Was stellt Mentoring im Kunstunterricht her?
WORKSHOP KO-FORSCHUNG «Mentoring and Practices of Collective Supervision», FINAL SYMPOSIUM 2016
Romy Rüegger, Yvonne Wilhelm
Der Orgelsaal ist beeindruckend. Schwarze Designbäuche stülpen sich aus den Wänden, daran sollen sich jetzt die Tonwellen brechen, so dass man die Höhen und Tiefen ausgewogen hört. Klar hört. Die Orgel steht auf einer Erhöhung, neben ihr ein Konzertflügel. Stühle stehen keine mehr im tiefer gelegenen Publikumsraum, ich habe sie für den Workshop (siehe die Workshop-Beschreibung unter PARCOURS) weggestellt. Ich setze mich in diesem Zuhörerbereich auf den Boden. Ohne viel zu tun, ist mein Körper dabei in einer räumlichen Umkehrung. Die Workshopteilnehmerinnen setzen sich auf das Plateau, auf dem die Orgel steht. Die Workshopbesucherinnen schauen auf mich hinunter, sie sind die Akteurinnen, die auf der Bühne sitzen. Ich frage sie nach ihren Erfahrungen mit Mentoring, was sie damit verbinden und nach ihren Erfahrungen. Einige der Workshopteilnehmerinnen unterrichten an Universitäten oder Kunsthochschulen, einige arbeiten für NGOs oder in anderen an Bildung interessierten Institutionen. Erstaunlich oft wird Mentoring als Förderprogramm für Frauen am Anfang ihrer Berufstätigkeit genannt. Ich erinnere mich selbst, eine Einladung zu einem solchen Programm bekommen zu haben. Ich teile leuchtende Blätter aus, die ich zuvor im Assistenzraum gefunden habe, ohne zu sagen, was damit geschehen soll. Wer weiss, vielleicht möchte sich jemand Notizen machen?
Zusammen mit Yvonne Wilhelm haben wir versucht herauszufinden, wie wir ein geschlossenes Unterrichtsformat, wie das Mentoratsgespräch in der Ausbildung von Künstlerinnen untersuchen können (siehe dazu auch Ko-Forschung). Ein Freund von mir macht seine Mentoratsgespräche zum Beispiel immer so, dass sie in einer offenen Unterrichtssituation stattfinden. Die Studierenden lesen einen Text oder arbeiten etwas am Laptop, während er mit jeweils einer Studierenden den Stand ihrer Arbeit bespricht. Die Mentoratsgespräche im Bachelor Medien und im Master Fine Arts an der ZHdK finden ohne Zuhörerinnen statt: es ist ein Gespräch zwischen Dozierender oder Assistierender und einer Studierenden. Als Unterrichtssituation ist es ein Format, der ein Safe Space sein könnte. Ich habe diese Situationen als Studierende aber oft als sehr verwirrend und überladen von unausgesprochener struktureller Macht erlebt. Im Rahmen des Forschungsprojekts haben wir danach gefragt, welches Vorwissen über dieses Format die Studierenden mitbringen sollten, so dass dieses geschlossene Gesprächsformat die Entscheidungsfindungen, die über ihre Arbeiten darin stattfinden, für beide Seiten nachvollziehbar sind.
Oder ist das Mentoratsgespräch eher ein Bewerbungsgespräch? Haben die Masterstudierenden, die an unserer Ko-Forschung mitgearbeitet haben gefragt. In ihrem Fall, findet die Mentorierung oft mit externen Dozierenden statt, die ausserhalb der Hochschule unter anderem Kuratorinnen, Jurymitglieder, Stiftungsbeiräte und Kritikerinnen sind. Protagonistinnen im Kunstfeld also, die darüber mitentscheiden, welche künstlerische Arbeit gefördert, gezeigt, beschrieben und kursiert wird. Und warum spricht man mit den Studierenden, die nicht so gut Deutsch sprechen, automatisch Englisch, hat eine der Bachelorstudierenden gefragt, die mit uns an dieser Ko-Forschung gearbeitet haben. Überall sind sie, die Identitätsmarker und Zuschreibungen: kommst du nicht aus dem Deutschsprachigen Raum, kommst du bestimmt aus einer privilegierten Schicht und sprichst entsprechend Englisch. Das ist die Feststellung, die sie so mit uns geteilt hat.
Stärker noch als in anderen Unterrichtsformaten, kommen vorgefestigte Rollenbilder und damit verbundene Erwartungen aller am Mentoratsgespräch beteiligten zum tragen. Rollenbilder vom Künstler, vom jungen Künstler, vom werdenden Künstler. Ja genau, es kann auch eine Künstlerin* sein. Ein Kanon (leider weiterhin ein meist westlich männlich modernistischer) wird abgerufen, implizit oder explizit auf die entstehende Arbeit angewendet. Diese und weitere Beobachtungen konnten wir anhand der Textbesprechungen, des von Art.School.Differences eigens für die Ko-Forschenden zusammengestellten Reader, der Vorträge und den gemeinsamen Austauschtreffen mit anderen Ko-Forschenden genau beschreiben, verorten und teilen.
Zusammen mit Yvonne Wilhelm haben wir im Verlauf unserer Forschung ein Diagramm gezeichnet, in dem man sehen kann, welche räumlichen, körperlichen, sprachlichen, kulturellen und performativen Faktoren beim Mentoratsgespräch zum Tragen kommen. Anhand dieser Faktoren haben wir die Notizen zu den geführten Gesprächen mit unterschiedlichen Farben markiert und konnten so sehen, was die Gewichtungen innerhalb des Gesprächs waren und hatten ein visuelles Mittel gefunden, mit dem wir unsere Recherche auch nach aussen tragen konnten.
Ich erzähle im Workshop auch von meinen aktuellen Erfahrungen mit Versuchen die grundsätzlichen räumlichen Voraussetzungen der Mentoratsgespräche zu ändern.
Und von einer weiterhin wachsenden Sammlung an Materialien zu feministischen und dekolonialisierenden Unterrichtsformen, die Yvonne Wilhelm und ich zusammen anlegen, auch über das Forschungsprojekt hinaus. „Bald sollten wir noch einmal ein Diagramm zeichnen und Differenzen abgleichen“ schlägt Yvonne als Kommentar auf diesen Workshopbericht vor. Die Ko-Forschung geht auf jeden Fall weiter.