Autor: sophievoegele

  • „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, …“ ein Beitrag von Eine Krise bekommen*

    „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, …“ ein Beitrag von Eine Krise bekommen*

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    Sehr geehrte Kunsthochschulen,

    wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass die studentische Kommission nach der gemäßen Ordnung festgestellt hat, dass die erforderlichen Kompetenzen für die Durchführung eines fairen Auswahlverfahrens nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Der Antrag zur Weiterführung des Verfahrens ist daher abgelehnt. Die studentische Kommission begründet die Entscheidung wie folgt:

    a Die Bewertungskriterien der Bewerbungsverfahren sind intransparent.
    b Die Bewerbungsinformationen sind auf den Webseiten der Kunsthochschulen nicht leicht zu finden.
    c Viele wichtige Bewerbungsinformationen stehen nur in deutscher Sprache zur Verfügung.
    d Die Studienfächer und Studieninhalte sind überwiegend eurozentrisch geprägt.
    e Viele Kunsthochschulen haben keine zugängliche Bewerbungsberatung.
    f Die Bewerbungsanforderungen, besonders das Erstellen einer Bewerbungsmappe, verstärkt die Chancenungleichheit unter den Bewerber*innen.
    g Das Bewerbungsverfahren ist nicht barrierefrei.
    h Bewerber*innen müssen Bewerbungsgebühren zahlen.
    i Die Zusammensetzung der Auswahlkommissionen ist nicht divers.
    j Im Bewerbungsprozess steht den Auswahlkommissionen zu wenig Zeit zur Verfügung, um die Motivation der Bewerber*innen zu verstehen.
    k In Bewerbungsgesprächen werden von den Auswahlkommissionen diskriminierende sowie machtmissbrauchende Fragen gestellt und Aussagen getätigt.
    l In Bewerbungsgesprächen werden von den Auswahlkommissionen übergriffige Fragen zu Herkunft und Identität gestellt, die zu einer Exotisierung von Bewerber*innen und ihren Arbeiten führen.
    m In Bewerbungsgesprächen werden von den Auswahlkommissionen unangebrachte Kommentare zu Aussehen und Bekleidung der Bewerber*innen geäußert.
    n Der in Bewerbungsverfahren verwendete Begriff „künstlerisches Talent“ impliziert das Konstrukt einer ‚naturgegebenen‘ Begabung, welche unterschiedliche Voraussetzungen und Sozialisierungen von Bewerber*innen außer Acht lässt.
    o In Bewerbungsverfahren wird eine westliche Ästhetik bevorzugt. Nicht-westliche Ästhetiken werden von den Auswahlkommissionen als kitschig abgewertet.
    p Die Auswahlkommissionen bevorzugen Studierende, die denselben Habitus haben wie Mitglieder der Kommission.
    q Die Auswahlkommissionen erwarten fachspezifisches Wissen, welches nur mit einer jahrelangen Vorbildung erlangt werden kann.
    r Die Auswahlkommissionen kommunizieren kein ausführliches Feedback an die Bewerber*innen.
    s Die Auswahlkommissionen begrenzen die Aufnahme von Bewerber*innen, obwohl die räumlichen und personellen Kapazitäten für mehr Studierende ausreichen würden.
    t Die Mappen der Bewerber*innen werden beschädigt oder gehen verloren.
    u In Bewerbungsverfahren nimmt die Diversität der Bewerber*innen mit jedem weiteren Auswahlschritt ab.
    v Die Universitätsgebäude und Kurse sind nicht barrierefrei.
    w Der Nachweis deutscher Sprachkenntnisse und die Durchführung des Unterrichts in deutscher Sprache schließt zahlreiche Bewerber*innen und Student*innen aus.
    x Es werden keine kostenlosen Deutschkurse angeboten.
    y Der Studienalltag der Kunsthochschulen ist mit hohen Materialkosten und großem Zeitaufwand verbunden.
    z Die Ausschlüsse, die durch das Bewerbungsverfahren und den Studienalltag der Kunsthochschulen entstehen, werden nicht reflektiert, sondern ignoriert und reproduziert.

    Die studentische Kommission fordert die Kunsthochschulen auf, das Auswahlverfahren und den Studienalltag auf die Ablehnungsgründe a – z zu prüfen und zu überarbeiten.

    Bitte bewahren Sie diesen Bescheid auf, falls Sie ihn in den nächsten Jahren zur Vorlage bei anderen Stellen benötigen. Zweitschriften können nicht ausgestellt werden.

    Mit frustrierten Grüßen,
    die Studentische Kommission

    Für die zahlreichen Ausschlüsse, die Kunsthochschulen produzieren, reichen die Punkte a – z eigentlich nicht aus. Diese Sammlung an Kritikpunkten wurde im Rahmen des selbstorganisierten Blockseminars Eine Krise bekommen – Kunsthochschulen und Ausschlussmechanismen in Gesprächen, Diskussionsrunden und Workshops erarbeitet und zusammengetragen. Organisiert wurde das Seminar vom Kollektiv Eine Krise bekommen und fand im Mai 2022 im Rahmen des Studium Generales der Universität der Künste Berlin auf dem Gelände der Floating University¹ statt. Es beschäftigte sich mit den Fragen nach Ausgrenzungen und Diskriminierungen vor und nach der Aufnahme in die imposanten Gemäuer der Kunsthochschulen. Welche Erwartungen werden selbstverständlich an Bewerber*innen und Studierende gestellt? Wer kann diese überhaupt erfüllen? Wie stellen sich die Universitäten nach außen hin dar und wie erleben wir die Realität?

    [Bild 1: Seminarprogramm „Eine Krise bekommen – Kunsthochschulen und Ausschlussmechanismen“. Bild: Eine Krise bekommen]
    [Bild 1: Seminarprogramm „Eine Krise bekommen – Kunsthochschulen und Ausschlussmechanismen“. Bild: Eine Krise bekommen]

    Das Seminar entstand aus dem Bedürfnis, Perspektiven zu diskutieren, die wir in unserem Studium an der Kunsthochschule vermisst haben. Warum wird nur über das Prestige der Zugelassenen und die Erfolge der Dozierenden gesprochen, aber viel zu selten über jene, denen die Zugänge zu diesen Institutionen und ihren Vorteilen verwehrt werden?
    Schon in vorigen Lehrformaten legten wir Wert darauf, persönliche Erfahrungen in ihren strukturellen Bedingungen zu verorten und gemeinsam Kritik zu entwickeln. Um die Ausschlussmechanismen der Universität überhaupt zu erkennen, kommt man nicht daran vorbei, die Idee einer sogenannten künstlerischen Eignung infrage zu stellen. Denn der bei den Aufnahmeverfahren und im Studium produzierte und erwartete künstlerische Kanon zeigt sich in der Wertschätzung bestimmter künstlerischer, musikalischer, gestalterischer Stile und der Abwertung anderer Ausdrucksweisen. Aber auch in der Art, wie das Auftreten und Verhalten der Bewerber*innen und Studierenden eingeordnet wird, zeigt sich eine intransparent geforderte Norm: Bei den Aufnahmegesprächen wird nicht nur die künstlerische Praxis beurteilt, sondern auch die verwendete Sprache, das körperliche Erscheinungsbild, die genannten Referenzen und eine gekonnte Selbstinszenierung. Wer dann nicht den erwarteten Normen entspricht, dem*der wird eine genügende künstlerische Eignung abgesprochen.

    Die aufgenommenen Studierenden bekommen diese implizierten Codes weiterhin zu spüren, indem Leistungsdruck, unterschwellige Hierarchien, Abhängigkeiten und unzumutbare aber normalisierte Arbeitsweisen ihren Studienalltag begleiten. Oftmals ist es jedoch schwierig, solche Phänomene zu erkennen oder gar verbal zu kritisieren, wodurch diese Zustände weiter aufrechterhalten bleiben. Darum war es uns im Seminar Eine Krise bekommen – Kunsthochschulen und Ausschlussmechanismen (2022) ein Anliegen, einen Austauschraum für Erfahrungen des Ausschlusses inner- und außerhalb der Institution zu schaffen.

    Der Großteil der Seminargruppe, die sich aus Studierenden der verschiedenen Berliner Kunsthochschulen als auch abgelehnten Bewerber*innen zusammengesetzt hat, war vertraut mit den unterschwelligen Codes und Erwartungen der Kunsthochschule und brachte ein großes Interesse mit, diese im Rahmen des Seminars zu hinterfragen. Um einen gemeinsamen Wissenspool zu erarbeiten, haben wir hierfür verschiedene Akteur*innen für Beiträge angefragt, die an Gleichstellungsarbeit, Forschung, studentisch organisierten Support-Strukturen und Aktivismus mitgewirkt haben.

    Mit Forough Absalan (Common Ground), ArwinA, Daria Kozlova, Mika Ebbing (Interflugs) und Elena Buscaino (AG Critical Diversity) sprachen wir über die hartnäckige, antirassistische Arbeit studentischer Initiativen und ihre institutionellen Widerstände.²
    Sie berichteten uns von der Ignoranz der Institution gegenüber ihren Vorschlägen und von der Gefahr, gleichzeitig für das Image der Universität vereinnahmt zu werden. Mutlu Ergün-Hamaz (Diversitätsbeauftragter der UdK Berlin) betonte in einem partizipativen Diskussionsformat, wie wichtig die Sensibilisierung weißer Hochschulmitglieder und die Stärkung von BIPoC im Studium für die Transformation zu einer diskriminierungssensiblen Institution sei. Seine Stelle als erster – und damit längst überfälliger – Diversitätsbeauftragter ist als Folge auf die Forderungen der studentischen Proteste und Initiativen geschaffen worden.

    [Bilder 2 und 3: Hybride Lernsituation während des Vortrags von Sophie Vögele über die Studie Art.School.Differences. Fotos: Eine Krise bekommen]
    [Bilder 2 und 3: Hybride Lernsituation während des Vortrags von Sophie Vögele über die Studie Art.School.Differences. Fotos: Eine Krise bekommen]
    [Bilder 2 und 3: Hybride Lernsituation während des Vortrags von Sophie Vögele über die Studie Art.School.Differences. Fotos: Eine Krise bekommen]

    In dem Vortrag von Sophie Vögele (Studie Art.School.Differences) erfuhren wir von Strategien zur Sichtbarmachung von Ausschlüssen durch kritische Forschung mittels Interviews mit Hochschulakteur*innen. Zudem lernten wir das Phänomen des ‚Hot Knowledge‘ kennen, also dem unausgesprochenen, vorausgesetzten Wissen, das durch bereits existierende Kontakte in die Institution und ihr Umfeld zum eigenen Vorteil bei beispielsweise der Bewerbung für ein Studium genutzt werden kann.

    Zusammen konnten wir aufarbeiten, dass sich die Aufnahmeverfahren als zentraler Moment des Ausschlusses herausstellen. Schon in den Aufnahmeprüfungen werden die Bewerbenden auf ihr kulturelles Kapital, Auftreten und ihren soziokulturellen Hintergrund geprüft. Dabei spielt es eine Rolle, die ‚richtigen‘ Referenzen zu kennen, sich gekonnt selbst zu inszenieren und vor allem weiße, elitäre, urbane, eurozentristische Codes zu erfüllen. Dieser bevorteilte Habitus reproduziert bestehende Privilegierungen und ein normatives Konzept von ‚Exzellenz‘. Teil davon ist auch die zumutende Anforderung, das Studium zum uneingeschränkten Lebensmittelpunkt zu machen. Unbeachtet bleiben dabei Sorge- und Lohnarbeit, finanzielle Unsicherheit und geringere körperliche sowie psychische Belastbarkeiten. Entgegen dem Ruf, Kunsthochschulen seien avantgardistische und progressive Orte, wird deutlich, dass sich die Symptome des neoliberalen kapitalistischen Systems im Mikrokosmos der Institution an vielen Stellen wiederfinden und teilweise sogar verstärken.

    Um diese Inhalte in eine Seminarstruktur einzubetten und greifbar zu machen, öffneten wir den Raum für unterschiedliche Situationen des Austausches. Ausgehend von den Erfahrungen an Kunsthochschulen, in denen offenbar kaum pädagogische Vorkenntnisse von Dozierenden erwartet werden können, setzten wir den Fokus auf die Konzeption von Methoden, die sich von autoritären Lehrweisen abgrenzen. Selbstorganisierte Seminare bieten daher die Möglichkeit, andere Abläufe zu entwickeln, in denen akademische Codes gemeinsam verlernt werden können.
    Kompliziertes Sprechen mit dem Ziel, Anerkennung zu bekommen, wurde beispielsweise mit Methoden wie dem ‚Language L‘ aufgebrochen. Mit der intervenierenden Handgeste in Form des Buchstabens L sollte in Gruppengesprächen von allen auf zu klärende Begriffe hingewiesen werden. So kann ein Raum für Nachfragen zu Unverständlichkeiten entstehen und das Finden einer verständlichen Sprache als gemeinsame Aufgabe begriffen werden – und nicht als Eigenverantwortung von einzelnen Personen. Aber auch andere gängige Verhaltensweisen aus universitären Räumen, wie etwa eine leistungsfähige Selbstinszenierung oder Namedropping, versuchten wir kollektiv zu reflektieren und zu verlernen.

    Bilder 4 und 5: Lockerer Einstieg in die Seminartage mit einem gemeinsamen Abendessen. Fotos: Eine Krise bekommen
    Bilder 4 und 5: Lockerer Einstieg in die Seminartage mit einem gemeinsamen Abendessen. Fotos: Eine Krise bekommen
    [Bilder 4 und 5: Lockerer Einstieg in die Seminartage mit einem gemeinsamen Abendessen. Fotos: Eine Krise bekommen]

    So begann das Seminar für einen lockeren Einstieg mit einem Abendessen, bei dem informelle Gespräche ein erstes Kennenlernen ermöglicht haben. Diese Stimmung bot eine angenehme Grundlage, um im Laufe des Blockseminars auch eigene Erfahrungen mit Zulassungsverfahren zum Schwerpunkt von Gesprächen oder Selbstreflexionen zu machen und diese innerhalb der diskutierten Strukturen zu verorten.

    Bild 6: Gummistiefelspaziergang mit Gesprächsfragen wie „Was hat dich gestern bewegt, überrascht, geärgert, irritiert?“ oder „Was möchtest du in die nächsten Seminartage mitnehmen?“ Foto: Eine Krise bekommen
    [Bild 6: Gummistiefelspaziergang mit Gesprächsfragen wie „Was hat dich gestern bewegt, überrascht, geärgert, irritiert?“ oder „Was möchtest du in die nächsten Seminartage mitnehmen?“ Foto: Eine Krise bekommen]

    In Gummistiefeln spazierte die Seminargruppe durch das Wasserbecken der Floating University und reflektierte dabei die bisherigen Gespräche vom Vortag. Neben den Spaziergängen gab es oft Pausen und Erholungsmomente auf dem Gelände, um den Teilnehmer*innen Rückzug und Freizeit zu ermöglichen. Wir haben zudem versucht, eine Teilnahme durch unterschiedliche Formen von Zuhören, Mitdiskutieren in kleinen und größeren Runden, für sich Schreiben, Lesen und Zeichnen zu ermöglichen.

    In mehreren Feedback-Runden gab es die Gelegenheit für die Gruppe, eigene Bedürfnisse zu kommunizieren und diese in die Seminarstruktur einzubringen. Neben einschätzbaren Programmpunkten legten wir Wert auf fluide Zeitpläne, um auf Impulse aus der Gruppe eingehen zu können. Auf Initiative einer teilnehmenden Person konnte so auch ein weiterer Beitrag eingebracht werden: Es gab einen zusätzlichen Vortrag der Student Coalition for Equal Rights, die Ungleichbehandlung von geflüchteten internationalen Studierenden kritisieren und die Sicherstellung von angemessenen, zugänglichen, antidiskriminierenden Studien- und Lebensbedingungen fordern.

    Bilder 7 und 8: Unterschiedliche Lern- und Austauschsituationen während des Blockseminars. Fotos: Eine Krise bekommen
    Bilder 7 und 8: Unterschiedliche Lern- und Austauschsituationen während des Blockseminars. Fotos: Eine Krise bekommen
    [Bilder 7 und 8: Unterschiedliche Lern- und Austauschsituationen während des Blockseminars. Fotos: Eine Krise bekommen]

    Zum Teil war es für uns als Organisationsteam in Diskussionsrunden herausfordernd, auf unausgeglichenes Redeverhalten zu reagieren, ohne dabei in traditionelle Moderationsrollen und Gesprächshierarchien zu verfallen. Zudem setzen wir uns in unserer Arbeit immer wieder mit dem Vorhaben auseinander, einen sicheren und sensiblen Raum zum Teilen von persönlichen Erfahrungen zu entwickeln, in dem sich möglichst alle trauen zu sprechen, während gleichzeitig Wert darauf gelegt wurde, Grenzen des Kontextes und der anderen Teilnehmer*innen zu wahren. Nach dem Seminar bemühten wir uns um eine Aufarbeitung, indem Nachgespräche geführt und aufgenommen wurden, um die Erfahrungswerte des Seminars in die zukünftigen Lernformate einzubringen.

    Was bleibt also nach dem Seminar? Es war uns wichtig, die Inhalte des Blockseminars kollektiv zu dokumentieren, um Anderen den Zugang zum erarbeiteten Wissen zu verschaffen. Mit nur zwei Leistungspunkten, die wir für das Blockseminar vergeben konnten, haben wir einander daran erinnert, auf unsere Kapazitäten zu achten und mit realistischen Zielen zu planen. Die gemeinsame Aktion sollte keinen zusätzlichen Druck durch ästhetische Ansprüche oder einen hohen zeitlichen Aufwand erzeugen. Mit dem Wunsch, dennoch mit der herausgearbeiteten Kritik während des UdK-Rundgangs im Sommer 2022 Raum einzunehmen, haben wir eine Diskussion aus dem Seminar aufgenommen und weiterentwickelt.

    Aus der Zusammenarbeit der Seminargruppe entstand die partizipative Installation „Wir müssen Ihnen leider mitteilen …“ als eine Reaktion auf die jährlich verschickten Ablehnungsbriefe, die in den Postkästen tausender Bewerber*innen landen und ihnen den Zugang zu Kunsthochschulen verwehren. Die eigentlichen Ablehnungsgründe werden in solchen Schreiben nicht ersichtlich und bilden eine unsichtbare Mauer aus Ausschlussmechanismen und Diskriminierungen. Diese undurchdringlich scheinende Wand wollten wir auch mit der Installation räumlich darstellen. Mit dieser Intervention am Image-Event der UdK wurden nun kollektiv Erklärungsversuche gesammelt und eine Kritik an der Institution öffentlich gemacht.

    Bilder 9 bis 11: Installation „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, …“ während des UdK-Rundgangs im Juli 2022. Fotos/Bild: Eine Krise bekommen
    Bilder 9 bis 11: Installation „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, …“ während des UdK-Rundgangs im Juli 2022. Fotos/Bild: Eine Krise bekommen
    Bilder 9 bis 11: Installation „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, …“ während des UdK-Rundgangs im Juli 2022. Fotos/Bild: Eine Krise bekommen
    Bilder 9 bis 11: Installation „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, …“ während des UdK-Rundgangs im Juli 2022. Fotos/Bild: Eine Krise bekommen
    [Bilder 9 bis 11: Installation „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, …“ während des UdK-Rundgangs im Juli 2022. Fotos/Bild: Eine Krise bekommen]

    Der Grundbaustein dieser Installation ist eine modifizierte Version des Ablehnungsbriefes der UdK, auf dem sonst die niederschmetternden Worte „die erforderliche künstlerische Eignung konnte nicht ausreichend festgestellt werden“ gestrichen und mit einer Leerstelle ersetzt wurden. An dieser Stelle luden wir Besucher*innen des Rundgangs ein, anonym Beobachtungen des Ausschlusses zu formulieren. Es wurden Erfahrungen bei den Aufnahmeverfahren beschrieben oder Analysen der Hochschulstrukturen und ihren Repräsentant*innen benannt. Die modifizierten Ablehnungsbriefe konnten anschließend an eine auf roten Holzstelen gespannte Leine aufgehängt werden. Während des Rundgangs versuchten wir mit der interaktiven Installation vor allem auch abgelehnten Bewerber*innen und damit auch fehlenden Perspektiven, Sichtbarkeit zu schaffen. Auch die zentrale Platzierung der Installation im Innenhof des UdK Hauptgebäudes gab die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Personen ins Gespräch zu kommen. Dabei wurde deutlich: Es gibt viele abgelehnte Bewerber*innen und immatrikulierte Studierende, die wütend sind und Redebedarf haben!

    „Wir müssen Ihnen leider mitteilen …“ wurde auch Anfang Dezember 2022 während des Aktionstags Recognizing Barriers im Foyer des Hauptgebäudes der UdK Berlin gezeigt. In Gesprächen im Rahmen des Aktionstags kam verstärkter die Frage auf, wie aus einer Institutionskritik auch konkrete Veränderungsvorschläge entstehen können. In Zukunft wollen wir uns als Kollektiv intensiver mit der Frage auseinandersetzen, wie wir Kunsthochschulen und Lehre neu denken können. Diesem Thema wollen wir gemeinsam mit In the Meantime im kommenden Jahr eine Summer School widmen, in der Studierende von verschiedenen Kunsthochschulen kollektiv und experimentell über neue Formen des Lernens nachdenken und utopische alternative Zukünfte entwerfen können. Ein Fokus der Organisationsarbeit liegt dabei auch darauf, wie unsere Arbeit finanziert und die externen Beiträge angemessen honoriert werden können, damit wir die Möglichkeit haben, uns auch längerfristig für zugängliche, multiperspektivische Lernräume einzusetzen.


    ¹ Die Floating University ist ein selbstorganisierter, interdisziplinärer Austauschort auf dem Regenwasserauffangbecken des ehemaligen Flughafens Tempelhof.
    ² Siehe Forderungen unter www.exitracismudk.wordpress.com/demands (Letzter Zugriff: 06.02.2023).


    Weiterführendes Material:
    – Ruth Sonderegger: Doing Class. Hochschulzugang, Kunst und das Gewürz-Andere, Zeitschrift für Medienwissenschaft. Heft 19: Klasse, 2018
    – Beiträge der Plattform Futuress (z.B. Glowing Red Letters, Long Nights, Enough is Enough, Diversity Issues)
    – Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main, 1987


    * Wer sind wir?
    Das Kollektiv Eine Krise bekommen setzt sich kritisch mit der Lehre wie auch den Strukturen der Kunsthochschule auseinander und organisiert dazu Austausch-, Lern- und Aktionsformate. Destina Atasayar, Katharina Brenner, Lu Herbst und Lucie Jo Knilli studierten zusammen im Bachelor Visuelle Kommunikation an der Universität der Künste Berlin, wo sie sich bei der Zusammenarbeit für die Publikation Eine Krise bekommen als Kollektiv zusammenfanden. Im Rahmen des Studium Generale Programms organisierten sie die Blockseminare Eine Krise bekommen – Design und psychische Gesundheit und Eine Krise bekommen – Kunsthochschulen und Ausschlussmechanismen. Das Kollektiv stellte ihre Arbeit in Lesungen, Vorträgen und Workshops unter anderem an der HGB Leipzig, der HTW Berlin und der Muthesius Kunsthochschule Kiel vor.

    Destina Atasayar ist Referentin für politische, kultur- und medienpädagogische Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Ihre Themenschwerpunkte sind dabei Antidiskriminierung und Erinnerungskulturen. Derzeit arbeitet sie an der Umgestaltung und Neukonzeption des Lernorts 7xjung.

    Katharina Brenner studiert zur Zeit Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Kassel sowie an der Estonian Academy of the Arts in Tallinn und forscht in ihrem Abschlussprojekt Sharing Knowledge – Students Teaching at Art Universities an dem kritischen Potenzial von studentisch organisierter Lehre.

    Lu Herbst studiert derzeit Art in Context (MA) an der UdK Berlin und arbeitet zu den Schwerpunkten Kapitalismuskritik und Kollektivität. Mittels partizipativer Installationen und Aktionsformaten untersucht Lu die (Un-)sichtbarkeiten und Mitgestaltung in öffentlichen Räumen.

    Lucie Jo Knilli hat einen Grafik- und Kommunikationsdesign Hintergrund, tauchte während ihres BA-Studiums in die Bereiche Interaction Design und New Media ein und studiert derzeit Gender Studies (MA) in Wien.

  • Studierende, vereinigt euch!

    Studierende, vereinigt euch!

    Bericht des Awareness-Teams der HfMT Hamburg
    Das Düsseldorfer Schauspielhaus, die Berliner Volksbühne, das Maxim Gorki Theater… In den letzten Monaten reiht sich Schlagzeile an Schlagzeile über Fälle von Machtmissbrauch in der deutschen Theaterlandschaft. Immer mehr im Kulturbetrieb Beschäftigte veröffentlichen ihre Diskriminierungserfahrungen und beginnen so das ewige Schweigen – scheinbares Charakteristikum der Kulturstätten – zu brechen. Auch (ehemalige) Angehörige der entsprechenden Ausbildungsstätten, der Kunst- und Musikhochschulen im deutschsprachigen Raum, machen seit einigen Jahren mit Berichten über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch auf tiefliegende strukturelle Probleme aufmerksam. Nach dem Bekanntwerden von Fällen wie denen um den ehemaligen Hochschulpräsidenten Siegfried Mauser und nach den Enthüllungen weiterer „#metoo-Skandalgeschichten“ ist die Öffentlichkeit alarmiert und innerhalb der Hochschulen erhöht sich langsam aber sicher die Sensibilität. Im Kontext dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung mag auch die Geschichte unseres Awareness-Teams gelesen werden.

    Die Gründung des Awareness-Teams geht zurück auf einen grauen Hamburger Herbsttag 2020: Studierende der Theaterakademie der HfMT Hamburg veranstalten eine Zukunftswerkstatt, in der Studierende aus allen Studiengängen der Theaterakademie zusammenkommen, um sich über Kritik und Utopien bezüglich ihrer Ausbildung auszutauschen. „Welche Probleme sehen wir in unserem Studium?“ „Welche Erfahrungen machen wir an unserer Hochschule, die wir lieber nicht machen würden?“ „Welche Unterrichtsformate und welche Strukturen wünschen wir uns?“ An diesem Tag wird eine Solidarisierung unter der Studierendenschaft spürbar, die beflügelnd ist. Es gründet sich beispielsweise eine Initiative, die die Sichtbarkeit der Theaterakademie auf Social Media stärken will. Eine weitere Arbeitsgruppe befasst sich mit dem Anliegen einer transparenten Kommunikation innerhalb der HfMT Hamburg. Dafür arbeitet sie Möglichkeiten aus, um den Dialog zwischen der Leitung und den Studierenden auf Augenhöhe zu gestalten, etwa durch die Einführung eines gemeinsamen Jour fixe. Und dann bildet sich auch noch das Awareness-Team.

    Wir, das Awareness-Team, sind eine Gruppe von Studierenden verschiedener Musik- und Theaterstudiengänge der HfMT Hamburg, die im Anschluss an die Zukunftswerkstatt im November 2020 eine Interessengemeinschaft gegründet haben. Unser Ziel ist es, an unserer Institution und darüber hinaus ein Bewusstsein für Diskriminierung zu schaffen und Betroffene zu unterstützen. In Zusammenarbeit mit der HfMT Hamburg, deren Lehrenden, Mitarbeitenden und Studierenden bemühen wir uns, Strukturen, die Machtmissbrauch begünstigen und zulassen, aufzuzeigen und nachhaltig zu verändern. Die Mitgliedschaft ist allen Studierenden der HfMT Hamburg möglich.
    Wir organisieren Workshops, Vorträge und Aktionen innerhalb und außerhalb der Hochschule. Außerdem stehen wir zur Supervision in heiklen Situationen zur Verfügung, stellen einschlägige Literatur bereit und machen bei Bedarf strukturelle Probleme öffentlich. Wir handeln nach antirassistischen, antifaschistischen, antisexistischen, antiklassistischen, intersektional-feministischen und inklusiven Grundsätzen. Als studentisch organisierte und damit niederschwellige Anlaufstelle für Studierende schließt das Awareness-Team die Lücke zwischen den reinen Beratungsstellen und den ‚offiziellen‘ dienstrechtlichen Wegen des Hochschulbetriebs. Wir können zwar keine psychologische oder ähnliche Beratung ersetzen, können Betroffene jedoch individuell und zielgerichtet an entsprechende Stellen weiterleiten. Überdies schafft das Awareness-Team einen Safespace durch das Gründen von Untergruppen für LGBTQI+, FINTA*, People of Color, Menschen mit Behinderung und Menschen mit psychischen Erkrankungen.

    „Sie haben genug gesprochen!“

    TRIGGERWARNUNG: Diese Zitate sind im genauen Wortlaut wiedergegeben. Sie stammen von Dozierenden und wurden Studierenden gegenüber geäußert. Wir werden im Folgenden das Ausbildungssystem problematisieren, in dem derartige Aussagen möglich werden. Dadurch wird deren Gewaltförmigkeit noch sichtbarer.

    Auf hierarchische Strukturen und Machtgefälle, die Nährboden für verschiedene Formen der Diskriminierung sind und Machtmissbrauch begünstigen, trifft mensch vielerorts: im alltäglichen Leben, an Universitäten und Lehrinstitutionen, am Arbeitsplatz. Die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, betreffen keineswegs ausschließlich Musik- und Theaterhochschulen. Doch bestehen an diesen Ausbildungsstätten Rahmenbedingungen, die bestimmte Diskriminierungsmechanismen besonders zu fördern scheinen (s. Kommentar unten).
    An erster Stelle ist hier sicher das Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden zu nennen: Während Unterrichts- und Prüfungssituationen in wissenschaftlichen Studiengängen an Universitäten häufig in Gruppenkonstellationen stattfinden und Einzelunterrichte eine Ausnahme sind, stehen diese an künstlerischen Hochschulen an der Tagesordnung. Gerade im Musik- und Schauspielstudium machen Sprech-, Gesangs- oder Instrumentalunterrichte bei dem*der Hauptfachdozierenden einen beträchtlichen Teil des Studienplans aus. Was innerhalb der vier Wände des Unterrichtszimmers passiert, wie diese Einzelunterrichte genau ablaufen, weiß niemand. Es gibt keine Kontrollinstanzen. Und selbst dort, wo kein Einzelunterricht stattfindet, sind die Studiengänge klein und familiär. Gerade junge Studierende begeben sich – auf der Suche nach Orientierung in der Welt des Leistungsdrucks – verständlicherweise oft vollständig in die Hand dieser Dozierenden.

    „Studieren Sie erstmal richtig!“

    Oftmals aber haben die Dozierenden keine pädagogische Erfahrung, denn Hochschulen schmücken sich lieber mit erfolgreichen Musiker*innen und Regisseur*innen anstatt mit guten Pädagog*innen. Dabei geht es scheinbar gar nicht um uns Studierende. Denn pädagogische Aus- und Weiterbildung für das künstlerische Lehrpersonal ist an den meisten Hochschulen wenig verbreitet und selten verpflichtend.
    Hinzu kommt, dass an Universitäten der Forschungsgegenstand nur mittelbar mit der Persönlichkeit der Studierenden in Zusammenhang gebracht wird, während an Musik- und Kunsthochschulen die Persönlichkeit von uns Studierenden im Fokus der Ausbildung steht: Kunst zu studieren wird uns oft als eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst, also mit dem eigenen Privatleben verkauft. Alles soll persönlich sein. Wir Studierenden sollen unser Innerstes nach außen tragen, unsere privaten Gefühle artikulieren; damit machen wir uns angreifbar und verletzlich.

    „Ihr seid eine Schande für die Hochschule und für uns!“

    Wir haben schon einiges ertragen und gehört. Wir haben Übergriffigkeit erlebt und beobachtet. Unsere Geschichten handeln von psychischer Gewalt, von physischen Übergriffen, von Beleidigungen und mentaler Verletzung, von narzisstischen Dozierenden und deren Inschutznahme durch verantwortliche Personen. Inschutznahme gerade in den Gesprächen, die wir suchten, damit unsere Erfahrungen gehört würden und gegen solche Vorfälle etwas unternommen würde.
    Wir wollten uns nicht mehr an diesen Erlebnissen aufreiben, wollten uns nicht mehr in der Vergangenheit aufhalten und uns vom Schmerz lähmen lassen. Wir hatten keine Lust mehr darauf, dass es an der Hochschule nicht um uns Studierende geht. Also beschlossen wir, die Lösung unserer Probleme selbst in die Hand zu nehmen.

    Die Hochschule muss ein diskriminierungsfreier Raum werden!

    Mittlerweile gibt es das Awareness-Team etwas länger als ein halbes Jahr. In den eineinhalb Semestern unserer Existenz haben wir kleine Dinge im Hochschulalltag verändert: Wir haben einen gemütlichen Awareness-Space eingerichtet, der Rückzugsort sein soll. Dort steht ein Bücherregal, in dem Literatur zu finden ist, rund um die Themen Awareness, Machtmissbrauch, strukturelle Ungleichheit und was mensch dagegen unternehmen kann. Gemeinsam mit den verantwortlichen Stellen der Hochschule haben wir dafür gesorgt, dass die Toiletten am neuen Standort der Theaterakademie alle Gender ansprechen und arbeiten daran, diese in den nächsten Jahren vollständig genderneutral zu gestalten.
    Außerdem haben wir uns um Aufklärung bemüht: Mit den Gleichstellungsbeauftragten der Hochschule haben wir eine Vortragsreihe zum Thema Machtmissbrauch im Klassik- und Theaterbetrieb ins Leben gerufen. Verschiedene Referent*innen aus der Forschung und aus der Musik- und Theaterpraxis haben aus intersektionaler Perspektive zu Machtmissbrauch in der Klassikszene, zu Rassismus und Klassismus an Musikhochschulen, zu Aufnahmeverfahren und Besetzungspolitik und zum Eurozentrismus des Werke-Kanons gesprochen. Die Vortragsreihe soll fortgeführt werden und wird im Wintersemester 21/22 in die alljährliche musikwissenschaftliche Ringvorlesung der HfMT integriert: Gemeinsam mit der Professorin für Musikwissenschaft, Nina Noeske, und der Gleichstellung organisieren wir die Ringvorlesung Musik und Theater intersektional (Informationen zum ersten Termin der Veranstaltungsreihe).
    Des Weiteren haben wir uns mit anderen Hochschulen vernetzt. Wir haben uns über Strategien ausgetauscht und unsere Handlungsmöglichkeiten reflektiert, und auf diesem Weg die Gründung weiterer studentischer Awareness-Teams an deutschen Musikhochschulen angeregt.
    Zudem konnten wir schon in den ersten Monaten unseres Bestehens Studierenden helfen, die mit Wünschen und Problemen auf uns zugekommen sind. Wir konnten ein offenes Ohr bieten, unterstützen und vermitteln. Wir sind dabei auch an die Grenzen unserer Möglichkeiten und unseres Wissens gestoßen. Das stärkste Mittel, das uns zur Verfügung steht, ist zweifellos, dass wir ein Team sind. Wir können uns als Gruppe solidarisieren und uns hinter einzelne Studierende und ihre Anliegen stellen. So wirken wir der Ohnmacht gegenüber dem Hochschulapparat entgegen, die durch das Einzelgänger*innentum entsteht, das uns in der Ausbildung tagtäglich vorgebetet wird. Der Hochschulapparat ist nicht interessiert an Störungen und Turbulenzen – er will nur reibungslos funktionieren.
    Wir Studierende wollen – so unterschiedlich wir alle auch sind – in unserer Studienzeit wachsen, lernen und natürlich unser Studium auch erfolgreich abschließen. Viele nehmen Diskriminierungen oder Machtmissbrauch hin, um sich das Studium nicht zu verkomplizieren, den Abschluss nicht zu gefährden, oder ihren ‚Ruf‘ durch den Konflikt mit einem*einer berühmten Lehrer*in nicht zu schädigen. Es läuft etwas falsch, wenn es geradezu als notwendig angesehen wird, den Kopf einziehen zu müssen, um im Studium voranzukommen. Die Hochschulen erheben Anspruch darauf, uns zu Persönlichkeiten mit selbstbewussten Haltungen auszubilden und uns so auf die Berufspraxis vorzubereiten. Doch stattdessen erlernen wir im hidden curriculum schweigend zu ertragen und hörig zu sein. So entwickeln wir uns zu Künstler*innen, die sich nicht wehren, dadurch überholte und ungesunde Strukturen reproduzieren und in ihrer Arbeitsweise und ihrem künstlerischen Schaffen diskriminierende Verhaltensweisen und stereotype Narrative fortschreiben. Wegen dieses Umstands ist es so wichtig, die bestehende Ausbildungsstruktur immer wieder zu reflektieren und zu hinterfragen. Doch dafür wird uns kein Raum gegeben, wir müssen ihn uns erkämpfen, oft auf Kosten von Zeit und Energie, die wir gerne in unsere Studieninhalte stecken würden. Es kann nicht sein, dass Studierende, die sich politisch oder gesellschaftlich engagieren, Abstriche in ihrem Studium machen müssen. Was wir brauchen und fordern, ist eine Studienstruktur, die gesellschaftlichem und hochschulpolitischem Engagement im Lehrplan Platz einräumt.

    Schluss mit dem Geniekult!

    Wir haben kein Interesse am Geniekult oder der verklärten Idee einer Kunst, die uns zu besseren Menschen macht. Das sind gefährliche Rechtfertigungsmuster, die narzisstische Persönlichkeiten schützen und Machtmissbrauch und Diskriminierung begünstigen. Es kann in der künstlerischen Ausbildung nicht immer wieder darum gehen, sich am bestehenden Kulturbetrieb zu orientieren und sich damit zufrieden zu geben, dass „es vor Jahren ja noch viel schlimmer war als jetzt“. Wir als angehende Künstler*innen müssen schon im Studium den Raum erhalten, uns kritisch mit gesellschaftlichen Themen und systemischen Strukturen auseinanderzusetzen. Erst so können wir eine Haltung zur Welt einnehmen und daraus künstlerische Perspektiven entwickeln. Wenn wir diejenigen sind, die später den Kulturbetrieb formen, müssen wir uns mit Strategien auseinandersetzen, durch die Machtmissbrauch und Diskriminierung tatsächlich abgeschafft werden können. Das kann unser kleiner Beitrag – der Beitrag der privilegierten Bubble Kunsthochschule – im großen System Gesellschaft sein.
    Trotz der Unterstützung und Aufmerksamkeit, die wir an unserer Hochschule erhalten, lauern Gefahren im althergebrachten System: Auch unsere Hochschule ist Opfer des Wettkampfs, dem sich die „Hochkultur“ verschrieben hat, sie ist darauf aus, die besten Leistungen und den besten Ruf hervorzubringen. Und so genießt sie es vielleicht ein wenig, dass wir ehrenamtlich so aktiv für unsere Utopien arbeiten. Denn tun wir es, ist die Arbeit ja getan und die Hochschule gewinnt sogar noch ein Aushängeschild: „Seht her, wie aufgeklärt wir sind und wie wir uns gegen diskriminatorische Strukturen einsetzen!“
    Ohne die mentale und monetäre Unterstützung der Gleichstellung und vieler unserer Redner*innen bei der Vortragsreihe, ohne den Zuspruch durch Professor*innen und Mitarbeiter*innen der Hochschule wären wir nicht hier, wo wir sind. Doch diese Unterstützung ersetzt nicht, dass tiefgreifende strukturelle Veränderungen im System Hochschule erfolgen müssen. Die Antidiskriminierungsarbeit darf nicht auf Studierende abgewälzt werden, sondern muss institutionell verankert sein, bspw. in Form von fest angestellten Supervisor*innen und regelmäßig stattfindenden und verpflichtenden Awareness-Workshops für alle Angehörigen der Hochschule. Eine Antidiskriminierungsrichtlinie, ein Verhaltenskodex können wichtig zum Erkennen von Diskriminierung und Machtmissbrauch sein, doch sie helfen nur bedingt, solange es keine Kontrollinstanz gibt, die wirklich unabhängig ist von den Mächtigen an einer Hochschule.

    Für eine bessere Zukunft!

    Wir, das Awareness-Team, glauben daran, dass die Kunstwelt ein bisschen besser wird, wenn die Studierenden in der Kunstausbildung besser behandelt werden. Wir wollen alle angehenden Künstler*innen und uns selbst darüber aufklären, was unsere Rechte sind und wie wir von ihnen Gebrauch machen können. Wir kämpfen gegen Diskriminierung und Machtmissbrauch in der Ausbildung, damit wir mit positiven Erfahrungen in das Berufsleben starten können. Und ja, dort werden wir uns noch mit streng hierarchisch organisierten Betrieben auseinandersetzen müssen. Doch werden wir die Verantwortlichen im Dialog von unseren Werten und Strategien überzeugen, wenn wir uns in der Studienzeit einen entsprechenden Werkzeugkasten aneignen.
    Wir wollen die Kunstausbildung zu einem Ort machen, der kritische und selbstbewusste Künstler*innen ausbildet. Dafür muss der Machtmissbrauch, dieses Produkt des selbstbezogenen patriarchalen Systems, enden, und der Blick muss geweitet werden: Lasst uns unsere Privilegien nutzen und die Kunstwelt zu einem Ort machen, der weniger ausschließt und alle willkommen heißt!

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    Kommentar: Wir Studierende haben das Gefühl, dass ein Grundübel von künstlerischen Hochschulen die Unterfinanzierung und der damit verbundene Personalmangel in der Verwaltung und das Prekariat der Lehrbeauftragten ist. Wir nehmen wahr, dass Beschäftigte an Kunst- und Musikhochschulen meist überarbeitet sind, unter hohem Druck stehen oder ihre Arbeitsmoral unter den schlechten Anstellungsbedingungen leidet. Doch darf dies keine Rechtfertigung sein.
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    Ein weiterer Eintrag zum Awareness-Team der HfMT-Hamburg findet sich bei Harfenduo

  • FAIRSPEC Kodex

    FAIRSPEC Kodex

    Es ist soweit: Nach einem Jahr gemeinsamer Entwicklung veröffentlicht die Initiative FAIRSPEC den ersten Kodex, welcher für die zukünftige Arbeit in der Freien Szene wegweisend sein soll.

    Der FAIRSPEC Kodex entstand unter Mitwirkung von mehr als 150 Künstler:innen aus Theater und Tanz sowie unter Beizug von Fachpersonen. Nicht zuletzt von Prof. Dr. Thomas Schmidt, der mit seiner Studie «Macht und Struktur am Theater – Asymmetrien der Macht» vor zwei Jahren Misstände an Theaterhäusern aufdeckte.

    Der FAIRSPEC Kodex kann auf der Website www.fairspec.ch/kodex heruntergeladen sowie unterzeichnet werden.
    Bitte Mit-Teilen und Weitersagen!

  • “Let’s talk about race” und “tête noire”

    “Let’s talk about race” und “tête noire”

    Arathy Pathmanathan begab sich in „Let’s talk about race“ auf die Suche nach der eigenen Stimme als Person of Color. In diesem Prozess entstanden ist eine filmische Arbeit, welche Repräsentanz schafft und eine Plattform für BIPOC kreiert, indem nur sie zu Wort kommen. Dabei thematisiert sie die verschiedenen Gesichter des Rassismus sowie dessen Reichweite, indem sie den subtilen Rassismus miteinbezieht. Dieser wird vor allem in Kreisen, die von sich selbst beanspruchen progressiv und reflektiert zu sein, perpetuiert. Sie widmet ihre Arbeit an all jene, die glauben, nicht rassistisch zu sein. 

    Link zur Arbeit von Arathy Pathmanathan „Let’s talk about race„. Die Arbeit wurde mit dem Förderpreis Art Education ZHdK sowie mit einem der Dokumentarfilmpreise Alexis Thalberg ausgezeichnet. Interview mit Arathy Pathmanathan veröffentlicht von gdsfm.

    Die Arbeit „tête noire“ von Joyce Kalumba zeigt Auseinandersetzungen mit Realitäten Schwarzer Frauen* in der Schweiz, deren Vielschichtigkeiten und Widersprüchlichkeiten im Diskurs über Rassismus und Sexismus. Es ist ein Prozess der Auslotung aber auch der Findung einer Identität als Schwarze Frau* – ein Prozess der durch die Intersektionalität von Rassismen und Sexismen der schweizerischen Gesellschaft kontinuierlich strukturiert wird. 

    (mehr …)

  • Offener Brief von Black artists in Switzerland und von den Studierenden der ECAL

    Offener Brief von Black artists in Switzerland und von den Studierenden der ECAL

    Black Artists and Cultural Workers in Switzerland: Offener Brief. https://blackartistsinswitzerland.noblogs.org/

    Offener Brief von Studerenden der ECAL. Alle offenen Briefe auf Französisch, Englisch und Italienisch unter tiny.cc/ecalopenletter Siehe auch den Instagram Account der Gruppe.
    „Lieber Alexis Georgacopoulos, liebe Kursleiter_innen, liebe Menschen in Machtpositionen, Dieser offene Brief zielt darauf ab, erneut auf unseren ersten Appell (08/06/20) zu Sofortmaßnahmen hinzuweisen. Wir erwarten, dass ECAL und weitere Bildungseinrichtungen die volle Verantwortung tragen, diese zu implementieren. In der Antwort (10/06/20) vom Leiter der ECAL wurde klar, dass unsere Universität keine besonderen Maßnahmen zu Ergreifen plant, um den Weg für einen fortschreitenden und dauerhaften Wandel innerhalb der Institution zu ebnen. Da die Antwort von ECAL keines der Bedenken anspricht, die wir in unserem vorherigen Schreiben ausführlich dargelegt haben, fordern wir hiermit erneut dazu auf, die vorgeschlagenen langfristigen Maßnahmen gegen Rassismus, Diskriminierung und zugunsten von mehr Transparenz und Inklusion zu berücksichtigen. Als Hochschuleinrichtung, die keine darlegbaren Richtlinien, Programme oder Systeme vorzuweisen hat, welche die Rasse, Tokenisierung und Diskriminierung von Studenten verhindern, ist es für ECAL höchst fraglich, sich als Vorläufer der Kunst- und Designbranche zu behaupten. Es reicht nicht aus, „Einheit“ zu beanspruchen und schlichtweg zu behaupten, für alle ‘offen‘ zu sein. Dies ist besonders relevant, wenn wir bedenken, dass diese Verantwortung an uns, weiße, schwarze und POC Studenten, weitergegeben wird. Insgesamt sind wir enttäuscht über den Mangel an Maßnahmen und Unterstützung für den Abbau weißer Machtstrukturen innerhalb von ECAL. Wir fordern daher dringend auf, die Liste der strukturellen Anforderungen*, die wir in unserem ersten Schreiben dargelegt haben, in enge Erwägung zu ziehen. Obwohl wir die Aufmerksamkeit, die unser erstes Schreiben erhielt, anerkennen, halten wir die neutrale Haltung von ECAL in dieser Situation für absolut inakzeptabel. In diesem Sinne sind wir keineswegs davon überzeugt, dass es eine „legitime Haltung“ ist, weder als öffentliche Einrichtung noch im internen und strukturellen Sinne, Schweigen zu bewahren. Wir verstehen, dass der derzeitige Moment auch für Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, eine kritische Zeit der Befragung darstellt, und wir laden ECAL zusammen mit uns Studenten, die größtenteils weiß sind, ein, sich Fragen zu stellen, die wir zuvor nicht berücksichtigt haben. In seiner Antwort auf unser erstes Schreiben zitierte der Leiter der ECAL Nelson Mandela, der zum Ausdruck brachte, dass „Bildung die mächtigste Waffe ist, mit der man die Welt verändern kann“. Wir können diesem Sentiment zustimmen, denn das genau ist einer der Gründe, warum sich viele von uns für eine Hochschulausbildung entschieden haben. ECAL, die von sich selbst behauptet, sich mit kritischem Unterricht auszuzeichnen, „ermutigt“ gleichzeitig die Studierenden, genau diese Ausbildung in ihrem eigenen Interesse außerhalb der Institution zu suchen. Eine Universität kann diese Bildungsverantwortung nicht vollständig ihren Student_innen zuweisen und anschließend als führende Progressivität beanspruchen. Unser Bildungssystem sollte sich nicht berechtigt sehen, die kritischen Werke der Studenten zu ihrem Vorteil anzueignen, wenn die einzige Absicht darin besteht, von der Schuld abzulenken, dass kritische Fragen des Rassismus, der Klasse und des Geschlechts nicht von innen heraus angesprochen werden. Wir werden auf die Umsetzung von Maßnahmen unter Berücksichtigung dieser dringenden Angelegenheiten bestehen, bis auf Seiten der ECAL Maßnahmen ergriffen werden, um den globalen Aufruhr gegen Rassismus und ihre institutionelle Komplizenschaft in einem System zu bekämpfen, von dem ausschließlich weiße Menschen profitieren. Nehmen wir zum Beispiel die mangelnde Transparenz in Bezug auf Sponsor_innen und Unterstützer_innen von ECAL: Welche Richtlinien sind gegebenenfalls vorhanden, um sicherzustellen, dass die Mittel nicht aus Quellen stammen, die direkt oder indirekt von Kolonialisierung und Ausbeutung profitieren? Wir erwarten eine radikale Änderung der Transparenz und Überprüfung der Befugnisse. Diese mangelnde Beteiligung führt zu gewissen Konflikten auch im Hinblick auf die akademischen Erwartungen: Wie kann ECAL erwarten, dass die Arbeit der Student_innen kritisch ist, wenn die Schule selbst nicht bereit ist, eine kritische Ausbildung anzubieten? Wie kann sie Anerkennung für kritische studentische Arbeit beanspruchen und sich dennoch weigern, interne Strukturen zu implementieren, die aktiv antirassistisch sind? Inwiefern befürwortet und betont ECAL Projekte, die bestehende Machtstrukturen in Frage stellen, die durch Herkunft, Hautfarbe, Klasse und Geschlecht definiert sind? Abschließend möchten wir betonen, dass es für ECAL (und andere Bildungseinrichtungen) von entscheidender Bedeutung ist, ihre Macht und Wirkung in der Kunstwelt auf inklusive und kritische Art und Weise zu nutzen, indem sie die oben genannten Bedenken äußern. Wir erwarten von unserer Universität, dass sie ihren Student_innen die Aussicht auf eine bessere Zukunft bietet, die unseren gegenwärtigen Werten entspricht: Allen Menschen einen Raum zu bieten, sicher, würdevoll und inklusiv zu navigieren, mit der Aussicht in ihren Karrieren gleichberechtigt erfolgreich zu sein. Die Student_innen der ECAL
  • *Wir bitten Sie dringend, umgehend Stellung zu der erweiterbaren Liste der strukturellen Anforderungen zu nehmen.
  • Transparenz über Sponsoren – Wer sind die Sponsor_innen / Spender_innen von ECAL und generieren diese in direkter oder indirekter Weise Mittel aus kolonialer Ausbeutung? – Welche Ethik wird bei der Auswahl der Sponsoren_innen, von denen die Finanzierung angenommen werden soll, eingesetzt? – Werden Möglichkeiten konzipiert, um Geld für Spenden an die oben genannten Zwecke zu mobilisieren, sei es in Form von institutionsinternen Stipendien oder außerhalb?
  • Transparenz über mögliche Lohnunterschiede. – Gibt es herkunftsbedingte Gehaltsunterschiede? Gibt es geschlechtsspezifische Gehaltsunterschiede?
  • Transparenz über die Beschäftigung Schwarzer Mitarbeiter_innen bei gleichzeitiger Bereitstellung eines sicheren Arbeitsumfelds. – Sind die Gebühren für die Arbeit eine_r_s Schwarzen Künstler_in dieselben wie für die Arbeit eine_r_s weißen Künstler_in? – Welche Maßnahmen ergreift ECAL, um ein sicheres Arbeitsumfeld für Schwarze Menschen und POC zu schaffen? – Welches System ist gegebenenfalls vorhanden, das eine würdige Möglichkeit zur Meldung von Fällen von
  • Rassismus, Diskriminierung und Tokenisierung gewährleistet? – Welche konkreten Maßnahmen ergreift ECAL, um den eingeladenen Personen ein sicheres Arbeitsumfeld zu bieten? – Wird bei eingeladenen Schwarzen Künstler_innen, die Workshops und Vorträge halten, unabdinglich für ihr sicheres Arbeitsumfeld gesorgt? Inwiefern?
  • Laden Sie die Professor_innen und Unterrichtenden aktiv ein, sich über schwarze Künstler_innen, Kurator_innen und Galerien zu informieren? – Werden schwarze Künstler_innen in gleichem Maße berücksichtigt, ohne dass sie sich zwangsläufig mit ihrer Hautfarbe auseinandersetzen müssen? – Inwiefern werden koloniale Sichten kritisch in Frage gestellt, wenn es um Kunst und Kultur geht, die innerhalb der Institution diskutiert werden? – Wie garantiert ECAL eine kritische Ausbildung ihrer Angestellten?
  • Obligatorische Anti-Rassismus-Workshops. – Es reicht nicht aus, „Unity“ zu behaupten und zu preisen. Was tun Sie genau, um die weiße Vormachtstellung in Ihrer institutionellen Fakultät abzubauen? – Werden Ihre Mitarbeiter_innen auf die Vorurteile von weißen Machtstrukturen aufmerksam gemacht, die in der Schweizer und westlichen Gesellschaft, Kultur und Politik zutiefst verankert sind?
  • Außerschulische Ausbildung und Aktivitäten. – Welche Maßnahmen hat die Institution bisher ergriffen, um die notwendige Infrastruktur, Werkzeuge und Ressourcen bereitzustellen? Dies greift besonders, da ECAL die Studierenden in der letzten Mail (10/06/20) dazu anhielt, eine kritische Ausbildung außerhalb des Lehrplans zu absolvieren.“
  • Project X von Nadir Ak

    Project X (Juni 2020) ist die Abschlussarbeit des Theaterpädagogen Nadir Ak an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Es untersucht spielerisch und reflexiv die Leitfrage „Warum Jugendliche aus Osteuropa und Asien in der Schweiz weniger mit Kunstformaten, wie z.B. Theater in Berührung kommen“ mit 4 Spielern aus den genannten Regionen. Nebst der Leitfrage beschäftigten sich die Spieler mit dem Thema Erinnerungen, ihrer Freundschaft und ihrem Verständnis von Kunst/ Theater. Der Dokumentarfilm besteht aus 2 filmisch festgehaltenen Proben vor Covid-19 und den Spieler-Kommentaren zum Film nach dem Lockdown.
    Link zum Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=yGUZVYza_Uk  
    Link zum Film: https://www.youtube.com/watch?v=imDx0kriMCs&t=2173s

    Am 21.10.2020 hat Nadir Ak für den Communis Kulturtag (Veranstaltung der PH FHNW) den Podcast „Es hätte auch irgendein anderes Stück sein können“ unter Mitarbeit von Sascha Willenbacher und Sophie Vögele erstellt. Im Podcast sind mehrheitlich bisher unveröffentlichtes Interviewmaterial zum Film enthalten.

  • SRF2-Beitrag zu Art.School.Differences

    SRF2-Beitrag zu Art.School.Differences

    Deep Diversity in Institutionen: Ein steiniger Weg

    Die Gesellschaft ist divers, bunt und vielfältig. In Kulturinstitutionen und Medienunternehmen ergibt sich oft ein anderes Bild. Wer bestimmt, was debattiert und worüber berichtet wird? Wer entscheidet, wer dazu gehört und wer nicht?

    Am 22. November 2019 strahlte SRF2 die Kontext-Sendung «Deep Diversity in Institutionen: Ein steiniger Weg» mit dem Beitrag zum Forschungsprojekt «Art.School.Differences» aus. Sophie Vögele berichtete im Interview.

    Die Sendung ist online abrufbar.

  • : « _ ». Eine Monstersendung in Kurzfassung

    : « _ ». Eine Monstersendung in Kurzfassung

    Anwesende Abwesenheit. Because we care for transformations!
    Die Monstersendung beschäftigt sich mit der anwesenden Abwesenheit von schillernder Geschlechtlichkeit. Deren Marginalisierung wurde in der Studie von Art.School.Differences deutlich, welche die Monstersendung zum Ausgangs- und Bezugspunkt nimmt, reicht aber weit darüber hinaus. Die anwesende Abwesenheit schillernder Geschlechtlichkeit ist ein komplexer, gesellschaftlicher Verdrängungseffekt. Dieser ist verwoben mit der gewaltsamen Durchsetzung von (neo-)kolonialen, klassistischen und ableistischen Machtverhältnissen. Es liegt dabei nicht immer so klar vor „uns”, was die gewaltsame Durchsetzung bedeutet und wer diese veranlasst. Die Durchsetzung von Machtverhältnissen hat System und ist weder auf die Intentionalität von Einzelpersonen noch von bestimmten Institutionen zu beschränken. Und doch sind Institutionen oder das Handeln einzelner Akteur_innen damit durchsetzt und bringen gewaltvolle Ausschlussformen hervor, die sich durch sie etablieren. Der Ausschluss effektuiert sich affektiv, bio- und nekropolitisch und bringt unzählige Mikroaggressionen oder massive Gewalt hervor, was nicht selten zum Tod führen kann.
    Davon sind (Kunst-)Hochschulen genauso betroffen wie „unsere“ Wahrnehmung!
    Daran sind (Kunst-)Hochschulen genauso beteiligt wie die deutsche Sprache – oft unbewusst, aber effektiv! In anderen Worten: Was sich individuell manifestiert, ist keineswegs als privates Einzelschicksal zu betrachten. Vielmehr ist es mit zurichtenden, institutionalisierten Prozessen verbunden, die sich auch in der virtuellen sowie analogen Architektur von Institutionen ausdrückt. Dabei kaschiert das unkritische Anführen von ‘Betroffenen’ aus dominanter Perspektive solche Prozesse sowie wirkmächtige Architekturen und erhält sie damit aufrecht. Für das Verständnis und die Transformation der komplexen machtvollen Disziplinierungs- und Herrschaftsprozesse bzw. deren Perpetuierung ist eine intersektionale Analyse notwendig. Hier erscheint eine Kurzfassung der Monstersendung. Darin konzentrieren sich die Moderation Y. Schreier und zwei Gäste – eine Fachperson, zu der später in der Sendung ein*e Aktivist_in dazukommt – darauf, der anwesenden Abwesenheit schillernder Geschlechtlichkeit in Art.School.Differences und allgemeiner im Kunsthochschulkontext nachzugehen, um damit verbundene Konsequenzen zu skizzieren. Es sind weisse Positionen. Eine erweiterte Fassung ist in Arbeit. Sobald erschienen, wird an dieser Stelle darauf verwiesen.
    –> Zu : « _ ». Anwesende Abwesenheit. Because we care for transformations! Eine Monstersendung in Kurzfassung

  • Kunst und Klasse

    Kunst und Klasse

    Von Musik über Schauspiel bis hin zum Mediendesign – das künstlerische Feld ist von Vielfalt gekennzeichnet. Deutlich weniger vielfältig ist die soziale Zusammensetzung der Studierenden an den Kunstuniversitäten. Vielmehr genießen künstlerische Studien, und mit ihnen das künstlerische Feld insgesamt, den fragwürdigen Ruf, eine Angelegenheit für privilegierte „rich white kids“ zu sein. Inwiefern dieses Bild der Realität entspricht und was gegebenenfalls dagegen getan werden kann, besprechen Sophie Vögele und Philippe Saner im Interview mit Florian Walter für die KUPFzeitung. Die Kurzversion des Interviews findet sich auf der Website der KUPF. Unter Publikationen sind die vollständigen bibliographischen Angaben.

    Florian Walter: Als „Auswahl der Auserwählten“ beschreiben Sie im Abschlussbericht zu ihrem Projekt Art.School.Differences die Aufnahmeverfahren an Kunsthochschulen. Wer schafft es an einer Kunstuni aufgenommen zu werden, wer nicht? Welche spezifische Rolle spielt Klasse(nzugehörigkeit) im Verhältnis zu anderen Faktoren wie etwa Geschlecht und Ethnizität?
    Sophie Vögele und Philippe Saner: Um zu verstehen, wer Zugang zum Kunsthochschulstudium hat ist es wichtig zuerst kurz auf die engen Verschränkungen zwischen den verschiedenen Identitätskategorien einzugehen und dabei vor allem hervorzuheben, dass es um Machtverhältnisse geht, die unterschiedlich wirken – wir orientieren uns hier am Konzept der Intersektionalität, wie es etwa von María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan verwendet wird.(1) Soziale Klassen, Geschlecht, Sexualität, race/Ethnizität und unsere Vorstellungen eines normativen Körpers sind historische Konstruktionen, die u.a. durch ein europäisches Verständnis einer aufgeklärten Moderne und in Abgrenzung zu den Kolonien etabliert wurden. Vorherrschende Bilder und Meinungen in unseren Köpfen bestätigen diese Verständnisse und definieren eine klar abgesetzte Norm. Unsere Studie zeigt deutlich auf, dass auch Schweizer Kunsthochschulen aus privilegierten Verhältnissen stammende, weisse, schweizerische, heterosexuelle Personen mit leistungsstarken, jungen und gesunden Körpern als Norm setzen. Alles was davon abweicht, wird als anders definiert. In der Verschränkung der Kategorien zeigt sich aber, dass gewisse Personen weder als anders klassifiziert werden noch die Möglichkeit haben, überhaupt in diesem Feld sichtbar zu sein. Bspw. ist der Zugang für ethnisch markierte und aus weniger privilegierten Verhältnissen stammende Leute nur sehr erschwert möglich. Personen, die als be/hindert oder körperlich beeinträchtigt erscheinen, müssen weiss sein und aus privilegierten Verhältnissen stammen, um als Andere aufzutauchen. Wenn also Personen mit weniger privilegiertem Hintergrund überhaupt aufgenommen werden, sind diese immer weiss, jung mit einem gesund anmutenden Körper. In diesem Sinne ist auch die „Auswahl der Auserwählten“ zu verstehen: Die Gruppe, die überhaupt in Frage kommt Zugang zur Kunsthochschule – und damit auch eine Sichtbarkeit – zu erhalten, setzt sich bereits aus „Auserwählten“ zusammen. Die Ausgrenzung aufgrund der Klassenzugehörigkeit kann deshalb nicht im Verhältnis zu anderen Diskriminierungskategorien verstanden werden, sondern ist nur in der Verschränkung mit diesen aufschlussreich. Diese Normierung der Studierenden – aber auch der Dozierenden und weiteren Mitarbeitenden der Kunsthochschulen – unterscheidet sich nicht wesentlich unter den Studiengängen.

    Gibt es Unterschiede zu anderen Hochschulen?
    In unserer Studie haben wir drei Schweizer Kunsthochschulen untersucht, die eine etwas andere Tradition als die österreichischen Kunstuniversitäten bzw. Akademien aufweisen. Die Tradition der Kunstgewerbeschule, die bis heute ein wichtiger Bezugspunkt für die Identität der heutigen Kunsthochschulen darstellt, hat sich lange durch die Zugänglichkeit für Kinder aus Arbeiter*innen- und Handwerker*innenfamilien ausgezeichnet – wobei allerdings Frauen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts marginalisiert blieben. Heute gehören die Kunsthochschulen im Schweizerischen Bildungssystem zu den Fachhochschulen, von denen sie sich in verschiedenen Punkten deutlich unterscheiden. Bezüglich der sozioökonomischen Herkunftsmilieus (gemessen an Berufen und Bildungsabschlüssen der Eltern der Studierenden) sind sie den Universitäten, und hier v.a. traditionellen Elite-Ausbildungen wie Medizin oder Jurisprudenz, deutlich näher. Ein wichtiger Grund für diese exklusive Zusammensetzung sind die strengen Aufnahmeverfahren, die im Schweizer Bildungssystem nur in der Medizin vorzufinden sind. Um diese bestehen zu können, bedarf es der jahrelangen künstlerischen Praxis und Vorbereitung, was wiederum nicht allen sozialen Klassen gleichermaßen zugänglich ist. Hinzu kommt, dass das Studium sehr anspruchsvoll, zeitintensiv und körperlich streng ist. Gerade in den darstellenden Disziplinen wie Schauspiel und Musik, teilweise aber auch in den anderen, ist bereits das Studium auf permanenten Wettbewerb ausgerichtet. Es stellt sich also nicht nur die Frage, wer kommt rein, sondern auch: wer verfügt über die notwendigen Ressourcen, um drin zu bleiben.

    Um im Kulturbereich erfolgreich zu sein, braucht man ein finanzstarkes Elternhaus (und eine Eigentumswohnung), muss man sich in abgehobenen Kunstdiskursen mitteilen können und auf ein Netzwerk im Kunstbetrieb bauen können. Soweit die Annahme. Stimmt das? Und was hat das alles mit „Klasse“ zu tun?
    Wie schon erwähnt sind für eine erfolgreiche Aufnahme und dann auch noch ein erfolgreiches Studium alle genannten Ressourcen notwendig. Wenn davon etwas nicht aufgebracht werden kann, muss es kompensiert werden durch noch bessere Leistungen etc. Beispielsweise gibt es die Möglichkeit für Aufnahmen sur dossier, etwa wenn der erforderliche Bildungsabschluss (in der Regel eine Maturität) fehlt. In der Terminologie der Kapitalien nach Bourdieu entspricht die Norm an Kunsthochschulen einer privilegierten Herkunft: Sie stammen überwiegend aus den Klassen der soziokulturellen Professionellen bzw. Semi-Professionellen(2) wie Künstler*innen, Lehrpersonen, Akademiker*innen etc. – also denjenigen Berufen, zu denen sie als Absolvent*innen von Kunsthochschulen teilweise selbst zählen werden. Hier bildet sich also ein auch gesamtgesellschaftlich betrachtet überaus hohes Mass an sozialer Reproduktion ab. Unsere Ergebnisse zeigen, dass insbesondere kulturelles und soziales Kapital, das nicht bereits von zu Hause mitgebracht wird, anderweitig kompensiert werden muss. Dies führt sinngemäß zu zusätzlichen Belastungen, die neben einem intensiven Studium, Erwerbsarbeit und z.T. auch Betreuungsverpflichtungen für nicht-weisse, aus nicht privilegierten Verhältnissen stammende Personen sehr schwierig zu stemmen sind. Zusätzlich problematisch hierbei ist, dass sich diese Prozesse des Ausschlusses aus dem Kunsthochschulfeld nur punktuell zeigen und sonst verdeckt bleiben: Ausgeschlossene suchen Erklärungen in ihren persönlichen Präferenzen und Leistungen, das Scheitern wird als individuelles Versagen betrachtet. Eine Auswahl wird von allen Akteur*innen (Kandidat*innen wie Dozierenden) als notwendig erachtet – gerade auch von denjenigen, die aufgrund nicht-normativer Hintergründe oder Erfahrungen mit institutionellen Diskriminierungen rechnen müssen. Die beschriebene vorherrschende Norm an Schweizerischen Kunsthochschulen (unter 1a) definiert nicht nur die Auserwählten, sondern verbirgt auch die Prozesse von Ein- und Ausschluss, die zur Entstehung dieser Gruppe notwendig sind: Es kann von einer Camouflage von Diskriminierung durch Normierung gesprochen werden.

    Ist die Ungleichheit an Kunstuniversitäten nur eine Fortsetzung der Auswahl in den Kindergärten und Schulen? Oder wählen Unis anders aus als Kindergärten, Volks- und Mittelschulen?
    Selbstverständlich finden Praktiken von Ein- und Ausschluss schon vorher in den unterschiedlichen Vorbildungen statt. Und die Kunsthochschulen können aus den bereits vorausgewählten Kandidat*innen auswählen – „es kommt bereits alles gemacht“, wie es ein Dozierender in einem Interview formulierte. Diverse Reformen in der Hochschulpolitik (Einführung des Fachhochschulstatus, die Bologna-Reformen und die Fusion verschiedener Hochschulen) in den 1990er und 2000er Jahren haben dazu geführt, dass sich die frühere Heterogenität der Zugangswege markant reduzierte, während gleichzeitig die gymnasiale Maturität mit Anteilen zwischen 50–70% zum eigentlichen Standard wurde. Die soziale Exklusivität des Feldes erhöht sich also auch über die unterschiedlichen schulischen Zugangswege und bildet somit die elterlichen Bildungshintergründe bzw. Berufsklassen ab. Allerdings hat unsere Studie auch gezeigt, dass die Aufnahmeverfahren selbst nicht immer linear funktionieren: Kandidat*innen können vorgezogen werden und einzelne Ausbildungsphasen überspringen, wenn ihr „Talent“ als besonders groß erachtet wird. Andere wiederum werden in ‚Warteschlaufen‘ (weitere Vorbereitungskurse) geschickt, mit der Bitte, es doch im nächsten Jahr nochmal zu versuchen. Die verschiedenen Vorläuferinstitutionen (künstlerische Gymnasien, Vorkurse und Vorstudium etc.) sind oft miteinander verknüpft, es bestehen auch personelle Austauschbeziehungen, ‚man kennt sich‘. In dieses Feld überhaupt reinzukommen und sich darin behaupten zu können, ist insofern sicherlich eine wichtige Voraussetzung. Neben der ‚offiziellen‘ Auswahl im Prozess der Aufnahmeverfahren sind des weiteren spezifische Informations- und Adressierungspolitiken zu nennen, bspw. in gedruckten Materialien oder Webauftritten: Hier hat unsere Studie auch gezeigt, dass die Kunsthochschulen nicht einfach alle potentiellen Kandidierenden ansprechen, sondern durch Bilder und Texte ganz bestimmte Gruppen adressieren, während viele gar nicht erst auftauchen. Hier sind insbesondere Kandidat*innen aus migrantischen Arbeiter*innenmilieus zu nennen, denen die Fähigkeit abgesprochen wird, sich überhaupt im Umfeld einer Kunsthochschule bewegen zu können.

    Die Einkommensverteilung entwickelt sich zunehmend auseinander. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Welche Folgen hat das auf den Kunstbetrieb? Werden sich bald nur mehr Rich Kids leisten können, Kunst und Kultur zu machen?
    Wir haben die zunehmende Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung nicht spezifisch untersucht. Was die Kunsthochschulen allerdings gegenüber anderen Schulen und Hochschulen auszeichnet, sind die Internationalisierungsbestrebungen, was an die vorherige Antwort anschließt: Unsere Studie hat gezeigt, dass vermehrte Rekrutierung von sogenannten ‚internationalen Studierenden‘ ganz deutlich zu einer Verstärkung der existierenden sozialen und kulturellen Ungleichheiten beiträgt. Studierende mit transnationalen Biografien, die sich in verschiedenen Sprachen eloquent im Kunstfeld bewegen können, sind natürlich gerne gesehen. Zum notwendigen kulturellen und sozialen Kapital kommt spezifisch bei diesen Studierenden viel ökonomisches Kapital sowie die ‚richtige‘ Staatsangehörigkeit hinzu, die solche Arbeits- und Lebensweisen überhaupt ermöglichen. Wie ja auch die Studie von Barbara Rothmüller zur Akademie der bildenden Künste Wien gezeigt hat, sind ökonomisch gut situierte Studierenden aus EU-Mitgliedsstaaten deutlich übervertreten.(3) Insofern wird die zunehmende Internationalisierung bestimmt Folgen für den Kunstbetrieb haben; welche, darüber können wir allerdings bloß spekulieren.

    Wie haben sich Zugangsbarrieren an Kunstunis in den vergangenen Jahren/Jahrzehnten entwickelt? In welchen Bereichen gibt es einen Anstieg der Zugangsungleichheit?
    Wir konnten die Zugangsbarrieren nicht in einer historisch-vergleichenden Perspektive untersuchen. Was sich allerdings aus den Ergebnissen zur sozialen Zusammensetzung der Studierenden bezüglich elterlichen Berufsgruppen und Bildungsmilieus sowie den genannten Internationalisierungsbestrebungen andeutet, ist eine deutliche Zunahme von Studierenden aus sozioökonomisch privilegierten Milieus mit hohem kulturellen Kapital – dies betrifft insbesondere die stark internationalisierten Bereiche der Kunsthochschulen, wie die klassische Musik und die bildende Kunst. Schauspiel mit seinem Fokus auf die deutsche Sprache, Design und künstlerische Vermittlung (Lehramt) in geringerem Ausmaß, weil diese noch stärker auf die hiesigen Kunst- bzw. Arbeitsmärkte ausgerichtet sind.

    Was spricht dagegen, dass nur mehr Rich Kids Kunst studieren? Wie bringen wir mehr Kinder aus Arbeiter/innenfamilien an die Kunstunis? Warum überhaupt sollten Arbeiterkinder an die Kunstuni wollen, wenn danach ein prekäres Künstler/innenleben auf sie wartet?
    Zunächst einmal scheint es uns wichtig darauf hinzuweisen, dass Kunsthochschulen – wie auch andere Institutionen des Kunstfeldes wie Museen, Theater oder Opernhäuser – als öffentlich finanzierte Bildungsinstitutionen für alle zugänglich sein sollten. Gerade im Wissen um die sozialen ungleichen Zugangsbedingungen – die Erkenntnis ist ja keineswegs neu, wenn man an die Arbeiten Bourdieus in den 1960er Jahren denkt – sollten diese kontinuierlich an der Öffnung und Demokratisierung der Zugangswege und auch ihrer eigenen Strukturen arbeiten. Das geschieht im Kunstfeld in regelmäßigen Abständen schon, nur allzu oft verpuffen die Bemühungen nach einer gewissen Zeit. Außerdem handelt es sich um ein Feld, das obwohl prekarisiert, weiterhin ein hohes Ansehen genießt und mit Versprechungen von Offenheit, Innovation und Kreativität operiert. Wie etwa die Arbeiten zum „neuen Geist des Kapitalismus“(4) gezeigt haben, wurden diese Begriffe und Konzepte längst auf andere Bereiche übertragen und haben insofern gesellschaftliche Wirkungsmacht erlangt. Auch scheint uns wichtig einzubringen, dass Kunst eine Vielfalt an wirkmächtiger „Sprache“ bemüht, die kritisch und politisch sein kann. Es scheint uns deshalb grundlegend, dass nicht nur eine kleine Gruppe von „Auserwählten“ auf Bühnen auftritt oder Filmszenarien schreibt, sondern stattdessen die gesellschaftliche Diversität der Kultur- und Kunstschaffenden, die es jenseits der Kunsthochschulen ja durchaus gibt, in den genannten Institutionen auch repräsentiert wird.

    Wie können die Zugangsbarrieren verringert werden? Werden Maßnahmen – etwa seitens der Kunsthochschulen oder der Politik – umgesetzt oder sind sie möglicherweise gar nicht erwünscht? Will man lieber unter sich bleiben?
    Wir haben in unserem Abschlussbericht auf sechs verschiedene Handlungsfelder hingewiesen, die von den Aufnahmeverfahren und deren Ausgestaltung (bspw. Informationspolitiken, finanzielle Anforderungen, Auswahlkriterien) über die Curricula und die Bedingungen während des Studiums bis hin zu den Organisationsstrukturen und Politiken der Hochschulen reichen. Neben der Adressierung konkreter Mechanismen des Ein- und Ausschlusses von Kandidat*innen ging es auch um organisatorische, letztlich gesellschaftliche Fragen demokratischer und inklusiver Prozesse innerhalb der Kunsthochschulen und darüber hinaus. Leider hat sich allerdings sehr großer institutioneller Widerstand gezeigt, den wir nicht nachvollziehen können: eine zeitgemäße, kritische Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Studie und mit Diversität (5), d.h. mit gesellschaftlichen Vorstellungen und der intersektionalen Verschränkung von Klasse, Geschlecht, Sexualität, race/Ethnizität und Körper und ihren Auswirkungen in Aufnahmeverfahren, Studium und Curricula sollte zum Kerninhalt der institutionellen Hochschul- und Qualitätsentwicklung werden. Dies würde langfristig den Bestrebungen nach mehr internationaler Visibilität und gleichbleibenden oder sogar steigenden Bewerber*innenzahlen entsprechen wie eine niederschwellige Weiterführung der Auseinandersetzung in einem Studiengang Bachelor Art Education gezeigt hat. Die Hochschulen unterstützen bisher diese Initiativen nicht obwohl das im Wortlaut ziemlich exakt auf die Formulierung ihrer strategischen Ziele passt und haben sich – wenn überhaupt – lediglich mit den ‚technischen Fragen‘ wie der Formulierung von Aufnahmekriterien beschäftigt. Es scheint uns, dass die Verweigerung der Auseinandersetzung mit diesen Inhalten auf die Sicherung eigener Privilegien und der Wahrung bestehender Machtverhältnisse innerhalb der Hochschulen zurück zu führen sind.

    Wie wirkt sich die Ungleichheit an den künstlerischen Hochschulen auf den Kunstbetrieb im Allgemeinen aus? Welche Handlungsaufträge ergeben sich für Kulturhäuser, Theater, Museen, etc.?
    Bisher haben wir uns nicht konkret mit anderen Institutionen des Kunstfeldes befasst. Trotzdem scheinen uns die identifizierten Handlungsfelder aufgrund unserer Studie auch für Museen, Theater oder Opernhäuser relevant zu sein: Wir erachten eine kritische Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, die das Kunstfeld und Gesellschaft überhaupt regieren, als notwendig. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen sollte weder an künstlerische Produktionen, die dies in unterschiedlicher Form ja durchaus verhandeln, noch an die institutionell schwach positionierten Gleichstellung- bzw. Diversity-Fachstellen ‚ausgelagert‘ werden. Die eigenen Prozesse und Verfahren diesbezüglich kontinuierlich zu befragen mit dem Ziel deren Veränderung sollte zu einem der Kernanliegen der jeweiligen Organisationen und ihrer weiteren Entwicklung werden.

    Florian Walter ist Politologe und Kulturarbeiter, u.a. beim Kulturverein `waschaecht‘ (Wels, Österreich) und Vorstand der Kulturplattform Oberösterreich

    (1) Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita (2011): Soziale (Un)Gerechtigkeit. Kritische Perspektiven auf Diversity, Intersektionalität und Antidiskriminierung. Berlin: LIT.
    (2) Die Bezeichnung entnehmen wir Oesch, Daniel (2006): Redrawing the Class Map. Basingstoke: Palgrave Macmillan.
    (3) Rothmüller, Barbara (2010): BewerberInnen-Befragung am Institut für Bildende Kunst 2009. Wien: Akademie der bildenden Künste. Online unter: https://www.akbild.ac.at/Portal/organisation/uber-uns/Organisation/arbeitskreis-fur-gleichbehandlungsfragen/endbericht.pdf?set_language=de&cl=de (letzter Zugriff: 31.05.2018).
    (4) Boltanski, Luc/Chiapello, Eve (2003): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK.
    (5) Steyn, Melissa (2015): Critical diversity literacy. In Vertovec, Steven (Hrsg.), Routledge International Handbook of Diversity Studies. New York & Abingdon: Routledge, 379-389.

  • Adressieren! Studierende mit Migrationserfahrung und nicht normativem Bildungsweg am BA Art Education, ZHdK

    Adressieren! Studierende mit Migrationserfahrung und nicht normativem Bildungsweg am BA Art Education, ZHdK

    Ermitteln von inkludierenden Massnahmen in der Bewerbung und Rekrutierung von Kandidat_innen des Studiengangs BAE an der ZHdK
    Kooperation mit dem Bachelor Art Education, ZHdK (Peter Truniger)
    Datenerhebung und Auswertung: Juni–Dezember 2017. Wichtigste Ergebnisse und erste Umsetzungsideen. An der Datenerhebung und Auswertung sind beteiligt: Sophie Vögele (Projektleitung), Gianna Brühwiler und Şebnem Efe
    Ausarbeitung eines Massnahmenkatalogs: Januar–Juni 2018 in Zusammenarbeit mit den Dozierenden BAE

    Wir konnten feststellen, dass die Gruppe der Menschen mit Migrationserfahrung unter den Studierenden in der ZHdK und so auch beim Bachelor Art Education unterrepräsentiert ist (s. FORSCHUNGSVORHABEN Art.School.Differences und exemplarisch die Folien zum Vortrag Exclusion inside out an der PARSE Konferenz). Deshalb geht ‚Adressieren‘ der Frage nach, welche strukturellen Hürden sich für nicht-normative Studierende im Studiengang stellen, wie diesen begegnet werden kann und wie der Studiengang für Studierende mit Migrationserfahrung und solchen ohne normativen Bildungsweg attraktiver gemacht werden könnte.

    Projektgegenstand ist das Ermitteln der Bedürfnisse von Kandidat_innen mit nicht-normativem Bildungsweg. Dabei sind von ihnen entwickelte Strategien für eine erfolgreiche Bewerbung und Durchlaufen des Studiums sehr aufschlussreich um mögliche Massnahmen in der Bewerbung und Rekrutierung des Studiengangs BAE zu entwickeln. Daraus leiten sich Anpassungen der Webseite und die Schaffung von Anlaufstellen und zugänglicheren Informationsgefässen ab. Es können sich auch mögliche Anpassungen des Curriculums oder der Studienanforderungen ergeben, die diese inklusiver oder flexibler gestalten. Ziel der Untersuchung ist somit, im Aussenauftritt und in der Bewerbung des Studiengangs explizit Studierende mit nicht-normativem Bildungsweg anzusprechen. Darüber hinaus wird eine Sensibilisierung im Bachelor Art Education für Fragen der Inklusion und Exklusion von Studierenden angestrebt und gemeinsam mit den Dozierenden das Anstossen eines Prozesses der nachhaltigen Auseinandersetzung mit eigenen Strukturen und deren Anpassung und eventuellen Veränderung erprobt.

    Die wichtigsten Ergebnisse beinhalten einige konkrete Massnahmen die im BAE teilweise schon umgesetzt wurden.
    Die weitere Entwicklung von Massnahmen sowie Sensibilisierung und Anstossen eines Prozesses der nachhaltigen Auseinandersetzung gemeinsam mit den Dozierenden und der Administration wurde im 2018 weiter verfolgt (s. dazu den Beitrag Zugang und Teilhabe am Hochschulstudium). Aktuell ist die Realisierung von grösseren Massnahmen und curricularen Anpassungen aufgrund der Reorganisation des gesamten Departements sistiert.