags arbeiteten die Studierenden gemeinsam an einem Happening oder gestalterischen Feldversuch. Basierend auf der Summerhill School von Alexander Sutherland Neill führte sie an der Klasse auch einen Klassenrat und das Duzen ein. Aufgrund der Beschwerde eines Schülers präsentierte Doris Stauffer ihren Kurs der Schulbehörde der Stadt Zürich, die von ihren Resultaten beeindruckt waren. Jedoch lud sie die Studierenden auch zu politischen Aktivitäten ein, etwa zu einer «Misswa(h)l» der Zürcher Frauenbefreiungsbewegung FBB. An der Aktion versteigerte das FBB-Mitglied Verena Voiret die Kleider, die sie bei einem Schönheitswettbewerb der Zeitschrift Annabelle gewonnen hatte. Die Aufgabe für die Klasse lautete: «Eine überlebensgrosse Puppe herstellen.» Die Puppe wurde vor Ort bemalt.

Die Klasse F+F 1969 in Volano (IT), Filmstill aus einem Parallelfilm von Hansjörg Mattmüller und Serge Stauffer, Graphische Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern

Provoziert durch die Klasse kündigte Direktor Mark Buchmann im Herbst 1969 den Kurs und die Mitarbeit von Doris Stauffer ohne Begründung. Auch Bendicht Fivian, der Markus Raetz vertrat, wurde freigestellt. Die Kündigungen wurden aufgrund von Protesten zurückgenommen, doch nun versuchte Mark Buchmann, im Dezember 1969 die ganze Klasse aufzulösen, was die Lehrerschaft ablehnte. Der Kompromiss war eine Weiterführung der Klasse mit dem Stundenplan von 1965, also einer Streichung aller seither eingeführten Neuerungen. Dies war für die Klasse, die sich selbstbewusst über den Klassenrat organisierte, unhaltbar. Auch hatte sich mit Serge Stauffer eine neue Reformgruppe für die Kunstgewerbeschule gebildet, auf deren Vorschlag einer demokratischen Schule für Gestaltung nicht eingegangen wurde. Auf diese Weise an den Rand gedrängt, gaben Mitte März 1970 die Schüler/innen der Klasse F+F ihren Austritt bekannt und die Lehrenden Hansjörg Mattmüller, Bendicht Fivian, Doris Stauffer und Serge Stauffer und auch Peter Jenny als Dozierender am Vorkurs reichten alle ihre Kündigung ein.

Ausserdem organisierten die Schüler*innen darauf ein Teach-in, bemalten Türen der Schule mit Parolen und Mark Buchmann besuchte eine von ihnen organisierte Vollversammlung, an welcher er zum Rücktritt aufgefordert wurde. Diese Proteste waren breit in den Medien präsent, sogar das Schweizer Fernsehen berichtete darüber. Neben einem aktiven Elternverein der F+F unterstützte eine breite Allianz von Kulturschaffenden die F+F. Die Klasse erhielt die Möglichkeit, in der Kunsthalle Bern im Sommer 1970 auszustellen. Sie zeigten Arbeiten von Lehrenden, von Schüler*innen und auch von Ehemaligen. Aktivitäten der Klasse und die Ereignisse bis im Sommer 1970 dokumentiert die Publikation Experiment F+F, die von Hans Rudolf Lutz herausgegeben wurde.

Studierende während der Protestaktion für die Klasse F+F 1970
Graphische Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek Bern

Die Gründung einer eigenständigen Schule war alles andere als einfach. Anfang 1971 konnten in Räumlichkeiten von Lisbeth Sachs an der Rämistrasse endlich erste Kurse angeboten werden. Dabei waren sowohl die gelernte Fotografin und Aktivistin Doris Stauffer, der gelernte Fotograf und Kunstforschende Serge Stauffer, die bildenden Künstler Hansjörg Mattmüller und Bendicht Fivian, der Architekt Peter Gygax und der Grafikdesigner Peter Jenny. Ebenfalls eng involviert waren etwa der Filmemacher Georg Radanowicz, die Künstlerin Verena Voiret und der Typograf und Verleger Hans Rudolf Lutz. Im Mai 1971 wurde eine erste Tagesklasse als Pilotversuch durchgeführt und ab Anfang 1972 startete ein regulärer Schulbetrieb im Drahtschmidli, wo heute das Jugendzentrum Dynamo steht. Die Gründung der F+F Schule für experimentelle Gestaltung war idealistisch motiviert, nicht durch einen Businessplan. Die Lehrenden mussten mit einem kleinen Lohn auskommen, die Schüler*innen bezahlten ein hohes Schulgeld. Es sollte ein offenes Labor bilden, in der sich kreative Arbeit frei entfalten und ihre Relevanz im veränderten gesellschaftlichen Umfeld neu beweisen konnte.

Neben der Tagesklasse bot die Schule auch Abend-, Wochenend- und Sommerkurse an. Die Kursbesucher*innen und Tagesschüler*innen waren unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft, aus verschiedensten Regionen der Schweiz und aus dem nahen Ausland und entsprechend den Zielvorgaben der Schule sehr individualistisch interessiert. «Ein bunter Haufen» nennt es die ehemalige Schülerin, Fotografin und Kindergärtnerin Rut Maggi. Die Lehrenden gestalteten den Unterricht experimentell, dokumentierten ihn aber recht genau und entwickelten ihre neuen Formate stetig weiter. Alternative Ansätze wurden mit Unterstützung der Schülerschaft erprobt und verfeinert. So entstand eine alternative Gestaltungspädagogik, wie sie etwa in den Publikationen von Peter Jenny, Hans Rudolf Lutz, Serge Stauffer oder Doris Stauffer dokumentiert wird.

Es sind vielfältige Unterrichtssituationen dokumentiert. In einem «Hexenkurs» bei Doris Stauffer 1977 fotografierten die Frauen eigene Körperteile, die sie nicht mochten, und diskutierten in der Runde die projizierten Dias. Hans-Rudolf Lutz sähte mit einer Klasse 1971 Buchstabenformen und erntete später im Jahr ein Wort. Serge Stauffer gab 1974 die Aufgabe, Pornografie zu schaffen, obszöne Texte, Bilder oder Skulpturen, denn: «in der provokation durch die pornografie wird jeder mit seiner eigenen künstlichkeit konfrontiert.» Peter Jenny stellte die Aufgabe, in einem fensterlosen Gang mit Lichtern Illusionsräume zu schaffen. Wichtig an der F+F Schule waren sowohl Teamgeist als auch Individualität, intensiv kreative Momente wie auch komplette Tatenlosigkeit, eine Kultur der Nachahmung und die Ermutigung zur Eigenart.

Die von der Klasse F+F erprobten und von der F+F Schule vertieften Ansätze der Ausbildung in Kunst und Gestaltung bieten gerade heute wieder wichtige Impulse für ein Zusammenbringen von Theorie und Praxis, für dezidiert transdisziplinäre Ansätze, für das Ausprobieren neuer Formate in Gestaltungspädagogik, den Einbezug kritischer Ansätze und die Ermöglichung von Freiräumen zur Entwicklung gestalterischer Ansätze im Interesse der Studierenden selbst.